Rüthers20010503Blasius Nr. 10390 ZRG 119
(2002) 64
Blasius, Dirk,
Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich. Vandenhoeck &
Ruprecht, Göttingen 2001. 250 S. 1 Abb.
Über Carl Schmitt ist in den
letzten drei Jahrzehnten viel geschrieben worden. Es ist nahezu alles gesagt,
aber immer noch nicht von allen. Sein bewegtes Leben als ein bedeutender
„Jurist in drei Reichen“, vor allem aber seine Rolle in Hitlers Drittem Reich
zieht immer neue Autoren mit immer neuen Deutungsmustern an. Die einen sehen in
ihm den skrupellosen Anpassser an die jeweils Mächtigen, andere erklären sein
Verhalten aus seinem Katholizismus und einem daraus genuin zu erklärenden
Antisemitismus, wieder andere bewundern in Geburtstagsartikeln noch 1999 den
„Reichstheologen“ oder den „Kämpfer gegen den Antichrist“, den Sachwalter der
„konservativen Revolution“ und konservativen Revolutionär, den Repräsentanten
einer konservativ-autoritären Staatsidee. Dirk Blasius, Jahrgang 1941, Schüler von Theodor
Schieder und Wolfgang Mommsen, hat sich eine neue Erklärung
ausgesucht:
„Die Berufung
in den Preußischen Staatsrat durch Göring war für Schmitt ein Lebensereignis
von provokativer Antriebskraft. Hier liegt der Schlüssel für seinen Weg im
Dritten Reich.“(S. 14)
Das ganze Büchlein dient dem Verfasser
dazu, diese These zu rechtfertigen. Um es vorwegzunehmen: Ich halte sie, zumal
in der monokausalen Zuspitzung, mit der sie vorgetragen wird, für fragwürdig
bis falsch. Leben und Wirken Schmitts im Dritten Reich lassen sich monokausal
weder aus seiner Mitgliedschaft im Preußischen Staatsrat noch aus seiner
angeblichen tiefen Verwurzelung in preußischen Traditionen erklären.
Zum Staatsrat ernannt wurde Schmitt am
11. Juli 1933, seinem 45. Geburtstag. Zu verdanken hatte er diese Ehre dem
damaligen preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister Hermann Göring,
der sich mit der umfassenden Neubesetzung nach der Machtübernahme eine „Tribüne
der Regimetreuen“ (S. 94), wenn nicht der Regimehörigen schuf. Eilfertig
schrieb Schmitt in der Sonntagsausgabe des „Westdeutschen Beobachters“ vom 16.
Juli 1933 einen Dankartikel, in dem er den gegenwärtigen Preußischen Staatsrat
als eine Klammer zwischen „Reich und Preußen, Staat und nationalsozialistischer
Bewegung, Regierung und Volk“ feierte. Den Charakter und die Rechtsanschauung
seines Gönners und „Paten“ Göring hatte der so Geehrte aus einer öffentlichen
Rede desselben am 3. März 1933 in Frankfurt am Main entnehmen können, als er
sein Programm erläuterte, wie er die preußische Polizei „gegnerfrei“ zu machen
gedachte:
„Meine
Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche juristische
Bedenken ... Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu
vernichten und auszurotten, weiter nichts.“ (Göring, Reden und Aufsätze,
München 142, S. 27)
Am 11. März 1933 wurde Göring bei einer
öffentlichen Rede in Essen noch deutlicher:
„Wenn Sie
sagen, da und dort sei einer abgeholt oder mißhandelt worden, so kann man nur
erwidern: Wo gehobelt wird, fallen Späne... Ruft nicht soviel nach
Gerechtigkeit, es könnte sonst eine Gerechtigkeit geben, die in den Sternen
steht und nicht in euren Paragraphen!“(Zitiert bei Hohlfeld, Deutsche
Reichsgeschichte in: Dokumenten, Band IV, Berlin 1953, S. 25.)
