TheisenIdentità20001010 Nr. 1208 ZRG 119 (2002) 40
Identità territoriali e cultura
politica nella prima età moderna. Territoriale Identität und
politische Kultur in der frühen Neuzeit, hg. v. Bellabarba, Marco/Stauber,
Reinhard (= Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento/Jahrbuch
des italienisch-deutschen Instituts in Trient Contributi/Beiträge 9). Società editrice il Mulino/Duncker & Humblot,
Bologna/Berlin 1998. 405 S.
Im April
1997 fand in Trient am Italienisch-Deutschen Historischen Institut ein
dreitägiges Symposion statt, das sich mit territorialer Identität und
politischer Kultur, vor allem in der frühen Neuzeit, befaßte. Die Leiter der
Tagung und Herausgeber des zu besprechenden Bandes sahen die zeitliche
Festlegung der frühen Neuzeit nicht eng gefaßt, sondern wollten mit
internationalen Wissenschaftlern eine epochenübergreifende Entwicklung von
politischen Identitäten nachzeichnen. Etwas, was sehr zu begrüßen ist, da die
großen territorialen Umbrüche erst zum Zeitpunkt der Französischen Revolution
stattfanden und dann bis in das 20. Jahrhundert reichten und reichen. Folglich
ist die der Veranstaltung zugrundeliegende Idee, derartige Tendenzen anhand von territorialer Identität und politischer
Kultur nachzuzeichnen, sehr reizvoll und ergiebig.
Marco Bellabarba
und Reinhard Stauber grenzten ihre Betrachtungen geographisch auf
den erweiterten Alpenraum ein. Das heißt, daß sich die Ausführungen räumlich
gesehen mit den Strukturen in Süddeutschland, dem Elsaß, der Schweiz,
Österreich und Oberitalien beschäftigen. Einige überblicksartige Darstellungen
gehen darüber hinaus, da gerade die Habsburger in dem relevanten
Untersuchungszeitraum diverse und weit entfernte Regionen besaßen, die nur
durch die Klammer der Personalunion und/oder gemeinsamen (habsburgischen) Regierung zusammengehalten worden
sind. Daher ist die Auseinandersetzung mit der Herrscherfamilie und dem Versuch
der Stiftung einer gemeinsamen Identität der unter einer Krone befindlichen
Länder, zumindest mit dem Regenten oder der Casa d’Austria von besonderem
Interesse. Die Referenten, die aus Italien, Deutschland, Österreich, der
Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika kamen, gingen der komplizierten
Fragestellung nach, in welcher Weise politische Kräfte in den bikulturellen
Untersuchungsräumen agierten, um eine Region für die eine oder andere Nation
einzunehmen (11) oder die bestehende Kultur zu verdrängen (12).
Der erste
Teil des zu besprechenden Buches befaßt sich mit territorialen Zugehörigkeiten
und den daraus resultierenden politischen Schlußfolgerungen. Marco Cuaz
geht auf die Identität des Aostatals (Val d’Aosta) ein. Er führt aus, daß es
drei Phasen der Identitätsbildung gab: Die erste Phase stellt für ihn die des
Herzogtums Aosta (von 1536 bis circa 1770) dar, das als (quasi)autonomer Teil
von der Herrscherfamilie Savoyens mitregiert wurde. Die Oberschicht versuchte
hier über lange Zeit gegen den Zentralismus des Turiner Hofes vorzugehen und so
eine Zentralisierung zu verhindern. Weitreichende Privilegien und eine eigene
Regierung sicherten dieses Vorhaben. Cuaz charakterisiert diese als eine
identità giuridica, als eine juristische Identität, was er aus den Freiheiten
und Privilegien von Aosta ableitet. Gerade im Zuge des Risorgimento und der
Zentralisierung nach 1860 entwickelt sich eine neue Art der Identität, die
kultureller Natur ist und sich auf die Geschichte und die alpine Welt bezieht.
Cuaz grenzt den zeitlichen Rahmen der von ihm definierten zweiten Phase der
Identitätsfindung mit den Jahren von 1860 bis etwa 1925 ein. Die dritte Phase
beginnt für den Autor seit dem zweiten Weltkrieg, also mit der Schaffung einer
autonomen Region und einer anerkannten Zweisprachigkeit, was zur
Identitätsbildung beiträgt.
Alfredo Viggiano
beschäftigt sich mit der Identität der Patrizier in Venedig und deren
Herrschaft über ihre Gebiete auf dem Land sowie am Meer. Er geht vor allem den
Entwicklungen im 18. Jahrhundert nach, wobei er darauf hinweist, daß zwischen
den unterschiedlichen Regionen in Bezug auf die Rechtsprechung vor allem das ius dicere gelehrter Personen im
Vordergrund stand und nicht die Anwendung schriftlich fixierter Gesetze, so daß
die beherrschten Völker ihre Gewohnheiten beibehalten konnten.
