TheisenStrutture20010425 Nr. 830 ZRG 119
(2002) 32
Strutture e trasformazioni della
signoria rurale nei secoli X-XIII, a cura di Dilcher, Gerhard/Violante,
Cinzio, (= Annali dell’Istituto storico italo-germanico 44). Società
editrice il Mulino, Bologna 1996. 642 S.
Cinzio Violante und Gerhard Dilcher
veranstalteten im September 1994 unter dem Thema „Ländliche Herrschaftsformen
in der Wandlungsperiode des Mittelalters (1000-1250)“ in Trient eine
internationale Fachtagung, zu der sich dreizehn Wissenschaftler aus Italien,
Deutschland, Spanien, Frankreich, England und den Vereinigten Staaten von
Amerika einfanden, um sich mit der Entwicklung und dem Wandel im Bereich der
ländlichen Herrschaftsstrukturen auseinanderzusetzen. An dieser Stelle soll der
italienische Tagungsband vorgestellt und sollen für die Rechtsgeschichte
wichtige Beiträge analysiert werden. Dabei wird vor allem auf die Ausführungen
einzugehen sein, die in der im Jahre 2000 erschienenen deutschsprachigen
Ausgabe keine Berücksichtigung fanden.
Zunächst
zum Aufbau des Bandes: Nach einer ausführlichen Einleitung Violantes
(7-56) werden historiographische Probleme und Konzepte vorgestellt, die einen
wesentlichen Einfluß auf die Forschung gehabt haben. Dominique Barthélemy
(59-81) stellt den französischen Forschungsansatz zur mittelalterlichen
Herrschaftsbildung vor, der im Titel bezeichnenderweise als „mito signorile“
bezeichnet wird. Klaus Schreiner (83-119) behandelt dann die
Grundherrschaft unter dem Aspekt, daß sehr oft moderne Vorstellungen für eine
mittelalterliche Realität angenommen wurden.
Der
zweite Teil des Bandes beschäftigt sich mit der ländlichen Herrschaft in
Oberitalien und Kastilien. Diese Ausführungen gehen gezielt der regionalen
Bedeutung sowie Ausbildung von
Herrschaft und ihren Unterschieden auf lokaler Ebene nach. Giancarlo Andenna
(123-167) untersucht die rechtliche Anerkennung ländlicher Herrschaft in den
Grenzbereichen zwischen Lombardei und dem östlichen Piemont im 11. und 13.
Jahrhundert. Andrea Castagnetti (169-285) widmet sich der
Thematik der Arimannen und Herren in der Zeit von circa 900 bis zur frühen
kommunalen Epoche im 12. Jahrhundert, vor allem in der Gegend von Ferrara. Die
beiden Beiträge von Piero Brancoli Busdraghi (287-342) und
Chris Wickham (343-409) erörtern die ländlichen
Herrschaftsstrukturen und deren Träger in der Toskana in der Zeit vom 11. bis
13. Jahrhundert. In einem abschließenden Beitrag erläutert Carlos Estepa
(411-443) die Eigentums- und Agrarstruktur, sowie die sozialen Transformationen
in Kastilien zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert.
Der
dritte Teil des Tagungsbandes steht unter dem Hauptthema Strukturen der
Grundherrschaft und der ländlichen Herrschaft in Deutschland. Einerseits
werden, analog den italienischen und spanischen Beiträgen, regionale Bezüge
aufgezeigt, darüber hinaus aber auch übergreifende und vergleichende
Darstellungen geboten: Während ein umfassender Überblick über Struktur und
Entwicklung der Grundherrschaft von Werner Rösener (447-479)
gegeben wird, der seine Ausführungen auf das deutsche Altsiedelgebiet im
Zeitraum vom 10. bis 13. Jahrhundert begrenzt, sind die Darlegungen Franz
Irsiglers (525-556) der wirtschaftlichen Bedeutung der frühen
Grundherrschaft gewidmet, wobei er Beispiele aus dem gesamten regnum theutonicum heranzog. Der Beitrag Dietmar Willoweits
(595-621) beschäftigt sich mit der Grundherrschaft und Territorienbildung,
wobei Willoweit sich den begrifflichen und rechtlichen Unterschieden
zwischen „Landherren“ und „Landesherren“ in deutschsprachigen Urkunden des 13.
