TheisenStrutture20010425 Nr. 830 ZRG 119 (2002) 32

 

 

Strutture e trasformazioni della signoria rurale nei secoli X-XIII, a cura di Dilcher, Gerhard/Violante, Cinzio, (= Annali dell’Istituto storico italo-germanico 44). Società editrice il Mulino, Bologna 1996. 642 S.

 

Cinzio Violante und Gerhard Dilcher veranstalteten im September 1994 unter dem Thema „Ländliche Herrschaftsformen in der Wandlungsperiode des Mittelalters (1000-1250)“ in Trient eine internationale Fachtagung, zu der sich dreizehn Wissenschaftler aus Italien, Deutschland, Spanien, Frankreich, England und den Vereinigten Staaten von Amerika einfanden, um sich mit der Entwicklung und dem Wandel im Bereich der ländlichen Herrschaftsstrukturen auseinanderzusetzen. An dieser Stelle soll der italienische Tagungsband vorgestellt und sollen für die Rechtsgeschichte wichtige Beiträge analysiert werden. Dabei wird vor allem auf die Ausführungen einzugehen sein, die in der im Jahre 2000 erschienenen deutschsprachigen Ausgabe keine Berücksichtigung fanden.

Zunächst zum Aufbau des Bandes: Nach einer ausführlichen Einleitung Violantes (7-56) werden historiographische Probleme und Konzepte vorgestellt, die einen wesentlichen Einfluß auf die Forschung gehabt haben. Dominique Barthélemy (59-81) stellt den französischen Forschungsansatz zur mittelalterlichen Herrschaftsbildung vor, der im Titel bezeichnenderweise als „mito signorile“ bezeichnet wird. Klaus Schreiner (83-119) behandelt dann die Grundherrschaft unter dem Aspekt, daß sehr oft moderne Vorstellungen für eine mittelalterliche Realität angenommen wurden.

Der zweite Teil des Bandes beschäftigt sich mit der ländlichen Herrschaft in Oberitalien und Kastilien. Diese Ausführungen gehen gezielt der regionalen Bedeutung sowie Ausbildung von Herrschaft und ihren Unterschieden auf lokaler Ebene nach. Giancarlo Andenna (123-167) untersucht die rechtliche Anerkennung ländlicher Herrschaft in den Grenzbereichen zwischen Lombardei und dem östlichen Piemont im 11. und 13. Jahrhundert. Andrea Castagnetti (169-285) widmet sich der Thematik der Arimannen und Herren in der Zeit von circa 900 bis zur frühen kommunalen Epoche im 12. Jahrhundert, vor allem in der Gegend von Ferrara. Die beiden Beiträge von Piero Brancoli Busdraghi (287-342) und Chris Wickham (343-409) erörtern die ländlichen Herrschaftsstrukturen und deren Träger in der Toskana in der Zeit vom 11. bis 13. Jahrhundert. In einem abschließenden Beitrag erläutert Carlos Estepa (411-443) die Eigentums- und Agrarstruktur, sowie die sozialen Transformationen in Kastilien zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert.

Der dritte Teil des Tagungsbandes steht unter dem Hauptthema Strukturen der Grundherrschaft und der ländlichen Herrschaft in Deutschland. Einerseits werden, analog den italienischen und spanischen Beiträgen, regionale Bezüge aufgezeigt, darüber hinaus aber auch übergreifende und vergleichende Darstellungen geboten: Während ein umfassender Überblick über Struktur und Entwicklung der Grundherrschaft von Werner Rösener (447-479) gegeben wird, der seine Ausführungen auf das deutsche Altsiedelgebiet im Zeitraum vom 10. bis 13. Jahrhundert begrenzt, sind die Darlegungen Franz Irsiglers (525-556) der wirtschaftlichen Bedeutung der frühen Grundherrschaft gewidmet, wobei er Beispiele aus dem gesamten regnum theutonicum heranzog. Der Beitrag Dietmar Willoweits (595-621) beschäftigt sich mit der Grundherrschaft und Territorienbildung, wobei Willoweit sich den begrifflichen und rechtlichen Unterschieden zwischen „Landherren“ und „Landesherren“ in deutschsprachigen Urkunden des 13. Jahrhunderts widmet. Die Beispiele beziehen sich unter anderem auf den heutigen österreichischen Raum.

