Blauert, Andreas/Wiebel, Eva, Gauner- und Diebslisten.
Registrieren, Identifizieren und Fahnden im 18. Jahrhundert (= Studien zu
Policey und Policeywissenschaft). Klostermann, Frankfurt am Main 2001. 367 S.
Die vorliegende Publikation ist einer
Quellengattung gewidmet, die bislang kaum Beachtung fand. Bei den sogenannten
Gauner- und Diebslisten handelt es sich um Fahndungs- und Identifizierungsinstrumente
des 18. Jahrhunderts. Während der schon seit dem 16. Jahrhundert bestehende
Steckbrief unmittelbar zur Strafverfolgung des flüchtigen Täters führen sollte,
lag der Akzent bei den Gauner- und Diebslisten mehr auf dem Sammeln von
Personenbeschreibungen, die vor allem in der Bekämpfung des Vagantentums genutzt
wurden. Im Blickpunkt der Arbeit stehen insgesamt 122 Gauner- und Diebslisten
aus den Jahren zwischen 1692 und 1812, die von den Autoren in den Archiven im
Südwesten des Alten Reiches - auf dem Gebiet des Schwäbischen Kreises, der Deutschschweiz
und von Vorarlberg - gesammelt wurden.
Das Buch gliedert sich in vier große
Teile. Am Beginn steht eine umfassende einführende Darstellung der
Quellengrundlagen (S. 12 – 113). Dabei wird zunächst den gemeinsamen Wurzeln
der Steckbriefe sowie der Gauner- und Diebslisten nachgespürt. Es wird ein
weiter Bogen vom Ende des Mittelalters bis hin zu einem Ausblick ins 20.
Jahrhundert gespannt - auf dem Wege der immer besseren Methoden der
Personenidentifizierung und -fahndung. Als Vorläufer der Gauner- und
Diebslisten werden die Mordbrennerlisten des 16. Jahrhunderts genannt, die ebenfalls
primär keine Fahndungslisten waren, sondern Instrumente der gegenseitigen
Information und Amtshilfe.
Die genauere Beschreibung der
Quellengrundlage zeigt dann, dass die Zahl der Gauner- und Diebslisten nach
bescheidenen Anfängen an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert in der Folge
beständig zunahm, um dann zwischen 1770 und 1790 einen Höhepunkt zu erreichen.
Die Zahl der Personenbeschreibungen in den einzelnen Listen hatte dabei eine
relativ große Bandbreite und reichte von zehn bis über 500. Es wurden jedoch
auch drei Sammellisten entdeckt, die bis zu 1.500 Personen erfassten und
teilweise mit Registern versehen waren. Grundbestandteile der Beschreibungen
waren insbesondere der Name, die Herkunft, eine möglichst genaue Charakteristik
des Äußeren sowie das bisherige Vorleben. Daneben finden sich aber auch Angaben
über partnerschaftliche Beziehungen zwischen den beschriebenen Personen sowie
über bevorzugte Aufenthaltsorte und eine mögliche Bewaffnung. Die
diesbezüglichen Auskünfte gewann man im überwiegenden Teil der Fälle im Zuge
eines Inquisitionsverfahrens gegen Personen aus dem Vagantenmilieu. Daneben
wurden aber auch immer wieder weitere Informationsquellen - wie Urgichten,
Wochenblätter und private Mitteilungen - einbezogen.
Sehr deutlich wird der Hauptzweck der
Listen herausgearbeitet. Sie sollten als Materialsammlung oder Datenbank in
erster Linie zu einer vollständigen Identitätsfeststellung und Überführung
einer aufgegriffenen Person beitragen, während die Funktion als
Fahndungsinstrument in den Hintergrund trat. Dabei dienten sie insbesondere als
Hilfe bei Vernehmungen von Verdächtigen, die ihre wahre Identität nicht
preisgeben wollten. In einer sozialgeschichtlichen Auswertung der Listen zeigen
sich verschiedenste Aspekte. Zunächst überraschen der relativ hohen
Frauenanteil (rund 40 Prozent) und die regional begrenzte Mobilität der in den
Listen erfassten Personen. Weiters werden unter anderem auch die Bekleidung,
die körperliche Verfassung, Berufe sowie das Deliktsspektrum der in den Listen
Beschriebenen analysiert. In diesem Zusammenhang wird auch der bisher
verwendete Begriff der Diebs- und
Räuberbanden als dauerhaft zusammenarbeitende kriminelle Gruppe zur Diskussion
gestellt. Die Autoren stellen dabei die These auf, dass länger bestehende
Gruppen eher selten waren. Weitaus häufiger fanden sich die Vaganten nur zu
einzelnen Unternehmungen zusammen, während sie ansonsten nur das weitgespannte
Netzwerk des Gaunermilieus nutzten.
Eine genauere Erläuterung erfährt die
äußerst umfangreiche Sulzer Jauner- und Diebsliste von 1784, die im dritten
Teil des Bandes als Faksimile abgedruckt ist (S. 179–323). Sie wurde von einem
besonders engagierten Oberamtmann auf Grund eingehender Verhöre und
langwieriger Untersuchungen angelegt. Mit einer ungeheuren Materialfülle finden
sich darin Beschreibungen von insgesamt 666 Personen, die mit Hilfe des im
vierten Teil abgedruckten alphabetischen Index (S. 324–343) recherchiert werden
können. Man gewinnt dadurch einen sehr anschaulichen Einblick in die Entstehung
und Gestaltung der vorgestellten Quellengruppe.
In der Mitte des Buches findet sich
schließlich ein Repertorium der von den Autoren zusammengetragenen Gauner- und
Diebslisten (S. 115–178). Nach einem einheitlichen Muster werden darin
chronologisch alle 122 Listen in Kurzform beschrieben, wobei jeweils der
komplette Titel, die Entstehungsdaten, die genaue Personenanzahl sowie der
Fundort ausgewiesen sind.
Insgesamt wird mit der vorliegenden
Veröffentlichung deutlich, dass es sich bei den Gauner- und Diebslisten um
einen Quellencorpus handelt, aus der eine Fülle von neuen Erkenntnissen und
Einsichten über die vagierenden Unterschichten gewonnen werden kann. In der
kompakten einführenden Darstellung werden darüber hinaus manch neue Thesen und
Perspektiven eröffnet, die man bei der weiteren Erforschung von Polizei- und
Kriminalitätsgeschichte des 18. Jahrhunderts nicht wird übersehen können.
Graz Helmut
Gebhardt