Jahrhunderts widmet. Die Beispiele beziehen sich unter anderem auf den heutigen
österreichischen Raum.
Die
beiden dezidiert regionalen Untersuchungen bilden zu den allgemeinen
Ausführungen eine gelungene Ergänzung: Von besonderem Interesse sind die
Darlegungen von Martina Schattowsky (481-524) zur Grundherrschaft
in den Siedlungsgebieten zwischen Elbe und Oder. Sie geht der wichtigen Frage
nach, ob es eine Grundherrschaft auch ohne Gerichtsbarkeit gegeben hat. Schattowskys zeitlicher Rahmen ist auf das 12. und
13. Jahrhundert ausgerichtet. Hanna Vollrath (557-594) erörtert
die Frage der klösterlichen Grundherrschaft am Beispiel von Werden und
Rupertsberg.
Eine
Schlußbetrachtung bringt Gerhard Dilcher (623-642), der sich
nochmals mit dem Generalthema befaßt und die Probleme der Forschungsdiskussion
um die Grundherrschaft in Italien und Deutschland im 10. bis zum 13.
Jahrhundert zusammenfaßt, um abschließend weitere, ausführliche Perspektiven zu
eröffnen.
In
dem zweiten Teil dieser Besprechung sollen nun einzelne Beiträge näher
charakterisiert werden, wobei der Ertrag für die rechtshistorische Forschung im
Vordergrund steht. Dabei ist hervorzuheben, daß an dieser Stelle gerade die
Beiträge vorgestellt werden, die in dem nunmehr erschienen deutschsprachigen
Band nicht enthalten sind.
Der
lokale Teil des Tagungsbandes wird eingeleitet mit einem Beitrag Andennas,
der auf die Entwicklung von privatrechtlicher Grundherrschaft und
öffentlichrechtlichen Herrschaftsbefugnissen eingeht, welche oftmals nicht
miteinander korrespondieren. Er beginnt mit der Beschreibung eines Prozesses
aus dem Jahre 1202, bei dem es um den honor
und den districtus einer
Kollegiatkirche in Novara ging (127ff.). Der Verfasser definiert districtus dergestalt, daß es sich dabei
um eine öffentlichrechtliche Gewalt handelt, die aber in dem von ihm
aufgeführten Beispiel allodifiziert und durch Erbschaften aufgeteilt wird
(135). Andererseits existieren davon getrennt die auf privatem Rechtsgeschäft
beruhenden Herrschaftsverhältnisse, welche auch weiterhin privatrechtlich
ausgestaltet blieben. So verweist Andenna auf die in der Langobardia üblich Form der 29 jährigen
Libellarpacht, durch die Abhängigkeitsverhältnisse
konserviert wurden. Davon unabhängig sind die öffentlichrechtlichen
Herrschaftsverhältnisse zu verstehen, die von Kaiser oder Papst verliehen
werden und nicht mit den auf privatem Recht beruhendem Herrschaftsgebiet
zusammenfallen müssen (136-137). Erst durch eine Bulle Innozenz’ II. erhält der
Grundherr auch die Jurisdiktions- und Zehntrechte für das Gebiet, welches mit
denen mittels Privatrecht ausgegebenen Besitzungen zusammenfällt. Andenna
gelingt es deutlich zu machen, daß den Grundherren daran gelegen war, auch die
öffentlichrechtlichen Jurisdiktionsbefugnisse in ihre Hand zu bekommen (138),
wofür er interessante Beispiele anführt. In seiner weiteren Betrachtung geht er
auf die Anpassung von Benefizien, die nach seiner Auffassung in diesem
Zusammenhang nicht mit feudum
gleichzusetzen sind, mit den Allodialgütern ein, was am Beispiel der Grafen von
Biandrate[1]
im 12. Jahrhundert verdeutlicht wird. Erst im Laufe der Regierungszeit
Friedrichs I. wird darauf abgestellt, daß die öffentlichrechtlichen
Herrschaftsbefugnisse gerade auch vom Kaiser selbst gewährt oder abgeleitet
werden (167).
