WeitzelImspannungsfeld20010507
Nr. 1182 ZRG 119 (2002) 30
Im
Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und
früher Neuzeit, hg. v. Duchhardt, Heinz/Melville, Gert (= Norm und
Struktur 7). Böhlau, Köln 1997. VIII, 500 S.
Auch bei zweiter, nachträglicher Lektüre bleibt etwas an diesem Vorwort unangenehm: seine Sprache, dieses Soziologen-Historisch. Dass z. B. mit Hypothesen verbundene Aspekte deshalb auf der Hand liegen, weil damit weitere Spannungspole fassbar werden (Verfasser), das will selbst von einem geübten Leser erst einmal bewältigt sein. Und was ist „soziale Kommunikation“? Dachte ich doch immer, Kommunikation sei per se sozial. Gemeint ist offenbar gesellschaftliche Kommunikation im Gegensatz etwa zu der in der Familie gepflogenen. Dass S. 64 dann doch einmal „die gesellschaftliche Kommunikation“ zu lesen steht, ist wohl eher das Verdienst der beiden Übersetzerinnen des aus dem Italienischen übertragenen Artikels. Inhaltlich lässt schon das Vorwort die Frage aufkommen, warum das Thema zunächst für das Verhältnis von Ritual und Rechtssatzung konzipiert und erst nachträglich auf Rechtsgewohnheiten erweitert wurde. Immerhin bezieht der Band das Mittelalter gleichberechtigt ein. Da ergibt sich das spannende Thema „Ritual und Rechtsgewohnheit“ eigentlich von selbst, doch wird es in dem Band nicht annähernd angemessen thematisiert. In manchen Belangen treffen sich die Beiträge und Ergebnisse des Bandes mit denen der Diskussion um den „Rechtsbegriff des Mittelalters“. So etwa in der Aussage der Herausgeber „dass einer Modernisierungstheorie im Sinne eines mehr oder minder linearen Verlaufs von archaisch-kompakter Ritualität zu rational ausdifferenzierter Rechtsgestaltung in mehrfacher Hinsicht keineswegs das Wort geredet werden kann“.
Wenden wir
uns nun den einzelnen Beiträgen zu. Wir interessieren uns dafür, was sie für
die Fragestellung leisten und auch dafür, wie sie zu den Abschnitten, in die
sie eingeordnet sind, passen, ob sie wirklich etwas zu den einschlägigen
Zwischenüberschriften aussagen. Arnold Angenendt, Münster, schreibt über
„Verschriftlichte Mündlichkeit - vermündlichte Schriftlichkeit. Der Prozess
des Mittelalters“. Sein Beitrag bildet unter dem Titel „Ritual und
Kanonbildung“ einen eigenen Abschnitt. Er exemplifiziert an Hagiographie,
„fundierender“ und „mitfließender“ Geschichte, Ritualität und Orthodoxie
Umgangsformen mit Mündlichkeit und Schriftlichkeit, auch Auswirkungen beider
auf die Ausbildung und Ausgestaltung allgemeiner Überzeugungen („Normen“).
Die vier
nachfolgenden Beiträge befassen sich mit „Transformationsprozessen“. Wolfgang
Sellert, Göttingen, schildert unter dem Titel „Gewohnheit, Formalismus und
Rechtsritual im Verhältnis zur Steuerung sozialen Verhaltens durch gesatztes
Recht“ wie sich die mittelalterliche Gesellschaft, „deren Rechtsordnung
zunächst dominant auf empirischen und faktischen Regelmäßigkeiten ruhte, zu
einem Gemeinwesen entwickelt hat, welches durch gesatztes Recht gelenkt wurde“
(45). Die Ausführungen geben anschauliche Beispiele für formgebundene
Rechtshandlungen, bleiben bezüglich des Wandels selbst jedoch typologisch. – Francesco
Migliorono, Catania, beschreibt, weit in Semiotik und Linguistik
ausgreifend, die Begriffe Ruhm (fama)
und Schande (infamia) im
Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und Recht vom 14. bis zum 16. Jahrhundert:
„Kommunikationsprozesse und Formen sozialer Kontrolle im Zeitalter des Ius
Commune“. Konnte Sellert eine Umformung formgebundener Rechtsgewohnheiten in
Satzung darlegen, so weist der als solcher interessante und gelehrte Beitrag
des Italieners einen Bezug weder zu „Ritual“ auf, noch schildert er einen
Transformationsprozess. Die fama
scheidet im 18. Jahrhundert schlicht aus dem Recht aus. - Nur mit einer
einleitenden Bemerkung spricht Christoph H. F. Meyers Beitrag
„Mittelalterliche Rechts- und Verfassungsgeschichte. Die Methodenfrage aus
anthropologischer Sicht. Forschungserträge und Perspektiven“ zum Thema des
Bandes. Der fleißige und engagierte Aufsatz bringt einen im Prinzip
ordentlichen Überblick, stellt jedoch im Bereich der germanistischen
Mediävistik die Theorie des Forschens gegenüber dem, was bereits konkret an
einschlägiger Forschung geleistet wurde, unangemessen in den Vordergrund.
