TheisenLasignoria20001003
Nr. 10134 ZRG 119 (2002) 32
La signoria rurale nel medioevo italiano, hg. v. Spicciani,
Amleto/Violante, Cinzio (= Atto del seminario tenuto nel dipartimento di
Medievistica dell’università di Pisa e nella scuola normale superiore di Pisa
23-25 marzo 1995 = Studi Medioevali 3, 4). ETS, Pisa 1997, 1998. 199 S., 255
S.
Vorzustellen
sind die Kongreßakten einer Tagung zur Grundherrschaft im mittelalterlichen
Italien, die unter anderem an der Universität Pisa im März 1995 stattgefunden
hat.[1]
Unter der Ägide des Nestors der italienischen Forschung zur Grundherrschaft, Cinzio
Violante, referierten 13 Wissenschaftler über die Entwicklung dieser
Herrschaftsform[2]
anhand von regionalen Beispielen aus dem gesamten Italien. So sprach Mario
Nobili über die Grundherrschaften der Obertenghi in der Lunigiana, Pierpaolo
Bonacini nahm sich der Höfe und Herrschaften unter den Canossanern an, Gianfranco
Pasquali erläuterte seine Vorstellungen zur Existenz einer
Grundherrschaft in der Romagna, Elisabetta Archetti Giampaolini
ging in ihren Ausführungen zur adligen Grundherrschaft in den Regionen im
Norden nach und stellte sie in Zusammenhang mit der Nichtentwicklung von
städtischen Herrschaften in dieser Gegend. Patrizia Angelucci
betrachtete Aspekte und Probleme der Grundherrschaft im nördlichen Umbrien. Sandro
Carocci beleuchtete diese Thematik für Latium vor allem im 13.
Jahrhundert. Die Beiträge der Wissenschaftler sind im ersten Band
veröffentlicht. Im zweiten Band sind Ausführungen zum „domus“ von Piero Brancoli
Busdraghi enthalten, der die Grundherrschaft in dieser Region als
verspätet ansieht. Marco Tangheroni befaßt sich mit den
mittelalterlichen Herrschaftsstrukturen in Sardinien. Die Jurisdiktion und die
öffentliche Herrschaft im comitatus
von Pisa war das Thema von Maria Luisa Cecarelli Lemut.
Bruno Andreolli untersucht dies für die Nachbarregion Lucca. Andrea
Castagnetti erörtert die bischöfliche Grundherrschaft und ihre
Beziehungen zu ländlichen Vasallen in der Gegend von Padua. Den Abschluß macht Giancarlo
Andenna, indem er die Entstehung der Grundherrschaft des Domkapitels in
Novara untersucht. Den zeitlichen Schwerpunkt dieser Abhandlungen bildet das
10. bis 13. Jahrhundert. Vorgestellt werden sollen nunmehr neben den wichtigen
einleitenden Ausführungen Violantes zwei charakteristische Beiträge, die für
die Darstellung und Entwicklung der Grundherrschaft oder das Nichtvorhandensein
einer solchen, eine besondere Bedeutung haben.
In einem
ausführlichen Forschungsbericht leitet Violante in die Problematik der
ländlichen Grundherrschaft im Italien des Mittelalters ein. Zunächst setzt er
sich mit der Begrifflichkeit[3]
näher auseinander, wobei er Erklärungsversuche für territorium und locus
unternimmt. In seinen Betrachtungen werden schon die regionalen Differenzen
deutlich, die Verallgemeinerungen kaum zulassen. Wichtig ist dabei, daß
Violante darauf hinweist, daß die unterschiedlichen zeitlichen und regionalen
Entwicklungen Berücksichtigung zu finden haben. Nur dadurch sei es möglich
dezidierte Ergebnisse zu erlangen, mit denen man dann weitergehende Vergleiche
anstellen kann. Das Herausarbeiten einer differenzierten Betrachtungsweise der
Grundherrschaft ist notwendig, um sich dann näher mit den Ursachen für diese
verschiedenen Konstellationen auseinanderzusetzen. Deutlich zeigen dies drei
Arbeiten, die an dieser Stelle kurz vorgestellt werden sollen.
