Blume, Herbert, Ein Handwerk –
eine Stimme. 100 Jahre Handwerkspolitik, 100 Jahre Handwerkskammern, 100 Jahre
Deutscher Handwerkskammertag, 100 Jahre miteinander mit Innungen und Verbänden,
50 Jahre Zentralverband des Deutschen Handwerks: eine historische Bilanz
handwerklicher Selbstverwaltung. Zentralverband des Deutschen Handwerks,
Meckenheim 2000. 228 S.
Bei der
hier anzuzeigenden Festschrift, mit der der Zentralverband des deutschen
Handwerks auf drei Jubiläen, nämlich 100 Jahre Handwerkskammern, 100 Jahre
deutscher Handwerkskammertag und 50 Jahre Zentralverband des Deutschen
Handwerks, hinweist, handelt es sich nach Auskunft des Herausgebers um eine
„bewusst populärwissenschaftlich gestaltete Arbeit“, welche die Entwicklung der
Handwerksgesetzgebung und der Selbstverwaltung des Kleingewerbes von der
Novellierung der Reichsgewerbeordnung im Jahre 1897 bis zu den jüngsten
Korrekturen der Handwerksordnung im Jahre 1998 nachzeichnet.
Ab 1900
entstanden im deutschen Reich in kurzer Folge 71 Handwerkskammern, die aufgrund
der Zwangsmitgliedschaft der Betriebe bald eine Schlüsselrolle bei der
berufspolitischen und organisatorischen Entwicklung des Handwerks spielten. Das
wesentliche Ziel der Kammern, an dem sie ein Jahrhundert lang zäh festhielten,
war es, den kleinen Befähigungsnachweis, wonach niemand mehr Lehrlinge
ausbilden durfte, der nicht eine Meisterprüfung bestanden hatte, sowie den
großen Befähigungsnachweis, welcher den Meistertitel als Erfordernis zur
Führung eines Handwerksbetriebes und als Befugnis zur Ausbildung von Lehrlingen
im erlernten Beruf umschrieb, durchzusetzen. Die Standesvertretungen wandten
sich damit gegen die schrankenlose Gewerbefreiheit, wie sie die Gewerbeordnung
des Norddeutschen Bundes eingeführt hatte. Bei der Verwirklichung ihrer Ziele
kam den Kammern zugute, dass die organisatorischen Kräfte des Handwerks
frühzeitig gebündelt und der Gesetzgeber entschlossen war, die Qualifikation
der Facharbeiter in Deutschland zu erhöhen. Einen ersten Erfolg errang der
„Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag“ als Organisation der
Handwerkskammern im Jahre 1908 mit der Einführung des „kleinen
Befähigungsnachweises“.
1919
wurde der „Reichsverband des deutschen Handwerks“ gegründet. Er verlangte neben
der Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für das Kleingewerbe
den Erlass einer „Reichshandwerksordnung“, welche die Pflichtmitgliedschaft in
Zwangsinnungen, eine öffentlich-rechtlich ausgestaltete Spitzenorganisation der
Handwerkskammern und Fachverbände sowie die Einbeziehung der Gesellen in diese
Organisationen gewährleisten sollte.
