SchroederFimpel20010507 Nr. 10153 ZRG
119 (2002) 40
Fimpel, Martin, Reichsjustiz und Territorialstaat.
Württemberg als Kommissar von Kaiser und Reich im Schwäbischen Kreis
(1648-1806) (= Frühneuzeit-Forschungen 6). Bibliotheca
academica, Tübingen 2000. 347 S.
Das Alte Reich und seine Institutionen stehen seit langem im Mittelpunkt des Interesses der Geschichtswissenschaft. Grundlegende Arbeiten wie die von Friedrich Hermann Schubert zur Stellung der deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit und die ergänzenden Studien von Gerhard Österreich zur Struktur und Geschäftsgang der Reichstage wie auch die systematische Erforschung der höchsten Reichsgerichtsbarkeit durch Bernhard Diestelkamp, Adolf Laufs und Wolfgang Sellert belegen, freilich nur unvollständig, die überaus ertragreiche Entwicklung dieses Wissenschaftsgebietes. Sie alle haben zu entscheidenden Umwertungen im Vergleich zur vorangegangenen national- und machtstaatlichen Beurteilung des Reiches geführt. Deutlich sichtbar wird nun, dass die Verfassung des Reiches selbst, welche sich bis zum Reichsdeputationshauptschluss, ja bis zum Ende des Alten Reiches im Jahre 1806 nicht mehr wesentlich verändert hat, den Charakter einer europäischen Friedensordnung besitzt. Auch nach dem Westfälischen Frieden behielt das in hierarchischen Strukturen erstarrte Heilige Römische Reich Deutscher Nation seinen Wert für die europäische „Gleichgewichtsmaschine“. Insbesondere aber waren das Reich und seine Verfassung in erster Linie Hüter des Rechts und der Rechtsordnung auf der Grundlage uralter und eingewurzelter Traditionen; einzig hierauf beruhte seine Legitimität, sein Selbstverständnis. Trotz des erheblichen Machtgefälles zwischen seinen Gliedern gelang es, Konflikte im Innern meist gewaltfrei zu lösen. Das Problem einer effektiven Sicherung des Landfriedens bildete den Anlass für die Reichskreisorganisation; sie gliederte und festigte das weitläufige regnum teutonicum. Weithin fehlten dem Reich aber eigene Behörden und ausführende Organe, so dass es bei dem Vollzug seines Rechts, bei der Exekution reichsgerichtlicher Erkenntnisse und zur Wahrung des Landfriedens auf die vereinigten Kräfte seiner Glieder angewiesen war. Die Reichsexekutionsordnung, verabschiedet auf dem berühmten Augsburger Reichstag von 1555, bildete für die Dauer des Alten Reiches das grundlegende Reichsgesetz für die Kreise, indem sie endgültig die Exekution des Landfriedens in die Verantwortung der Kreise legte; aktiv hatten die schwäbischen Kreisstände an den Beratungen teilgenommen. Nach dem Jüngsten Reichsabschied von 1654 sollten die kreisausschreibenden Fürsten für die Vollstreckung der reichsgerichtlichen Entscheidungen zuständig sein. Nunmehr entfalteten die Kreisfürsten als von den Reichsgerichten beauftragte kaiserliche Kommissare vornehmlich in den „vorderen“ Reichskreisen Franken, Schwaben und Oberrhein eine umfangreiche Exekutionspraxis. Deutlich stellt Fimpel in seiner gründlichen und tiefschürfenden Abhandlung heraus, dass die Verrechtlichung von Konflikten und deren Verknüpfung mit einem effektiven Exekutionssystem die wichtigsten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Lösung von Problemen der inneren Sicherheit im Bereich des Schwäbischen Kreises zwischen 1648 und 1806 bildeten. Dieses Defizit rechtshistorischer Forschung überzeugend aufgearbeitet zu haben, ist das große Verdienst seiner Studie, wurden doch bisher lediglich kaiserliche Untersuchungskommissionen in den Reichsstädten erforscht. Drei Schwerpunkten der württembergischen Kommissionsarbeit gilt die besondere Aufmerksamkeit des Verfassers: Der Sicherung des