Rüthers20010503Blasius Nr. 10390 ZRG 119 (2002) 64

 

 

Blasius, Dirk, Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. 250 S. 1 Abb.

 

Über Carl Schmitt ist in den letzten drei Jahrzehnten viel geschrieben worden. Es ist nahezu alles gesagt, aber immer noch nicht von allen. Sein bewegtes Leben als ein bedeutender „Jurist in drei Reichen“, vor allem aber seine Rolle in Hitlers Drittem Reich zieht immer neue Autoren mit immer neuen Deutungsmustern an. Die einen sehen in ihm den skrupellosen Anpassser an die jeweils Mächtigen, andere erklären sein Verhalten aus seinem Katholizismus und einem daraus genuin zu erklärenden Antisemitismus, wieder andere bewundern in Geburtstagsartikeln noch 1999 den „Reichstheologen“ oder den „Kämpfer gegen den Antichrist“, den Sachwalter der „konservativen Revolution“ und konservativen Revolutionär, den Repräsentanten einer konservativ-autoritären Staatsidee. Dirk Blasius, Jahrgang 1941, Schüler von Theodor Schieder und Wolfgang Mommsen, hat sich eine neue Erklärung ausgesucht:

„Die Berufung in den Preußischen Staatsrat durch Göring war für Schmitt ein Lebensereignis von provokativer Antriebskraft. Hier liegt der Schlüssel für seinen Weg im Dritten Reich.“(S. 14)

Das ganze Büchlein dient dem Verfasser dazu, diese These zu rechtfertigen. Um es vorwegzunehmen: Ich halte sie, zumal in der monokausalen Zuspitzung, mit der sie vorgetragen wird, für fragwürdig bis falsch. Leben und Wirken Schmitts im Dritten Reich lassen sich monokausal weder aus seiner Mitgliedschaft im Preußischen Staatsrat noch aus seiner angeblichen tiefen Verwurzelung in preußischen Traditionen erklären.

Zum Staatsrat ernannt wurde Schmitt am 11. Juli 1933, seinem 45. Geburtstag. Zu verdanken hatte er diese Ehre dem damaligen preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister Hermann Göring, der sich mit der umfassenden Neubesetzung nach der Machtübernahme eine „Tribüne der Regimetreuen“ (S. 94), wenn nicht der Regimehörigen schuf. Eilfertig schrieb Schmitt in der Sonntagsausgabe des „Westdeutschen Beobachters“ vom 16. Juli 1933 einen Dankartikel, in dem er den gegenwärtigen Preußischen Staatsrat als eine Klammer zwischen „Reich und Preußen, Staat und nationalsozialistischer Bewegung, Regierung und Volk“ feierte. Den Charakter und die Rechtsanschauung seines Gönners und „Paten“ Göring hatte der so Geehrte aus einer öffentlichen Rede desselben am 3. März 1933 in Frankfurt am Main entnehmen können, als er sein Programm erläuterte, wie er die preußische Polizei „gegnerfrei“ zu machen gedachte:

„Meine Maßnahmen werden nicht angekränkelt sein durch irgendwelche juristische Bedenken ... Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts.“ (Göring, Reden und Aufsätze, München 142, S. 27)

 

Am 11. März 1933 wurde Göring bei einer öffentlichen Rede in Essen noch deutlicher:

„Wenn Sie sagen, da und dort sei einer abgeholt oder mißhandelt worden, so kann man nur erwidern: Wo gehobelt wird, fallen Späne... Ruft nicht soviel nach Gerechtigkeit, es könnte sonst eine Gerechtigkeit geben, die in den Sternen steht und nicht in euren Paragraphen!“(Zitiert bei Hohlfeld, Deutsche Reichsgeschichte in: Dokumenten, Band IV, Berlin 1953, S. 25.)