Die beiden dezidiert regionalen Untersuchungen bilden zu den allgemeinen Ausführungen eine gelungene Ergänzung: Von besonderem Interesse sind die Darlegungen von Martina Schattowsky (481-524) zur Grundherrschaft in den Siedlungsgebieten zwischen Elbe und Oder. Sie geht der wichtigen Frage nach, ob es eine Grundherrschaft auch ohne Gerichtsbarkeit gegeben hat. Schattowskys zeitlicher Rahmen ist auf das 12. und 13. Jahrhundert ausgerichtet. Hanna Vollrath (557-594) erörtert die Frage der klösterlichen Grundherrschaft am Beispiel von Werden und Rupertsberg.

Eine Schlußbetrachtung bringt Gerhard Dilcher (623-642), der sich nochmals mit dem Generalthema befaßt und die Probleme der Forschungsdiskussion um die Grundherrschaft in Italien und Deutschland im 10. bis zum 13. Jahrhundert zusammenfaßt, um abschließend weitere, ausführliche Perspektiven zu eröffnen.

In dem zweiten Teil dieser Besprechung sollen nun einzelne Beiträge näher charakterisiert werden, wobei der Ertrag für die rechtshistorische Forschung im Vordergrund steht. Dabei ist hervorzuheben, daß an dieser Stelle gerade die Beiträge vorgestellt werden, die in dem nunmehr erschienen deutschsprachigen Band nicht enthalten sind.

Der lokale Teil des Tagungsbandes wird eingeleitet mit einem Beitrag Andennas, der auf die Entwicklung von privatrechtlicher Grundherrschaft und öffentlichrechtlichen Herrschaftsbefugnissen eingeht, welche oftmals nicht miteinander korrespondieren. Er beginnt mit der Beschreibung eines Prozesses aus dem Jahre 1202, bei dem es um den honor und den districtus einer Kollegiatkirche in Novara ging (127ff.). Der Verfasser definiert districtus dergestalt, daß es sich dabei um eine öffentlichrechtliche Gewalt handelt, die aber in dem von ihm aufgeführten Beispiel allodifiziert und durch Erbschaften aufgeteilt wird (135). Andererseits existieren davon getrennt die auf privatem Rechtsgeschäft beruhenden Herrschaftsverhältnisse, welche auch weiterhin privatrechtlich ausgestaltet blieben. So verweist Andenna auf die in der Langobardia üblich Form der 29 jährigen Libellarpacht, durch die Abhängigkeitsverhältnisse konserviert wurden. Davon unabhängig sind die öffentlichrechtlichen Herrschaftsverhältnisse zu verstehen, die von Kaiser oder Papst verliehen werden und nicht mit den auf privatem Recht beruhendem Herrschaftsgebiet zusammenfallen müssen (136-137). Erst durch eine Bulle Innozenz’ II. erhält der Grundherr auch die Jurisdiktions- und Zehntrechte für das Gebiet, welches mit denen mittels Privatrecht ausgegebenen Besitzungen zusammenfällt. Andenna gelingt es deutlich zu machen, daß den Grundherren daran gelegen war, auch die öffentlichrechtlichen Jurisdiktionsbefugnisse in ihre Hand zu bekommen (138), wofür er interessante Beispiele anführt. In seiner weiteren Betrachtung geht er auf die Anpassung von Benefizien, die nach seiner Auffassung in diesem Zusammenhang nicht mit feudum gleichzusetzen sind, mit den Allodialgütern ein, was am Beispiel der Grafen von Biandrate[1] im 12. Jahrhundert verdeutlicht wird. Erst im Laufe der Regierungszeit Friedrichs I. wird darauf abgestellt, daß die öffentlichrechtlichen Herrschaftsbefugnisse gerade auch vom Kaiser selbst gewährt oder abgeleitet werden (167).