Angesichts solcher wiederholter
öffentlicher Äußerungen der neuen Machthaber mußte dem Staatsrechtslehrer
Schmitt jedenfalls klar sein, unter welchen Leitgedanken er dieses ihn
angeblich als „Lebensereignis“ erfüllende Amt des preußischen Staatsrates
auszuüben haben würde. Jede denkbare weitere Unklarheit über die strategischen
Ziele dieses übernommenen Verfassungsorgans war dadurch ausgeschlossen, daß in
der Gruppe der „Staatsdiener von Amts wegen“ dem Staatsrat angehörten der
Stabschef der SA Röhm, der Reichsführer der SS Himmler, der
SS-Brigadeführer und Chef des Sicherheitsdienstes (SD) Heydrich, der
SA-Obergruppenführer Lutze sowie der Reichsorganisationsleiter der SA
und spätere Leiter der „Deutschen Arbeitsfront Dr. Ley. An der totalen
Rechtsverachtung dieser Spitzenfunktionäre des NS-Staates konnte angesichts
ihrer Worte und Taten vor und nach der Machtübernahme kein Zweifel bestehen
(vgl. dazu die Hinweise bei Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 5.Aufl. 1997,
S. 104ff.).
Unter den 68 Mitgliedern des neu
besetzten Staatsrates waren als Kirchenvertreter der Leiter des „Evangelischen
Kirchenbundes“ und spätere „Reichsbischof“ der „Deutschen Christen“ Müller
sowie der katholische Bischof von Osnabrück Berning. Über die unterwürfige Rolle Müllers erübrigt sich jedes Wort.
Berning gehörte zu der Gruppe der katholischen Bischöfe die nach der
Machtübernahme und mehr noch nach Abschluß des Konkordats im September 1933
öffentliche Treue- und Liebesbekenntnisse zum neuen Regime und zum
Führerprinzip ins Staat und Kirche ablegten (S. 116f.).
Es ist, auch wenn man mit dem Verfasser
ab 1932 („Preußenschlag“) eine politische Umorientierung Schmitts unterstellt,
nicht ganz leicht vorstellbar, daß Schmitt im Juli 1933 die Berufung in dieses
so zusammengesetzte Gremium als sein großes „Lebensereignis“ empfunden haben
sollte, wie Blasius meint. Angesichts der dort Versammelten wird sich
Schmitt - ungeachtet seines gehobenen Selbstwertgefühls, nunmehr ein
„Verfassungsorgan“ des neuen Staates zu sein - bei seinem Intelligenzgrad
gewisse Zweifel an der Seriösität dieser Gruppierung kaum versagt haben. Dazu
mag auch der sehr beschränkte Kompetenzbereich dieses „Staatsrates“ ohne
Entscheidungsbefugnisse beigetragen haben, der nur kurze Zeit praktische
Bedeutung hatte. Wie die sehr detaillierte Beschreibung der mit großem Pomp
inszenierten Neukonstitution bei Blasius (S. 94) zeigt, diente diese
Einrichtung unter ihrem Präsidenten Göring vor allem zwei Zwecken. Sie
befriedigte Görings von Anfang an stark ausgeprägten Hang nach operettenhafter,
prunkvoller Selbstdarstellung als Mittelpunkt eines vermeintlich erlesenen
Kreises prominenter und einflußreicher Persönlichkeiten. So ist auch das
protokollarische Gerangel mit dem Reichspräsidenten um den Ort der Neueröffnung
- Göring wünschte zunächst den „Weißen Saal“ des Berliner Schlosses, der Reichspräsident
lehnte das ab - zu verstehen. Zum anderen sollte mit dieser „historischen
Weihestunde“ (so titelte der „Völkische Beobachter“ den Bericht über die
Eröffnungsfeier) die große Tradition Preußens der Hitlerdiktatur zur Mehrung
ihres Ansehens dienstbar gemacht werden. Der Staatsrat wurde so zu einer
Analogie zum „Tag von Potsdam“ stilisiert.