Angesichts solcher wiederholter öffentlicher Äußerungen der neuen Machthaber mußte dem Staatsrechtslehrer Schmitt jedenfalls klar sein, unter welchen Leitgedanken er dieses ihn angeblich als „Lebensereignis“ erfüllende Amt des preußischen Staatsrates auszuüben haben würde. Jede denkbare weitere Unklarheit über die strategischen Ziele dieses übernommenen Verfassungsorgans war dadurch ausgeschlossen, daß in der Gruppe der „Staatsdiener von Amts wegen“ dem Staatsrat angehörten der Stabschef der SA Röhm, der Reichsführer der SS Himmler, der SS-Brigadeführer und Chef des Sicherheitsdienstes (SD) Heydrich, der SA-Obergruppenführer Lutze sowie der Reichsorganisationsleiter der SA und spätere Leiter der „Deutschen Arbeitsfront Dr. Ley. An der totalen Rechtsverachtung dieser Spitzenfunktionäre des NS-Staates konnte angesichts ihrer Worte und Taten vor und nach der Machtübernahme kein Zweifel bestehen (vgl. dazu die Hinweise bei Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 5.Aufl. 1997, S. 104ff.).

Unter den 68 Mitgliedern des neu besetzten Staatsrates waren als Kirchenvertreter der Leiter des „Evangelischen Kirchenbundes“ und spätere „Reichsbischof“ der „Deutschen Christen“ Müller sowie der katholische Bischof von Osnabrück Berning. Über die unterwürfige Rolle Müllers erübrigt sich jedes Wort. Berning gehörte zu der Gruppe der katholischen Bischöfe die nach der Machtübernahme und mehr noch nach Abschluß des Konkordats im September 1933 öffentliche Treue- und Liebesbekenntnisse zum neuen Regime und zum Führerprinzip ins Staat und Kirche ablegten (S. 116f.).

Es ist, auch wenn man mit dem Verfasser ab 1932 („Preußenschlag“) eine politische Umorientierung Schmitts unterstellt, nicht ganz leicht vorstellbar, daß Schmitt im Juli 1933 die Berufung in dieses so zusammengesetzte Gremium als sein großes „Lebensereignis“ empfunden haben sollte, wie Blasius meint. Angesichts der dort Versammelten wird sich Schmitt - ungeachtet seines gehobenen Selbstwertgefühls, nunmehr ein „Verfassungsorgan“ des neuen Staates zu sein - bei seinem Intelligenzgrad gewisse Zweifel an der Seriösität dieser Gruppierung kaum versagt haben. Dazu mag auch der sehr beschränkte Kompetenzbereich dieses „Staatsrates“ ohne Entscheidungsbefugnisse beigetragen haben, der nur kurze Zeit praktische Bedeutung hatte. Wie die sehr detaillierte Beschreibung der mit großem Pomp inszenierten Neukonstitution bei Blasius (S. 94) zeigt, diente diese Einrichtung unter ihrem Präsidenten Göring vor allem zwei Zwecken. Sie befriedigte Görings von Anfang an stark ausgeprägten Hang nach operettenhafter, prunkvoller Selbstdarstellung als Mittelpunkt eines vermeintlich erlesenen Kreises prominenter und einflußreicher Persönlichkeiten. So ist auch das protokollarische Gerangel mit dem Reichspräsidenten um den Ort der Neueröffnung - Göring wünschte zunächst den „Weißen Saal“ des Berliner Schlosses, der Reichspräsident lehnte das ab - zu verstehen. Zum anderen sollte mit dieser „historischen Weihestunde“ (so titelte der „Völkische Beobachter“ den Bericht über die Eröffnungsfeier) die große Tradition Preußens der Hitlerdiktatur zur Mehrung ihres Ansehens dienstbar gemacht werden. Der Staatsrat wurde so zu einer Analogie zum „Tag von Potsdam“ stilisiert.

