Boockmann, Hartmut, Wege ins Mittelalter. Historische Aufsätze, hg. v. Neitzert, Dieter/Israel, Uwe/Schubert, Ernst. Beck, München 2000. XII, 481 S. 25 Abb.

 

Hartmut Boockmann, der leider zu früh verstorbene Historiker des Deutschen Ordens, hinterließ ein Gesamtwerk, das weit über jenen Ansatz der Forschung über die Geschichte Ost- und Westpreußens und seine Beiträge zur Polonistik hinausreicht. Schon ein erster Überblick über die mehr als 260 im Schriftenverzeichnis aufgeführten Publikationen (S. 444-464) macht deutlich, wie er von seinen Wirkungsstätten in Kiel, Göttingen und Berlin aus im Schaffen ausgriff in den weiten Raum des Alten Reiches mit quantitativem Vorwalten des Spätmittelalters, aber auch der Ausdehnung über die Frühneuzeit hinweg bis in heute besonders beherzigenswerte Ausführungen zur Wissenschafts- und Kulturpolitik der Gegenwart, hier vor allem der Geschichtsdidaktik und deren Schiefheiten in Schulbüchern westdeutscher Verlage, nicht zu vergessen das Museumswesen. Die drei Herausgeber der hier anzuzeigenden Sammlung, die entstand in dankverpflichtendem Zusammenwirken mit Frau Dr. Andrea Boockmann, machen mit Recht darauf aufmerksam, daß es ihnen nicht leicht fiel, eine repräsentative Auswahl unter dem Zwang der Konzentration auf einen stattlichen Band zu treffen. Zweifellos wird jeder Rezensent das eine oder andere lieber sehen mögen, doch jeder wird die hier vorgelegte Auswahl begrüßen. Und jeder wird bekennen, es sei kaum möglich, den Facettenreichtum des Inhaltes hinreichend in hier notwendiger Raffung wiederzugeben. Gegliedert ist das Sammelwerk in sieben Abschnitte. Nach knapper Einführung folgen Beiträge zum Spätmittelalter, zum Deutschen Orden, zur materiellen Kultur im Mittelalter, der Belehrung durch Bilder, zu Museen, Ausstellungen, Schulbüchern, schließlich zum 19. Jahrhundert und seiner Mittelaltersicht. In allen Teilen, dies sei den kommenden Hinweisen vorausgeschickt, finden sich nicht die sogenannten großen Würfe, in denen meist mit arger Verkürzung von Wesentlichem auf nur wenigen Seiten die Darstellung von Jahrzehnten oder noch längere Zeitspannen zusammengezwängt wird. Meisterhafte Ausblicke stehen, oft in milder Nachsicht mit den Autoren, in den Fußnoten als Zeugnisse immenser Belesenheit. Es sind immer die prägnanten Befunde über die Mentalitäten gelehrter Räte (S. 11-18), die negative Stellungnahme des Nikolaus von Cues zum Ablaß und zu Reformanliegen um 1450 (S. 19-36), Krisen der Stadtverfassung am Beispiel von Rothenburg und Augsburg (S. 37-54) oder eine kritische Ranke-Deutung verbunden mit Würdigung von Johannes Janssens Sicht und positiver Einschätzung von Reformkonzilien als Teil von Boockmanns Bewertung des 15. Jahrhunderts (S. 65-80). - Im Deutschordensabschnitt werden die Auseinandersetzung mit den preußischen Ständen, Beobachtungen zur ethnischen Struktur der Bevölkerung deutscher Ostseestädte, dann Spielleute und Gaukler in Hochmeisterrechnungen wieder behandelt (S. 81ff., 123ff. und 133ff.). - Noch weitere Sachbetreffe sind Gegenstand in der Interpretation einer Urkunde Konrads II. von 1029 mit grundlegenden Ausführungen über Königskanonikate und - teilweise im Gefolge Percy Ernst Schramms - über Herrschaftszeichen, besonders über das Szepter (S. 145-159). Hervorzuheben als stoffgesättigte Kurzbiographie eines spätmittelalterlichen Juristen ist das Lebensbild des Legisten Johannes von Seeburg (S. 168-186). Bürgerkirchen mit deren spezifischen kanonistischen Schwierigkeiten im Verhältnis zu den Pfarreien besonders in Ulm und Nürnberg, Auflistungen von Inventaren und die Rolle der Beinhäuser werden mit tiefem Verständnis für die zeitgenössischen Frömmigkeitsformen vorgestellt (S. 186-204). - Einen umfänglichen wie anregenden Abschnitt gestaltete Boockmanns enormes Engagement für die Belehrung durch Bilder, die er in ihrem Wert vorstellt als Dokumente weniger der Kunstgeschichte als Ausdrucksformen der jeweiligen Geschichtsauffassung der Entstehungszeit, wobei die Problematik früherer und gegenwärtiger Denkmalpflege höchst bedenkenswert angesprochen wird (S. 205-214). Die Zuwendung zu einem Stifterbild in der Deutschordenskommende Horneck führt den Verfasser zum Wirken des Nikolaus von Cues während seiner Legationsreise (S. 215-238). In vielem wird Neuland betreten mit der Behandlung von Schrifttafeln in spätmittelalterlichen deutschen Kirchen, die als Zugabe zu den meist nur an Feiertagen geöffneten Altären der Belehrung der Gläubigen dienten, gleichsam katechetische Inhalte nahebrachten (S. 257-280). Aus wiederholt erkennbarer Vorliebe für Nürnberg gestaltet sind die Ergebnisse von Recherchen über Maler und Bildschnitzer um 1500, die gesehen werden in ihrer sozialen Umwelt, den Beziehungen mit Auftraggebern, dem Absatz der Kunstwerke und deren Preise (S. 281-299).

