Noodt,
Birgit, Religion und Familie in der
Hansestadt Lübeck anhand der Bürgertestamente des 14. Jahrhunderts (=
Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B 33). Schmidt-Römhild,
Lübeck 2000. IX, 618 S.
Das
große Werk von über 400 Seiten Text und etlichen Anhängen gliedert sich in die
Teile A – D. A behandelt Quellen und Methoden, definiert die Aufgabe, eben das
Zusammenspiel von Religion und Familie aus den Testamenten herauszuholen, umreißt
die Quellengrundlage von 2701 Testamenten und spricht die Methoden ihrer
Auswertung an. Juristische und rhetorische Formeln werden ebenso wie der Wert
der quantitativen Methode vorsichtig gewogen. Die Verfügbarkeit des Besitzes
beschränkt sich auf das von dem Erblasser selbst Erarbeitete. Deswegen meint
die Verfasserin überzeugend, die häufige Formel que ... meo gravi labore acquisivi (S. 21) sollte nicht mit der
älteren Forschung als Zeugnis der Arbeitsamkeit der Lübecker, ihres Stolzes auf
harte Arbeit mißverstanden werden. Schrift- und Stiluntersuchungen nehmen
einigen Raum ein. Die Schreiber bilden eine vielfältige Gruppe. Außer den
städtischen öffentlichen Notaren gehören dazu Priester und Mönche, Kaufmanns-
oder Familienschreiber und Berufsschreiber. Die Testamente sind zunächst fast
ausschließlich in Latein abgefaßt. Der Anteil des Niederdeutschen wächst aber
stetig und beträgt am Ende des Jahrhunderts 35% (S. 422). Ob in Latein oder in
Niederdeutsch, die Testamente konnten nur von einer Minderheit gelesen werden.
Angesichts der kleinen, klerikalen Schreiber darf man diese Minderheit aber
wohl nicht als eine „Elite“, als „literate, normprägende Schicht“ (S. 137)
ansprechen.
In
Teil B werden die in die „Lebenswelt“ eingebundenen kultischen Funktionen der
Testamente behandelt. Es wird dafür eine Periodengliederung – mit einer
Sonderstallung der beiden Pestjahre 1350 und 1367 – entwickelt, die dann auch
in anderen Teilen des Buches Anwendung findet. Nach ihr werden die Stiftungen
an Pfarrkirchen, Spitäler, Arme und die Zuwendungen für das Begräbnis und
Seelenmessen untersucht. Von vornherein stellt sich die Frage, ob Konstanz oder
Wandel überwiegen. Mehrere statistische Untersuchungen enden mit dem Ergebnis
der Konstanz. Auch der Einbruch der Epidemien bringt überwiegend auf längere
Sicht keinen Wandel. Zu den kleineren Veränderungen nach 1350 gehören einige
Neuerungen, wie Spenden für das Sitzen vor einem Heiligenbild (S.199), für den
Lichterkult und für Bruderschaften (S. 242). Eine erhebliche Veränderung liegt
allerdings darin, daß an die Pfarrkirchen immer größere Summen von immer
weniger Testierenden gegeben werden, so daß insbesondere die Marienkirche aus
einer Bürgerkirche zu einer Ratskirche wird (S. 229).
Im
Teil C werden die Familienverhältnisse der Testierenden betrachtet. Auch in
diesem Teil werden Zeitreihen gebildet, und es überwiegt wieder die Konstanz.
Nur 46% der Testierenden lassen sich ausdrücklich als verheiratet und 18% als
verwitwet nachweisen. Die tatsächlichen Zahlen dürften höher gelegen haben,
wenn auch die Ledigen besonders in den unteren Vermögensschichten zahlreich
waren (S. 263). Durchschnittlich sind 2,1 Kinder nachweisbar (S. 307). Die
Kinder sind zahlreicher in den oberen als in den unteren Vermögensschichten.
Wohltuend ist die kritische Einstellung gegenüber Strömungen der gegenwärtigen
Frauenforschung. Weder der Frauenüberschuß noch der Klostereintritt aus
Versorgungsgründen werden bestätigt.
In
dem letzten Teil D referiert die Verfasserin in einem Ausblick aus der
spätmittelalterlichen Testamentsforschung anderer Gegenden Europas und stellt
überwiegend eine Übereinstimmung mit ihren Ergebnissen fest. Dabei wird eine –
wohl leicht zufällige - Auswahl vorgenommen. Für den Lyonnais z. B. hätte neben
der älteren Arbeit von L. Gonon auch die neuere von M.-Th. Lorcin verwertet
werden können. Man wird sagen können, daß die Ausdehnung der
Testamentsforschung auf das 15. Jahrhundert stärker den Wandel in den Blick
bekommt, als es hier geschieht.
An
kleineren Ausstellungen sei noch moniert, daß die interessante Beobachtung über
Gesellschaftsauflösungen im Testament (S. 196) ergiebiger geworden wäre, wenn
die Verfasserin das aus der gleichen Zeit überlieferte Lübecker Societates-Register benutzt hätte. Amme
t... van heren im Lübecker Stadtrecht (S. 27) bezieht sich nicht auf
Zünfte, sondern auf Fürstenlehen. Numerisch sollte man nicht durchgehend mit
zwei m schreiben.
Diese
Ausstellungen können den Eindruck eines gut durchgearbeiteten, ergebnisreichen
Werkes nicht mindern, eines Werkes mit großem Nutzen ebenso für die Lübecker
Geschichte wie für die europäische Testamentsforschung.
Reichenberg Rolf
Sprandel