Castagnettis Ausführungen widmen sich der Problematik der
Arimannen, wobei er anhand verschiedener lokaler Beispiele (unter anderem
Padua, S. Zeno/Verona, Klöster in Brescia) den Untersuchungsschwerpunkt auf die
Grenzregion zwischen Langobardia und Romania (250ff.) im Gebiet nördlich von
Ferrara legt. Der Beitrag ist deshalb interessant, weil der Verfasser eine
Gruppierung untersucht, die in beiden Stammesgebieten auftaucht und wichtige
öffentliche Funktionen wahrnahm (169ff.). Er geht davon aus, daß die Arimannen
von den jeweiligen Grafen abhängig waren, was sich aus der Expositio zum Liber Papiensis
ergäbe: Die Arimannen hätten keine Jurisdiktionsbefugnisse (210). Bestätigung
findet die Darlegung in verschiedenen Privilegien, in denen die Rechte
hinsichtlich der Arimannen dem jeweiligen Grafen zugestanden werden.
Hinzuweisen ist vor allem auf seine Ausführung zu den Arimannen in der Romania. Der Autor gibt zu verstehen, der
Begriff curtis sein zwar übernommen
worden, jedoch nicht die Organisation, die hinter dieser Begrifflichkeit
steckte (250). So bleibt festzuhalten, in der Romania ist die spätantike Rechtsvorstellung der massae und fundi und deren Herrschaftsstruktur bis spät in das 12. Jahrhundert
erhalten geblieben[2].
Castagnetti
stellt dabei vor allem Beziehungen der Arimannen zu den höheren Amtsträgern
her, wie beispielsweise den Grafen, die in der Zeit des 11. und 12.
Jahrhunderts nachließen und durch die Kommunalisierung allmählich
zurückgedrängt wurden (274ff.). Das Verschwinden der Arimannen zeichnete sich
ab, da ihre Funktion in der Gerichtsbarkeit (285) aufgrund der wachsenden
Bedeutung der Städte und deren Jurisdiktionsbefugnisse immer mehr abnahm,
ebenfalls ein Indiz für die Wandlung der Rechtsanschauung im Laufe des 12.
Jahrhunderts[3]. Die
Beispiele der sehr früh die Eigenständigkeit erreichenden Städte wie Bologna
oder Modena belegen die These des Verfassers: Der Beitrag zeigt deutlich die
Funktion und Bedeutung der Arimannen, die nicht zu einer eigentlichen
Grundherrschaft gelangten.
Brancoli Busdraghi widmet sich der „Verwaltung“ und deren
Träger innerhalb einer Grundherrschaft, wofür er als Beispiele die masnada und die boni homines in ausgewählten toskanischen Regionen aufzeigt. Der
Autor geht davon aus, daß unter masnada
die jeweilige familia des Grundherren
verstanden wurde (293), wofür er unter anderem eine Bulle Alexanders III. als
Beispiel heranzieht. Zunächst erläutert er den Begriff masnada, den er aus dem Wort mansio
hergeleitet sehen möchte. Nach seinen Darlegungen handelt es sich dabei um eine
Gruppierung, die rechtlich mit einem Herren verbunden ist (294-295). Der
Verfasser erläutert, zu einer masnada
gehörten Freie und Abhängige, wobei sich die Getreuen nach scariones, castaldi und vicecomites aufteilen (298). Gerade die
Kastalden hatten für ihren Herren bestimmte Jurisdiktionsbefugnisse
wahrzunehmen. Brancoli Busdraghi versucht dann einen Unterschied
zwischen dem vicecomes und dem castaldus herauszuarbeiten. Oftmals
wurden, so der Verfasser, die Bezeichnungen synonym gebraucht. Nach seinen
Darlegungen war der vicecomes wohl
mit dem Kastell seines jeweiligen Herren verbunden und nahm Aufgaben für den
jeweiligen Grafen wahr[4],
gehörte somit zu der masnada. Diesen
werden die boni homines gegenübergestellt (325ff.). Der Verfasser vertritt die
Meinung, daß die boni homines eine
bestimmte herrschaftliche Gewalt innehaben (327). In diesem Zusammenhang wäre
wohl eine vergleichende Auseinandersetzung mit den Darlegungen Karin Nehlsen-von
Stryks[5]
erforderlich gewesen. Der Autor geht davon aus, die boni homines seien zwar frei gewesen, hätten jedoch keine eigene
Jurisdiktion wahrgenommen, sondern seien unter diejenige eines Herren gefallen
(340).