Nach allem kann die Annahme von Blasius, in der Ernennung zum preußischen Staatsrat liege „der Schlüssel“ für „Schmitts Weg im Dritten Reich“, schwerlich überzeugen. Im Juli 1933 war Schmitt  bereits seit Monaten eifrig engagiert bei der Unterstützung der neuen Staatsführung. Seit März 1933 hatte er die Gesetzgebung des NS-Staates zur Gleichschaltung der Länder maßgeblich beeinflußt. Am 1. Mai 1933 war er der NSDAP beigetreten. Er hatte eine ganze Reihe von Propagandaartikeln für das Hitlerregime verfaßt, und zwar nicht nur in Fachzeitschriften, sondern bevorzugt in dem von Robert Ley herausgegebenen Kampfblatt der NSDAP „Westdeutscher Beobachter“, darunter auch solche mit üblen Hetztiraden gegen vertriebene „Intellektuelle“, also in beträchtlicher Zahl auch gegen ehemalige Kollegen, die er noch kurz zuvor eifrig hofiert hatte, wie etwa Hans Kelsen.

Es war also nicht die Ernennung zum Staatsrat in Preußen und durch Göring, die ihn zum eifrigen Verfechter des diktatorischen Hitlerregimes gemacht hat. Das war er bereits, bevor er mit dieser „Ehrung“ auch nur rechnen konnte. Damit soll nicht bestritten werden, daß er dem Ruf seines Gönners Göring mit Begeisterung gefolgt ist, im Gegenteil! Er wollte beim „Neubau des Reiches“ im Sinne der Führerdiktatur Hitlers, wie sein gesamtes Verhalten nach 1933 zeigt, um offenbar jeden Preis an führender Stelle dabei sein. Sein Interesse war auch nicht nur auf wissenschaftliches Ansehen, sondern ebenso auf Machtgewinn im juristischen und politischen Apparat des NS-Regimes gerichtet. Das zeigt die Fülle der Ämter und Funktionen, die Schmitt unmittelbar nach dem Januar 1933 übernommen hat und die vom Verfasser beschrieben werden. Er wollte möglichst weit vorn mitwirken. Die Hektik von mehr als 50 (!) propagandistischen Publikationen allein in den drei Jahren zwischen 1933 und 1936 sprechen, zusammen mit seinen politischen Aktivitäten in mehreren Gremien für einen unbändigen Ehrgeiz und eine vorbehaltlose, nicht selten auch skrupellose Anpassungsbereitschaft an die NS-Machthaber. Sie hielt, wie seine Veröffentlichungen zeigen, bis zum bitteren Ende an.

Dieser ungewöhnlich heftige und bedenkenlose Einsatz Schmitts für das Hitlerregime hatte, entgegen der Hauptthese des Verfassers, mehrere und differenziertere Gründe. Dabei fällt auf, daß Schmitts Leben und Werk von einer ganzen Reihe seiner Biographen immer wieder gern auf unterschiedliche monokausale Deutungen reduziert wird. ( „die katholische Verschärfung“, seine „Reichstheologie“, der „Kampf gegen den Antichrist“, sein „schrankenloser Opportunismus“, seine Geltungssucht, sein national-konservatives, autoritäres Staatsbild, schließlich sein genuiner katholisch bedingter Antisemitismus). Es ist schwer verständlich, warum gerade nur eine dieser Ursachen das Denken und Handeln Schmitts in einem bewegten Juristenleben mit mehrfachen Wechseln gegensätzlicher politischer Systeme und Ideologien geprägt haben soll.

Der Autor Blasius hat sich einen unbefangenen Zugang zu seinem Thema vielleicht auch dadurch verstellt, daß er, ausweislich seines Literaturverzeichnisses, die Beiträge Schmitts aus der Zeit vor der „Verfassungslehre“ von 1928 glaubte vernachlässigen oder doch insgesamt geringer gewichten zu können. Außerdem hat er einen erheblichen Teil der vorhandenen Schmitt-Literatur zu dessen Werk und Wirken als Jurist im NS-Staat nicht berücksichtigt, sei es weil sie ihm unbekannt war, sei es, weil sie zu seiner Deutung Schmitts im Widerspruch stand. Jedenfalls bleiben dem Autor und damit auch dem unkundigen Leser auf diese Weise wichtige Fakten und Zusammenhänge verborgen.

