SchumannLabouvie20010915 Nr. 10179 ZRG 119 (2002) 42

 

 

Labouvie, Eva, Andere Umstände. Eine Kulturgeschichte der Geburt. Böhlau, Köln 2000. 394 S., 29 Abb.

 

Die Habilitationsschrift der Historikerin Eva Labou­vie behandelt in drei Abschnitten die Ereignisse um Schwanger­schaft, Geburt und Kindbett im ländlichen Raum des Saarlandes, der Pfalz und Lothringen zwis­chen dem 16. und 19. Jahrhundert aus der Sicht der gebärenden Frauen und ihrer Helferinnen. Die Arbeit gewährt dabei Einblick in eine aus den verhei­rateten und verwit­we­ten Frauen des Dor­fes bestehende Gemein­schaft, die vor allem gegen­seitigen Beistand während Schwanger­schaft, Ge­burt und Kind­bett garantier­te, aber auch eine eigen­ständige Festkul­tur im Anschluß an die Ge­burt umfaßte.

 

Im ersten Abschnitt „Von der Schwangerschaft zur Geburt“ (S. 9-102) geht Labouvie zunächst der Frage nach, wie, wann und von wem die Schwangerschaft wahr­genommen wird. Es mag überraschen, daß ­das Ausbleiben der Regel, Übel­keit und Schwindel sowie das An­schwellen des Leibes von den betroffe­nen Frauen keineswegs als maßgebliche Anzeichen für eine Schwan­ger­schaft, vielmehr häufig als Unregel­mäßigkeiten oder Krankhei­ten gedeutet wurden. Erst mehrfache Kindsre­gungen ab der Mitte der Schwangerschaft galten als sicheres Zei­chen. In der Annahme, die ausbleibende Regel sowie die Übelkeit grün­den auf einer Krankheit, wurden Kräuter ein­genommen, die wohl nicht selten eine Fehlgeburt begün­stigt haben dürften, die als solche jedoch häufig nicht wahrgenommen wur­de. Aufgrund der späten Feststellung der Schwangerschaft wurden auch Vaterschaftsklagen sowie die im Her­zogtum Lothrin­gen im 17. und 18. Jahrhundert üblichen Selbst­anzeigen lediger Müt­ter, mit denen der Verdacht des Kindsmords und die Verhängung von Un­zuchts­strafen abgewendet werden soll­ten, nie vor dem fünften Schwangerschaftsmonat erhoben bzw. gestellt.

Der Gemeinschaft der verheirateten und ver­witweten Frauen des Dorfes oblag ebenfalls die Feststellung von Schwangerschaften. Bei entsprechenden Anzeichen gehörte das „Begrei­fen“ und Abtas­ten des Körpers einerseits zum Hilfs­angebot der Gemeinschaft und bot andererseits Gelegenheit zur Kontrolle. Die Feststellung der Schwanger­schaft durch die Dorffrauen diente einer ledigen Frau sowohl zur Unterstützung bei einer Eheschließung mit dem Kindsvater oder wenigstens zur Durchsetzung von Alimenten, als auch dem Schutz des Unge­bore­nen vor Abtreibung oder Kindsmord. Die Verweigerung des „Begrei­fens“ durch die Dorffrauen deutete auf eine heimliche Schwanger­schaft hin und begründete häufig An­zeigen wegen vermuteter Ab­treibung oder Kindsmord.

Mit der Feststellung der Schwangerschaft erhielt die Frau einen rechtlichen Son­derstatus. Dieser führte zu zahlreichen Sonderrech­ten, wie die Befreiung von Steuer­zahlungen, Ab­gaben und Fron­diensten sowie im Kriegs­fall der Schutz hinter befestigten Mauern, und begründete besonde­re Nah­rungsmittelrechte, wie die Er­laubnis, Wild und Fi­sche zu fangen oder den Anspruch auf kos­ten­lose Zuteilung von Wein durch den Ortsgeistli­chen. Der Sonderstatus bedingte vereinzelt auch das gezielte Herbeiführen von Schwangerschaften, insbesondere zur Verhinde­rung einer Verurteilung, Inhaftie­rung oder Hinrich­tung sowie im Vor­feld eines Urteils zur Abwen­dung der Folter. Labouvie schildert einen Fall (S. 80f.) um die Wende zum 16. Jahr­hundert, bei der es einer innerhalb von 20 Jahren mehrfach der Hexerei be­s­chul­digten verheirateten Frau gelang, ins­gesamt fünf An­klagen durch ihre Schwan­gerschaften zu überstehen. Für die Mutter wirkte entlas­tend, daß bei den auf gerichtliche Anord­nung besichtigten Neugebo­renen weder Mißbildungen noch Merkmale eines auf Teufelsbuhlschaft hindeu­tenden Ursprungs ausgemacht werden kon­nten.

