Lengemann,
Jochen, Das Deutsche Parlament (Erfurter Unionsparlament) von 1850.
Ein Handbuch: Mitglieder, Amtsträger, Lebensdaten, Fraktionen (=
Veröffentlichungen der historischen Kommission für Thüringen. Große Reihe 6).
Urban & Fischer, München 2000. 447 S. 200 Abb.
Das Erfurter Unionsparlament von 1850 sowie die Arbeiten des Verwaltungsrats und des provisorischen Fürstenrats der Erfurter Union (1849/50) standen lange im Schatten der allgemein historischen, aber auch der rechtshistorischen Forschung. Daran hatte auch die Neuherausgabe des Stenographischen Berichts über die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt in zwei Bänden,[1] die weitere unveröffentlichte Materialien enthielten, sowie der Protokolle des Verwaltungsrats nichts geändert.[2] Erst der 2000 von Günther Mai aus Anlaß des hundertfünfzigjährigen Jubiläums des Unionsparlaments herausgegebene Sammelband: „Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament von 1850“ hat die Bedeutung der Erfurter Union und des Erfurter Parlaments erstmals in helles Licht gerückt. Das von Lengemann herausgegebene Biographische Handbuch ermöglicht es nunmehr, die Arbeiten des Parlaments auch aus biographischer Sicht besser zu erschließen. Der Verfasser bringt nach einer Einleitung zunächst alphabetische Übersichten über die Mitglieder des Staaten- und des Volkshauses sowie über die Präsidenten und Schriftführer. Den Hauptteil des Werkes bildet der biographische Teil (S. 59-352; in vielen Fällen mit Porträts). Die Kurzbiographien sind hinreichend aussagekräftig und außerordentlich breit mit bibliographischen Angaben recherchiert. Dies ist besonders nützlich für die Abgeordneten aus Preußen, da dessen Parlamentarier aus der Frühzeit des preußischen Parlamentarismus noch immer nicht hinreichend erschlossen sind. Nur sehr wenige Abgeordnete konnten überhaupt nicht oder unvollständig erfaßt werden. Aus rechtsgeschichtlicher Sicht sehr nützlich sind u. a. die Biographien über Johann Baptist Bekk, der für die badische Rechtsgeschichte von großer Bedeutung war, über Ernst von Bodelschwingh, der als preußischer Vormärzminister die reichhaltigen Gesetzgebungsprojekte dieser Zeit im liberalen Sinne beeinflußt hat, über den altliberalen Kölner Appellationsgerichtsrat Ignatz Bürgers, der Ende 1869 Mitglied einer Kommission für das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes war,[3] über Hans Duisberg, der ebenfalls die preußische Vormärzgesetzgebung stark beeinflußte und als Vorsitzender des Bundesschiedsgerichts der Union wichtige Gesetzentwürfe vorgelegt hat.[4] Ferner sind zu erwähnen Theodor Goltdammer, der wichtige Arbeiten zum preußischen Strafrecht veröffentlichte, Johann Friedrich Kierulff, von 1853-1879 Präsident des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte in Lübeck, Gisbert Lensing, einer der profiliertesten Abgeordneten im Rheinischen Provinziallandtag,[5] in dem er wiederholt für die Emanzipation der Juden eintrat, Justinus von Linde, der vor allem als Prozessualist bekannt ist, Eduard Zachariae von Lingenthal, Sohn Salomo Zachariaes von L., des Autors des bahnbrechenden Lehrbuchs zum französischen Zivilrecht, und selbst bedeutender Byzantinist, Carl Sintenis aus Sachsen-Anhalt, wichtiger gemeinrechtlicher Autor und Mitherausgeber und Übersetzer des Corpus juris civilis und des Corpus juris canonici und viele weitere Juristen und Verfassungspolitiker.