Schmitt hatte zwei „Lebensthemen“, die ihn über alle Epochen und Systeme hinweg angezogen, ja fasziniert haben. Er war ein romantischer Verehrer des Ausnahmezustandes und der Diktatur. Ihnen widmete er nicht nur jene ihm wichtigen Werke, die das im Titel erkennen lassen, etwa seine „Politische Romantik“ (1919), „Die Diktatur“ (1920) und seine „Politische Theologie“ (1922). Sie beginnt übrigens mit dem bemerkenswerten Satz:

„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“...

„Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung.“

Auf derselben Linie folgen seine Beiträge „Römischer Katholizismus und politische Form“ (1923) , „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ (1923) sowie „Der Begriff des Politischen“ (1927). Alle diese Publikationen waren konsequent entwickelte Stationen auf dem Weg zu einem totalen Staat, der weder demokratische Rechte noch liberale Freiheitsgarantien kannte:

„Diese Notwendigkeit innerstaatlicher Befriedung führt in kritischen Situationen dazu, daß der Staat als politische Einheit von sich aus, solange er besteht, auch den inneren Feind bestimmt.“ (Der Begriff des Politischen).

Das Staatsbild Schmitts blieb daher auch angesichts der ersten Massenmorde Hitlers am 30. Juni 1934, als unter den Ermordeten mit dem General von Schleicher und Edgar Jung, Klausener und von Bredow nicht wenige seiner politischen Weggenossen waren, völlig unverändert. Mit seinem gleichsam noch an der Bahre der Gefährten konzipierten Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“ (DJZ 1934, Sp. 945f.) versuchte er , den Morden den Mantel einer Heldentat in einem akuten Staatsnotstand umzuhängen, ihnen nachträglich eine staatsrechtliche Rechtfertigung zu verschaffen:

„Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft...“ (!)

Diktatur und Ausnahmelage waren die Faszinationen, denen Schmitt bereits in den ersten Jahren der Weimarer Republik vorbehaltlos erlegen war. Der totalitäre Staat Hitlers bot ihm von Anfang an beides, nämlich die schrankenlose Herrschaft des vermeintlich „gottgesandten“ (so der Rechtstheologe W. Schönfeld) Führers und den permanenten Ausnahmezustand ohne jede verläßliche Rechtsgarantie, der das NS-Regime während seiner gesamten Existenz kennzeichnete. Für Schmitt war dieser Staat mit seiner vom Feindbild des „Weltjudentums“ geprägten Ideologie in vieler Hinsicht die ideale Verwirklichung seiner staatstheoretischen Konzepte, die er schon in Weimar entwickelt und verkündet hatte. Hier und nicht in seiner eher zufällig und beiläufig erlangten Mitgliedschaft im Preußischen Staatsrat wird man - neben seinem Ehrgeiz und seinem Machtstreben - einen der Hauptantriebe für sein extremes Engagement beim Aufbau der neuen „völkischen Rechtsordnung“ im Dritten Reich sehen dürfen.

Seine Mitgliedschaft im Preußischen Staatsrat kann dagegen eher als eine - ihm sicher willkommene und schmeichelhafte, aber für seine Grundeinstellung zum NS-Staat wenig bedeutende - Beigabe gelten. Die Neukonstitution dieses Gremiums diente vor allem dem eigentümlichen Bedürfnis Görings nach sorgfältig inszenierter Selbstdarstellung. Dem entsprach der operettenhafte Pomp und die psodopreußische Kulisse, mit welcher der für seine theatralischen Neigungen bekannte spätere „Reichsmarschall“ die wenigen Auftritte des Staatsrats auszustatten suchte. Das alles mag der Eitelkeit und dem Geltungsbedürfnis des kleinen und schmächtigen C. Schmitt geschmeichelt haben. Es gab ihm, neben den übrigen Ämtern und Funktionen sowie dem publizistischen Echo, das seine Propagandaschriften für den Führerstaat fanden, das Gefühl des sozialen und auch politischen Aufstiegs. Er war ganz in der Nähe und Gunst wenigstens eines damals Mächtigsten angelangt, umgeben von Spitzenfunktionären der NS-Oligarchie. Zudem verschaffte ihm diese Stellung die Chance, neben so namhaften Figuren wie dem Vizekanzler von Papen, dem Reichsinnenminister Frick, dem preußischen Finanzminister Popitz,, den preußischen Ministern Kerrl und Rust sowie dem „Reichsbauernführer“ Darré an der Erarbeitung wichtiger Gesetze (Reichsstatthaltergesetz, Gemeindeverfassungsgesetz) mitzuwirken.