Die
Identitätsfindung in Burgund im Zeitalter der Französischen Revolution ist das
Thema Wolfgang Schmales, der verschiedene Identitätsmuster und
Erklärungen dafür herausarbeitet. Er vertritt den Standpunkt, daß die
Regionalsprache als die grundlegende Basis für die Schaffung eine
Lokalbewußtseins im 19. Jahrhundert anzusehen ist. Der Verfasser dieses Beitrages
geht davon aus, dass es mehrere Loyalitäten und Bindungen gab, wofür er
insbesondere das Herzogtum als ein besonderes Beispiel hervorhebt.
Patrizia Delpiano
erklärt die savoyische Identität zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. Ein
Widerstreit im Bewußtsein der Zugehörigkeit zu Reich oder Territorium sieht Wolfgang
Burgdorf ab 1756 bei den Deutschen als gegeben an. Er geht der Frage
nach, ob Schweizer Vorbilder nachgeahmt wurden oder vor allem der kaiserliche
Hof eine reichisches Identitätsbewußtsein begründen wollte. Dabei kommt er zu
dem Ergebnis, der Siebenjährige Krieg habe ein preußisches Nationalbewußtsein
geschaffen, mit dem sich dann viele weitere protestantische Territorien
identifizierten. Um nicht aus einer sich bildenden, auf Gesamtdeutschland sich
erweiternden nationalen Identität ausgeschlossen zu werden, versuchte auch der
Kaiser ein solches Bewußtsein zu schaffen.
Eine
zusammenfassende Überblicksdarstellung liefert Wolfgang Behringer
mit seinem Beitrag über Kommunikationswesen und territoriale Identität in der
frühen Neuzeit, wobei er dezidiert die staatsrechtliche Komponente der
Postbeförderung untersucht und ihre Bedeutung für ein Zusammenwachsen
erläutert.
Im nächsten
Abschnitt des Buches gehen die Autoren der Historiographie, der politischen
Kultur und den politischen Institutionen nach, wofür wiederum die Habsburger
als übergreifendes Beispiel herangezogen werden.
Winfried Schulze
legt in seinen Ausführungen zunächst die österreichische Gesamtstaatsidee dar,
um dann auf die spezifischen ständischen Versammlungen der österreichischen
Erblande einzugehen, wobei er seine Betrachtungen auf das 16. Jahrhundert
beschränkt. Nach seinen Ausführungen ist die Gesamtstaatsidee nicht nur ein
Ausfluß der Herrscher aus dem Haus Habsburg und ihrer großen Machtbasis,
sondern auch die der Ständeversammlungen vor allem Innerösterreichs, die
massiven Anteil an der Staatsbildung hatten (165-166). Sie stellt demnach einen
Prozeß dar, der politisch und öffentlich-rechtlich weiter ausgewertet werden
muß. Ergänzt wird der Beitrag Schulzes durch die Darlegungen Heinz Noflatschers,
der sich mit den Begriffen „Staat“ und „Nation“ in der politischen Sprache
Österreichs in der frühen Neuzeit befaßt.
Interessant
ist die Arbeit Markus Völkels, der den Versuch der
Herrscherfamilie untersucht, ob es den Habsburgern mittels Historiographie
gelang, eine Habsburgidentität in allen Ländern der österreichischen Krone zu
schaffen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Hans Heiss, der ein
starkes Österreichbewußtsein bei den Kameralisten konstatiert. Beide Beiträge
beziehen sich auf das 17. Jahrhundert.
Der dritte
Teil des vorgelegten Werkes geht verschiedenen Traditionssträngen nach, so dem
städtischen Element, der genossenschaftlichen, gemeinschaftlichen Tradition und
dem ständischen Bewußtsein. Roberta Corbellini untersucht die
städtischen Strukturen Udines als Haupstadt der patria del Friuli, des
Vaterlands des Friaul. Sie geht von der These aus, daß eine städtische
Identität deshalb begründet wurde, um eine funktionierende Regierung
wirkungsvoll ausüben zu können.
Während
sich die Beitrag Peter Blickles allgemein mit dem Begriff
„Freiheit“ als Mittel der politischen Traditionsbildung in der
Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert beschäftigt, untersucht Claudius Sieber-Lehmann
die Verhältnisse im eidgenössischen Basel zu Beginn des 16. Jahrhunderts, also
einer Zeit, in der die Beziehungen dieser Stadt zum Reich noch Bestand hatten.