Ein
weiterer Beitrag des Tagungsbandes beschäft
sich mit der Grundherrschaft in der Toskana. Wickham legt dar, daß es
für die Toskana kaum Hinweise auf das System der Grundherrschaft gibt (343). Er
vertritt die interessante These, die grundherrlichen Beziehungen seien in den
bevölkerungsreichen Zonen der Toskana weniger bedeutend gewesen als in anderen
italienischen Regionen. Nach seiner Auffassung ist die kaum durchgebildete
Grundherrschaft weiterhin darauf zurückzuführen, daß die Mark bis gegen Ende
des 11. Jahrhunderts voll erhalten geblieben ist. Eine dezentralisierte
Herrschaft war nicht im Sinne der Markgrafen. Zunächst erläutert der Verfasser
die wichtigsten Herrschaftsrechte, so unter anderem die
Jurisdiktionsbefugnisse, Zoll und die Erhebung des fodrum. Er teilt die Toskana in drei Bereiche ein, in denen die
Grund- und Territorialherrschaft in bestimmten Intensitäten auftaucht. Während
es in der Gegend von Pisa und Lucca keine Herrschaftsbefugnisse von Grundherren
gibt, sind solche in beschränktem Maße in den übrigen urbanisierten Gegenden
(Pistoia, Fiesole, Florenz, Siena) nachweisbar. Der dritte Bereich der Toskana umfaßt die weniger besiedelten Gebiete der Maremma, des Monte
Amiata und vor allem die Zonen im Appennin, die von den Grafen Guido[6]
kontrolliert werden. Dort sind die Herrschaftsbefugnisse sehr stark ausgeprägt
(348). Erst ab dem 12. Jahrhundert kommt es zur dezentralen
Herrschaftsausbildung, die mit einer gesteigerten Abhängigkeit der an sich
rechtlich freien manentes einherging.
Ihre Stellung näherte sich jedoch einer gänzlichen Abhängigkeit an, so daß von
einem „servitus glebae“[7]
gesprochen werden kann. Wickham betont in seinem Artikel, daß die
Grundherren zwar reichen Landbesitz hatten, jedoch kaum direkte
Herrschaftsrechte wahrnehmen konnten (408). Zu einer Ausbildung einer
Grundherrschaft mit öffentlichrechtlichen Befugnissen seitens lokaler Adliger
konnte es seit dem 12. Jahrhundert aufgrund der starken Stellung der Städte nur
noch in Einzelfällen kommen.
Estepa geht in seinen Ausführungen auf die Entwicklung des
Eigentums und rechtlicher Abhängigkeiten in der Region nördlich des Duero in
Kastilien im 11. und 12. Jahrhundert ein. Der Verfasser erläutert anhand der
reichhaltigen urkundlichen Überlieferung des Klosters Sahagún die
Begrifflichkeit hinsichtlich der Herrschaftsausübung über eine curtis. Die Abhängigkeit war bedingt, da
die Bauern noch immer definierte Rechte hinsichtlich der Güter, die sie
bewirtschafteten, besaßen. Erst in der Zeit ab dem 13. Jahrhundert kam es zu
einem Wandel hin zu einer vollständigen, in jeglicher Hinsicht bestehenden
Abhängigkeit vom Grundherren.