Castagnettis Ausführungen widmen sich der Problematik der Arimannen, wobei er anhand verschiedener lokaler Beispiele (unter anderem Padua, S. Zeno/Verona, Klöster in Brescia) den Untersuchungsschwerpunkt auf die Grenzregion zwischen Langobardia und Romania (250ff.) im Gebiet nördlich von Ferrara legt. Der Beitrag ist deshalb interessant, weil der Verfasser eine Gruppierung untersucht, die in beiden Stammesgebieten auftaucht und wichtige öffentliche Funktionen wahrnahm (169ff.). Er geht davon aus, daß die Arimannen von den jeweiligen Grafen abhängig waren, was sich aus der Expositio zum Liber Papiensis ergäbe: Die Arimannen hätten keine Jurisdiktionsbefugnisse (210). Bestätigung findet die Darlegung in verschiedenen Privilegien, in denen die Rechte hinsichtlich der Arimannen dem jeweiligen Grafen zugestanden werden. Hinzuweisen ist vor allem auf seine Ausführung zu den Arimannen in der Romania. Der Autor gibt zu verstehen, der Begriff curtis sein zwar übernommen worden, jedoch nicht die Organisation, die hinter dieser Begrifflichkeit steckte (250). So bleibt festzuhalten, in der Romania ist die spätantike Rechtsvorstellung der massae und fundi und deren Herrschaftsstruktur bis spät in das 12. Jahrhundert erhalten geblieben[2].

Castagnetti stellt dabei vor allem Beziehungen der Arimannen zu den höheren Amtsträgern her, wie beispielsweise den Grafen, die in der Zeit des 11. und 12. Jahrhunderts nachließen und durch die Kommunalisierung allmählich zurückgedrängt wurden (274ff.). Das Verschwinden der Arimannen zeichnete sich ab, da ihre Funktion in der Gerichtsbarkeit (285) aufgrund der wachsenden Bedeutung der Städte und deren Jurisdiktionsbefugnisse immer mehr abnahm, ebenfalls ein Indiz für die Wandlung der Rechtsanschauung im Laufe des 12. Jahrhunderts[3]. Die Beispiele der sehr früh die Eigenständigkeit erreichenden Städte wie Bologna oder Modena belegen die These des Verfassers: Der Beitrag zeigt deutlich die Funktion und Bedeutung der Arimannen, die nicht zu einer eigentlichen Grundherrschaft gelangten.

Brancoli Busdraghi widmet sich der „Verwaltung“ und deren Träger innerhalb einer Grundherrschaft, wofür er als Beispiele die masnada und die boni homines in ausgewählten toskanischen Regionen aufzeigt. Der Autor geht davon aus, daß unter masnada die jeweilige familia des Grundherren verstanden wurde (293), wofür er unter anderem eine Bulle Alexanders III. als Beispiel heranzieht. Zunächst erläutert er den Begriff masnada, den er aus dem Wort mansio hergeleitet sehen möchte. Nach seinen Darlegungen handelt es sich dabei um eine Gruppierung, die rechtlich mit einem Herren verbunden ist (294-295). Der Verfasser erläutert, zu einer masnada gehörten Freie und Abhängige, wobei sich die Getreuen nach scariones, castaldi und vicecomites aufteilen (298). Gerade die Kastalden hatten für ihren Herren bestimmte Jurisdiktionsbefugnisse wahrzunehmen. Brancoli Busdraghi versucht dann einen Unterschied zwischen dem vicecomes und dem castaldus herauszuarbeiten. Oftmals wurden, so der Verfasser, die Bezeichnungen synonym gebraucht. Nach seinen Darlegungen war der vicecomes wohl mit dem Kastell seines jeweiligen Herren verbunden und nahm Aufgaben für den jeweiligen Grafen wahr[4], gehörte somit zu der masnada. Diesen werden die boni homines gegenübergestellt (325ff.). Der Verfasser vertritt die Meinung, daß die boni homines eine bestimmte herrschaftliche Gewalt innehaben (327). In diesem Zusammenhang wäre wohl eine vergleichende Auseinandersetzung mit den Darlegungen Karin Nehlsen-von Stryks[5] erforderlich gewesen. Der Autor geht davon aus, die boni homines seien zwar frei gewesen, hätten jedoch keine eigene Jurisdiktion wahrgenommen, sondern seien unter diejenige eines Herren gefallen (340).