Insofern schöpft er aus zweiter Hand, bevorzugt den - en passant erbrachten -
Theoriebeitrag und setzt die Akzente nicht überzeugend. Die knappen
Ausführungen zum Rechtsbegriff des Mittelalters von 1994 sind (heute) nicht
(mehr) auf der Höhe des Forschungsstandes. Die Rolle von Uwe Wesel im Vorfeld
des späteren „Ethnologie-Booms“ wird nur insofern richtig erfasst, als Wesel in
den 60er und 70er Jahren der einzige deutsche Rechtshistoriker war, der sich
intensiv mit (Rechts-)Ethnologie befasste. Er hat - obwohl oder gerade weil
Romanist und von Meyer als „evolutionistisch“ kritisiert - nie erwogen, „von
den gegenwärtigen Verhältnissen bei außereuropäischen Völkern direkt auf die
Frühformen des (europäischen) Rechts“ zu schließen (dies zu 95f.). Spätere
haben zur Klärung des Frühmittelalters erheblich stärkere Anleihen bei der
Ethnologie nehmen wollen. - Der Beitrag Ronald G. Aschs, Osnabrück, „Das
Common Law als Sprache und Norm der politischen Kommunikation in England (ca.
1590-1640)“ betrachtet Sprachspiele englischer Schicksalsjahre. Er zeigt die
Rechtssprache als Mittel der politischen Auseinandersetzung, passt also zum
Untertitel „soziale Kommunikation“, der eigentlich der Haupttitel ist. Zu einem
„Spannungsfeld zwischen Recht und Ritual“ trägt er hingegen nichts bei. Auch
das Stichwort „Transformationsprozesse“ läuft leer. Der Verfasser überhöht m.
E. die Bedeutung der Sprache für die von ihm beschriebenen
Verfassungskonflikte. Es geht um politische Konflikte, um unterschiedliche
„Ordnungsideale“, wie S. 133 doch einmal formuliert wird. Sie werden von Interessen
gesteuert. Die Sprache ist nur ein Kampfmittel, das zwar gewisse Konsequenzen
mit sich führt, jedoch selten Eigenständigkeit erlangt. Auch dann, wenn
kurzfristig eine „Sprache“ dominiert - es gab doch stets mehrere. Und dass man
jenseits der zeitweilig politisch dominanten Sprache des Common Law wirklich
„sprachlos“ gewesen sei, will nicht recht überzeugen (125). Den Ausnahmezustand
rechtlich bindend ausgestalten zu wollen, führte nicht nur einmal zur
„Sprachlosigkeit“.
Die
nächsten vier Beiträge werden unter dem Titel „Institutionalisierungen kommunikativer
Ordnung“ zusammengefasst. Der Begriff „kommunikative Ordnung“ wird nicht näher
erläutert. Späterhin wird sehr viel auch von Rechtsnormen die Rede sein. Dies
ist wenig erstaunlich, muss man doch schon die Regula Benedicti auch als
Rechtsregel verstehen. Anke Biedarra, Seattle, und Jörg Oberste,
Dresden, handeln über den „Prior bei den Cluniazensern. Soziale Kontrolle und
Kommunikation im Wandel vom 11. bis zum 13. Jahrhundert“. Von Kontrolle ist
viel, von Kommunikation hingegen wenig zu berichten. Die Entwicklung ist eine
solche von spirituell gelebten consuetudines
zu Statuten, die sich ausdrücklich als Rechtsregeln verstehen und im Rahmen
eines „komplexen und transpersonalen Netzwerkes von Normierungs-, Kontroll-,
Verwaltungs- und Kommunikationsverfahren“ (171) umgesetzt werden sollten. -
Inwiefern die von Helga Schnabel-Schüle, Trier, „als Mittel der
Kommunikation zwischen Herrscher und Untertanen“ vornehmlich am Beispiel
Württembergs ausgedeuteten Kirchen- und Landesvisitationen zum Thema „soziale“
Kommunikation sprechen, ist fraglich. Geht es doch um Kommunikation im Über-
und Unterordnungsverhältnis des frühneuzeitlichen protestantischen Staates.
