WadleSuchan20010902
Nr. 988 ZRG 119 (2002) 31
Suchan,
Monika, Königsherrschaft im Streit. Konfliktaustragung in der
Regierungszeit Heinrichs IV. zwischen Gewalt, Gespräch und Schriftlichkeit (=
Monographien zur Geschichte des Mittelalters 42). Hiersemann, Stuttgart 1997.
337 S.
Mit ihrer
Arbeit unternimmt die Autorin den interessanten Versuch, die an Konflikten
reiche Regierungszeit Heinrichs IV. neu zu interpretieren. Was im Untertitel
schon anklingt, wird in den drei Kapiteln des ersten Abschnitts („Fragen“)
näher erläutert. Das Bild, das neuere Forschung von der Herrschaftsordnung der
ottonisch-(früh)salischen Zeit entworfen hat und das die Autorin in Kapitel 3
(„Königsherrschaft als Bestandteil von Lebens- und Herrschaftsordnungen im
früheren Mittelalter“) nachzeichnet, sei noch nicht, jedenfalls nicht
konsequent genug, auf die Regierung Heinrichs IV. bezogen worden; die Konflikte
seiner Zeit seien vor allem unter dem „Paradigma“ des „Investiturstreits“
erklärt und mit „Stichworten“ wie „Krise“, „Revolution“, „Wende“,
„gregorianische Reform“ oder „Rationalität“ belegt worden, die unterschiedliche
Themenbereiche und Fragestellungen im Auge gehabt hätten. Suchans Anliegen ist es nun, die
„Funktionsweise der Königsherrschaft“ (S. 3) Heinrichs IV. mit Hilfe der für
die vorausgehende Zeit maßgeblichen Vorstellungen zu ermitteln. Im Vordergrund
hätten die „Differenzen im Verhältnis von Königtum und Großen über die
Gewichtung der auch sakral legitimierten königlichen Autorität gegenüber dem
adeligen Anspruch auf Selbstbestimmung ... als wesentliches Moment der
Kontinuität“ (S. 12) zu stehen und damit die „Frage nach den Vorgängen der
Willensbildung und Entscheidungsfindung“. Es geht mithin um „Fragestellungen
und Themenfelder“ (so die Überschrift in Kapitel 2), in denen die Konflikte der
Zeit offengelegt werden und die Versuche ihrer Beilegung nach den „Spielregeln“
(G. Althoff) einer auf Konsens
und Mitwirkung der Großen, mithin einer auf Rangvorstellung gestützten
Herrschaftsordnung abgefragt werden; dabei soll dieser „Ansatz ... auch für die
Beziehung bzw. Konflikte zwischen König und Papst ausgewertet werden“ (S. 15).
Das Ziel wird (S. 19) folgendermaßen umrissen: „Die verschiedenen, dauerhaften
und zum Teil miteinander verknüpften Konflikte zwischen König, Adel, Bischöfen
und Papst, die die Regierungszeit Heinrichs IV. und damit die Epoche des
sogenannten Investiturstreits prägten, werden demnach erneut zur Diskussion
gestellt. Konkret und präzise soll primär mithilfe der zeitgenössischen Quellen
ermittelt werden, welche Parteien einander gegenüberstanden, welches der
Gegenstand ihrer Auseinandersetzung war, welche Interessen sie verfolgten,
welcher Mittel sie sich bedienten. Ethnosoziologische Perspektiven regten also
vornehmlich die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit an. In der historischen
und rechtshistorischen Mediävistik sind diese bislang auf Grundbedingungen der
Rechts- und Herrschaftsordnung für die Zeit der Ottonen und Salier sowie der
frühen Staufer angewendet worden; das Verständnis der Epoche als
‚Investiturstreit‘ erhält unter diesen Prämissen insofern eine andere
Gewichtung, als darüber hinausreichende Fragestellungen formuliert werden bzw.