Nach allem kann die Annahme von Blasius,
in der Ernennung zum preußischen Staatsrat liege „der Schlüssel“ für „Schmitts
Weg im Dritten Reich“, schwerlich überzeugen. Im Juli 1933 war Schmitt bereits seit Monaten eifrig engagiert bei der
Unterstützung der neuen Staatsführung. Seit März 1933 hatte er die Gesetzgebung
des NS-Staates zur Gleichschaltung der Länder maßgeblich beeinflußt. Am 1. Mai
1933 war er der NSDAP beigetreten. Er hatte eine ganze Reihe von
Propagandaartikeln für das Hitlerregime verfaßt, und zwar nicht nur in
Fachzeitschriften, sondern bevorzugt in dem von Robert Ley herausgegebenen
Kampfblatt der NSDAP „Westdeutscher Beobachter“, darunter auch solche mit üblen
Hetztiraden gegen vertriebene „Intellektuelle“, also in beträchtlicher Zahl
auch gegen ehemalige Kollegen, die er noch kurz zuvor eifrig hofiert hatte, wie
etwa Hans Kelsen.
Es war also nicht die Ernennung zum
Staatsrat in Preußen und durch Göring, die ihn zum eifrigen Verfechter des
diktatorischen Hitlerregimes gemacht hat. Das war er bereits, bevor er mit
dieser „Ehrung“ auch nur rechnen konnte. Damit soll nicht bestritten werden,
daß er dem Ruf seines Gönners Göring mit Begeisterung gefolgt ist, im
Gegenteil! Er wollte beim „Neubau des Reiches“ im Sinne der Führerdiktatur
Hitlers, wie sein gesamtes Verhalten nach 1933 zeigt, um offenbar jeden Preis
an führender Stelle dabei sein. Sein Interesse war auch nicht nur auf
wissenschaftliches Ansehen, sondern ebenso auf Machtgewinn im juristischen und
politischen Apparat des NS-Regimes gerichtet. Das zeigt die Fülle der Ämter und
Funktionen, die Schmitt unmittelbar nach dem Januar 1933 übernommen hat und die
vom Verfasser beschrieben werden. Er wollte möglichst weit vorn mitwirken. Die
Hektik von mehr als 50 (!) propagandistischen Publikationen allein in den drei
Jahren zwischen 1933 und 1936 sprechen, zusammen mit seinen politischen
Aktivitäten in mehreren Gremien für einen unbändigen Ehrgeiz und eine
vorbehaltlose, nicht selten auch skrupellose Anpassungsbereitschaft an die
NS-Machthaber. Sie hielt, wie seine Veröffentlichungen zeigen, bis zum bitteren
Ende an.
Dieser ungewöhnlich heftige und
bedenkenlose Einsatz Schmitts für das Hitlerregime hatte, entgegen der
Hauptthese des Verfassers, mehrere und differenziertere Gründe. Dabei fällt
auf, daß Schmitts Leben und Werk von einer ganzen Reihe seiner Biographen immer
wieder gern auf unterschiedliche monokausale Deutungen reduziert wird. ( „die
katholische Verschärfung“, seine „Reichstheologie“, der „Kampf gegen den
Antichrist“, sein „schrankenloser Opportunismus“, seine Geltungssucht, sein
national-konservatives, autoritäres Staatsbild, schließlich sein genuiner
katholisch bedingter Antisemitismus). Es ist schwer verständlich, warum gerade
nur eine dieser Ursachen das Denken
und Handeln Schmitts in einem bewegten Juristenleben mit mehrfachen Wechseln
gegensätzlicher politischer Systeme und Ideologien geprägt haben soll.
Der Autor Blasius hat sich einen unbefangenen Zugang zu seinem Thema
vielleicht auch dadurch verstellt, daß er, ausweislich seines
Literaturverzeichnisses, die Beiträge Schmitts aus der Zeit vor der
„Verfassungslehre“ von 1928 glaubte vernachlässigen oder doch insgesamt
geringer gewichten zu können. Außerdem hat er einen erheblichen Teil der
vorhandenen Schmitt-Literatur zu dessen Werk und Wirken als Jurist im NS-Staat
nicht berücksichtigt, sei es weil sie ihm unbekannt war, sei es, weil sie zu
seiner Deutung Schmitts im Widerspruch stand. Jedenfalls bleiben dem Autor und
damit auch dem unkundigen Leser auf diese Weise wichtige Fakten und
Zusammenhänge verborgen.
