SchottDiefranken20010209 Nr. 1163 ZRG 119 (2002) 20
Die Franken und
die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich“ (496/97), hg. v. Geuenich,
Der umfangreiche Band verdankt seine Entstehung einem
historischen Fixpunkt, der Schlacht von Zülpich, in der durch den Sieg der
Franken über die Alemannen die Weichen für das weitere Schicksal Europas
gestellt worden seien. Bekanntlich - hier mit Bedacht gebraucht - habe der
Frankenkönig Chlodwig vor der Schlacht gelobt, für den Fall des Sieges den
christlichen Glauben in der katholischen Bekenntnisform anzunehmen. Mit der
spektakulären Taufe zu Reims durch Bischof Remigius sei dann das Versprechen eingelöst
worden. Die 1500jährige Wiederkehr dieses angenommenen Ereignisses hat das Jahr
1996 zu einem „Chlodwig-Jahr“ werden lassen, aus dessen zahlreichen Aktivitäten
ein internationales wissenschaftliches Kolloquium in Reims, das sich sogar des
Besuches des Papstes erfreute, hier besonders erwähnt sei.
Auch die vorliegende Publikation, die 29 Einzelbeiträge
umfasst, ist aus einer wissenschaftlichen Tagung an „historischer Stätte“,
nämlich am Schlachtort Zülpich selbst, hervorgegangen. Die Anführungszeichen im
Buchtitel weisen indessen darauf hin, dass es sich bei dieser
„Entscheidungsschlacht“ durchaus nicht um eine gesicherte historische Tatsache
handelt. So macht der Herausgeber in seinem Beitrag „Chlodwigs
Alemannen-Schlacht(en) und Taufe“ (siehe bereits
Erweist sich also die „Schlacht von Zülpich“ als ein höchst
zweifelhafter Fixpunkt, so bleibt doch das Faktum, dass anfangs des 6.
Jahrhunderts die Alemannen auf Dauer unter fränkische Herrschaft gerieten und
dass die alemannische Geschichte damit in eine neue Phase trat. Diese Zäsur
bildet mehr oder weniger dann auch die obere Zeitgrenze des vorliegenden
Sammelbandes. Insgesamt wird hier in beachtlicher Weise der gegenwärtige
Forschungsstand vorgeführt, wie er aus historischer, archäologischer und
philologischer Perspektive resultiert. Die Gesamtthematik konzentriert
beziehungsweise kristallisiert sich um das Problem der Ethnogenese
im weitesten Sinne. Ein eigentlich rechtshistorischer Beitrag findet sich nicht
darunter. Das ist für die Alemannen durchaus verständlich, da die alemannischen
Rechtsquellen erst im 7. Jahrhundert mit dem Pactus
Alamannorum einsetzen. Weniger einsichtig ist diese Abstinenz für die Franken,
deren erste Lex - von Karl August Eckhardt auch als „Pactus“
bezeichnet - immerhin noch zu Lebzeiten Chlodwigs erlassen wurde und die doch
eine recht ausdrucksstarke Quelle darstellt. Man mag sich dieses Fehlen daraus
erklären, dass das Schwergewicht des Bandes eher im Bereich der alemannischen
Geschichte liegt, zumal die ersten Anregungen zu diesem Kolloquium vom
Alemannischen Institut in Freiburg im Breisgau ausgingen. Immerhin fällt dabei
gelegentlich auch etwas für die fränkische Rechtsgeschichte ab, so der von
Matthias Springer („Riparii - Ribuarier“)
erbrachte Nachweis, dass es einen fränkischen Teilstamm der Ribuarier
nie gegeben hat, sondern dass „Ribuarien“ eine aus
römischen Verhältnissen abgeleitete Bezeichnung für das Gebiet um Köln war.
Dazu ist festzustellen, dass sich die rechtshistorische Forschung dies
inzwischen längst zu eigen gemacht hat (vgl. Ruth Schmidt-Wiegand „Lex
Ribuaria“ in HRG 2, Berlin 1978, Sp. 1923). Springer stellt damit auch den
Entstehungszeitpunkt der Lex Ribuaria - 7. oder 8. Jahrhundert? - erneut zur
Diskussion, ohne sich jedoch letztlich für eine der bisher vorgeschlagenen
Datierungen entscheiden zu können.
