SchroederKeitel20010126 Nr. 10121 ZRG 119 (2002) 32

 

 

Keitel, Christian, Herrschaft über Land und Leute. Leibherrschaft und Territorialisierung in Württemberg 1246-1593 (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 28). DRW-Verlag Weinbrenner Gmbh & Co, Leinfelden-Echterdingen 2000. X, 288 S.

 

Diese Tübinger historische Dissertation unternimmt es, die gewichtige Rolle der Leib‑ und Ortsherrschaft bei den Territorialisierungsbestrebungen der Grafen bzw. Herzöge von Württemberg im deutschen Südwesten zu untersuchen. Mit der Leibherrschaft im frühneuzeitlichen Herzogtum Württemberg hatte sich bereits Otto Herding 1952 im Rahmen einer kleineren Abhandlung befasst.

Nunmehr liegt mit der Arbeit Keitels eine grundlegende Untersuchung vor, die auf breiter Quellenbasis die Strukturen und Funktionen der Leibherrschaft in jenen Teilen Württembergs nachspürt, in denen sich die weltliche Herrschaft der Württemberger Landesherren am deutlichsten als solche manifestierte. Neben der Leibherrschaft bildete ebenso die Ortsherrschaft eines der zentralen Rechte, auf deren Grundlage die Grafen von Württemberg seit der Mitte des 13. Jahrhunderts die Territorialisierung in Vollzug setzen konnten. Das Verdienst des Autors besteht darin, beide Herrschaftsformen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit aufeinander zu beziehen und zu beschreiben, so dass sich Herrschaftssicherung und Gebietserwerb in einem integrierten Bild darstellen. Deutlich wird dabei, dass die Leibherrschaft in Württemberg in einem engen Zusammenhang mit territorialen Herrschaftsformen steht. Im Gegensatz zu Otto Brunner, der „Land“ durch ein einheitliches Recht definierte, versteht Keitel darunter die Herrschaft über Grund und Boden, von der sich indirekt auch ein Herrschaftsanspruch über die auf dem Boden sitzenden Leute ableitet. Zu Recht betont der Autor ebenso die bedeutsame Rolle, welche der Durchsetzung der Steuer und dem Aufbau einer eigenen Verwaltung bei der Etablierung der Landesherrschaft zu kommt. Hauptquelle der Untersuchung, die sich vom Hochmittelalter bis zum Tod Herzog Ludwigs im Jahr 1593 erstreckt, stellen die überlieferten Amtsbücher und Urkunden dar, kann sich doch Keitel in seiner Untersuchung der Leibherrschaft in Württemberg ‑ im Gegensatz zu Oberschwaben und dem Oberrheingebiet ‑ nicht auf Weistümer stützen. Diese württembergischen Lagerbücher beziehen sich jeweils auf ein Amt. Sie verzeichneten die Rechte, welche den Grafen bzw. Herzögen von Württemberg innerhalb dieses Amtes zustanden. Zusammen mit den Rechenbüchern bildeten sie die Grundlage der Ämterverwaltung. Konnten anfänglich die Gemeinden ihre Bewohner vor zu hohen Forderungen der Grafen noch schützen und gleichzeitig ein selbständiges kommunales Rechnungswesen aufbauen, wurden seit dem Ende des 14. Jahrhunderts ihre Rechte und relativ großen Freiheiten drastisch reduziert; selbst die Bürger der württembergischen Städte sanken auf den Stand von quasi Leibeigenen zurück. Erneut verschärft wurden die Beschränkungen während der Regierungszeit Herzog Ulrichs und seiner Vormundschaftsregierung. Jene bislang unbekannte Entwicklung taucht auch den im Tübinger Vertrag versprochenen freien Zug in ein neues Licht. Mit dieser gleichermaßen anregenden wie fundierten Studie bestätigt der Autor in überzeugender Weise seine These, wonach der württembergische Herrschaftsaufbau sowohl durch die territoriale Vogtei (Grund‑ und Ortsherrschaft) als auch durch die personale Vogtei (Leibherrschaft) wesentlich vorangetrieben wurde. Nunmehr wird es auch möglich sein, den Vergleich mit weiteren oberschwäbischen Territorien anzustellen.

 

Heidelberg                                                                                                 Klaus‑Peter Schroeder