Auch von Paaren wurden Schwangerschaften bewußt her­beigeführt, um Ehehindernisse zu beheben. So er­wirkte die Schwan­gerschaft bei Konfessionsunterschieden, ver­weigerter Eheerlaub­nis der Eltern, zu naher Verwandtschaft, Minderjährig­keit (das gesetzli­che Hei­ratsalter lag häufig bei 25 Jahren) oder Militär­dienst des Man­nes oft die nötigen Einwil­ligungen oder Dispense.      

Hingegen waren für ledige Frauen mit der Schwangerschaft er­hebliche Nach­teile verbunden. Zu nennen sind hier Strafen wie Auspeitschen, Stehen am Pranger, Inhaf­tierung in Zucht- und Arbeitshäusern, Ausweisun­gen und Bezah­lung von Frevel­geldern, aber auch das Verbot, eine fremde Schwangere zur Nie­derkunft ins Haus auf­zunehmen. Die Abwendung der Gemeinschaft von ledigen Schwangeren führte dazu, daß die allein gelassenen, unerfahrenen jungen Frauen im Anschluß an die oftmals im Freien stattfindende Geburt das Neugeborene seinem Schicksal überließen oder es eigenhändig töteten. Heimliche Niederkunft und Kindsmord treten dabei häufig bei Dienstmägden ohne Familie, die vom ver­heirateten Dienstherrn oder einem anderen Familienvater geschwängert und danach auf die Straße gesetzt wurden, auf. Statt Fürsprache und Unterstützung waren diese Frauen dem Vorwurf der Hurerei und der gesellschaftlichen Isolation ausgesetzt. Erhielten die ledigen Schwangeren hingegen von ihren Familien Unterstützung, so fanden etliche dieser Frauen mit teilweise mehreren nich­tehelichen Kindern von verschiedenen Männern später noch einen einheimischen Ehepartner. Überzeugend legt Labouvie dabei dar, daß der Kindsmord nicht allein vom Umstand der außerehelichen Schwängerung, sondern in erster Linie von der sozialen Situation der Schwangeren abhängig war. Bei Eingebundenheit der ledigen Schwangeren in ihre Familie und Unterstützung der Dorffrauen war der Kindsmord von vornherein ausgeschlossen. Dafür, daß dies die Regel und der Kindsmord die Ausnahme war, spricht im übrigen auch der hohe Anteil nichtehelicher Kinder im ländlichen Raum.

Im zweiten Abschnitt geht es um die „Ländliche Geburt“ (S. 103-197), um den Zeitraum, der mit den Geburtswehen beginnt und mit der glück­lichen Geburt oder aber dem Tod endet. Die Niederkunft auf dem Lande war eine Frauensache, bei der sich eine Gemeinschaft aus fünf bis sieben Frauen des Dorfes (Verwandte, Nach­barinnen und Freundinnen) bei der Gebärenden einfand. Vereinzelt schon im 17. Jahrhundert, verstärkt aber ab dem 18. Jahrhundert regeln Hebammen- und Medizinalordnungen das Hinzuziehen von Hebammen bei der Geburt sowie die Art und Weise der Geburtshilfe. Ärzte wurden hingegen erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts bei komplizierten Geburten, zunächst auch nur in den Städten und regelmäßig als Gehilfen der Hebammen beteiligt. 