Eine
tiefe Zäsur in der Handwerksgeschichte des 20. Jahrhunderts bildete die
Weltwirtschaftskrise, welche den Betrieben Umsatzrückgabe um 50 % und eine
Einkommensverminderung um fast zwei Drittel brachte. Als Reaktion auf diese
Entwicklung rief das Handwerk nach einer berufsständisch aufgebauten
Wirtschaftsordnung. Die widrigen ökonomischen Umstände bereiteten den Boden für
die Gleichschaltung der Organisationen des Kleingewerbes durch den
Nationalsozialismus, so dass diese Maßnahmen wenig später kaum mehr auf
Widerstand stießen, wie der Autor anschaulich schildert. Die neue Ordnung wurde
aufgrund des „Gesetzes über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks“ vom
29. November 1933 und eine nachfolgende Verordnung durchgesetzt. Die
bestehenden freien und Zwangsinnungen wurden miteinander verschmolzen,
Kreishandwerkerschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts errichtet
und den Kammern die Dienstaufsicht über diese und die Innungen übertragen. Vor
allem aber gewannen die neuen Machthaber die Handwerker durch die Einführung
des von Generationen von Meistern vergeblich geforderten großen
Befähigungsnachweises. Gleichwohl kann aber von einer handwerksfreundlichen
Gesetzgebung nicht die Rede sein. Denn die traditionelle Selbstverwaltung der
handwerklichen Organisationen nahm eben damals durch die Rechts- und
Fachaufsicht des Wirtschaftsministeriums gegenüber den Kammern und die
Eingliederung des Kleingewerbes in die „Deutsche Arbeitsfront“ Schaden. 1943
wurden die Kammern in die sog. Gauwirtschaftskammern integriert und damit die
Selbstverwaltung des Handwerks beseitigt.
Nach
dem Ende des Krieges konnten die früheren Organisationsstrukturen und berufsordnenden
Regelungen in der britischen und französischen Zone allmählich wiederbelebt
werden, während die US-Militärregierung in ihrem Machtbereich die schrankenlose
Gewerbefreiheit einführte. In der sowjetischen Besatzungszone wurde die
Reanimierung der handwerklichen Selbstverwaltung von vornherein unterbunden.
Die wieder errichteten Handwerkskammern stellte die sowjetische
Militäradministration in den Dienst am Aufbau der verordneten Planwirtschaft.
Die
1947 in Frankfurt gegründete „Zentralarbeitsgemeinschaft des Handwerks im
vereinigten Wirtschaftsgebiet“ verschrieb sich demgegenüber von Anfang an dem
Kampf um die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Handwerksrechts
unter Erhaltung des großen Befähigungsnachweises. Nicht minder wichtig war ihr
die Errichtung einer Gesamtvertretung aller handwerklichen Organisationen und
Gemeinschaftseinrichtungen, worunter Handwerkskammern, Fachverbände,
Handwerksgenossenschaften und Innungskrankenkassen verstanden wurden. 1949
konnte der Zentralverband des deutschen Handwerks gegründet werden, dessen
Mitglieder die wieder errichteten Handwerkskammern und die Zentralverbände
waren.
Die
1953 vom Bundestag verabschiedete und in Kraft getretene Handwerksordnung
fasste die seit 1897 sukzessive erstrittenen Normen zusammen, zu denen der
große Befähigungsnachweis, die Anerkennung der handwerklichen Berufsausbildung
und Berufsfortbildung, die Definition der Handwerksberufe, die Bestätigung der
Handwerkskammern, die Mitwirkung der Gesellen sowie die gesetzliche Verankerung
der Innungs- und Kreishandwerkerschaften gehörten. In den folgenden zwei
Jahrzehnten wurde das Handwerksrecht durch so unterschiedliche Gegenstände wie
das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, die Regelung der Altersversorgung
für das Handwerk, aber auch die Novellierung der Handwerksordnung im Jahre 1965
weiterentwickelt. Das duale Bildungssystem konnte gegen die
Verstaatlichungspläne der sozialliberalen Koalition bewahrt werden, wohingegen
die Organisationen des Handwerks ihren Kampf gegen die Einführung der
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verloren.
Ganz
anders gestaltete sich das Schicksal des Kleingewerbes in der Deutschen
Demokratischen Republik. Dort sank das selbständige Handwerk zu einem eben noch
geduldeten Wirtschaftszweig herab, der gleichwohl aber unentbehrlich blieb. Die
Meisterprüfung entkleidete der Gesetzgeber ihres hergebrachten Charakters als
Berechtigung zur selbständigen Ausübung des Handwerksberufs. Enorm hohe direkte
Steuern für private Handwerker, strenge Vorschriften für die Preis-Kalkulation
und die Materialeinkäufe einerseits und verstärkter Druck zur Kollektivierung
in den sog. Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) andererseits ließen
die Zahl der selbständigen Meister stark sinken. Hierzu trug die Befugnis der staatlichen
Stellen bei, Betriebsgenehmigungen jederzeit und ohne Angabe von Gründen zu
widerrufen. Zudem wurde die Vererbung von Privatbetrieben nachhaltig erschwert.