Ein weiterer Beitrag des Tagungsbandes beschäft sich mit der Grundherrschaft in der Toskana. Wickham legt dar, daß es für die Toskana kaum Hinweise auf das System der Grundherrschaft gibt (343). Er vertritt die interessante These, die grundherrlichen Beziehungen seien in den bevölkerungsreichen Zonen der Toskana weniger bedeutend gewesen als in anderen italienischen Regionen. Nach seiner Auffassung ist die kaum durchgebildete Grundherrschaft weiterhin darauf zurückzuführen, daß die Mark bis gegen Ende des 11. Jahrhunderts voll erhalten geblieben ist. Eine dezentralisierte Herrschaft war nicht im Sinne der Markgrafen. Zunächst erläutert der Verfasser die wichtigsten Herrschaftsrechte, so unter anderem die Jurisdiktionsbefugnisse, Zoll und die Erhebung des fodrum. Er teilt die Toskana in drei Bereiche ein, in denen die Grund- und Territorialherrschaft in bestimmten Intensitäten auftaucht. Während es in der Gegend von Pisa und Lucca keine Herrschaftsbefugnisse von Grundherren gibt, sind solche in beschränktem Maße in den übrigen urbanisierten Gegenden (Pistoia, Fiesole, Florenz, Siena) nachweisbar. Der dritte Bereich der Toskana umfaßt die weniger besiedelten Gebiete der Maremma, des Monte Amiata und vor allem die Zonen im Appennin, die von den Grafen Guido[6] kontrolliert werden. Dort sind die Herrschaftsbefugnisse sehr stark ausgeprägt (348). Erst ab dem 12. Jahrhundert kommt es zur dezentralen Herrschaftsausbildung, die mit einer gesteigerten Abhängigkeit der an sich rechtlich freien manentes einherging. Ihre Stellung näherte sich jedoch einer gänzlichen Abhängigkeit an, so daß von einem „servitus glebae[7] gesprochen werden kann. Wickham betont in seinem Artikel, daß die Grundherren zwar reichen Landbesitz hatten, jedoch kaum direkte Herrschaftsrechte wahrnehmen konnten (408). Zu einer Ausbildung einer Grundherrschaft mit öffentlichrechtlichen Befugnissen seitens lokaler Adliger konnte es seit dem 12. Jahrhundert aufgrund der starken Stellung der Städte nur noch in Einzelfällen kommen.

Estepa geht in seinen Ausführungen auf die Entwicklung des Eigentums und rechtlicher Abhängigkeiten in der Region nördlich des Duero in Kastilien im 11. und 12. Jahrhundert ein. Der Verfasser erläutert anhand der reichhaltigen urkundlichen Überlieferung des Klosters Sahagún die Begrifflichkeit hinsichtlich der Herrschaftsausübung über eine curtis. Die Abhängigkeit war bedingt, da die Bauern noch immer definierte Rechte hinsichtlich der Güter, die sie bewirtschafteten, besaßen. Erst in der Zeit ab dem 13. Jahrhundert kam es zu einem Wandel hin zu einer vollständigen, in jeglicher Hinsicht bestehenden Abhängigkeit vom Grundherren.