Schmitt hatte zwei „Lebensthemen“, die
ihn über alle Epochen und Systeme hinweg angezogen, ja fasziniert haben. Er war
ein romantischer Verehrer des Ausnahmezustandes und der Diktatur. Ihnen widmete
er nicht nur jene ihm wichtigen Werke, die das im Titel erkennen lassen, etwa
seine „Politische Romantik“ (1919), „Die Diktatur“ (1920) und seine „Politische
Theologie“ (1922). Sie beginnt übrigens mit dem bemerkenswerten Satz:
„Souverän ist,
wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“...
„Der Souverän
schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das
Monopol dieser letzten Entscheidung.“
Auf derselben Linie folgen seine Beiträge
„Römischer Katholizismus und politische Form“ (1923) , „Die
geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ (1923) sowie „Der
Begriff des Politischen“ (1927). Alle diese Publikationen waren konsequent entwickelte
Stationen auf dem Weg zu einem totalen Staat, der weder demokratische Rechte
noch liberale Freiheitsgarantien kannte:
„Diese
Notwendigkeit innerstaatlicher Befriedung führt in kritischen Situationen dazu,
daß der Staat als politische Einheit von sich aus, solange er besteht, auch den
inneren Feind bestimmt.“ (Der Begriff
des Politischen).
Das Staatsbild Schmitts blieb daher auch
angesichts der ersten Massenmorde Hitlers am 30. Juni 1934, als unter den
Ermordeten mit dem General von Schleicher und Edgar Jung, Klausener und
von Bredow nicht wenige
seiner politischen Weggenossen waren, völlig unverändert. Mit seinem gleichsam
noch an der Bahre der Gefährten konzipierten Aufsatz „Der Führer schützt das
Recht“ (DJZ 1934, Sp. 945f.) versuchte er , den Morden den Mantel einer
Heldentat in einem akuten Staatsnotstand umzuhängen, ihnen nachträglich eine
staatsrechtliche Rechtfertigung zu verschaffen:
„Der Führer
schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der
Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht
schafft...“ (!)
Diktatur und Ausnahmelage waren die
Faszinationen, denen Schmitt bereits in den ersten Jahren der Weimarer Republik
vorbehaltlos erlegen war. Der totalitäre Staat Hitlers bot ihm von Anfang an
beides, nämlich die schrankenlose Herrschaft des vermeintlich „gottgesandten“
(so der Rechtstheologe W. Schönfeld) Führers und den permanenten
Ausnahmezustand ohne jede verläßliche Rechtsgarantie, der das NS-Regime während
seiner gesamten Existenz kennzeichnete. Für Schmitt war dieser Staat mit seiner
vom Feindbild des „Weltjudentums“ geprägten Ideologie in vieler Hinsicht die
ideale Verwirklichung seiner staatstheoretischen Konzepte, die er schon in
Weimar entwickelt und verkündet hatte. Hier und nicht in seiner eher zufällig
und beiläufig erlangten Mitgliedschaft im Preußischen Staatsrat wird man -
neben seinem Ehrgeiz und seinem Machtstreben - einen der Hauptantriebe für sein
extremes Engagement beim Aufbau der neuen „völkischen Rechtsordnung“ im Dritten
Reich sehen dürfen.
Seine Mitgliedschaft im Preußischen
Staatsrat kann dagegen eher als eine - ihm sicher willkommene und
schmeichelhafte, aber für seine Grundeinstellung zum NS-Staat wenig bedeutende
- Beigabe gelten. Die Neukonstitution dieses Gremiums diente vor allem dem
eigentümlichen Bedürfnis Görings nach sorgfältig inszenierter
Selbstdarstellung. Dem entsprach der operettenhafte Pomp und die
psodopreußische Kulisse, mit welcher der für seine theatralischen Neigungen
bekannte spätere „Reichsmarschall“ die wenigen Auftritte des Staatsrats
auszustatten suchte. Das alles mag der Eitelkeit und dem Geltungsbedürfnis des
kleinen und schmächtigen C. Schmitt geschmeichelt haben. Es gab ihm, neben den
übrigen Ämtern und Funktionen sowie dem publizistischen Echo, das seine
Propagandaschriften für den Führerstaat fanden, das Gefühl des sozialen und
auch politischen Aufstiegs. Er war ganz in der Nähe und Gunst wenigstens eines
damals Mächtigsten angelangt, umgeben von Spitzenfunktionären der
NS-Oligarchie. Zudem verschaffte ihm diese Stellung die Chance, neben so
namhaften Figuren wie dem Vizekanzler von Papen, dem Reichsinnenminister Frick, dem preußischen Finanzminister Popitz,, den preußischen Ministern
Kerrl und Rust sowie dem „Reichsbauernführer“ Darré an der Erarbeitung
wichtiger Gesetze (Reichsstatthaltergesetz, Gemeindeverfassungsgesetz)
mitzuwirken.
