PöggelerMollnau20010907 Nr. 10413 ZRG 119 (2002) 89

 

 

Mollnau, Marcus, Die Bodenrechtsentwicklung in der SBZ/DDR anhand der Akten des zentralen Parteiarchivs der SED. Berlin Verlag, Berlin 2001. 537 S.

 

Die Dissertation Mollnaus stammt aus der Schule des Berliner Rechtshistorikers Rainer Schröder, die sich um die Aufarbeitung der sogenannten Zivilrechtskultur der Deutschen Demokratischen Republik bereits bemerkenswerte Verdienste erworben hat. Dem Verfasser ist ein beachtlicher Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte gelungen.

Die Regelung des Grundeigentums in der DDR ist nicht zu trennen von der Bedeutung des Eigentums im Marxismus-Leninismus und vom sozialistischen Rechtsbegriff. Danach war die sogenannte Diktatur des Proletariats (als solche definierten sich die sozialistischen Staaten sowjetischer Prägung, mithin auch die DDR) durch keinerlei Gesetze beschränkte Macht. Es galt mithin das unbeschränkte Primat der Politik über das Recht. Das Recht war die dienende Magd der Macht. Eine praktische Konsequenz dieses theoretischen Ansatzes sah so aus, dass die Partei, besonders das Politbüro, die Inhalte und Entwicklungslinien von Gesetzgebung und (!) Rechtsanwendung bestimmten. Marcus Mollnau prägt für diese Tatsache den Begriff der „parteiapparativen“ Komponente des Rechts. (Ob es sich hierbei überhaupt um Recht handelt, ist zweifelhaft. Wenn wir aber nicht von vornherein alle totalitären Staaten der Vergangenheit von der rechtshistorischen Betrachtung ausschließen wollen, kommt man wohl nicht darum herum.)

Mollnau betrachtet die Regelung des Grundeigentums nicht primär anhand des normativen Materials oder der Beiträge der DDR-Rechtswissenschaft. Diese Aspekte bilden gleichsam nur den Hintergrund seiner Darstellung. Vielmehr geht es um den Einfluss des Parteiapparates der SED auf das Grundeigentumsrecht. Zu diesem Zweck wurde das zentrale Parteiarchiv der SED ausgewertet. Parteiarchivalien sind für einen Rechtshistoriker eher ungewöhnliche Forschungshilfsmittel. Sozialistische Rechtsordnungen sind allerdings wohl nur auf diese Weise einigermaßen vollständig zu erfassen. Mollnau ging es dabei um die Zeit von 1945 bis zum Inkrafttreten des ZGB der DDR Mitte der 1970er Jahre.

Der Leser erfährt von recht infamen Enteignungsmethoden Ende der 1940er Jahre und im folgenden Jahrzehnt. So wurden Strafrecht und Steuerrecht instrumentalisiert, um Grundbesitzer zu enteignen. Eine Methode im landwirtschaftlichen Sektor war es, den Bauern überhöhte Ablieferungspflichten aufzuerlegen und sie bei Nichterfüllung des Solls zu verhaften und zu verurteilen. Hierdurch wurde die Kollektivierung der Landwirtschaft forciert. Die ökonomischen Folgen des staatlichen Zugriffs auf ländliche und städtische Grundstücke waren Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion und Verfall der urbanen Gebäudesubstanz. Die Enteignung und Neuverteilung landwirtschaftlicher Flächen führte selbstverständlich nicht wieder zu Großgrundbesitz, sondern zunächst zu kleinen bäuerlichen Anwesen. Vielfach waren die Flächen jedoch zu gering, was zur Enttäuschung der Neubauern und zu massiven Landrückgaben führte! Anfang der 1950er Jahre gefährdete die rasche Zunahme herrenloser und unbewirtschafteter Flächen die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung.

Einige Aufmerksamkeit widmet Mollnau der Entstehungsgeschichte des Zivilgesetzbuches, das zurückgeht auf einen Beschluss des Politbüros aus dem Jahre 1952. Die Erarbeitung des ZGB war Teil eines fünf Punkte umfassenden Arbeitsplans, der vom Politbüro beschlossen wurde. Bemerkenswert an dieser Geburtsstunde eines dann mehr als dreißig Jahre dauernden Prozesses ist, dass das ZGB und andere Kodifikationen, die anstanden, nicht einen eigenen Punkt des Arbeitsplans darstellten, sondern unter Punkt 2 des Arbeitsplans subsumiert wurden, er lautete: „Stärkung der Staatsmacht der DDR“. Dazu schreibt Mollnau zutreffend: „Dass die Erforderlichkeit neuer Gesetzbücher als Folge und Unterfall der für notwendig erachteten Stärkung des Staates dargestellt wurde, entsprach dem damals im Zenit stehenden stalinistischen Rechtsverständnis und der daraus hergeleiteten Forderung, das Recht im Dienste des Staates, der die Funktionen der ‚Diktatur des Proletariats’ ausübte, zu instrumentalisieren.“

Die Geheimhaltung, zu der die Mitglieder der 1952 berufenen Parteikommission zur Erarbeitung eines ZGB gezwungen wurden, hatte nebenbei bemerkt praktische Konsequenzen, die auf uns heute geradezu absurd wirken.

Mollnau liefert eine eigene Antwort auf die Frage, warum die ersten Bemühungen um eine neue Kodifikation des Zivilrechts 1953 scheiterten. Er führt die Einstellung der Arbeiten auf ein Memorandum der Sowjetführung zurück, die zu diesem Zeitpunkt noch gegen ein Auseinanderdriften der Rechtsordnungen in Deutschland war.

Ein Leser mit rechtsstaatlicher Sozialisation staunt im Laufe der Lektüre vielfach über die Ignoranz der sozialistischen Machthaber gegenüber den selbst gemachten Gesetzen, ja über die grenzenlose Instrumentalisierung der Gesetze, die gelegentlich dem Gedanken der Gerechtigkeit geradezu ins Gesicht schlägt. Aber er staunt auch über den doch erheblichen theoretischen Aufwand, der zur Erfassung der neuen Ordnung getrieben wurde.

Das Buch hat einen umfangreichen Anhang von hilfreichen Dokumenten, darüber hinaus findet sich im Anhang eine kleine, engagiert geschriebene Biographie mit dem Titel „Hans Nathan ‑ ein Jurist zwischen Parteilichkeit und Professionalität“. Sie gibt Einblick in das Leben eines traditionell ausgebildeten Juristen, der im Zentrum jenes Transformationsprozesses stand, der aus einer bürgerlichen eine sozialistischen Rechtsordnung formen sollte.

Mollnau ist kein Verteidiger der historischen Vorgänge, aber auch nicht gerade ein wütender Verächter. Seine These, dass die Bodenreform für sich genommen legitime Rechtfertigungsmotive hatte (S. 309), halte ich für unvertretbar. Dennoch gehört dieses Buch in jede Bibliothek der deutschen Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

 

Tübingen                                                                                                          Wolfgang Pöggeler