Den dritten Teil des Tagungsbandes leitet Rösener ein. Der Verfasser weist darauf hin, daß es vor allem regionaler Untersuchungen bedarf, um überregionale Gemeinsamkeiten und die vielfach vorhandenen Unterschiede festzustellen. Dabei muß ebenfalls auf die rechtlichen Implikationen eingegangen werden, wie zum Beispiel die Landvergabe mittels Erbpacht, wodurch der Bauer ebenfalls Eigentumsrechte erhalten haben soll[8]. Rösener beschreibt die Grundherrschaft im Wandel zwischen 11. und 13. Jahrhundert, wobei vor allem die Umstellung des „klassischen Grundherrschaftssystems“, der Villikationsverfassung, vielen geistlichen Herren große Schwierigkeiten bereitete. Ähnlich wie in den italienischen Beiträgen stellt der Verfasser auch für das deutsche Altsiedelgebiet eine Strukturwandel im 12. und 13. Jahrhundert fest. Interessant wäre nun eine Untersuchung, ob rechtliche Veränderungen bei diesem Transformationsprozeß festzustellen sind und wie sie sich auswirkten. Die Besitzvergabe durch Verpachtung gerade im Rheinland bedarf im Hinblick auf die spätantike, frühmittelalterliche Tradition weiterer Untersuchungen dergestalt, ob die Landpacht in ihrer spätantiken Form, ähnlich wie in vielen Gebieten Italiens, nicht überlebt hat.

Irsigler hat sich aus dem komplexen Bereich der Grundherrschaft deren wirtschaftliche Bedeutung herausgegriffen. Der Beitrag geht aber auch auf juristische Fragen ein. So vertritt der Verfasser die Auffassung, daß bei Weinbergsbesitzungen des Klosters Prüm seit dem 9. Jahrhundert „neue Leiheformen“ auftreten. Auch hier muß wiederum gefragt werden, ob es sich dabei nicht um Pachtformen handelt, die es ebenfalls schon seit derm 6. Jahrhundert auf fränkischem Boden gab. Anhand zweier Beispiele stellt Vollrath sich die Aufgabe, die Rolle der Grundherrschaft bei der genossenschaftlichen Rechtsbildung zu untersuchen. Sie stellt zu Recht die Frage, ob nicht die deutsche Forschung, die sich sehr stark auf die Grundherrschaft auch als Gericht konzentriert, von dieser Vorstellung abgehen sollte.

Hinzuweisen ist auf die Ausführungen Willoweits, der einen Bedeutungswechsel in der Verwendung des Begriffes dominium im 12. Jahrhundert feststellt. Wie er folgerichtig darlegt, meint dieser Terminus auch in deutschen Quellen des 13. Jahrhunderts eine „vorrangig eigentumsrechtliche Kategorie“; was daraus erklärt wird, daß in den Kanzleien der Fürsten sowie in der des Königs „der Gebrauch gelehrter juristischer Begriffe und Formeln“ zunimmt. Die Wirkungen der päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit und die Anwendung des römisch-kanonischen Prozeßrechts darf auch für periphäre Gebiete nicht unterschätzt werden[9]; römisch-kanonische Rechtsvorstellungen dringen sehr schnell in den Kanzleigebrauch ein. Willoweit weist nach, daß der Herr eines dominium ein eigenes/eigentumsähnliches Recht an dem Boden hat, woraus sich Abgaben und die Gerichtsbarkeit herleiten[10]. Daher sieht er den dominus als den Eigentümer eines dinglichen Rechts, das auch räumlich abgegrenzt ist, ohne daß es zur Ausbildung einer politischen Herrschaft gekommen sein muß. Seine Ausführungen lassen so einen Vergelich zu den Darlegungen der italienischen Forscher in diesem Band zu.