Cammarosano weist in
seinem Beitrag darauf hin, daß eine vergleichende Interpretation von
divergierenden Tendenzen in den einzelnen italienischen Regionen sehr schnell
an Grenzen stößt, da die Analysen vor allem durch die nur auf Zufall beruhende
Überlieferung bestimmt werden. Dabei ist ebenfalls zu bedenken, daß die
bruchstückhafte Quellenlage sehr oft nur eingeschränkte Interpretationen
ermöglicht. Gleiches gilt aber auch dann, wenn geschlossene Urkundenfonds nur
unzureichend erschlossen sind und wenig von ihnen bekannt ist. Die Aussagen
Cammarosanos sollte man sich bei einer weiteren Beschäftigung mit der
Grundherrschaft in Italien vor Augen halten, um nicht voreilig zu nicht
belegbaren Schlüssen zu kommen.
Vorzustellen
ist der aussagekräftige Beitrag Bonacinis, der sich mit der
Grundherrschaft im Einflußbereich der Canossaner beschäftigt. Er erörtert an
den Grundlagen von Höfen, Burgen und Herrschaften in der Gegend von Modena, wie
sich zusammenhängende Bezirke entwickelten, in denen Jurisdiktionsrechte und
Grundbesitz zusammenfielen. Er beschreibt zunächst den Übergang zur Herrschaft
der Canossaner im 10. Jahrhundert, um dann dezidiert die Entwicklung im 11. und
beginnenden 12. Jahrhundert nachzuvollziehen, die sich nach seiner Ansicht
unter der Oberherrschaft der vorgenannten Familie vollzog. Zunächst sind die
Königsrechte in der Gegend westlich und südlich von Modena relativ früh an das
Kloster Nonantola und den Bischof von Modena gekommen. So baute das Kloster in
einer ähnlichen Weise seine Herrschaft in Nogara seit dem 10. Jahrhundert aus.
Erst im 11. Jahrhundert verpachtete es das Kastell an Mathilde von Tuskien.
Nach dem Tod der Mathilde kam es zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten mit dem
Bischof von Verona, so daß Nonantola diese wichtige Besitzung erst gegen Mitte
des 12. Jahrhunderts mit Einschränkungen zurückerhielt. Das nordöstlich von
Modena gelegene Kloster ist für Bonacini ein besonderes Beispiel der Ausbildung
der Herrschaft mittels castrum und curtis, da sie damit die spezifischen
Rechtsformen zur Herrschaftsausübung inne hatten. Ähnliches sieht er bei den
Kanonikern von S. Cesario (südlich von Modena) und dem Hof Vilzacara als gegeben an. Mathilde schenkte den Hof an diese
kirchliche Institution. Sie bekam neben dem Grundbesitz auch die Jurisdiktion.
Nach Ansicht Bonacinis ist es die expandierende Stadt, die seit der Mitte des
12. Jahrhunderts die ländlichen Träger der Grundherrschaften zurückdrängt und
teilweise absorbiert. Der Verdienst dieses Beitrages liegt darin, die Bedeutung
der Canossaner für die Bildung von kirchlichen Grundherrschaften, die aber
allesamt unter der Oberhoheit der markgräflichen Familie verblieben,
hervorgehoben zu haben.