Auch dass Kommunikation zwischen Herrschern und Beherrschten stets „eine
konstitutive Voraussetzung sei, um Macht- oder Herrschaftsverhältnisse
überhaupt erst zu etablieren“ (173), mag man bezweifeln. Im Übrigen zeigt die
Abhandlung, in welchem Ausmaß schon im 16. Jahrhundert der „Überwachungsstaat“
drohte, dass es aber noch besonnene Räte gab, die in Denunziation und
inquisitorischen Methoden der Informationsbeschaffung größeren Schaden als
Gewinn angelegt sahen. - Nahezu den gegenteiligen Standpunkt zur Notwendigkeit
und Realität einer Kommunikation zwischen Herrschern und Beherrschten vertritt
für die „Landesordnungen“ des späten Mittelalters Peter Moraw, Gießen.
Diese normativen Gebilde, die
undefiniert bleiben und deren Regelungsgegenstände nicht näher dargelegt
werden, hätten sich wohl nur an die Amtleute gerichtet, nur auf punktuelle
Konflikte oder eine lokale Anfrage mit „als bescheiden zu bewertender Breiten-
und Dauerwirkung“ reagiert (193, 195) - so der Verfasser. In anderer Hinsicht,
nämlich bei Überlegungen zu „Raum und Grenzen“ wird die Betrachtung stark auf
die Jahrzehnte um 1500 eingeengt. Sie ist damit nicht mehr repräsentativ für
das Spätmittelalter insgesamt, da ab 1450 gelehrte Vorstellungen von Gericht
und Recht besonders massiv rezipiert wurden. Auch das Aufkommen des Begriffs
„Policey“ fällt in diese Zeitspanne. Dass eine „Letztbegründung“ des Phänomens
„Landesordnung“ entweder „vertikal“ oder aber „horizontal“ zu sein habe, vermag
nicht zu überzeugen. Zuzustimmen ist der Verknüpfung von Ordnung und Policey,
doch werden beide nicht hinreichend in ihrem Verhältnis zum „Recht“ gedeutet.
Die „Dynamik an und für sich“ (188, 199f.) ist jedenfalls ohne großen
Erklärungswert. Insgesamt wird Gesetzgebungsgeschichte nicht normativgeschichtlich,
sondern (nur) sozialgeschichtlich betrieben. Zur Policey und zu als wichtig
herausgestellten Fragen der als Institut im weltlichen Bereich neuen
Appellation (194, 201) fehlt - teilweise neuere - einschlägige Literatur. Die
Frage selbst bleibt S. 201 unklar. - In eine andere Welt scheint man nur 30
Jahre später mit den von Wilhelm Brauneder, Wien, hinsichtlich der
Stellung und des Verhältnisses von sozialen Gruppen untersuchten deutschen
Policeyordnungen des 16. Jahrhunderts einzutreten. Der Verfasser konstatiert
„einerseits das Bemühen um eine möglichst identische Schematisierung,
andererseits ... auch notwendige örtliche Modifikationen“ (204f.). Auch
methodisch ist dies eine andere Welt: hier werden normative Inhalte
ausgebreitet und dann gedeutet.
Es folgen
unter der Zwischenüberschrift „Instrumentalisierungen des Rituellen“ drei
Beiträge, von denen die beiden ersten nach Gegenstand und Zielsetzung für
Rechtshistoriker weniger bedeutsam sind. Zuerst handelt Gert Melville,
Dresden, ausführlich über „Rituelle Ostentation und pragmatische Inquisition.