Die Tagung hat deutlich gemacht, nur eine dezidierte regionalgeschichtliche Untersuchung ist dazu in der Lage, bestimmte Entwicklungen festzustellen und rechtshistorisch zu umschreiben. Erst durch eine solche regionale Sicht kann eine Verallgemeinerung getroffen werden. Erst dann kann es zur Herausarbeitung von ähnlichen oder vergleichbaren Strukturen kommen. Besonders deutlich werden die Unterschiede in den Beiträgen Vollraths, Schattowskys und Willoweits. Vergleiche und Verallgemeinerungen sind bei diesen regionalen Befunden und Auswertungen bis jetzt kaum möglich. Bei dem auf Oberitalien bezogenen Teil der Veranstaltung vermißt man einen Beitrag zur Grundherrschaft in der „Romania“. Interessant wäre es gewesen, eine vergleichende Betrachtung zwischen den beiden Rechtsgebieten vorzunehmen. Die Darlegungen Castagnettis berühren ja unmittelbar schon das Grenzgebiet zwischen der „Langobardia“ und der „Romania“. Eine Untersuchung wie sich die ländliche Grundherrschaft in dem Gebiet von Ravenna darstellt und wie eine solche rechtlich aufgebaut ist, sei es aufgrund öffentlichrechtlicher Beziehungen, sei es durch privatrechtliche Emphyteuse, locatio conductio und/oder Libellarpacht, bedürfte einer genaueren Untersuchung. Damit wären dann eine Gegenüberstellung und eine vergleichende Betrachtung zu den langobardischen Gebieten in Oberitalien eher möglich.

Das Verdienst der Tagung liegt darin, durch die unterschiedlichen, differenzierten Beiträge klar gemacht zu haben, daß „Grundherrschaft“ nicht überall gleich gesetzt werden kann, sehr oft verschiedene rechtliche Ausformungen hat, die nur bedingt vergleichbar sind. Daher ist vor allem der Schlußbeitrag Dilchers hervorzuheben, der besonders auf diese Problematik hinweist, indem er eine Synthese für die beiden regionalen Teile der Tagung leistet. Ähnlich wie Violante zeigt er die Grenzen der Tagung und ihrer Ergebnisse auf. Notwendig, und an dieser Stelle besonders hervorzuheben, sind die Ausführungen zu der italienischen Forschung. Sie geht von der unterschiedlichen Betrachtungsweise zwischen öffentlichen und privaten Rechten aus, auf die sich eine Herrschaft gründe. Privates Recht leite sich aus dem Bodeneigentum her, während das öffentliche Recht vom König herrühre. Dilcher hebt hervor, daß diese starke Trennung oftmals nicht durchzuhalten sei. Dem muß zwar gefolgt werden, jedoch ist darauf hinzuweisen, daß gerade durch die vorliegenden italienischen Untersuchungen sich diese Ansicht in vielerlei Hinsicht bestätigt. Zu erörtern ist noch, daß in vielen Regionen Oberitaliens, sei es in der „Langobardia“ oder in der „Romania“, die Grundherrschaft nicht mit den öffentlichrechtlichen Herrschaftsbereichen übereinstimmt. Die Grafschaftsrechte und die daraus resultierende Gerichtsbarkeit hatten über lange Zeit noch die Bischöfe inne. Eine Vereinigung der Grundherrschaft mit der Gerichtsherrschaft findet oftmals erst im 12. Jahrhundert statt. Daher scheint es hinsichtlich der Strukturen Oberitaliens berechtigt von einer Trennung zwischen öffentlichrechtlicher Herrschaft und der auf privatrechtlicher Basis beruhenden Grundherrschaft auszugehen. Gerade die Verpachtungspraxis zeigt deutlich, wie ländliche Herrschaftsformen strukturiert waren, nämlich aufgrund privatrechtlicher Vereinbarung. Die von der italienischen Forschung vorgenommene strenge Teilung ist in Deutschland bisher unbeachtet geblieben. Dort hat sich eine genossenschaftliche Sichtweise der Grundherrschaft mehr und mehr durchgesetzt. So weist Dilcher dezidiert darauf hin, daß die Betrachtung aus dem dinggenossenschaftlichen Verfahren heraus auch auf Oberitalien ausgedehnt werden müßte. Grund dafür sind nach seiner Auffassung die placita, die bis in das Zeitalter der Kommunalisierung auch dort als eine Versammlung der Gerichtsgenossen stattfand. Das Verdienst Dilchers liegt darin, auf den genossenschaftlichen Charakter der Gerichtsbarkeit im Zusammenhang der Herrschaftsbildung wieder hingewiesen zu haben.