Den
dritten Teil des Tagungsbandes leitet Rösener ein. Der Verfasser weist
darauf hin, daß es vor allem regionaler Untersuchungen bedarf, um überregionale
Gemeinsamkeiten und die vielfach vorhandenen Unterschiede festzustellen. Dabei
muß ebenfalls auf die rechtlichen Implikationen eingegangen werden, wie zum
Beispiel die Landvergabe mittels Erbpacht, wodurch der Bauer ebenfalls
Eigentumsrechte erhalten haben soll[8].
Rösener beschreibt die Grundherrschaft im Wandel zwischen 11. und 13.
Jahrhundert, wobei vor allem die Umstellung des „klassischen
Grundherrschaftssystems“, der Villikationsverfassung, vielen geistlichen Herren
große Schwierigkeiten bereitete. Ähnlich wie in den italienischen Beiträgen
stellt der Verfasser auch für das deutsche Altsiedelgebiet eine Strukturwandel
im 12. und 13. Jahrhundert fest. Interessant wäre nun eine Untersuchung, ob
rechtliche Veränderungen bei diesem Transformationsprozeß festzustellen sind
und wie sie sich auswirkten. Die Besitzvergabe durch Verpachtung gerade im
Rheinland bedarf im Hinblick auf die spätantike, frühmittelalterliche Tradition
weiterer Untersuchungen dergestalt, ob die Landpacht in ihrer spätantiken Form,
ähnlich wie in vielen Gebieten Italiens, nicht überlebt hat.
Irsigler hat sich aus dem komplexen Bereich der Grundherrschaft deren
wirtschaftliche Bedeutung herausgegriffen. Der Beitrag geht aber auch auf
juristische Fragen ein. So vertritt der Verfasser die Auffassung, daß bei
Weinbergsbesitzungen des Klosters Prüm seit dem 9. Jahrhundert „neue
Leiheformen“ auftreten. Auch hier muß wiederum gefragt werden, ob es sich dabei
nicht um Pachtformen handelt, die es ebenfalls schon seit derm 6. Jahrhundert
auf fränkischem Boden gab. Anhand zweier Beispiele stellt Vollrath sich
die Aufgabe, die Rolle der Grundherrschaft bei der genossenschaftlichen
Rechtsbildung zu untersuchen. Sie stellt zu Recht die Frage, ob nicht die
deutsche Forschung, die sich sehr stark auf die Grundherrschaft auch als
Gericht konzentriert, von dieser Vorstellung abgehen sollte.
Hinzuweisen
ist auf die Ausführungen Willoweits, der einen Bedeutungswechsel in der
Verwendung des Begriffes dominium im
12. Jahrhundert feststellt. Wie er folgerichtig darlegt, meint dieser Terminus
auch in deutschen Quellen des 13. Jahrhunderts eine „vorrangig
eigentumsrechtliche Kategorie“; was daraus erklärt wird, daß in den Kanzleien
der Fürsten sowie in der des Königs „der Gebrauch gelehrter juristischer
Begriffe und Formeln“ zunimmt. Die Wirkungen der päpstlichen
Delegationsgerichtsbarkeit und die Anwendung des römisch-kanonischen
Prozeßrechts darf auch für periphäre Gebiete nicht unterschätzt werden[9];
römisch-kanonische Rechtsvorstellungen dringen sehr schnell in den
Kanzleigebrauch ein. Willoweit weist nach, daß der Herr eines dominium ein eigenes/eigentumsähnliches
Recht an dem Boden hat, woraus sich Abgaben und die Gerichtsbarkeit herleiten[10].
Daher sieht er den dominus als den
Eigentümer eines dinglichen Rechts, das auch räumlich abgegrenzt ist, ohne daß
es zur Ausbildung einer politischen Herrschaft gekommen sein muß. Seine
Ausführungen lassen so einen Vergelich zu den Darlegungen der italienischen
Forscher in diesem Band zu.
Die
Tagung hat deutlich gemacht, nur eine dezidierte regionalgeschichtliche
Untersuchung ist dazu in der Lage, bestimmte Entwicklungen festzustellen und
rechtshistorisch zu umschreiben. Erst durch eine solche regionale Sicht kann
eine Verallgemeinerung getroffen werden. Erst dann kann es zur Herausarbeitung
von ähnlichen oder vergleichbaren Strukturen kommen. Besonders deutlich werden
die Unterschiede in den Beiträgen Vollraths, Schattowskys und Willoweits.
