RöhrkastenKeechang20010916 Nr. 10300 ZRG 119 (2002) 32

 

 

Keechang, Kim, Aliens in Medieval Law. The Origins of Modern Citizenship (= Cambridge Studies in English Legal History). Cambridge University Press, Cambridge 2000. XII, 250 S.

 

In dieser wichtigen und methodologisch beeindruckenden Studie werden Aspekte des modernen Staatsbürgerrechtes anhand von vor allem englischen Rechtsquellen des Mittelalters und der frühen Neuzeit untersucht, wobei besonders die Genese der rechtlichen Kriterien des Ausländerstatus im Vordergrund steht. Der Verfasser konzentriert sich dabei auf den Wandlungsprozess, der zu einer Umbewertung der Kategorisierung des persönlichen Status führte, der im Mittelalter auf der Unterscheidung zwischen Freien und Unfreien in der frühen Neuzeit aber auf dem Gegensatz zwischen einheimischen Untertanen und Ausländern basierte. Das relevante Kriterium bei der Definition des Ausländers ist dabei - so Kim - die rechtliche Diskriminierung. Ansatzpunkte der Untersuchung sind 1.) die Rechtsstellung ausländischer Kaufleute, 2.) der Status ausländischer Kleriker sowie derjenigen religiösen Institutionen, die einem in der Regel französischen Mutterhaus afiliiert waren und als „Alien Priories“ in Kriegszeiten Einschränkungen und wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen mußten, 3.) die Geburt in Übersee und 4.) die Frage der Zugehörigkeit zum Untertanenverband. Im zweiten Teil des Buches steht dann die frühneuzeitliche Rezeption relevanter mittelalterlicher Rechtstexte im Vordergrund. Ausgehend von der Prämisse, daß Fremde zu allen Zeiten gewissen Nachteilen im Alltag ausgesetzt sein konnten, zeigt Kim, daß fremde Kaufleute in England keine rechtlichen Nachteile erdulden mußten, sondern auf der gleichen Stufe wie einheimische Händler, Privilegien erwerben konnten. Auch das Verbot der Besetzung englischer Pfründen durch den Papst, das in der Mitte des 14. Jahrhunderts in die Gesetzgebung aufgenommen wurde, habe sich nicht gegen Ausländer gerichtet, da es sonst zu einer Einschränkung englischer Patronatsrechte gekommen wäre. Andere mögliche Ausgangspunkte, etwa der Krieg nach der Konfiszierung der Normandie 1204 oder das Statut „De natis ultra mare“ (1351) werden ebenfalls verworfen. Kim sucht also nicht nach einem chronologisch festzulegenden Ausgangspunkt, sondern er verfolgt einen sich bei gleichbleibender Rechtsterminologie vollziehenden Paradigmenwechsel. Kims Verdienst besteht u. a. in der Beschreibung von verfahrensrechtlichen Mechanismen, bei denen der Ort der Geburt oder des Todes einer Person von besonderer Bedeutung sein konnte, wenn er außerhalb des Herrschaftsbereiches der englischen Könige lag. Spätestens seit 1321 wurde der den Herrschaftsbereich bezeichnende Terminus „ligeance“ auch in anderer Bedeutung, nämlich als Untertänigkeit, interpretiert. Hier seien die Wurzeln für eine neue Sichtweise zu suchen, nach der im 16. Jahrhundert Personen als entweder zum Untertanenverband zugehörig oder nicht zugehörig eingestuft wurden.

Der Autor versichert mehrfach, daß seine Untersuchung relevant für das Ausländerrecht im gesamten europäischen Raum sei und dies ist auch dem Titel des Buches zu entnehmen. Allerdings werden außer Jean Bodin und einigen Passagen aus dem römischen Recht keine weiteren europäischen Quellen sondern ausschließlich englische Quellen herangezogen. Das Thema ist also nicht genau geographisch definiert. Es sind auch andere Punkte kritisch anzumerken. Die Beobachtung, daß Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts Texte der Antike und des Mittelalters einer Neuinterpretation unterzogen haben, ist nicht neu. Erst 1994 hat Susan Reynolds zu diesem Thema in ihrem Werk „Fiefs und Vassals“ einen wichtigen Beitrag geleistet. Auf diese Diskussion hätte hier sinnvoll verwiesen werden können; auch andere relevante historische Untersuchungen, etwa zur ethnischen Zusammensetzung der im Domesday Book beschriebenen Bevölkerung (Fuchs) oder zur Wirtschaftsgeschichte der Hanse (Jenks) scheinen nicht berücksichtigt worden zu sein. Kim verläßt sich ganz auf die semantische Analyse eng ausgewählter Texte und läßt wichtige historische Aspekte wie die auf eine Integration unterschiedlicher Rechtssysteme der „Franci“ und „Angli“ abzielende Gesetzgebung Wilhelms des Eroberers oder die 1440 in England eingeführte Fremdensteuer ganz außer Acht. Selbst bei einer Konzentration auf rein rechtliche Aspekte des persönlichen Status sollte die Frage nicht fehlen, ob nicht die Veranlagung von Ausländern zu einer gesonderten Steuer eine Diskriminierung darstellt. Nicht nachzuvollziehen ist auch die pauschale Abqualifizierung der gesamten Historiographie zur Geschichte der Sklaverei, die als ein Nachgedanke in der Zusammenfassung kurz skizziert aber nicht gerechtfertigt oder belegt wird. Von großem Interesse für Historiker ist dagegen der gelungene methodologische Exkurs am Ende des Buches.

 

Birmingham                                                                                                      Jens Röhrkasten