WolfWahl20010110 Nr. 296 ZRG 119 (2002) 43
Wahl und Krönungsakten des Mainzer Reichserzkanzlerarchivs 1486-1711. Inventar, bearb. v. Schlösser, Susanne (= Geschichtliche Landeskunde 39). Steiner, Stuttgart 1993. 318 S.
Wer jemals im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien einen der Kartons mit den Wahl- und Krönungsakten auf seinem Arbeitstisch liegen hatte, hätte sich ein Inventar wie das vorliegende gewünscht. Es enthält 2717 Kurzregesten zum Inhalt von 35 Kartons des Mainzer Reichserzkanzlerarchivs, das 1792 zum Schutz vor den Revolutionstruppen aus Mainz verbracht wurde und schließlich nach Wien gelangte. Die Regesten umfassen die Zeit von der Wahl König Maximilians I. bis zum Tode Kaiser Josephs I. Sie sind nach Kartons (und den entsprechenden 18 Filmen im Mainzer Institut für Geschichtliche Landeskunde), Bänden und Folien angeordnet, nicht also chronologisch, was kaum möglich gewesen wäre. Nach dem Vorwort "kann dies auch im Sinne der Historischen Hilfswissenschaften als eine Beispielsammlung dafür dienen, wie man im 16. und 17. Jahrhundert Akten anlegte und verwahrte" (S. IX). So wird gelegentlich weit zurückgegriffen, z. B. 1606 in einer Akte die Verkündung der Absetzung König Wenzels aus dem Jahre 1400 (Nr. 0443) und 1710 eine Bestätigung des böhmischen Wahlrechts aus dem Jahre 1336 (Nr. 2711) eingefügt. Die Regesten sind datiert, doch fehlen die Ausstellungsorte und eine Unterscheidung in Entwürfe, Originale und Kopien. Laut Vorwort wurden „alle Personennamen“ aufgenommen (gilt dies wirklich immer, beispielsweise bei den Nummern 1783, 1784, 1847?). Ein 40seitiges Register, das „Orte, Territorien, Personen, Institutionen, Korporationen und Ämter“ verzeichnet und zahlreiche notwendige Querverweise enthält, ist eine große Erschließungshilfe. Doch fehlen z. B. die Stichworte Kurfürstenverein oder Kurverein, der zumindest in Nr. 1837 genannt wird, und Kurfürstentage, die unter anderem in Nr. 0796 und 0797, sinngemäß auch 0221 behandelt werden. Andererseits läßt das Inventar beispielsweise die wenig bekannte Tatsache erkennen, daß die Kurfürsten, die in Statuenreihen an Rathäusern, auf unzähligen Stichen, Landkarten, Adelsbriefen, Humpen, Tellern und dergleichen - gerade im 16. und 17. Jahrhundert - einträchtig zusammen mit dem König oder Kaiser das Reich bildlich repräsentierten, nur ganz selten vollzählig in persona zusammentrafen. Daß die in der Goldenen Bulle vorgesehenen jährlichen Kurfürstentage nicht stattfanden, ist bekannt. Aber auch bei den Königswahlen und Königskrönungen waren die Kurfürsten kaum jemals vollzählig. Bei der Krönung Maximilians I. in Aachen 1486 fehlte der König von Böhmen, und der Markgraf Albrecht von Brandenburg ließ sich durch Rätevertreten (Nr. 0003). Bei der Wahl Karls V. 1519 in Frankfurt stritten sich die Gesandten des minderjährigen Königs Ludwig und dessen Tutors Sigismunds von Polen um die böhmische Kur (0013). Bei der Wahl Ferdinands I. 1531 in Köln protestierte Johann von Sachsen (0169f.) Alle sieben Kurfürsten einigten sich jedoch in persona 1558 in Frankfurt wegen der Übertragung des Kaisertums von Karl V. auf Ferdinand (0221, 0238). Obwohl bei der Wahl Maximilians II. 1562 in Frankfurt zunächst Köln und Brandenburg nur durch Räte vertreten waren, kamen schließlich doch alle sieben Kurfürsten zusammen (0259). Dies scheint aber das letzte Mal gewesen zu sein. Bei der Wahl Rudolfs II. 1575 in Regensburg war zumindest der Pfalzgraf nur durch Räte vertreten (0359). Bei der Wahl von Mathias 1612 in Frankfurt hatte der Markgraf von Brandenburg einen Gesandten geschickt (0501), bei der seines Nachfolgers Ferdinand II. 1619 in Frankfurt waren Pfalz, Sachsen und Brandenburg nur durch Gesandte vertreten (1218, 1220, 1224, 1226), bei der Wahl Ferdinands III. 1636 in Regensburg Sachsen und Brandenburg (1775, 1784). Bei der Wahl Ferdinands IV. zum römischen König 1653 in Augsburg wurden die Stimmen von Bayern, Sachsen und Brandenburg von Gesandten geführt (1847, die dort angegebene Jahreszahl 1651 ist offensichtlich ein Druckfehler). An der Wahl und Krönung Leopolds I. 1658 in Frankfurt nahmen Ferdinand von Baiern und Friedrich Wilhelm von Brandenburg, obwohl der „Große Kurfürst“, nicht persönlich teil (2212). Bei der Wahl Josephs I. 1690 in Augsburg waren zumindest Böhmen, Sachsen und Brandenburg nur durch Wahlgesandte vertreten (2506, 2502, 2503). Nicht erkennbar ist, ob die Kurfürsten von Bayern und von der Pfalz persönlich anwesend waren (2615).Das Inventar enthält nicht nur Regesten zu den Wahlen bzw. Sukzessionen und Krönungen der Könige und Kaiser, sondern auch zur Reichskanzlei, den Reichsarchiven, der Reichskammergerichtskanzlei und dem Reichsvikariat nach dem kinderlosen Tode Kaiser Rudolfs II. 1612 (0627-0816), zur Translation der wittelsbachischen Kur von der älteren pfälzischen auf die jüngere bayerische Linie 1622-24 (Nr. 1278-1648) und zum Reichsvikariat nach dem Tode Kaiser Ferdinands III. 1657-58 (2220-2464). Lesenswert ist das Vorwort Alois Gerlichs, in dem die personellen und finanziellen Schwierigkeiten deutlich werden, ein solches Unternehmen über Jahrzehnte hinweg durchzuführen. Dennoch bleibt der Wunsch, eine Fortsetzung des Inventars für die Zeit von 1711 bis 1806 auf dem Tischliegen zu haben.
Frankfurt am Main Armin Wolf