Bedeutsam
sind die Ausführungen Pasqualis zur Existenz einer Grundherrschaft in
der Romagna. Er wendet sich in seinem Beitrag der Problematik zu, ob es
überhaupt eine solche im Einflußbereich Ravennas gegeben habe. Dabei muß
angemerkt werden, daß dies eine Definitionssache ist, wie schon Hans Karl
Schulze und Gerhard Dilcher[4]
für die deutschen Länder angemerkt haben. Pasquali setzt sich mit der neuesten
Forschungsliteratur auseinander, die davon ausgeht, dass, bedingt durch die
urbane Struktur und die noch bis weit in das 8. Jahrhundert andauernde
(nominelle) byzantinische Herrschaft einerseits und die Machtstellung der
Erzbischöfe von Ravenna andererseits, sich diese ländlich strukturierte Form
der Herrschaftsausübung nicht herausgebildet habe. Im Gegensatz dazu geht er
davon aus, daß gerade die aus Deutschland stammenden Erzbischöfe des 11. und
12. Jahrhunderts lehnsrechtliche Strukturen importiert und dadurch
unterschiedliche Formen von Vasallität begründet hätten, die mit früheren
Abhängigkeitsverhältnissen nicht übereinstimmen würden. Pasquali meint, daß die
Emphyteuse „protofeudale“ sei (64). Dem kann nach meinem Dafürhalten nicht
gefolgt werden: Die Emphyteuse hatte vielmehr eine weitgefächerte Natur.
Selbstverständlich wurde solche Verträge auch abgeschlossen, um mächtige
Personen enger an die jeweilige kirchliche Institution zu binden. Ein der
Vasallität ähnliches Verhältnis war damit nicht begründet gewesen. Festgelegt
war nur die Kultivierung des Bodens und die jeweilige Zinsleistung (ob eine
angemessene mag hier dahingestellt bleiben). Vor allem das spätantike
Ravennater Formular, das bis in das 13. Jahrhundert überlebte, zeigt deutlich,
daß spätantike Rechtsvorstellungen weiter tradiert worden sind. Die
erzbischöfliche Kanzlei - und das ist das Interessante und an dieser Stelle
besonders hervorzuheben - hat trotz deutscher oder kaiserfreundlicher Bischöfe
seit Gerbert von Aurillac (bis 999 Erzbischof von Ravenna) bis zu Guido von
Biandrate (+ 1169) - über fast 150 Jahre hinweg, gerade an dem wichtigen
Erbpachtformular festgehalten und damit keine Jurisdiktions- und Besitzrechte
abgetreten. Ein Kontinuitätsbruch ist in dieser Zeit nicht festzustellen. Die
Emphyteuse und ihr rechtlich manifestierter Charakter ist nicht „più rigido“
als das (deutsche) lombardische Feudalrecht. Beides ist nicht miteinander zu
vergleichen[5] noch
gleichzusetzen oder das erstere als Vorläufer des anderen anzusehen. Dies
belegen unter anderem frühe Erwähnungen von Glossatoren, die die beiden
Rechtsinstitute immer getrennt aufführen. Die Emphyteuse wird geradezu im Sinne
Kaiser Zenos (C. 4.66.1 pr) als ein Institut sui generis angesehen.[6]
Mit ihr war im 11. und 12. Jahrhundert in Ravenna keine Grundherrschaft
verbunden. Zwar hat der Autor Recht, wenn er angibt, daß etwa nur 1/3 der
Ravennater Überlieferung bis jetzt bekannt ist, jedoch ist davon auszugehen,
daß sich der Befund bei zunehmender Quellenkenntnis kaum merklich verändern
wird. Die Emphyteusen sind nicht dazu gedacht gewesen Grundherrschaften zu
bilden; sie wurden höchstens zur Besitzergänzung benutzt. Es soll nicht die
These abgelehnt werden, daß es im Ravennater Bereich gar nicht zur Ausbildung
von Grundherrschaften kam. Wie Rabotti[7]
aber schlüssig darlegt, ist für die nähere Umgebung von Ravenna ein
grundherrschaftliches System nicht feststellbar. Eher kam es in den von Ravenna
entfernteren Gebieten im 12. Jahrhundert zu einer solchen Entwicklung. Die
Gründe dafür müßten in einer weiteren Untersuchung näher ausgeführt werden.
Somit ist für den engeren Ravennater Raum diese Form der Grundherrschaft mit
Jurisdiktionsrechten wohl bis in das 12. Jahrhundert nicht feststellbar.