nach weiteren ‚Wirkkräften‘ gesucht wird.“
In den drei
umfänglichen Kapiteln des zentralen Abschnitts („Streit“) analysiert Suchan die
zahlreichen Konflikte der Zeit Heinrichs IV. nach drei „Leitfragen“: nach den
streitauslösenden Monumenten, die sich aus strukturellen Problemen der
Herrschaftsordnung ergaben; nach den beteiligten Gegnern und Gegenständen und
schließlich nach den Formen der Auseinandersetzung. Von den zahlreichen
Aspekten, die so aus unterschiedlichem Blickwinkel erörtert werden, seien hier
nur einige genannt: die mangelnde auctoritas
des jugendlichen Königs; die Auswirkungen der Kirchenreform auf die Stellung
der Reichsbischöfe, die „Alleinherrschaft“ Heinrichs als Mißachtung fürstlicher
Teilhabe an der Herrschaft; die als Unrecht empfundenen Herrschaftspraktiken
des Königs in Sachsen; die Summierung von Streitigkeiten und „ungewöhnlich
schwerwiegenden Konfrontationen“ bislang unbekannte Situation eines „Konflikt[es]
neuartiger Qualität“ (S. 90); das Versagen der alten „Spielregeln“; das
Aufkommen neuer Mittel der Auseinandersetzung; die radikale auf Vermittlung und
Einigung verzichtende Sanktion der Entfernung des Gegners aus seinem „Rang“;
schließlich die Formen, die dem kirchlichen Bereich entstammten und die
Einbeziehung schriftlicher Hilfen beförderten. Die „Zwischenbilanz“ (S. 172ff.)
akzentuiert die Ergebnisse durch den einem Zitat entnommenen Satz: „Die
Mißachtung der Fürsten ist der Untergang des Reiches“; d. h. ein König,
der wie Heinrich IV. das im traditionellen Verfahren vorausgesetzte
Mitspracherecht der Großen übergeht, gefährdet sein regnum.
Der dritte
Abschnitt („Schrift“) wendet sich in drei Kapiteln dem „Stellenwert von Schriftlichkeit
im 11. Jahrhundert“ zu, stellt die nur relative Bedeutung der Schriftlichkeit
in einer oralen Gesellschaft heraus und kontrastiert damit den Schriftgebrauch
innerhalb der Kirche, namentlich in synodalen Auseinandersetzungen. Die
Anlehnung an solche Formen im Rahmen der politischen Konflikte mit Heinrich IV.
wird anschließend nach Aufgabenverteilung und Arbeitsweise sowie nach
Argumenten und Argumentationstechnik näher verfolgt. Als wesentliches Ergebnis
sei die These festgehalten, daß Schriftlichkeit sich primär an die jeweils
eigene Partei gewendet habe, mithin weniger an den Gegner oder gar eine als
Schiedsrichter gedachte „Öffentlichkeit“ gerichtet gewesen sei. Dieser typisch
„pragmatische“ Schriftgebrauch wird von der Autorin auch für verschiedene
Schrifttypen postuliert, für Viten, Historiographien, Briefe und
Streitschriften ebenso wie für einige Kanonessammlungen. Auch wenn die eine
oder andere Zuordnung wohl noch einer Überprüfung bedürfen mag, so spricht doch
viel Plausibilität für Suchans Ansätze in diesem Bereich; ob der Nachweis des
(auch) „pragmatischen“ Charakters die Bedeutung der zunehmenden
Verschriftlichung hinreichend beschreibt, muß wohl noch offen bleiben.
Ähnliches gilt auch für manche der Thesen des ganzen Buches, die am Ende noch
einmal zusammengestellt sind.
Die
Tragfähigkeit einer Konzeption, wonach die frühmittelalterliche
Herrschaftsordnung, vor allem durch die am Rang orientierten gestuften
Mitspracherechte der Großen und die von der Einhaltung von „Spielregeln“
abhängige Konfliktlösungspraxis konstituiert war, soll hier nicht grundsätzlich
angesprochen werden. Bemerkenswert ist freilich, daß Suchan rechtshistorische
Bemühungen um ein angemessenes Verständnis einer durch Mündlichkeit und Tradition
bestimmten Rechtswelt nicht übergeht (S. 20ff.). Gleichwohl scheint Suchan
einem (allzu) modernen Normverständnis verhaftet zu sein, auf das sie immer
wieder (z.B. S. 21ff., 27f.) kontrastierend Bezug
nimmt, um die Andersartigkeit des Rechts in einer „oralen“ Kultur zu bestimmen.
