NeschwaraRepublikbegriff20010902 Nr.
10309 ZRG 119 (2002) 55
Republikbegriff und Republiken seit dem
18. Jahrhundert im europäischen Vergleich, hg. v. Reinalter, Helmut (=
Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen
in Mitteleuropa 1770-1850“ 28). Lang, Frankfurt am Main 2000. 307 S.
Der anzuzeigende Band beinhaltet die
Vorträge einer 1996 an der Universität Innsbruck veranstalteten internationalen
Tagung. Die Initiative hiezu gab ein vom österreichischen Bundesministerium aus
Anlaß des sog. „Millenniums“ gefördertes Forschungsprogramm mit dem Titel
„Grenzenloses Österreich“. Dieses Forschungsprogramm wollte auf zwei, auch die
Entwicklung der österreichischen Gesellschaft wesentlich beeinflussende
politische Prozesse besonders Rücksicht nehmen: auf die demokratische
Transformation der Staaten in Mittel- und Osteuropa, die in unmittelbarer
Nachbarschaft zu Österreich liegen, und auf die europäische Integration bzw.
die Rolle Österreichs in Europa. An letzteren Aspekt knüpft auch der
vorliegende Tagungsband an. Die dazu präsentierten 18 Vorträge sind
verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten zugeordnet: Theorie und Begriff –
Republiken in Europa seit dem 18. Jahrhundert – Das 20. Jahrhundert:
Republikanismus, Fortschritt und Demokratie – Österreich: Die Erste und die
Zweite Republik; der Band schließt mit einem ad hoc-Beitrag (Felix Kreissler)
zum Thema der Tagung als komparative Betrachtung von historischen Gedenkfeiern
(S. 301–306). Das Republik-Thema wurde vom Veranstalter, der Innsbrucker
Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen“, zum einen deswegen gewählt, weil
die Ideengeschichte der Demokratie einen ihrer eigenen Forschungsschwerpunkte
bildet, in dem auch die Entwicklung der Republik ihren Mittelpunkt hat; darüber
hinaus war sie auch geleitet von der erwähnten Frage der demokratischen
Transformation der Staaten in Mittel- und Osteuropa, für deren
Demokratieverständnis die Geschichte der Republiken von besonderer Bedeutung
ist, insbesondere auch in Hinblick auf ihre künftige Integration in die
politische Kultur Europas. Das Generalthema der Tagung, Republik und
Republikanismus, hat in der Forschung bislang noch keine gründliche
Aufarbeitung erfahren, dies gilt nicht nur in Hinblick auf theorie- und
begriffsgeschichtliche Aspekte (S. 15–25: Helmut Reinalter, Zur
Einführung: „Republik“. Zu Theorie und Begriff seit der Aufklärung), sondern
auch in bezug auf wirkungsgeschichtliche Aspekte, also der Entwicklung realer
Republiken. Den Zielsetzungen der Innsbrucker Forschungsstelle entsprechend
konzentrierte sich die Tagung auf die Entwicklung seit der Aufklärung, also dem
18. Jahrhundert, bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert.
Die Verbindung von ideengeschichtlichen
und wirkungsgeschichtlichen Fragen und deren komparativen Verknüpfung im
europäischen Rahmen, wobei über seine englischen Wurzeln auch der amerikanische
Republikanismus in seinen – freilich marginal gebliebenen – Auswirkungen auf
Europa in Betracht gezogen wurde (S. 27–44: Horst Dippel, Die englischen
Wurzeln des amerikanischen Republikanismus und seine Auswirkungen auf Europa).
