NörrknutSandmann20010703 Nr. 10295 ZRG 119 (2002) 69

 

 

Sandmann, Hendrik, Die Entwicklung von Begriff und Inhalt des Wirtschaftsrechts durch die Rechtswissenschaft in der Weimarer Republik (= Rechtshistorische Reihe 230). Lang, Frankfurt am Main 2000. 215 S.

 

Bekanntlich ist es Heinrich Lehmann gewesen, der in der Festschrift Zitelmann 1913 zum ersten Mal systematisch auf neuere Erscheinungen der Rechtsentwicklung aufmerksam gemacht hat, woran dann - mit Zusätzen oder Abstrichen - nach 1918 die Diskussion um einen neuen juristischen Begriff, den des Wirtschaftsrechts, anknüpfen konnte. Lehmann sprach von „Industrierecht”, er hätte auch „Recht des Industrieunternehmens” sagen können. Zurecht stellt der Verfasser heraus, dass als systematischer Angelpunkt nicht mehr das Gesetzbuch mit seinen Einteilungen, sondern ein Phänomen der Wirklichkeit, das Industrieunternehmen diente. Hier klang bereits eine Eigenart des Wirtschaftsrechtsbegriffes an, dass er vielfach nicht bloß normativ verstanden wurde (und wird), sondern auf spezifische Weise wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische, rechtliche Realitäten mitumfasst. Die Richtung, die mit Lehmann begonnen hatte, wurde freilich alsbald überlagert durch die Erscheinungen der Kriegswirtschaft der Jahre 1914-1918; hier traten die öffentlichrechtlichen und organisiert-korporatistischen Elemente in den Vordergrund, die dann bei vielen Autoren in den Wirtschaftsbegriff eingearbeitet wurden. Schließlich zwang die Revolution zur Auseinandersetzung mit den übergreifend-grundsätzlichen Fragen der Wirtschafts- und Eigentumsordnung; als dann die Weimarer Reichsverfassung den Begriff der Wirtschaftsverfassung (im Sinne Sinzheimers) hervorbrachte, kam es zu ersten, freilich nur „kurzen” Begegnungen der beiden neuen Begriffe Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsverfassung.

Es waren also die heterogensten Erscheinungen und Vorstellungen gewesen, die den Begriff des Wirtschaftsrechts gespeist haben, wobei, wollte man Vollständigkeit erreichen, noch andere Aspekte einzubeziehen wären, etwa die zeitweise vertretene Ansicht, beim Wirtschaftsrecht handle es sich primär um eine Frage der Methode, oder die Diskussion darüber, ob Wirtschaftsrecht eher aus dem Handelsrecht oder dem Gewerberecht heraus zu entfalten sei. Der Verfasser stand nun vor der Frage, ob die Weimarer Diskussion entlang all diesen Inhalten und Ingredienzien des Wirtschaftsrechtsbegriffes zu analysieren oder ob sie nicht eher personenorientiert zu schildern sei; die Entscheidung fiel im letzteren Sinne aus. Um aber nicht in eine bloß serielle Berichterstattung zu geraten, bedient sich der Verfasser der einschlägigen dreifachen Periodisierung der Weimarer Republik in die Zeiträume 1918-23, 1924-29 und 1930-33. Jeder der Zeiträume wird zusammengefasst (Seite 73-78 bzw. 121-126 bzw. 149-151) und es empfiehlt sich, die Lektüre mit diesen Zusammenfassungen zu beginnen, bevor man sich den einzelnen Figuren oder derjenigen zuwendet, über die man Näheres erfahren will.

Der eine oder andere Jurist, dem der Wirtschaftsrechtsbegriff am Herzen lag, gewinnt durch unsere Dissertation an Deutlichkeit im Ganzen und im Detail; im übrigen wird, was schon bekannt war, auf nicht ungeschickte Weise zusammengestellt und der Heterogenität der wirtschaftsrechtlichen Konzepte - oder manchmal Konzeptlosigkeiten - gebührend Rechnung getragen.

 

Tübingen                                                                                              Knut Wolfgang Nörr