Die Vorstellung jedoch, speziell seine Berufung in den Preußischen Staatsrat sei die Erfüllung seiner Lebensträume gewesen und habe „das Gesetz der nationalsozialistischen Bewegung zum Grundgesetz seiner politischen Existenz werden lassen“ (Blasius S. 108) greift wohl in jeder Hinsicht zu weit. Als Schmitt von Göring berufen wurde, hatte er sich längst ganz „auf den Boden der neuen Tatsachen“ gestellt . Ein Blick auf die Liste seiner Publikationen in den ersten Monaten nach der Nachtübernahme läßt daran kaum einen Zweifel.

Der Staatsrat war für ihn eine angenehme ornamentale Applikation und eine Anerkennung seiner bis dahin erbrachten Leistungen für das neue Regime, nicht mehr. Der reale politische Einfluß des Staatsrates tendierte schon bald nach dessen Neukonstitution am 15. September 1933 gegen Null. Der Verfasser bestätigt das indirekt mit seinem 5. Abschnitt über „Carl Schmitt im Preußischen Staatsrat“ (S. 104–112). Die Mitarbeit am (ersten) Reichsstatthaltergesetz vom 7. April 1933 , geändert am 25. April 1933, war zu diesem Zeitpunkt bereits beendet. Im Staatsrat hat Schmitt dann nur noch an den Beratungen zum Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 maßgeblich mitgewirkt. Ansonsten schrieb er einen Kommentar zum Reichsstatthaltergesetz (Berlin 1933) und seine Ansichten über „Die Bedeutung des neuen Staatsrates“ (im „Westdeutschen Beobachter“ vom 23. Juli 1933). Der Verfasser meint zu seiner Mitwirkung am Reichsstatthaltergesetz (außerhalb seiner Mitgliedschaft im Staatsrat!), Schmitt habe hier an einer Strukturentscheidung von großer Bedeutung für den weiteren Ausbau der NS-Herrschaft mitgewirkt (S. 82).

Auch wenn man das als zutreffend unterstellt, wird damit die These von der entscheidenden Prägung Schmitts durch die Berufung zum Staatsrat in Preußen eher in Zweifel gezogen als unterstützt. Seine Mitgliedschaft dort, die erst Monate später kam, hatte zwar die angenehme Folge, ihm eine Menge neuer Kontakte zu einflußreichen Personen in den Führungskadern des Regimes zu verschaffen. Er konnte dort auch mit seiner Rhetorik brillieren. Aber dieser äußere Glanz war für ihn nur ein Mittel zum Zweck. Schmitt strebte im Dritten Reich, sobald er den Aufwind des „Aufbruchs“ 1933 verspürte, höhere Ziele an. Seine Aktivitäten lagen auch 1933/34 ganz überwiegend außerhalb seiner Mitwirkung im Staatsrat. So publizierte er etwa in diesen zwei Jahren (!) nicht weniger als acht Monographien und sechsunddreißig Aufsätze in Zeitschriften und Tageszeitungen, die sämtlich den Interessen der neuen Machthaber dienten. Seine Bemühungen, das NS-Regime und seiner rechtspolitischen Ziele zu unterstützen, erstreckten sich auf alle Rechtsgebiete. So stellte er etwa dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Strafrechts „nulla poena sine lege!“ einen neuen „nationalsozialistischen Gerechtigkeitssatz“ entgegen, der lautete „nullum crimen sine poena“ (JW 1934, 713).