Interessant wäre nun zu prüfen, ob es möglich ist, die beiden Forschungstraditionen und -richtungen zu verknüpfen. Die Tagung hat die Frage aufgeworfen, ob es, durch die regionale Vielfalt bedingt, überhaupt möglich ist, neben notwendigen Vergleichen auch überregionale Verallgemeinerungen zu treffen. Die Beiträge haben gerade die Unterschiede besonders deutlich gemacht. Zusammenfassend ist festzuhalten, hier liegt ein bedeutsamer Band vor, der die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen zur rechtlichen Ausgestaltung von Grundherrschaft belegt. Den Koordinatoren und den Referenten ist es gelungen, die Vielgestaltigkeit der aufgezeigten Problematik besonders anschaulich darzustellen und zu bewerten.

Leider fehlt ein Orts-, Personen- und Sachindex, der die Benutzung des Bandes erleichtert hätte. Um den Gesamtertrag der wichtigen Tagung beurteilen zu können, ist es also immer notwendig, auch den seit 1996 vorliegenden italienischsprachigen Band heranzuziehen.

 

Leipzig                                                                                        Frank Theisen



[1] Siehe zur Funktion der Grafen von Biandrate ebenfalls G. Andenna, I conti di Biandrate e le città della Lombardia occidentale (secoli XI-XII), in: Formazione e strutture dei ceti dominanti nel medioevo: Marchesi Conti e Visconti nel Regno Italico (secc.IX-XII), Atti del secondo convegno di Pisa: 3-4 dicembre 1993, 1996, S.57-84.

[2] Vergleiche dazu nunmehr F. Theisen, Zur Verrechtlichung des Alltags. Studien zur Emphyteuse vom 3. bis 12. Jahrhundert, Diss.jur. Osnabrück 2001.

[3] Zu verweisen ist in dieem Zusammenhang auf den wichtigen Aufsatz von E. Conte, Eine Rezeption germanischen Rechts in Italien? Römisch-wissenschafttliches Recht und vulgarrechtliche Tradition in den italienischen Städten des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Die Rezeption des gelehrten Rechts im Regnum Teutonicum, (ZHF, Beihefte, im Druck), schon vorab  nachzulesen in: http//www.idr.unipi.it/iura-communia, Kap.3.

[4] Ähnlich auch R. Bordone, I visconti cittadini in età comunale, in: (Anm.1) 377-378.

[5] K. Nehlsen-von Stryk, Die boni homines des frühen Mittelalters: Unter besonderer Berücksichtigung der fränkischen Quellen, 1981.

[6] Siehe ebenfalls N. Rauty, I Conti Guidi in Toscana, in: (Anm.1) 241 ff.

[7] Hinzuweisen ist auf die grundlegende Abhandlung von E. Conte, Servi medievali. Dinamiche del diritto comune, 1996, S.41.

[8] Vergleiche B. Diestelkamp, Frühe urkundliche Zeugnisse für „dominium directum“ und „dominium utile“ im 13. Jahrhundert, in: R. Helmholz u.a., Grundlagen des Rechts. Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, 2000, 391-403.

[9] Zu verweisen ist auf den Sammelband von P. Herde/H. Jakobs (Hrsg.), Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen, 1999, der dem Einfluß der Papsturkunde auf die verschiedenen Kanzleien nachgeht. Vor allem die Legatentätigkeit und die Delegationsgerichtsbarkeit sorgte für eine schnelle Verbreitung päpstlicher Rechtsauffassungen. Siehe die Besprechung dieses Bandes von F. Theisen, in: Ius Commune 27 (2000) 449-454.

[10] Vergleiche D. Willoweit, Rezeption und Staatsbildung, in: D. Simon (Hrsg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, 1987, 38.