Zur Institutionalität des Ordens vom Goldenen Vließ“. Schön wird hier das
Zusammenspiel von rituellen, Gemeinschaft stiftenden und demonstrierenden
Handlungen einerseits, von rechtsförmigen Verfahren, die gemeinschaftsschädigendes
Verhalten pragmatisch und individualisierend aburteilen andererseits,
herausgearbeitet. Beides diente den Zielen der burgundischen Fürstenmacht, die
den Orden ins Leben gerufen hatte. - Danach berichtet Philippe Contamine,
Paris, über Herrschertreffen im Frankreich des 15. Jahrhunderts. - Einen
interessanten, doch leider noch wenig quellenmäßig veranschaulichten
„Arbeitsansatz“ stellt Heinz Duchhardt, Mainz, unter dem Titel
„Krönungszüge. Ein Versuch zur ’negativen Kommunikation‘“ vor. Fraglich scheint
mir nur, ob der Krönungszug wirklich „dem Publikum Gelegenheit geben sollte,
mit dem Coronandus nochmals (auch) negative Kommunikation zu pflegen“ (300).
Unter der
Zwischenüberschrift „Prekäre Kommunikationsstrukturen“ werden fünf Beiträge
zusammengefasst. Doch bleibt dort meist unklar, warum und inwiefern
„Strukturen“ „prekär“ sein sollen. Breit entfaltet Armin Wolf, Frankfurt
am Main, seine Lehre von der Entstehung des Kurfürstenkollegs als einer
Erbengemeinschaft nach Rudolf von Habsburg zum Jahre 1298. Die Abhandlung steht
unter dem Titel „Die Vereinigung des Kurfürstenkollegs. Die Reformacio sacri
status imperii bei der Königserhebung Albrechts von Österreich im Jahre 1298“.
Seinen verfassungsgeschichtlichen Beitrag abschließend äußert sich der
Verfasser auch zu „Recht und Ritual“: „Die Vereinigung des Kurfürstenkollegs
schuf Recht, die Ausübung der Erzämter ein Ritual“ (371). Wenige Zeilen zuvor
wird dieses Ritual als „Spektakel“ gewertet. Die Anrede mit dem richtigen Namen
und Titel hingegen „gehört zum Recht und zum Ritual“ (342). – Reinhard Butz,
Dresden, behandelt die Übertragung der sächsischen Kur auf Friedrich den
Streitbaren „als Beispiel gestörter Kommunikation in Strukturen
institutioneller Verdichtung“. Der Beitrag ist leider ein nicht
nachahmenswertes Beispiel dafür, dass es einem Nachwuchswissenschaftler nicht
gelingt, sich dem Einfluss der großen Begriffe und Theorien (Althoff, Keller,
Melville, Moraw) zu entziehen, deren Angebot aber auch nicht nutzen kann, um
einen politisch-verfassungsrechtlichen Konflikt des Spätmittelalters
angemessen zu beschreiben und zu deuten. Theorie (347-377, 399f.) und
historische Aufarbeitung stehen überwiegend unverbunden nebeneinander, während
andererseits einige faktische und rechtliche Zusammenhänge unklar dargestellt
werden (Bedeutung der zurückdatierten Belehnung Erichs von Lauenburg;
Verhältnis von Erbrecht und Belehnung, von außergerichtlichen Verhandlungen und
gerichtlicher Klärung; S. 397 wird das Königsgericht Sigismunds als
„Reichsgericht“ bezeichnet, „vor dem“ Sigismund hätte entscheiden müssen). -
Die drei folgenden Aufsätze befassen sich mit der Rede im Humanismus (
Den Band
beschließt eine Studie von David J. Sturdy, Coleraine, zu „’Erudition
ecclesiastique‘, Civilisation and Monarchy in France: The Abbés Jean Lebeuf and
Claude-Pierre Goujet, and the Eighteenth-Century Debate“. Sie bildet unter dem
Titel „Kommunikative Ordnung in historischer Sicht“ einen eigenen Teil des
Buches.
Insgesamt:
ein vielseitiger und interessanter Sammelband, dem es jedoch nicht gelingen
will, sein anspruchsvolles Thema auf den Begriff zu bringen und in den Griff zu
bekommen. Wo denn etwas zum Verhältnis von „Recht und Ritual“ gesagt wird, ist
es häufig zu bemüht. Allenthalben steckt in der Geschichte, im Recht und im
Ritual auch Kommunikation, doch ist es offensichtlich nicht so einfach,
Geschichte gerade unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation zu schreiben.
Würzburg Jürgen
Weitzel