Die Vorstellung jedoch, speziell seine
Berufung in den Preußischen Staatsrat sei die Erfüllung seiner Lebensträume
gewesen und habe „das Gesetz der nationalsozialistischen Bewegung zum
Grundgesetz seiner politischen Existenz werden lassen“ (Blasius S. 108) greift wohl in jeder Hinsicht zu weit. Als Schmitt
von Göring berufen wurde, hatte er sich längst ganz „auf den Boden der neuen
Tatsachen“ gestellt . Ein Blick auf die Liste seiner Publikationen in den
ersten Monaten nach der Nachtübernahme läßt daran kaum einen Zweifel.
Der Staatsrat war für ihn eine angenehme
ornamentale Applikation und eine Anerkennung seiner bis dahin erbrachten
Leistungen für das neue Regime, nicht mehr. Der reale politische Einfluß des
Staatsrates tendierte schon bald nach dessen Neukonstitution am 15. September
1933 gegen Null. Der Verfasser bestätigt das indirekt mit seinem 5. Abschnitt
über „Carl Schmitt im Preußischen Staatsrat“ (S. 104–112). Die Mitarbeit am
(ersten) Reichsstatthaltergesetz vom 7. April 1933 , geändert am 25. April
1933, war zu diesem Zeitpunkt bereits beendet. Im Staatsrat hat Schmitt dann
nur noch an den Beratungen zum Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933
maßgeblich mitgewirkt. Ansonsten schrieb er einen Kommentar zum
Reichsstatthaltergesetz (Berlin 1933) und seine Ansichten über „Die Bedeutung
des neuen Staatsrates“ (im „Westdeutschen Beobachter“ vom 23. Juli 1933). Der
Verfasser meint zu seiner Mitwirkung am Reichsstatthaltergesetz (außerhalb
seiner Mitgliedschaft im Staatsrat!), Schmitt habe hier an einer
Strukturentscheidung von großer Bedeutung für den weiteren Ausbau der
NS-Herrschaft mitgewirkt (S. 82).
Auch wenn man das als zutreffend
unterstellt, wird damit die These von der entscheidenden Prägung Schmitts durch
die Berufung zum Staatsrat in Preußen eher in Zweifel gezogen als unterstützt.
Seine Mitgliedschaft dort, die erst Monate später kam, hatte zwar die angenehme
Folge, ihm eine Menge neuer Kontakte zu einflußreichen Personen in den
Führungskadern des Regimes zu verschaffen. Er konnte dort auch mit seiner
Rhetorik brillieren. Aber dieser äußere Glanz war für ihn nur ein Mittel zum
Zweck. Schmitt strebte im Dritten Reich, sobald er den Aufwind des „Aufbruchs“
1933 verspürte, höhere Ziele an. Seine Aktivitäten lagen auch 1933/34 ganz
überwiegend außerhalb seiner Mitwirkung im Staatsrat. So publizierte er etwa in
diesen zwei Jahren (!) nicht weniger als acht
Monographien und sechsunddreißig Aufsätze
in Zeitschriften und Tageszeitungen, die sämtlich den Interessen der neuen
Machthaber dienten. Seine Bemühungen, das NS-Regime und seiner
rechtspolitischen Ziele zu unterstützen, erstreckten sich auf alle
Rechtsgebiete. So stellte er etwa dem rechtsstaatlichen Grundsatz des
Strafrechts „nulla poena sine lege!“ einen neuen „nationalsozialistischen
Gerechtigkeitssatz“ entgegen, der lautete „nullum crimen sine poena“ (JW 1934,
713).