Bezeichnenderweise stürzte Schmitt mit seinen politischen Ambitionen nicht bereits 1933/34, als er mit großem Eifer die ersten Erfolge seines literarischen wie politischen Engagements für die Hitlerdiktatur erntete, sondern erst im Herbst 1936 nach der von ihm organisierten Tagung gegen das Judentum in der deutschen Rechtswissenschaft, weil mißgünstige Kollegen fürchteten, er könne die Nachfolge Schlegelbergers als Staatssekretär im Reichsjustizministerium antreten. Das war für seine Neider denn doch zu viel. Einer seiner Hauptgegner war übrigens - Kollegenneid ist eine verläßliche Realität - sein junger Staatsrechtskollege Reinhard Höhn, Organisator des Sicherheitsdienstes der SS in einer Spitzenstellung des Reichssicherheitshauptamtes. Er hatte, gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen (Eckhardt und Koellreutter), den schnellen Aufstieg des nationalsozialistischen Spätkonvertiten Schmitt (Parteieintritt 1. Mai 1933) in der NS-Juristenelite seit längerem mißtrauisch beobachtet und Material gegen ihn gesammelt.

Die Hauptthese des Buches von Blasius erweist sich also als mindestens zweifelhaft. Der schwache Punkt ist, wie bei allen anderen monokausalen Erklärungsversuchen der Rolle Schmitts im NS-Staat, die Verabsolutierung eines Teilaspekts. Schmitt wird dabei jeweils als eine quasi einmalige personale Ausnahme aufgefaßt. Nur in diesem Vorverständnis kann er dann zum Katechon oder zum Reichstheologen, zum konservativen Revolutionär oder zum erzkatholischen, genuinen Antisemiten, zum schrankenlosen Opportunisten oder Nationalisten werden.

Dabei wird übersehen oder verdrängt, daß er vielleicht nur die repräsentative Spitze, der ausgeprägte Vertreter einer großen Gruppe seiner Generation war, die von der Morbidität und Zukunftsunfähigkeit der Weimarer Republik in ihrer Endphase, etwa seit 1928, zutiefst überzeugt war. Weder mit seiner Verzweiflung an Weimar noch mit seiner Neigung zu einem autoritären Führerstaat noch mit seiner Anpassungsbereitschaft an die neuen Machthaber und ihre makabre Weltanschauung war Schmitt 1933 eine Ausnahmeerscheinung. Eine ganze Generation der Führungsstäbe aller öffentlich tätigen Berufe verhielt sich zu einem erheblichen Teil ähnlich. Die Unterschiede ergaben sich innerhalb dieser Gruppe der Anpassungsbereiten im wesentlichen aus der Differenz der intellektuellen Begabungen und des Zugangs zu den neuen Machthabern. Schmitt und einige seiner Kollegen in allen Disziplinen wußten erfolgreich mit ihren Pfunden wissenschaftlicher Reputation zu wuchern. Der preußische Staatsrat war eines der Nebenprodukte. Die genannten übrigen Faktoren, welche seine „Sozialisationskohorte“ unter den Juristen wie unter den übrigen bürgerlichen Wissenschaftlern aller Disziplinen prägten, spielten eine mindestens gleichgewichtige Rolle.