Rechtsfriedens mittels Durchsetzung der Reichsjustiz, der inneren Modernisierung der Reichsstädte und der Lösung von Untertanenkonflikten. Als Quelle dienen ihm die nahezu 1000 Faszikel umfassenden Kommissionsakten aus der Registratur des württembergischen Regierungsrats und des Geheimen Rats sowie der Schwäbischen Kreiskanzlei. Ergänzend hinzugezogen wurden die Gegenüberlieferung der Prozessparteien und der zuständigen Reichsgerichte, die Kreistagsakten sowie die Sitzungsprotokolle der württembergischen Regierungsorgane. Überraschend marginal stellt sich der Einfluss der Kreistags auf die württembergische Kommissionstätigkeit dar, wie die Kreistagsakten zeigen. Höchst interessant ist die Feststellung Fimpels, dass die Herzöge von Württemberg politisches Gewicht bei Exekutionskommissionen dadurch gewannen, indem sie ihre Rolle nicht als bloßes Vollstreckungsorgan verstanden, sondern sich ebenso als Schlichter betätigten. Nur 19 von 125 untersuchten Exekutionskommissionen endeten mit der Zwangsvollstreckung des Reichsgerichtsurteils, da Vergleichslösungen Vollstreckungen überflüssig machten. Der Modernisierung reichsstädtischer Verwaltung und die militärische Repression gegen Untertanenkonflikte bilden die weiteren Teile seiner Untersuchungen. Das Ergebnis der „Mikroanalyse“ des Verfassers bilden eine Vielzahl neuer Erkenntnisse. Eingewoben ist in die Darstellung immer wieder der Funktionsmechanismus zwischen Reichsinstitutionen, Kreisfürsten und betroffenen Kreisständen bei der Durchführung des Kommissionsauftrages durch den württembergischen Kommissionshof, wobei er ebenso das spannungsreiche Verhältnis zwischen Stuttgart und Wien diskutiert. In der dünnen Luft der Stabilisierungspolitik des Schwäbischen Kreises trifft man ebenso auf die Reichsstädte mit ihren unterschiedlichsten Krisensymptomen, die Fimpel anschaulich am Beispiel Buchhorns darstellt. Mit Recht kritisiert er den von Volker Press in die Diskussion über eine Reform des Verfassungslebens der reichsunmittelbaren Kommunen eingeführten Wertmaßstab „Alternative zur Mediatisierung“, an dem immer wieder die in den einzelnen schwäbischen Reichsstädten tätigen Untersuchungskommissionen gemessen werden. Auch in manch anderer Reichsstadt lässt sich nachweisen, dass die sorgfältigen und langwierigen Recherchen dieser Kommissionen - wenn auch nur vorübergehend - erfolgreich verliefen. Insbesondere wurde oftmals der drohende Bankrott des reichsstädtischen Haushalts vermieden und sogar eine Steigerung der kommunalen Einnahmen erzielt. Nicht zu übersehen ist aber gleichfalls, dass die in vielen Städten während des 17. und 18. Jahrhunderts auf die Initiative der Kommissionen hin eingerichteten Deputationen als bürgerschaftliche Kontrollinstanzen größtenteils versagten, indem sie selbst dem Prozess der Oligarchisierung nicht widerstanden. Abgeschlossen wird die bestechende Studie mit dem Fallbeispiel einer Kommission mit Militäreinsatz in der Herrschaft Fugger-Kirchheim. Aber nicht der Einsatz des Militärs war ausschlaggebend, sondern vielmehr die Fähigkeit der Subdelegationskommission, den Konflikt gewaltfrei zu lösen. Es ist das Verdienst des Autors, die oben knapp skizzierten Zusammenhänge erstmals anhand eines weit gefächerten Archivmaterials deutlich herausgearbeitet zu haben. Die Lektüre der Abhandlung ist durch die konzeptionellen, strukturgeschichtlichen und methodischen Überlegungen des Verfassers in hohem Maße anregend. Insgesamt handelt es sich um eine Darstellung, die über ihren regionalen Rahmen hinaus gebührende Beachtung verdient und zu weiteren vergleichenden Studien anzuregen vermag.
Heidelberg Klaus-Peter
Schroeder