Für den Rechtshistoriker muß vorläufig offen bleiben, ob nicht schon die Herrschaftsordnung
des früheren Mittelalters Ansätze zu einem „institutionalisierten Rahmen“ von
Herrschaftsausübung gegeben hat, wie ihn Suchan selbst etwa für die fürstliche
Beratung des Königs annehmen will (S. 26). Überdies dürfte auch dem früheren
Mittelalter ein stärker durch Schriftlichkeit bestimmtes Rechtsverständnis
bekannt gewesen sein; ein Hinweis auf die Verschriftlichung von
Rechtsgewohnheiten in den leges und
die mit normativem Anspruch ausgestatteten Kapitularien muß hier genügen. In
diesem Zusammenhang sei festgehalten, daß Suchan den wichtigen von Peter Classen herausgegebenen Sammelband
„Recht und Schrift“ (Vorträge und Forschungen XXII, Sigmaringen 1977) nicht
heranzieht. Daß es sich bei allen frühen Formen der Verschriftlichung von Recht
nicht um Rechtsnormen im modernen Sinn, mithin nicht um einen von anderen
Regeln des Zusammenlebens deutlich unterscheidbaren Komplex gehandelt haben
kann, erscheint dem heutigen Rechtshistoriker ebenso selbstverständlich wie das
Fehlen ausgefeilter Systematik und klarer Provenienz im Sinne der
„Rechtsquellenlehre“.
Im Blick
auf die mittelalterliche Herrschaftsordnung wäre demgemäß noch deutlicher zu fragen,
ob es anerkannte regelhafte Vorstellungen über den besonderen Rang des
Königtums gegeben hat, die sich im Verlaufe des 11. Jahrhunderts verändert
haben könnten. Der bloße Hinweis auf die „Sakralität“ und ihre Steigerung (etwa
S. 26, 2, 57, 81f.) hilft nicht viel weiter; Hintergründe und Ursachen solche
Wandels müßten deutlicher erkundet werden, um der Position Heinrichs IV.
gegenüber den Fürsten wie gegenüber dem Papst verstehen zu können. Suchans
Studie gibt indirekt einen Fingerzeig, indem sie die wachsende Relevanz der
Schriftlichkeit bei der Bestimmung kirchlicher Positionen hervorhebt. Könnte
Entsprechendes nicht auch für die königliche Seite gelten, die dem Beispiel der
Kirche gefolgt sein könnte? Den Zeitgenossen mag, wie Suchan zu Recht an der
älteren Sichtweise des Investiturstreits kritisiert, das Bewußtsein einer
fundamentalen Neuordnung der Verhältnisse von Papst und König/Kaiser, von
Kirche und Welt gefehlt haben. Dies schließt aber nicht aus, daß die Anfänge solcher
Entwicklungen in die Zeit nach 1050 fallen. Auch bei der Bewertung des
Königtums hat man mit neuen Ansätzen zu rechnen, die strukturellen Gründe für
das Versagen der hergebrachten ottonisch-salischen Herrschaftsweise lägen dann
nicht nur in der Person des Saliers (Jugendlichkeit, mangelnder Erfolg,
Anmaßung, Tyrannei) oder in der heraufziehenden Kirchenreform, sondern auch in
einer neuen (Selbst-)Deutung des Königtums, gestützt auf biblisch-kirchliche
Traditionen oder auch auf römisch-spätantike Vorbilder.
Suchan hat
ein anregendes und bisweilen auch etwas provozierendes Buch geschrieben, das
trotz gelegentlicher Wiederholungen und Längen seinen Wert behalten wird. Ein
„letztes Wort“ konnte und sollte es wohl auch nicht sein.
Saarbrücken Elmar
Wadle