Das
Verdienst dieser Tagung liegt darin, dezidiert auf die unterschiedliche
Entwicklung in verschiedenen italienischen Regionen hingewiesen zu haben. Nicht
nur zwischen spätantik-frühbyzantinisch geprägten Gebieten wie Ravenna und
Pentapolis, sondern vor allem innerhalb der schon früh unter
Langobardenherrschaft gekommenen Gebiete Oberitaliens sind feine
Differenzierungen vorzunehmen. Die verschiedenartigen Strukturen und die daraus
resultierenden andersartigen Rechtsentwicklungen lassen letztendlich kaum
Verallgemeinerungen zu. Interessant wäre es nun gewesen, in einem
zusammenfassenden Beitrag die Grundstrukturen italienischer Grundherrschaften herauszuarbeiten
und zu bewerten. Die vorliegenden verdienstvollen Einzeluntersuchungen könnten
vielleicht ein Anlaß sein, sich nunmehr vergleichend mit der Entwicklung der
Grundherrschaft zu befassen, das heißt, eine Synthese dieser Aussagen zu
suchen. Hervorzuheben ist, daß die detailreichen Beiträge einen guten Überblick
in die Struktur und das Werden von Herrschaft darstellen. Sie sind die Basis
für weitergehende Betrachtungen; die vorliegenden Tagungsergebnisse ermöglichen
es, sich mit der Problematik der Genese von Grundherrschaft und ihrer Ausübung
näher zu beschäftigen.
Leider muß
auch noch ein Kritikpunkt erwähnt werden. Die beiden umfangreichen Bände werden
nicht durch Indices erschlossen. Zumindest ein Orts- und Personenregister hätte
die Benutzung erleichtert, da die Beiträge geographisch einen großen Rahmen
haben und die unterschiedlichsten Regionen darin behandelt werden.
Alles in allem liegen aber hier Akten einer bedeutsamen Tagung vor, die hoffentlich im deutschsprachigen Raum Beachtung finden. Eine Kenntnisnahme dieser Beiträge und der dahinterliegenden Konzeption wäre wünschenswert.
Leipzig Frank Theisen
[1] Siehe auch die Anzeige W. Kurzes, QuFiAB 79 (1999) 637-639.
[2] Siehe auch die Rezensionen F. Theisens zu den vergleichend angelegten Tagungsbänden von (Hrsg.), Stutture e trasformazioni della signoria rurale nei secoli X-XII, Atti della XXXXVII settimana di studio dell’Istituto Storico Italo-Germanico, (Trento, 12-16 settembre 1994), 1996 und G. Dilcher/C. Violante, Strukturen und Wandlungen der ländlichen Herrschaftsformen vom 10. zum 13. Jahrhundert. Deutschland und Italien im Vergleich, 2000, in diesem Band der ZRG -Germ.Abt.
[3] Siehe zu dieser Schwierigkeit nur H. K. Schulze, Art. Grundherrschaft, in: HRG I, Sp.1824-1842, hier Sp.1824, „Die Bestimmung des Begriffes G. gehört seit langem zu den schwierigsten Problemen der deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte. Es handelt sich dabei um „einen modernen historisch-juristischen Ordnungsbegriff“ (Schlesinger; Herrschaft und Gefolgschaft 39), für den es in früh- und hochmittelalterlichen Quellen keinen entsprechenden Terminus gibt.“
[4] G. Dilcher, Ländliche Herrschaftsstrukturen in Italien und Deutschland (10-13. Jahrhundert), Probleme und Perspektiven, in: G. Dilcher/C. Violante (Hrsg.), Strukturen und Wandlungen der ländlichen Herrschaftsformen vom 10. zum 13. Jahrhundert. Deutschland und Italien im Vergleich, 2000, 98-99.
[5] Siehe ähnlich, jedoch äußerst vorsichtig, G. Rabotti, Ravenna, la sua chiesa fra diritto e politica, in: Storia di Ravenna III, 1993, 130.
[6] Zur Problematik der Ravennater Emphyteuse in Spätantike und Frühmittelalter siehe F. Theisen, Zur Verrechtlichung des Alltags. Studien zur Emphyteuse vom 3. bis 13. Jahrhundert, 2001.
[7] Rabotti (wie Anm.5) 142-147.