Vergleiche und Verallgemeinerungen sind bei diesen regionalen Befunden und
Auswertungen bis jetzt kaum möglich. Bei dem auf Oberitalien bezogenen Teil der
Veranstaltung vermißt man einen Beitrag zur Grundherrschaft in der „Romania“. Interessant wäre es gewesen,
eine vergleichende Betrachtung zwischen den beiden Rechtsgebieten vorzunehmen.
Die Darlegungen Castagnettis berühren ja unmittelbar schon das
Grenzgebiet zwischen der „Langobardia“
und der „Romania“. Eine Untersuchung
wie sich die ländliche Grundherrschaft in dem Gebiet von Ravenna darstellt und
wie eine solche rechtlich aufgebaut ist, sei es aufgrund öffentlichrechtlicher
Beziehungen, sei es durch privatrechtliche Emphyteuse, locatio conductio und/oder Libellarpacht, bedürfte einer genaueren
Untersuchung. Damit wären dann eine Gegenüberstellung und eine vergleichende
Betrachtung zu den langobardischen Gebieten in Oberitalien eher möglich.
Das
Verdienst der Tagung liegt darin, durch die unterschiedlichen, differenzierten
Beiträge klar gemacht zu haben, daß „Grundherrschaft“ nicht überall gleich
gesetzt werden kann, sehr oft verschiedene rechtliche Ausformungen hat, die nur
bedingt vergleichbar sind. Daher ist vor allem der Schlußbeitrag Dilchers
hervorzuheben, der besonders auf diese Problematik hinweist, indem er eine
Synthese für die beiden regionalen Teile der Tagung leistet. Ähnlich wie Violante
zeigt er die Grenzen der Tagung und ihrer Ergebnisse auf. Notwendig, und an
dieser Stelle besonders hervorzuheben, sind die Ausführungen zu der
italienischen Forschung. Sie geht von der unterschiedlichen Betrachtungsweise
zwischen öffentlichen und privaten Rechten aus, auf die sich eine Herrschaft
gründe. Privates Recht leite sich aus dem Bodeneigentum her, während das
öffentliche Recht vom König herrühre. Dilcher hebt hervor, daß diese
starke Trennung oftmals nicht durchzuhalten sei. Dem muß zwar gefolgt werden,
jedoch ist darauf hinzuweisen, daß gerade durch die vorliegenden italienischen
Untersuchungen sich diese Ansicht in vielerlei Hinsicht bestätigt. Zu erörtern
ist noch, daß in vielen Regionen Oberitaliens, sei es in der „Langobardia“ oder in der „Romania“, die Grundherrschaft nicht mit
den öffentlichrechtlichen Herrschaftsbereichen übereinstimmt. Die
Grafschaftsrechte und die daraus resultierende Gerichtsbarkeit hatten über
lange Zeit noch die Bischöfe inne. Eine Vereinigung der Grundherrschaft mit der
Gerichtsherrschaft findet oftmals erst im 12. Jahrhundert statt. Daher scheint
es hinsichtlich der Strukturen Oberitaliens berechtigt von einer Trennung
zwischen öffentlichrechtlicher Herrschaft und der auf privatrechtlicher Basis
beruhenden Grundherrschaft auszugehen. Gerade die Verpachtungspraxis zeigt
deutlich, wie ländliche Herrschaftsformen strukturiert waren, nämlich aufgrund
privatrechtlicher Vereinbarung. Die von der italienischen Forschung
vorgenommene strenge Teilung ist in Deutschland bisher unbeachtet geblieben.
Dort hat sich eine genossenschaftliche Sichtweise der Grundherrschaft mehr und
mehr durchgesetzt. So weist Dilcher dezidiert darauf hin, daß die
Betrachtung aus dem dinggenossenschaftlichen Verfahren heraus auch auf
Oberitalien ausgedehnt werden müßte. Grund dafür sind nach seiner Auffassung
die placita, die bis in das Zeitalter
der Kommunalisierung auch dort als eine Versammlung der Gerichtsgenossen
stattfand. Das Verdienst Dilchers liegt darin, auf den
genossenschaftlichen Charakter der Gerichtsbarkeit im Zusammenhang der
Herrschaftsbildung wieder hingewiesen zu haben.