Das Werk wird abgeschlossen mit Verzeichnissen über die Mitglieder des Erfurter Parlaments, die bereits der Frankfurter Nationalversammlung angehörten, über die Mitglieder des Staatenhauses der einzelnen Unionsstaaten (davon aus Preußen vierzig Abgeordnete), über die von den Regierungen ernannten Abgeordneten des Staatenhauses und über die von den Volksvertretungen der Unionsstaaten gewählten Abgeordneten des Staatenhauses. Es folgt ein Verzeichnis der Wahlkreise mit den dazugehörigen Abgeordneten, ein Verzeichnis der Mitglieder der Fraktionen im Volkshaus (Bahnhofspartei, Schlehdorn, Klemme und katholische Abgeordnetengruppe, dazu ein Pole). Interessant ist auch die Beobachtung, daß zweiundvierzig Mitglieder des Unionsparlaments in den Reichstag bzw. das Zollparlament gewählt wurden. Endlich sei noch das Namens- und Ortsregister erwähnt. – In der Einleitung behandelt der Verfasser die Wahl des Parlaments, dessen Zusammentritt und die Fraktionsbildung (S. 15ff.), die Präsidenten sowie die Beratungen und Entscheidungen über die Verfassungsdokumente. Eine Auswertung der Abstimmungen ergibt, daß in den beiden Häusern die Mehrheit der preußischen Abgeordneten gegen die „volle und unbedingte Zustimmung“ zu den Verfassungstexten votierte (S. 25). Gleichwohl kam die En-bloc-Annahme mit den Stimmen der meisten nichtpreußischen Abgeordneten zustande. Zur Bedeutung des Unionsparlaments in der Geschichte führt derVerfasser vier Gesichtspunkte an: Das Parlament habe die Frankfurter Parlamentstradition aufgegriffen und so verfestigt, daß sie „lautlos in die parlamentarische Kultur Preußens und dann des Reichstags des Norddeutschen Bundes usw. getragen werden konnte“ (S. 27). Ferner habe in Erfurt erstmals eine durch Frankfurt geprägte politische Auseinandersetzung mit dem preußisch ausgerichteten Teil der deutschen Konservativen stattgefunden und dabei sei insbesondere die Kultur der politischen Rede gefördert worden. Endlich habe Bismarck 1867 für den Norddeutschen Bund das Verfahren der Verfassungsvereinbarung übernommen. Hinzuzufügen ist noch, daß außer den kontroversen Verhandlungen des Parlaments über die Verfassung noch beraten worden sind der Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Reichsgerichts, eines Gesetzes über das Verfahren vor dem Reichsgericht in streitigen Rechtssachen und eines Gesetzes über das Verfahren wegen Untersuchung und Bestrafung des Hoch- und Landesverrats gegen das Reich. Mit Hilfe der Biographien des vorliegenden Bandes bekommen auch die Parlamentsberichte über die genannten Entwürfe mehr Farbe als bisher. Vor allem läßt sich nunmehr Näheres über die Ausschußvorsitzenden und Berichterstatter über die genannten Vorlagen sagen. Insgesamt ist zu wünschen, daß das biographische Handbuch Lengemanns das Interesse auch der Rechts- und Verfassungshistoriker an den Arbeiten der Erfurter Union wiederbelebt.
Kiel Werner Schubert
[1] Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt, Bd. 1: Volkshaus, Bd. 2: Staatenhaus, neu hg. und ergänzt von Werner Schubert, Vaduz 1987.
[2][2] Protokolle des Verwaltungsrats und des provisorischen Fürstenrats der Deutschen (Erfurter) Union, 2 Bde., hg. von Werner Schubert, Vaduz 1988.
[3] Hierzu Werner Schubert, Die Quellen zum Strafgesetzbuch von 1870/71, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, 1982, S. 191ff.
[4] Hierzu Werner Schubert, Die für das Reichsgericht der Erfurter Union bestimmten Organisations- und Verfahrensgesetze von 1849/50, in: SZ GA 100 (1984), S. 169ff.
[5] Hierzu die Edition: Der Provinziallandtag der Rheinprovinz von 1841, 1843 und 1845, hrsg. von Werner Schubert, 6 Bde., Vaduz 1989.