Bezeichnenderweise stürzte Schmitt mit
seinen politischen Ambitionen nicht bereits 1933/34, als er mit großem Eifer
die ersten Erfolge seines literarischen wie politischen Engagements für die
Hitlerdiktatur erntete, sondern erst im Herbst 1936 nach der von ihm
organisierten Tagung gegen das Judentum in der deutschen Rechtswissenschaft,
weil mißgünstige Kollegen fürchteten, er könne die Nachfolge Schlegelbergers
als Staatssekretär im Reichsjustizministerium antreten. Das war für seine
Neider denn doch zu viel. Einer seiner Hauptgegner war übrigens - Kollegenneid
ist eine verläßliche Realität - sein junger Staatsrechtskollege Reinhard Höhn,
Organisator des Sicherheitsdienstes der SS in einer Spitzenstellung des
Reichssicherheitshauptamtes. Er hatte, gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen
(Eckhardt und Koellreutter), den schnellen Aufstieg des nationalsozialistischen
Spätkonvertiten Schmitt (Parteieintritt 1. Mai 1933) in der NS-Juristenelite
seit längerem mißtrauisch beobachtet und Material gegen ihn gesammelt.
Die Hauptthese des Buches von Blasius
erweist sich also als mindestens zweifelhaft. Der schwache Punkt ist, wie bei
allen anderen monokausalen Erklärungsversuchen der Rolle Schmitts im NS-Staat,
die Verabsolutierung eines Teilaspekts. Schmitt wird dabei jeweils als eine
quasi einmalige personale Ausnahme aufgefaßt. Nur in diesem Vorverständnis kann
er dann zum Katechon oder zum Reichstheologen, zum konservativen Revolutionär
oder zum erzkatholischen, genuinen Antisemiten, zum schrankenlosen
Opportunisten oder Nationalisten werden.
Dabei wird übersehen oder verdrängt, daß
er vielleicht nur die repräsentative Spitze, der ausgeprägte Vertreter einer
großen Gruppe seiner Generation war, die von der Morbidität und
Zukunftsunfähigkeit der Weimarer Republik in ihrer Endphase, etwa seit 1928,
zutiefst überzeugt war. Weder mit seiner Verzweiflung an Weimar noch mit seiner
Neigung zu einem autoritären Führerstaat noch mit seiner Anpassungsbereitschaft
an die neuen Machthaber und ihre makabre Weltanschauung war Schmitt 1933 eine
Ausnahmeerscheinung. Eine ganze Generation der Führungsstäbe aller öffentlich
tätigen Berufe verhielt sich zu einem erheblichen Teil ähnlich. Die
Unterschiede ergaben sich innerhalb dieser Gruppe der Anpassungsbereiten im
wesentlichen aus der Differenz der intellektuellen Begabungen und des Zugangs
zu den neuen Machthabern. Schmitt und einige seiner Kollegen in allen
Disziplinen wußten erfolgreich mit ihren Pfunden wissenschaftlicher Reputation
zu wuchern. Der preußische Staatsrat war eines der Nebenprodukte. Die genannten
übrigen Faktoren, welche seine „Sozialisationskohorte“ unter den Juristen wie
unter den übrigen bürgerlichen Wissenschaftlern aller Disziplinen prägten,
spielten eine mindestens gleichgewichtige Rolle.
Einen Hinweis verdient noch die nicht
selten blumige, bisweilen auch gestelzte oder geschwollene Sprache des Buches.
Im Vorwort betont der Autor, seine Studie entziehe sich dem „Kuß des
Vergessens“. Oder: Schmitt sei ein „Gelehrter von hoher Tatbereitschaft und
–leidenschaft“ (S. 11). Er habe sich während der Weimarer Zeit „in der
Strömungsmitte seines Fachs“ bewegt (S. 16), was man auch inhaltlich bezweifeln
darf. Er sei in seiner „Verfassungslehre“ der „Anwalt“ und der „Richter der
preußischen Geschichte“ gewesen (S. 19). Die Verehrer der echten preußischen
Tugenden, von denen Schmitt wenig erkennen ließ, werden dieses Urteil kaum
teilen. Der preußische Verfassungskonflikt von 1862 (man lese dazu von F.