Mit den einzelnen Studien zur Wirkungsgeschichte des Repubikanismus in Europa
greift der Tagungsband Fragestellungen auf, die bislang in der Forschung
vernachlässigt geblieben sind: Dies trifft vielleicht auf einige zum
ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert präsentierte Beiträge weniger zu, nämlich
für jene von Erich Donnert (Die Adelsrepublik Polen: S. 47–58) und Marita
Gilli (Die Mainzer Republik 1792-93: S. 71–81) oder Axel Kuhn
(Republikvorstellungen deutscher Jakobiner: S. 83–99) sowie Rolf Graber
(Die Einführung der Verfassung der Helvetischen Republik: Republikanismus der
Eliten – Republikanismus des Volkes: S. 101–119) und Helmut Reinalter
(Liberalismus und republikanisch-demokratische Ansätze in Österreich im 19.
Jahrhundert: S. 151–161); auf andere mehr, nämlich auf die Beiträge von Karl
Zieger (Pascal Paoli – Realität und Illusion einer [republikanischen?]
korsischen Nation: S. 59–69) und Hans Fenske (Republikanische Tendenzen
in Deutschland im 19. Jahrhundert: S. 121–149). Mit den Beiträgen zum
Republikanismus im Europa des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts konnte
die Tagung wissenschaftlich Neues bieten, und wird zu weiteren Forschungen Anregungen
geben. Beispielhaft stehen dafür die Beiträge zur Entwicklung des
Republikanismus bis zum Zweiten Weltkrieg, seine „demokratischen“ Fortschritte
und seinen Niedergang in Frankreich (Aloys Schumacher, Die französische
Dritte Republik: S. 163–175) bzw. im Deutschen Reich (Horst Möller,
Republikanismus, Antirepublikanismus und das Scheitern der Weimarer Republik:
S. 203–221). Die Brücke zur Gegenwart schlagen die Beiträge zur Etablierung des
Republikanismus in Italien, von Aurelio Musi (Reppublica o monarchia?
Napoli e il Mezzogiorno d’Italia di fronte al referendum istituzionale del
1946: S. 179–189) und Giuseppe Galasso (Dalla Monarchia e la politica
nel mutamento istutuzionale del 1946: S. 191–201) bzw. zu seiner etwa
gleichzeitig erfolgten demokratisch-rechtsstaatlich fundierten Restauration in
Deutschland (Heiner Timmermann, Demokratieprinzipien im Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland: S. 225–237) sowie zur gegenwärtigen in Ungarn (S.
239–247: Attila Pók, Republikanismus und fortschrittliche Politik in
Ungarn) und Tschechien (S. 249–257: Eva Broklová, Eine Republik, aber
eine demokratische). Besonders herausgehoben ist die Entwicklung des
demokratischen Republikanismus in Österreich, der hier vor dem Ersten Weltkrieg
bis 1933 ein analoges Schicksal wie jener im Deutschen Reich erfahren (S.
261–270: Anton Pelinka, Österreich – Die Erste Republik), aber nach dem
Zweiten Weltkrieg – anders als im westlichen Deutschland – eine in seinen
verfassungsrechtlichen Grundlagen völlig unveränderte Wiederherstellung erlangt
hat. Die Differenzierung der zwei österreichischen Republiken ist aus dieser
Perspektive besehen bloß das Ergebnis politisch motivierter Spekulationen; die
von Felix Kreissler in seinem Beitrag (Österreich: Die zweite Republik –
Ausblicke: S. 271–297) aufgeworfene Frage nach dem „Requiem für eine Republik“
(294), nämlich für die zweite, aufgrund der in Österreich seit 1999
verschobenen politischen Kräfteverhältnisse ist überdies polemisch. Eine Gefahr
droht der Entwicklung des Republikanismus in seinen demokratischen Grundlagen
von anderer Seite, nämlich von der Europäischen Union. Nach dem Beitritt
Österreichs hatte etwa der Vizepräsident des österreichischen
Verfassungsgerichtshofes festgestellt, daß die Verfassungsbestimmung, daß alles
Recht vom Volke ausgehe, angesichts der Regierungsrechtssetzung der EU falsch
sei, und damit wohl auch die ihr vorangestellte fundamentale Aussage der
Verfassung: „Österreich ist eine demokratische Republik“.
Wien Christian
Neschwara