Briefe
von Mitgliedern der badischen Gesetzgebungskommission an Karl Josef Anton Mittermaier,
hg. u. bearb. v. Mußgnug, Dorothee (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte
153. Juristische Briefwechsel des 19. Jahrhunderts). Klostermann, Frankfurt am
Main 2002. X, 941 S.
Der
umfangreiche Band ist Teil eines größeren Projektes, nämlich die
juristisch-politische Korrespondenz Karl Josef Anton Mittermaiers
herauszugeben. Mittermaier, einer der überragenden Juristen und liberalen
südwestdeutschen Politiker des Vormärz hat nicht nur viele Bücher und eine fast
unübersehbare Zahl von Aufsätzen publiziert, er hat darüber hinaus auch einen
regen Briefwechsel geführt, der bis heute noch großenteils unbekannt ist. In
ihm lebt die Zeit, und es spiegeln sich vor allem die politischen und
persönlichen Sorgen, mit denen sich die Beteiligten plagten.
Mittermaier
hat eine gewaltige Arbeitsleistung vollbracht. Seit seiner Berufung von Bonn
nach Heidelberg (1821) war er hier nicht nur neun Mal Dekan und drei Mal
Rektor, er leitete auch das Spruchkollegium der Fakultät und vertrat seit 1831
die Stadt Bruchsal im badischen Landtag, der ihn 1833 erstmals zum Präsidenten
der zweiten Kammer wählte. Von 1826 bis 1840 gehörte er der badischen
Gesetzgebungskommission an, die sich vornehmlich auf strafrechtlichem Gebiete
betätigte. Seit 1834 waren Entwürfe eines Gerichtsverfassungs- und eines
Strafverfahrensgesetzes in Arbeit. Denn - so merkwürdig es klingt - Baden hatte
zwar in der Rheinbundszeit den Code civil übersetzen lassen und als Badisches
Landrecht übernommen, war aber - anders als etwa die bayerische Pfalz und das
preußische Rheinland - auf dem Gebiet des Straf- und Strafprozeßrechtes strikt
konservativ geblieben. Mittermaier kämpfte nicht nur in Büchern und Aufsätzen,
sondern auch in der Gesetzeskommission, die gleichrangig neben den Ministerien
stand, für die Abschaffung der Todesstrafe, die Einführung der Öffentlichkeit
und Mündlichkeit des Strafverfahrens und der Schwurgerichte[1].
Seine
Briefpartner in diesem Bande sind die Mitglieder der badischen Gesetzeskommission,
insgesamt 24 Personen. Der Band enthält fast ausschließlich Briefe an
Mittermaier, nur bei einzelnen Partnern (etwa Nebenius, Rotteck
und Welcker) sind auch Mittermaiers Briefe erhalten geblieben. Denn
trotz intensiver Nachforschung der Bearbeiterin sind die Gegenbriefe
Mittermaiers großenteils unauffindbar, vermutlich verloren. Der Anteil der
einzelnen Partner an den Briefen ist sehr unterschiedlich. Am meisten haben Johann
Baptist Bader (111 Briefe) und Johann Baptist Bekk (167 Briefe)
beigetragen. Das hat nicht nur sachliche, sondern vor allem auch persönliche
Gründe: Bader war zuletzt Amtmann in Meersburg, später privatisierte er
als Gutsbesitzer in Zizenhausen und vertrat den 2. Ämterwahlbezirk Badens im
Landtag. Sein Stiefsohn Friedrich heiratete 1839 Mittermaiers Tochter Klara. Bekk
war seit 1832 Mitglied der Gesetzeskommission, später Innenminister und zuletzt
Präsident des Bruchsaler Hofgerichts. Seine Tochter Laura heiratete 1846
Mittermaiers Sohn Philipp. Beide Briefwechsel beginnen 1833, der Badersche
reicht bis 1858, der Bekksche bis 1855. Ich nenne noch einige von Mittermaiers
Briefpartnern: Anton Christ war zunächst Universitätsamtmann in
Heidelberg, wechselte später ins badische Innenministerium, war Mitglied des
Vorparlaments und der Frankfurter Nationalversammlung, und der Reichsverweser
ernannte ihn zum Reichskommissar für Baden. Johann Georg Duttlinger war
seit 1817 Professor an der Universität Freiburg[2]
und gehörte dem badischen Landtag seit 1819 an, 1841/42 als dessen Präsident. Isaak
Jolly wurde 1835 badischer Justizminister und Präsident der Gesetzeskommission.