Eigene Stellung nehmen sodann ein die kulturkritischen und polemischen Ausführungen über das sogenannte moderne Ausstellungswesen in seiner gelegentlichen Übersteigerung der Quantitäten und museumspädagogischen Fragwürdigkeit (S. 301ff.), der Gestaltung von Phantasieprodukten mangels echter Exponate (S. 318ff.), der Zeitaltervorstellungen von Mittelalter als Konstrukten und Wunschbildern (S. 328). Ebenso bedeutsam ist die Auswahl von Beispielen für die Deformierung des Lehensrechtes in Schulbüchern mit den von Verlagen - und Studienräten - hingenommenen und in den Klassen dilettantisch traktierten Anomalien (S. 343-352). Berührt wird hier nicht zuletzt die Unfähigkeit der adäquaten Erfassung wesentlicher Aspekte der Mittelalterforschung bis hin zu ideologischer Verranntheit. Auf gleicher Linie liegt die museumspathologische Umgestaltung der Berlin–Karlshorster Erinnerungsstätte an die Sowjetarmee (S. 353ff.) mit Imitaten und Fotographien als Personenersatz. - An den Schluß des Bandes stellte man vier Abhandlungen über die Geschichtssicht des historienbeflissenen Bürgertums, wie sie sich in Denkmälern manifestiert (S. 359-373), zugleich ein Exempel für gesellschaftliche Mentalitäten im 19. Jahrhundert. Für Germanisten lesenswert sind die Analysen des mittelalterlichen Rechts in Kleists Kohlhaasnovelle (S. 374-373), denen farbenfrohe Hinweise auf Dichtungen und wissenschaftliche Kontroversen im Blick auf Ghibellinen und Welfen folgen (S. 397-431) in Verbindung mit dem Aufweis der meinungsbildenden Kraft der Historiendramen am Beispiel von Eichendorffs Hinwendung zur Marienburg (S. 414-437). Reizvoll ist die feinfühlige Ironie in den zuletzt genannten Teilen. - Das Verzeichnis der von Boockmann betreuten 24 Dissertationen und ein Schriftenverzeichnis (S. 444-464), ein Register und 25 Abbildungen beschließen das Werk.

 

Wiesbaden                                                                                                     Alois Gerlich.