Neben der Geburtshilfe oblagen den Hebammen öffentliche Auf­gaben wie die Anzeige einer Geburt, Totgeburt oder des Ablebens der Gebärenden und in den katholischen Gemeinden die Durchführung der Nottaufe. Mit der Anordnung des Hinzuziehens einer Hebamme sollten weiterhin Kindstötungen im Anschluß an die Geburt ver­hindert werden. Eine Niederkunft ohne Hebamme konnte beim Tod des Kindes zum Verdacht des Kindsmords führen, von dem sich die verdächtigte Frau entlasten mußte. Gleichzeitig untersagten etliche Hebammen- und Medizinalordnungen, die Geburtsschmerzen zur Befragung über den Kindsvater auszunutzen. Da den während der Geburtsschmerzen gemachten Angaben jedoch bis Mitte des 18. Jahrhunderts ein erhöhter Wahrheitsgehalt zugesprochen wurde, dienten die Hebammen häufig als Zeuginnen für den unter Wehen angegebenen Namen des Kindsvaters. Die benannten Männer wurden regelmäßig trotz gegenteiliger Beteuerungen zu Alimentation, teilweise auch zur Aufnahme und Erziehung der Kinder verurteilt.

An den Tod des Neugeborenen oder der Mutter schlossen sich unterschiedliche Bestattungsriten an. Das verstorbene Kind wurde von den bei der Geburt anwesenden Frauen meist in aller Stille in einem bestimmten Bereich des Friedhofs bestattet, während die Bestattung der verstorbenen Mutter unter Anteilnahme des gesam­ten Dorfes erfolgte. Früh- und Fehlgeburten wurden hingegen häufig nicht angezeigt und die abgegangene Frucht im Haus oder in dessen Nähe begraben. Über diesen Brauch geben ­Hexenprozeßakten Aufschluß, in denen den in Hexereiverdacht geratenen El­tern vorgeworfen wurde, die Gebeine ihrer ungetauf­ten Kinder ausgegraben und zu zauberischen Zwecken mißbraucht zu haben.

Der dritte Abschnitt umfaßt in zwei Kapiteln (S. 198-278) die sich an die glückliche Geburt anschließenden Riten, insbesondere die Festkultur der verheirateten und verwitweten Frauen nach der Ge­burt. Tauffeste waren bis ins 17. Jahrhundert meist Frauen­feste, die jedoch vereinzelt schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts wegen des Alkoholkonsums („Weibergelach“) verboten waren. Aber auch die Bräuche des „Kindtvertrinkens“ von Männern und Frauen wurden reglementiert. Seit dem 18. Jahrhundert nahmen die Reglementierungen durch Landesherrschaft und Kirche stetig zu. Die Taufen hatten innerhalb von bestimmten Fristen (meist drei bis acht Tage nach der Geburt) zu erfol­gen, wobei die Lan­desherrschaft bei unterschiedlicher Konfession der Eltern anordnete, welche Konfession das Kind erhalten sollte. Darüber hinaus mißbilligten nun fast alle landesherrlichen Verordnungen die „Kindbettzechen“ und stellten die Ausgabe von Wein oder Branntwein an „Kindstaufweiber“ unter Strafe. Nach Labouvie dürfte dies dazu beigetragen haben, daß sich die Tauffeiern von ursprünglich reinen Frauenfesten zu Familienfeiern entwickelten.   

Die Arbeit schließt mit einem umfangreichen Quellenre­gi­ster und einer Auswahlbibliographie, bedauerlicherweise fehlt ein Sachregister. Insgesamt werden kaum Entwicklungslinien sichtbar herausgearbeitet, was auch daran liegen mag, daß die einzelnen Abschnitte nur grob strukturiert sind und die Verfasserin zwis­chen den Jahrhunderten und einzelnen ländlichen Gebieten hin- und herspringt. Dennoch vermittelt die Arbeit - wenn auch oft ungeordnet - zahlreiche soziale und rechtliche Details, deren Kenntnis für die Beurteilung der Rechtsverhältnisse von Ehe und Familie, vor allem aber einzelner Fragen in den Bereichen Abtreibung, Kindsmord und Nichtehelichkeit im jeweiligen his­torischen Kontext unerläßlich erscheint.

 

Leipzig                                                                                                 Eva Schumann