Lassalle „Über Verfassungswesen“!) sei für Schmitt immer „die Drehachse der
deutschen Geschichte“ gewesen (S. 20). Der „Preußenschlag“ Papens am 20. Juli
1932, an dem Schmitt als Staatsrechtler maßgeblich mitwirkte, habe diesen „auf
die Seite der nationalsozialistischen Bewegung verschlagen“ (S. 31). Schmitt
sei seit dem 20. Juli 1932 „der Protagonist der „nationalsozialistischen
Aufbruchsgesellschaft“ gewesen (S. 90), - also doch nicht erst seit seiner
Berufung in den Preußischen Staatsrat?! Richtig ist, daß er sofort nach der
Machtübernahme „zum beredtsten Kommentator des nationalsozialistischen
Führerstaates“ wurde (S. 93). Vielleicht ist der Verfasser mit seiner Deutung,
Schmitt sei seinen Weg im NS-Staat primär wegen seiner Mitgliedschaft im
Preußischen Staatsrat gegangen, der Sugggestion seiner eigenen Formulierungen
und der überzogenen Gewichtung der preußischen Geschichte im Denken Schmitts
erlegen. Nach Blasius war für Schmitt die verflossene preußische
Geschichte „das Kleinode seiner Seele“ (S. 73).
Neben die bereits zahlreich vorhandenen
wird hier also eine neue Deutung, vielleicht besser: Legende gestellt, wie
Leben und Werk C. Schmitts zu lesen und zu verstehen seien. Die Zweifel an
dieser Konstruktion habe ich anzudeuten versucht. Bisher haben sich alle
monokausalen Erklärungsversuche als fragwürdig erwiesen. Die „Preußenlegende“
von Blasius macht da keine Ausnahme. Das Verhalten der anpassungsbereiten
deutschen Juristen, speziell der Staatsrechtslehrer, nach dem Januar 1933 war
mit mehr als vierzigjähriger Verspätung jüngst das Thema einer Tagung der
Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer (vgl. den Tagungsbericht von Langenfeld in Heft 4 der JZ 2001,
185ff.). Schmitt und seine Schule gehörten zu jener Gruppe, die sich
vorbehaltlos dem neuen Regime verschrieb.. Das hatte viele Gründe. Die
Fehldeutung beginnt vielleicht schon, wenn man allzu individuelle Motive
unterstellt, wo es in Wahrheit, wie das Gruppenverhalten der Beteiligten zeigt,
primär eher um ein kollektives Phänomen, nämlich das Einschwenken einer
„Sozialisationskohorte“ national-konservativ geprägter akademischer Eliten auf
ein etabliertes autoritäres Regime geht, das zudem noch beträchtliche Karrierechancen
zu bieten hatte.
Ungeachtet der vorstehenden Kritik im
Grundsätzlichen habe ich das Buch von Blasius mit Interesse und Gewinn
gelesen. Es enthält zwar im Bereich der Faktendarstellung nichts wesentlich
Neues. Das ist angesichts der zahlreichen vorhandenen Einzeluntersuchungen
nicht verwunderlich. Gleichwohl schildert der Verfasser in den einzelnen
Kapiteln äußerst anschaulich und lebendig Zusammenhänge, die, trotz der
bekannten Fakten, manche Vorgänge, etwa die Ereignisse zum Ende der Weimarer Republik
(S. 15ff.) oder „das Jubeln der Eliten“ nach dem 30. Januar 1933 (S. 71ff.)
oder Schmitts „Großraum“-Engagement noch während des Krieges gegen die
Sowjetunion besonders plastisch hervortreten lassen. Blasius hat sich, anders als andere
Schmitt–Biographen, sein nüchtern-distanziertes Urteil über seinen „Helden“
trotz intensiver Beschäftigung mit dem umfangreichen Stoff nicht trüben lassen.
Daß er dabei manches als neu zu entdecken glaubt, was in der einschlägigen
Literatur bereits seit längerem bekannt ist, mag an der in Deutschland immer
noch ausgeprägten Isolation der einzelnen Wissensdisziplinen zu ihren
Nachbarfächern liegen.
Konstanz Bernd
Rüthers