Trotz der oben erwähnten, zeitlichen Quellenferne des
alemannischen Rechts unternimmt Ruth Schmidt-Wiegand den Versuch, zu
„Rechtsvorstellungen bei den Franken und Alemannen vor 500“ vorzustoßen. Der
Titel verspricht eine Aussage zu beiden Stämmen, konzentriert sich aber auf das
Recht der Alemannen, wobei die Lex Salica fallweise erklärend mitherangezogen
wird. Die Verfasserin richtet ihr Augenmerk auf die - wenigen - Glossen der mit
Sicherheit aus dem 8. Jahrhundert stammenden Lex Alamannorum, die gelegentlich
Wendungen wie „quod Alamanni
nasthait dicunt“ (was
die Alemannen Nesteleid = Zopfeid nennen) enthält und
setzt diese funktional mit den Malbergischen Glossen der Lex Salica gleich. Nun
mag es sein, dass diesen Sprachglossen des Alemannenrechts in einem
Rechtsverfahren, welcher Art auch immer ein solches gewesen sein mag, eine
formale Bedeutung zugekommen ist, aber lässt sich damit ein Rückschluss ins 5.
Jahrhundert (!) rechtfertigen? Die alemannischen Glossen des 8. Jahrhunderts
weisen ja doch im Gegensatz zu den Malbergischen Glossen bereits eine
althochdeutsche Prägung auf, und der ältere alemannische Pactus
des 7. Jahrhunderts kennt gerade keine solchen volkssprachigen Erwähnungen. Die
Verfasserin überbrückt die zeitliche Lücke durch Berufung auf den meist in
Handschriften zur Lex Baiuvariorum überlieferten
„Moyses-gentis-Prolog“, der eine Gesetzgebungsgeschichte des alemannischen und
des bayerischen Rechts bis zum Frankenkönig Teuderich
I. (511-532) bietet. Freilich wird dieser Prolog heute allgemein und fast
unwidersprochen als literarisches Werk des 8. Jahrhunderts angesehen, dessen
Verfasser eine Vorlage aus den Etymologien des Isidor von Sevilla fiktional mit
fränkischen Gesetzgebungsakten angereichert hat. Aber selbst wenn man hier für
einmal dem Moyses-gentis-Prolog historische Glaubwürdigkeit zubilligen will, so
ist damit für eine sprachliche Rückschlussmethode überhaupt nichts gewonnen.
Schmidt-Wiegand stellt ferner auf die zahlreichen Verweise der Lex Alamannorum
in der Form „sicut lex
habet“ (wie es das Recht bestimmt) ab, die keine Entsprechung in der Lex
scripta haben und daher als Hinweis auf mündliche
Rechtsgewohnheiten angesehen werden können. Auch dem ist zuzustimmen, jedoch
bleibt der Einwand, dass es sich hier um die Mündlichkeit des 8. Jahrhunderts
handelt, die über eine solche des 5. Jahrhunderts überhaupt nichts auszusagen
vermag. Die ganze Hypothese ist auf zu viele schwache Konstruktionen angewiesen,
als dass sie letztlich überzeugen und weiterführen könnte.
Schmidt-Wiegand versteht ihren Beitrag als „Versuch, von
den Leges barbarorum, den Stammes- oder
Volksrechten der fränkischen Kodifikationszeit, aus ein Bild von einer
archaischen Rechtskultur zu gewinnen, die in der Mündlichkeit lebte und allein
durch orale Tradition erhalten und weitergegeben worden ist“ (S. 545). Sie
scheint damit einen Gegensatz anzunehmen zwischen einer „vorkodifikatorischen“
oralen Phase und der „nachkodifikatorischen“ Zeit, in
der die Lex scripta galt und mit Hilfe eines
effizienten Gerichtsverfahrens für das alemannische Rechtsleben bestimmend war.
Die Verfasserin sieht sich damit in Opposition zu jenen Thesen, die angesichts
der Labilität und geringen materiellen Leistungsfähigkeit des gerichtlichen
Verfahrens weiterhin „archaische“ und „orale“ Zustände mit Rachereaktionen und
Befriedungsmechanismen außerhalb der Gerichtsbarkeit annehmen. Damit soll
letztlich die These gerettet werden, dass die erhaltenen lateinischen Leges-Texte den Volksgerichten als Subsumtionsgrundlage
gedient hätten und von diesen in neuzeitlicher Manier genutzt worden seien. Es
ist hier nicht der Ort, diesen Fragenkomplex neu aufzurollen. Man kann sich mit
der Feststellung begnügen, dass auch im 8. Jahrhundert „haisterahandi“
(bewaffneter Überfall), „mortaudo“ (Mordtötung), „hrevowunt“ (tödliche Verwundung), „balcbrust“
(Hautbruch), „pulislac“ (Beulenschlag) usw. nach
Ausweis der Lex zu den Tatbeständen gehörten, „qui
saepe solent contingere in populo“ (die
oft im Volke vorzukommen pflegen, LA 44). Dass all dies und vieles mehr auch
schon im 5. Jahrhundert zum alemannischen Alltag gehörte, darf man ohne Skrupel
annehmen, nur kann man die Glossen des 8. Jahrhunderts kaum als Beweis dafür
heranziehen.
Zürich Clausdieter
Schott