Interessant
wäre nun zu prüfen, ob es möglich ist, die beiden Forschungstraditionen und
-richtungen zu verknüpfen. Die Tagung hat die Frage aufgeworfen, ob es, durch
die regionale Vielfalt bedingt, überhaupt möglich ist, neben notwendigen
Vergleichen auch überregionale Verallgemeinerungen zu treffen. Die Beiträge
haben gerade die Unterschiede besonders deutlich gemacht. Zusammenfassend ist
festzuhalten, hier liegt ein bedeutsamer Band vor, der die Notwendigkeit
weiterer Untersuchungen zur rechtlichen Ausgestaltung von Grundherrschaft
belegt. Den Koordinatoren und den Referenten ist es gelungen, die
Vielgestaltigkeit der aufgezeigten Problematik
besonders anschaulich darzustellen und zu bewerten.
Leider
fehlt ein Orts-, Personen- und Sachindex, der die Benutzung des Bandes
erleichtert hätte. Um den Gesamtertrag der wichtigen Tagung beurteilen zu
können, ist es also immer notwendig, auch den seit 1996 vorliegenden
italienischsprachigen Band heranzuziehen.
Leipzig Frank
Theisen
[1] Siehe zur Funktion der Grafen von Biandrate ebenfalls G. Andenna, I conti di Biandrate e le città della Lombardia occidentale (secoli XI-XII), in: Formazione e strutture dei ceti dominanti nel medioevo: Marchesi Conti e Visconti nel Regno Italico (secc.IX-XII), Atti del secondo convegno di Pisa: 3-4 dicembre 1993, 1996, S.57-84.
[2] Vergleiche dazu nunmehr F. Theisen, Zur Verrechtlichung des Alltags. Studien zur Emphyteuse vom 3. bis 12. Jahrhundert, Diss.jur. Osnabrück 2001.
[3] Zu verweisen ist in dieem Zusammenhang auf den wichtigen Aufsatz von E. Conte, Eine Rezeption germanischen Rechts in Italien? Römisch-wissenschafttliches Recht und vulgarrechtliche Tradition in den italienischen Städten des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Die Rezeption des gelehrten Rechts im Regnum Teutonicum, (ZHF, Beihefte, im Druck), schon vorab nachzulesen in: http//www.idr.unipi.it/iura-communia, Kap.3.
[4] Ähnlich auch R. Bordone, I visconti cittadini in età comunale, in: (Anm.1) 377-378.
[5] K. Nehlsen-von Stryk, Die boni homines des frühen Mittelalters: Unter besonderer Berücksichtigung der fränkischen Quellen, 1981.
[6] Siehe ebenfalls N. Rauty, I Conti Guidi in Toscana, in: (Anm.1) 241 ff.
[7] Hinzuweisen ist auf die grundlegende Abhandlung von E. Conte, Servi medievali. Dinamiche del diritto comune, 1996, S.41.
[8] Vergleiche B. Diestelkamp, Frühe urkundliche Zeugnisse für „dominium directum“ und „dominium utile“ im 13. Jahrhundert, in: R. Helmholz u.a., Grundlagen des Rechts. Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, 2000, 391-403.
[9] Zu verweisen ist auf den Sammelband von P. Herde/H. Jakobs (Hrsg.), Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen, 1999, der dem Einfluß der Papsturkunde auf die verschiedenen Kanzleien nachgeht. Vor allem die Legatentätigkeit und die Delegationsgerichtsbarkeit sorgte für eine schnelle Verbreitung päpstlicher Rechtsauffassungen. Siehe die Besprechung dieses Bandes von F. Theisen, in: Ius Commune 27 (2000) 449-454.
[10] Vergleiche D. Willoweit, Rezeption und Staatsbildung, in: D. Simon (Hrsg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, 1987, 38.