Bahrenfuss, Dirk, Die
Entstehung des Aktiengesetzes von 1965. Unter besonderer Berücksichtigung der
Bestimmungen über die Kapitalgrundlagen und die Unternehmensverfassung (= Schriften
zur Rechtsgeschichte 86). Duncker & Humblot, Berlin 2001. 943 S.
Das
seit dem 17. Jahrhundert entwickelte Aktienrecht hatte im 19. Jahrhundert im Allgemeinen
Deutschen Handelsgesetzbuch einen Platz gefunden. Nach mehrfachen Reformen, vor
allem 1884, wurde aufgrund von Vorarbeiten aus der Weimarer Zeit 1937 das
Aktienrecht aus dem Handelsgesetzbuch ausgelagert und ein eigenes Gesetz
geschaffen, dessen Vorarbeiten weit in die Weimarer Zeit zurückreichten und
dessen Gesetzeskraft den Nationalsozialismus überdauerte. Obgleich sich nach
dem Urteil der Begründung des Regierungsentwurfs für eine Reform des Aktiengesetzes
von 1960 kein zwingendes Erfordernis für ein Eingreifen des Gesetzgebers finden
ließ, nahm die damalige Regierung eine umfassende Neuordnung des Aktienrechts
in Angriff. Dieses Reformvorhaben ist der Gegenstand der hier anzuzeigenden
Kieler Dissertation. Mit beachtlichem Fleiß hat der Autor nicht nur die publizierten
Quellen, sondern auch die Archive auf die Einzelheiten des Reformgesetzes von
1965 befragt.
Dem
Hauptgegenstand ist ein kurzer Überblick auf die Entwicklung des älteren
Aktienrechts vorangestellt (29-50), das sich monographischer Bearbeitung in den
letzten Jahrzehnten beharrlich entzogen hat (symptomatisch ist auch die
Nichtbehandlung dieses Rechtsgebietes im HRG, 1. Aufl.); dabei wäre es sehr
reizvoll, ausgehend von den wirtschaftlichen Gegebenheiten die jeweiligen
dogmatischen Grundlinien nachzuzeichnen. Es folgt ein allgemein gehaltenes
Kapitel über die politische und wirtschaftliche Lage nach dem Krieg und in der
frühen Bundesrepublik, das freilich immer wieder Bezüge zur Situation der
Aktiengesellschaften enthält (51-84). Zusammenfassende Erträge dieses Kapitels
sucht man allerdings vergeblich. Eine engere Verzahnung der wirtschaftsgeschichtlichen
Einsichten mit der Aktienreform findet indes leider nicht statt, obgleich der
Verfasser am Schluß den tieferen Grund für die Reform
von 1965 in wirtschaftlichen Gegebenheiten sucht (872f.).
Ausführlichst wird
sodann chronologisch der Gang der Reformarbeiten geschildert (85-423). „Auf
eine gewisse Ausführlichkeit“ glaubte der Verfasser wegen „der Länge der
Reformarbeiten“ usw. nicht verzichten zu können (25). Verdienstvoll ist dabei
die akribische Berücksichtigung der Archivalien insbesondere des Bundesjustizministeriums,
das federführend an der Reform beteiligt war. Das vom Verfasser gesichtete
Material hätte durchaus Anlaß zu einigen
grundsätzlichen Fragen der Gesetzgebungspolitik in
der frühen Bundesrepublik geben können. Dem geduldigen Leser offenbaren sich
manche Winkelzüge zwischen den Bundesministerien und gegenläufige politische
Interessen.
Diesem
ersten Teil folgt – ohne äußerliche Trennung – im selben Band eine zweite
Monographie, in der einige dogmatische Einzelfragen der Gesetzesreform
behandelt werden (425-870), nämlich: Arbeitnehmerbeteiligung an der
Unternehmensführung, Mindestgrundkapital der Gesellschaft, Mindestnennbetrag
der Aktie, Mehrstimmrechtsaktien, nennwertlose Aktien und Einzelheiten der
Unternehmensverfassung. Anders als im vorangegangenen Kapitel werden hier die
Sachfragen vollständig im gesamten Reformzusammenhang behandelt.
Die
Dissertation hat den erschreckenden Umfang von 943 Druckseiten (davon 858 S.
Text). Einleitend rechtfertigt der Verfasser die Breite der Darstellung mit der
Bedeutung des Aktiengesetzes „als Organisationsgesetz für die am Kapitalmarkt
auftretenden Gesellschaften mit zumeist größerer Wirtschaftskraft“ sowie mit
der Intensität der Reformdiskussion in der Nachkriegszeit (25). Dabei hat er
die Probleme der Publizität und das Konzernrecht sowie einige andere
Detailfragen ausgeklammert, „vorbehaltlich einer späteren Bearbeitung“ (26).
Für diese ist dem Verfasser eine wesentlich straffere Darstellungsart zu
wünschen. Stoffauswahl und Fragestellung wissenschaftlicher Arbeiten sind nur
bedingt der Kritik zugänglich – die Gedanken sind frei. Was dieser überwiegend
dokumentierenden Arbeit fehlt, ist Konzentration auf übergeordnete Fragestellungen.
Eine Ahnung von den Möglichkeiten vermittelt das insofern zu knappe Schlußkapitel (871-880), wo vor allem nach den Gründen für
die Reform gesucht wird. Der Verfasser sieht in Anlehnung an den damaligen
Staatssekretär im Bundesjustizministerium als entscheidendes Reformziel, die
Kapitalgesellschaften nicht von privaten Anlegern abzukoppeln, wofür er die
wirtschaftliche Entwicklung in der frühen Bundesrepublik verantwortlich macht
(872f.). Letztlich ging es dabei also um die Bedeutung der Aktiengesellschaften
in der Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik. Diese interessante These zu
untermauern, wäre sicher lohnend. Bleibenden Wert wird die Erschließung des
immensen Materials für denjenigen behalten, der speziellen Fragen der Gesetzgebungsgeschichte des Aktiengesetzes nachgehen
möchte.
Hamburg Tilman
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