Josef Merk war seit 1834 Ministerialrat im Justizministerium und vertrat
in der zweiten Kammer des Landtages den Ämterwahlkreis Bonndorf und später die
Stadt Offenburg. Franz Bernhard Mördes war Anwalt und vertrat seit 1833
nacheinander verschiedene Ämterwahlkreise. Sein Sohn Florian beteiligte sich
aktiv an der badischen Revolution und mußte deshalb nach Amerika fliehen. Karl
Friedrich Nebenius hatte große Verdienste um die Schaffung des Deutschen
Zollvereins. Er war mehrfach badischer Innenminister und Mitglied der ersten
Kammer. Präsident der Gesetzeskommission war er von 1830-1835. Karl
Wenzeslaus Rodecker von Rotteck war zuletzt Professor an der juristischen
Fakultät in Freiburg und seit 1831 Mitglied der zweiten Kammer, was er auch
blieb, als der Innenminister ihn 1832 - zusammen mit seinem Kollegen Welcker
- wegen seiner politischen Tätigkeit in den Ruhestand versetzte. Karl
Theodor Welcker war seit 1822 Professor an der juristischen Fakultät in Freiburg,
seit 1831 Mitglied der zweiten Kammer. Zusammen mit Rotteck gab er das
Staats-Lexikon heraus, das die freiheitlichen Ideen in ganz Deutschland
verbreitete. Johann Gottfried Stößer war seit 1846 Mitglied der zweiten
badischen Kammer. Er setzte sich vor allem für die Einführung der
Schwurgerichte ein. Christof Franz Trefurt war zuletzt Justizminister,
später Präsident der Oberrechnungskammer und nacheinander Mitglied der zweiten
und der ersten Kammer des Landtages. Josef Zentner war Hofrichter in
Mannheim und Freiburg und seit 1837 Mitglied der zweiten Kammer.
Von den
vielen Briefpartnern Mittermaiers aus der Gesetzeskommission sind die meisten
heute wohl nur noch badischen Landeshistorikern bekannt, anders von Rotteck
und Welcker, zu ihnen stand Mittermaier auch in
wissenschaftlicher Verbindung, da sie ihn gebeten hatten, an ihrem
Staatslexikon mitzuwirken. Als herausragendem Wissenschaftler hatten sie ihm sogar
ein höheres Honorar als üblich für seine Artikel geboten. Daß Mittermaier zu
seinen sonstigen Verpflichtungen in Universität und Landtag auch noch längere
Artikel zu wichtigen Stichworten schreiben konnte, gehört zu den Wundern seiner
nie erlahmenden Arbeitskraft. Verständlich, daß man aus Terminnot gelegentlich
trickste, ein fälliges Stichwort durch eine Verweisung ersetzte und immer
wieder mahnen mußte, um die Drucktermine einhalten zu können. Vor allem
Welckers Briefe geben davon Zeugnis.
Da ein
großer Teil der Briefe in der Restaurationszeit des Vormärz und in den
Revolutionsjahren um 1848 geschrieben wurde, kommen auch persönliche Schicksale
– vor allem von Söhnen der beteiligten Personen – zutage. So beteiligte sich
nicht nur Mördes Sohn Florian aktiv an der badischen Revolution und mußte
später in die Schweiz und die USA fliehen, auch Welckers Sohn Rudolf hatte sich
in Weinheim an der Beschädigung von Eisenbahnanlagen beteiligt, wurde 1850 zu
Zuchthaus verurteilt und nur deshalb vor der Haft verschont, weil er nach
Amerika auswanderte (S. 825). Und selbst Mittermaiers Sohn Karl wurde in die
sog. Demagogenverfolgungen verwickelt, weil er ein Agent „sozialdemokratischer
Propaganda“ gewesen sei. Auch er konnte aus der Haft nur deshalb freikommen,
weil er eine längere Auslandsreise antreten wollte (S. 9ff.).