Andreas Suter
untersucht, ob es tatsächlich einen Protonationalismus gab oder ob dies ein
Begriff ist, der der historischen Wirklichkeit nicht gerecht wird. Suter geht
davon aus, daß man anhand der Eidgenossenschaft solche protonationalistische
Bestrebungen nachweisen kann, welche im 17. und 18. Jahrhundert in inneren
kriegerischen Auseinandersetzunge weiter ausgebaut worden sind. In einem
weiteren Beitrag, der sich mit einer Grenzregion befaßt, werden die
Auswirkungen des Mordes an Jörg Jenatsch untersucht. Die Thematik, die Randolph
C. Head behandelt, stellt die Legendenbildung als eine Möglichkeit der
Identitätsstiftung vor. Der Wissenschaftler behandelt Jenatschs Persönlichkeit
und stellt sie den Legenden gegenüber, die sich um seine Person gebildet haben.
Der letzte
Teil des Tagungsbandes reicht weit in unsere heutige Zeit hinein. Marco Meriggi
berichtet über die Identifikationsfindung im Norden Italiens. Er weist nach,
daß die italienische Geschichtswissenschaft vor allem in ihren Akademien und
Vereinen eine regionale Identität zu begründen versuchte (351). Die
Ausführungen sind eine Ergänzung des Beitrages von Gabriele B. Clemens.
Sie zeigt die Bedeutung der italienischen Geschichtsvereine für eine
Identitätsfindung und Identitätsstiftung auf, wobei sie dezidiert auf das
Interesse des Königs von Sardinien-Piemont für die Gründung dieser Vereine
hinweist (383), welche zumeist nur Honoratiorengesellschaften waren. Ihr
gelingt der Nachweis, daß der gesellschaftliche und politische Einfluß jener
Mitglieder in den liberalen Strömungen des 19. Jahrhunderts besonders groß war.
Die führenden Personen dieser Vereinigungen hatten fast alle leitende
Stellungen in Archiven beziehungsweise Bibliotheken oder waren selbst sogar
Minister. Die Verfasserin dieses
Beitrages untersucht weitere lokale Geschichtsvereine, wobei sie fast
durchgehend auf die gleichen Muster der Vereinsführung und der Konzeption und
Ausrichtung kommt. Sie weist in ihren Ausführungen darauf hin, daß die Vereine
„ihre“ Stadt und „ihren“ Beitrag als außerordentlich wichtig ansahen und daher
versuchten gegen die „Konkurrenz“ anderer Vereine wissenschaftlich vorzugehen.
Nur die Epochen, in denen die jeweilige Region eine Bedeutung hatte, wurden
behandelt. Der Beitrag von Clemens bestätigt die einleitenden Ausführungen
Bellabarbas, der die Historiographie als eine wichtige Komponente im Prozeß des
nation building ansieht (19).
Stefan Fisch
widmet sich den Gegensätzen und den Identifikationsfindungsprozessen von
Deutschen, Franzosen und alteingesessenen Elsäßern in der Zeit von 1870/71 bis
1918. Die „Erfindung“ der italienischen Regionen ist das Thema von Lucio
Gambi, der davon ausgeht, daß damit eine Zentralregierung und
Zentralverwaltung für die Bevölkerung, die stark in einem campanilismo
verwurzelt war, akzeptabler gemacht worden sei.
Resümierend
ist festzuhalten: die Tagung hat interessante Ergebnisse gebracht hat, die auch
für die Rechtsgeschichte von Bedeutung sind. Es wurde herausgearbeitet, daß
territoriale Identität mittels gesetzlicher Maßnahmen durchzusetzen versucht
worden ist. Die territorialen Wechsel im 19. und 20. Jahrhundert beweisen das
Gesagte. Der gewählte Tagungsort und die autonome Region Südtirol/Trentino
(Regione Autonomo Alto Adige/Trentino) sind ein beredtes Beispiel für
territoriale Identitätsstiftung durch Gesetz oder Verordnung, beispielsweise im
Faschismus. Die in diesem Sammelband geschaffene Verbindung zwischen
Rechtsgeschichte und allgemeiner Geschichte führen in Bezug auf das
Tagungsthema und den Tagungsband erneut zu fruchtbaren Anregungen und
Diskussionen. Diesen Weg aufgezeigt zu haben, ist das lobenswerte Verdienst der
an dem Symposium beteiligten Wissenschaftler. Eine Verbreitung des Bandes in
der rechtshistorischen Forschung ist wünschenswert.
Leipzig Frank
Theisen