Einen Hinweis verdient noch die nicht selten blumige, bisweilen auch gestelzte oder geschwollene Sprache des Buches. Im Vorwort betont der Autor, seine Studie entziehe sich dem „Kuß des Vergessens“. Oder: Schmitt sei ein „Gelehrter von hoher Tatbereitschaft und –leidenschaft“ (S. 11). Er habe sich während der Weimarer Zeit „in der Strömungsmitte seines Fachs“ bewegt (S. 16), was man auch inhaltlich bezweifeln darf. Er sei in seiner „Verfassungslehre“ der „Anwalt“ und der „Richter der preußischen Geschichte“ gewesen (S. 19). Die Verehrer der echten preußischen Tugenden, von denen Schmitt wenig erkennen ließ, werden dieses Urteil kaum teilen. Der preußische Verfassungskonflikt von 1862 (man lese dazu von F. Lassalle „Über Verfassungswesen“!) sei für Schmitt immer „die Drehachse der deutschen Geschichte“ gewesen (S. 20). Der „Preußenschlag“ Papens am 20. Juli 1932, an dem Schmitt als Staatsrechtler maßgeblich mitwirkte, habe diesen „auf die Seite der nationalsozialistischen Bewegung verschlagen“ (S. 31). Schmitt sei seit dem 20. Juli 1932 „der Protagonist der „nationalsozialistischen Aufbruchsgesellschaft“ gewesen (S. 90), - also doch nicht erst seit seiner Berufung in den Preußischen Staatsrat?! Richtig ist, daß er sofort nach der Machtübernahme „zum beredtsten Kommentator des nationalsozialistischen Führerstaates“ wurde (S. 93). Vielleicht ist der Verfasser mit seiner Deutung, Schmitt sei seinen Weg im NS-Staat primär wegen seiner Mitgliedschaft im Preußischen Staatsrat gegangen, der Sugggestion seiner eigenen Formulierungen und der überzogenen Gewichtung der preußischen Geschichte im Denken Schmitts erlegen. Nach Blasius war für Schmitt die verflossene preußische Geschichte „das Kleinode seiner Seele“ (S. 73).

Neben die bereits zahlreich vorhandenen wird hier also eine neue Deutung, vielleicht besser: Legende gestellt, wie Leben und Werk C. Schmitts zu lesen und zu verstehen seien. Die Zweifel an dieser Konstruktion habe ich anzudeuten versucht. Bisher haben sich alle monokausalen Erklärungsversuche als fragwürdig erwiesen. Die „Preußenlegende“ von Blasius macht da keine Ausnahme. Das Verhalten der anpassungsbereiten deutschen Juristen, speziell der Staatsrechtslehrer, nach dem Januar 1933 war mit mehr als vierzigjähriger Verspätung jüngst das Thema einer Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer (vgl. den Tagungsbericht von Langenfeld in Heft 4 der JZ 2001, 185ff.). Schmitt und seine Schule gehörten zu jener Gruppe, die sich vorbehaltlos dem neuen Regime verschrieb.. Das hatte viele Gründe. Die Fehldeutung beginnt vielleicht schon, wenn man allzu individuelle Motive unterstellt, wo es in Wahrheit, wie das Gruppenverhalten der Beteiligten zeigt, primär eher um ein kollektives Phänomen, nämlich das Einschwenken einer „Sozialisationskohorte“ national-konservativ geprägter akademischer Eliten auf ein etabliertes autoritäres Regime geht, das zudem noch beträchtliche Karrierechancen zu bieten hatte.

Ungeachtet der vorstehenden Kritik im Grundsätzlichen habe ich das Buch von Blasius mit Interesse und Gewinn gelesen. Es enthält zwar im Bereich der Faktendarstellung nichts wesentlich Neues. Das ist angesichts der zahlreichen vorhandenen Einzeluntersuchungen nicht verwunderlich. Gleichwohl schildert der Verfasser in den einzelnen Kapiteln äußerst anschaulich und lebendig Zusammenhänge, die, trotz der bekannten Fakten, manche Vorgänge, etwa die Ereignisse zum Ende der Weimarer Republik (S. 15ff.) oder „das Jubeln der Eliten“ nach dem 30. Januar 1933 (S. 71ff.) oder Schmitts „Großraum“-Engagement noch während des Krieges gegen die Sowjetunion besonders plastisch hervortreten lassen. Blasius hat sich, anders als andere Schmitt–Biographen, sein nüchtern-distanziertes Urteil über seinen „Helden“ trotz intensiver Beschäftigung mit dem umfangreichen Stoff nicht trüben lassen. Daß er dabei manches als neu zu entdecken glaubt, was in der einschlägigen Literatur bereits seit längerem bekannt ist, mag an der in Deutschland immer noch ausgeprägten Isolation der einzelnen Wissensdisziplinen zu ihren Nachbarfächern liegen.

 

Konstanz                                                                                                       Bernd Rüthers