Zu Beginn der siebziger Jahre verstaatlichte die DDR die
Produktionsgenossenschaften des Handwerks und zahlreiche der noch verbliebenen
privaten Betriebe. Die fortbestehenden Handwerkskammern sanken zu
Erfüllungsgehilfen des SED-Staatsapparates herab. Wegen der verheerenden
Auswirkungen all dieser Maßnahmen auf das Angebot von Handwerksleistungen
suchte der Staat die Zahl der Betriebe schon ab 1976 durch die Erteilung von
Gewerbegenehmigungen wieder zu erhöhen - ein Unterfangen, welches aber kläglich
scheiterte.
Besondere
Aufmerksamkeit schenkte der Autor dem organisatorischen Zusammenschluss des
ost- und westdeutschen Handwerks nach der Wende in der DDR im Jahre 1990.
Detailliert zeichnet er alle Schritte der jeweiligen Organisationen nach, die
den Zusammenschluss zu gemeinsamen Verbänden vorbereiteten - wobei der
Verfasser für das Handwerk etwas vollmundig in Anspruch nimmt, dieses habe „die
Vorreiterrolle im Prozess der deutschen Wiedervereinigung“ übernommen (S. 158,
172). Zahllose Zitate werden aneinandergereiht, um die Größe der Aufgabe und
die Zielstrebigkeit der handelnden Personen eindrucksvoll darzustellen. Vor
allem aber waren die wirtschaftlichen Erfolge des Kleingewerbes in den neuen
Ländern außerordentlich. Die Zahl der Handwerksbetriebe verdoppelte sich dort
zwischen 1989 und 1997, und die Anzahl der im Handwerk tätigen Menschen verdreifachte
sich in dieser Zeit gar.
Als
nennenswerte Initiativen der gesamtdeutschen Handwerksorganisationen der
neunziger Jahre berichtet der Autor über den Kampf gegen die Einführung der
umlagefinanzierten Pflegeversicherung und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,
aber auch über die Auseinandersetzungen um die sozialpolitische Harmonisierung
in Europa und die Bestrebungen zur Beseitigung des großen
Befähigungsnachweises. Zugleich bemühten sich die Handwerksorganisationen um
die gleichgewichtige Förderung von beruflicher und allgemeiner Bildung. Erwähnt
zu werden verdient auch die Anpassung der Handwerksordnung an die veränderten
produktionstechnischen und ökonomischen Gegebenheiten.
Der Stolz auf das Erreichte spricht aus fast jeder Zeile des Bandes. In der Tat wuchs die Zahl der Beschäftigten im Handwerk zwischen 1975 und 1995 um 33 % - eine Entwicklung, die vor dem Hintergrund der im 19. Jahrhundert kaum bezweifelten Niedergangsthese nicht genug gewürdigt werden kann. Die Erfolgsgeschichte, welche die deutschen Handwerksorganisationen geschrieben haben, wird dem Leser aber bedauerlicherweise im Stile einer unkritischen Hofhistoriographie präsentiert, die auch dann unangemessen erscheint, wenn man berücksichtigt, dass der Herausgeber wissenschaftliche Ausgewogenheit ausdrücklich nicht intendiert hatte. Eine gewisse Oberflächlichkeit der auf ein breiteres Publikum zielenden Darstellung mag hingehen; dem staunenden Leser den Bundespräsidenten Heinrich Lübke als Wilhelm Lübke vorzustellen (S. 179) wirft aber mehr als einen Schatten auf die Gründlichkeit der Recherche des Autors. Nichtsdestoweniger bleibt es verdienstlich, den Mitgliedern der Handwerksorganisationen einen leicht lesbaren Überblick über die Geschichte ihrer Interessenvertretung an die Hand gegeben zu haben. Mehr bietet der Band nicht.
Schönow Gerhard
Deter