Frappierend
ist, daß sich auch in dieser Briefedition viele der Namen finden, die zugleich
in anderen Briefen der Zeit auftauchen. Daß Welcker vom Konservativismus
Eichhorns und Savignys hinsichtlich des Adels nicht viel hielt,
ist bei seiner liberalen Einstellung nicht verwunderlich (S. 796). Namen von
Freiburger Professoren (z. B. Duttlinger, v. Reichlin-Meldegg,
Warnkönig, oder von Heidelberger Professoren (z. B. Morstadt, Roßhirt,
Thibaut, Zachariae v. Lingenthal wecken Erinnerungen an andere
Personenverbindungen[3]
und den akademischen Kosmos des deutschen Vormärz.
Die
Bearbeiterin hat eine gewaltige Arbeitsleistung erbracht, denn zur Herausgabe
eines so gigantischen Briefkonvoluts gehört nicht nur die – hier besonders mühsame
– paläographische Arbeit, die bekanntermaßen bei den Handschriften des 19.
Jahrhunderts und vor allem bei den Eigennamen schwierig ist, sondern auch die
Ermittelung der genannten Personen, ihrer Lebensdaten und der Umstände, in die
sie eingebunden waren. Diese Aufgabe hat die Bearbeiterin mit Bravour gelöst
und man kann ihr zu dem schönen Ergebnis nur gratulieren. Die Einleitung
erschließt zwar nicht die näheren Lebensumstände und die wissenschaftliche
Leistung Mittermaiers, die wohl in dieser Editionsreihe an anderer Stelle
geboten wird, sie zeichnet aber den mühsamen Entstehungsprozeß der badischen
Strafprozeßordnung mit dem Sonderproblem der Schwurgerichte und eines
Strafgesetzbuches in den Grundzügen nach, will aber wohl den übrigen Inhalt der
Briefe nicht erschöpfen. Sie bieten der künftigen Forschung noch ein reiches
Material, das hoffentlich bald ausgewertet werden wird.
Einige
wenige Bemerkungen seien mehr als Anregung denn als Kritik verstanden: Im Gegensatz
zu ihrer Praxis, die Lebensdaten der erwähnten Personen zu bieten, hat die
Herausgeberin das bei den Ministern Sigismund v. Reitzenstein und Georg
Ludwig Winter[4] anders
gehandhabt. Sie tauchen zwar in den Briefen als handelnde Personen immer wieder
auf, persönliche Informationen über sie finden sich leider nur sporadisch. Auch
hätte ihre Rolle in der Strafgesetzgebung es verdient, näher ausgeführt zu
werden. Daß die Bearbeiterin die Mittermaierschen Werke nicht den Quellen
zuordnet, sondern sie gleichsam als Keil zwischen die biographischen Nachschlagewerke
und die übrige Literatur schiebt, erschwert die Übersicht. Ansonsten ist das
Werk durch Personen-, Orts- und Sachregister mustergültig erschlossen. So ist
diese Briefausgabe ein wichtiger Meilenstein auf dem Wege, den ungeheuer
reichen Steinbruch Mittermaierscher Tätigkeit der Forschung zu erschließen. Der
Rezensent hofft und wünscht, daß es den Herausgebern des Gesamtbriefwechsels, Barbara
Dölemeyer und Aldo Mazzacane, gelingt, bald weitere Bände vorzulegen.
Köln am Rhein Dieter
Strauch
[1] Zu diesen Institutionen vgl. zuletzt Dieter Strauch, Französisches Recht im Rheinland. Die Rheinischen Institutionen Schwurgericht, Öffentlichkeit und Staatsanwaltschaft, in: Der Appellhof zu Köln. Ein Monument deutscher Rechtsentwicklung, hrsg. v. Dieter Strauch/Joachim Arntz/Jürgen Schmidt-Troje, Bonn 2002, S. 19-44.
[2] Er taucht auch in anderen Briefwechseln der Zeit auf, vgl. Deutsche Juristen im Vormärz. Briefe von Savigny, Hugo, Thibaut und anderen an Egid von Löhr, bearb. v. Dieter Strauch, (Rechtsgeschichtliche Schriften Bd. 13) Köln etc. 1999, S. 201.
[3] Vgl. dazu das oben in Fn. 2 genannte Werk, zu Duttlinger: S. 201, zu v. Reichlin-Meldegg: S. 192, zu Warnkönig, dem Nachfolger Rottecks: S. 193; zu Morstadt: S. 200f., zu Roßhirt: S. 88, zu Thibaut: S. XLVI ff., zu Zachariae von Lingenthal: S. 88.
[4] Vgl. dazu das oben in Fn. 2 genannte Werk, zu Reitzenstein S. 82, zu Winter S. 185f.