Schulz, Lorenz, Normiertes Misstrauen. Der
Verdacht im Strafverfahren (= Juristische Abhandlungen 38). Klostermann,
Frankfurt am Main 2001. XIX, 793 S.
Der Verdacht ist der Zentralbegriff des strafprozessualen
Ermittlungsverfahrens. Ohne Anfangsverdacht darf kein solches Verfahren
eingeleitet werden. Sein Vorliegen wiederum begründet in Ländern, in denen das
Legalitätsprinzip gilt - wie z. B. Deutschland (§ 152 Abs.2 StPO) und
Österreich (§§ 34, 87 StPO) -, für Polizei und Staatsanwaltschaft die Pflicht,
ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Dabei kann sich der Verdacht - zunächst
einmal - auf eine mehr oder minder bestimmte Tat richten (Tatverdacht), dann
aber auch - oder zugleich - gegen eine bestimmte Person. Das Verfahren hat die
Klärung des Verdachts zum Ziel. Seit einiger Zeit ist dem Begriff angesichts
der Gewichtsverlagerung auf das Ermittlungsstadium noch weitere Bedeutung
zugewachsen. Immer häufiger endet das Strafverfahren in oder mit diesem
Abschnitt oder mündet in ein beschleunigtes Verfahren ohne Hauptverhandlung.
Obgleich also der Begriff des Verdachts fundamentale Bedeutung für das
Ermittlungsverfahren hat, ist er alles andere als hinreichend geklärt. Eine
Vielzahl einschlägiger Untersuchungen hat es nicht vermocht, ihn in sowohl
überzeugender als auch konsensfähiger Weise zu definieren. So kann es auch
nicht überraschen, daß namentlich eine theoretisch fundierte und empirisch
abgesicherte Dogmatik des Verdachts vermißt wird. Das hat nicht zuletzt daran
gelegen, daß es bisher an einer vertieften Darstellung und Analyse seiner
Entwicklungsgeschichte und seines rechtstheoretischen Hintergrundes gefehlt
hat.
Lorenz Schulz hat es nun in seiner ebenso
umfangreichen wie weitausgreifenden Frankfurter Habilitationsschrift
unternommen, die historischen Wurzeln des Verdachtsbegriffs offenzulegen und
seine normative Relevanz auf wissenschafts- und rechtstheoretischer Grundlage
herauszuarbeiten. Er hat damit in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten. Freilich
hat er den Grundstein für seine jetzige Untersuchung bereits in früheren
Arbeiten gelegt, die gewichtige (namentlich wissenschafts- und
rechtstheoretische) Aspekte seiner Studie vorweggenommen haben. Das gilt wohl
weniger für die Darstellung des Verlaufs,den der Begriff des Verdachts seit den
Anfängen des inquisitorischen Verfahrens genommen hat. Mehr noch trifft es auf
die Entwicklung der für den Verdacht maßgebenden und seine Bedeutung
konstituierenden Elemente zu. Sie liefern Schulz - zugleich im Kontext
mit den von ihm zugrundegelegten wissenschafts- und rechtstheoretischen
Prämissen - gleichsam ein Raster, an und mit dem jener Begriff dogmatisch
entfaltet werden kann.
Der Gedankengang der Studie fußt auf einem dreigliedrigen Aufbau. Überhaupt
kennzeichnet die triadische Struktur die ganze Untersuchung - was gewiß nicht
allein der Herkunft des Verdachtsbegriffs aus dem kanonischen Verfahren
geschuldet ist. Zunächst verfolgt Schulz die Geschichte des Begriffs bis
zum Hochmittelalter zurück. An die historische Darstellung schließt er eine
systematische Grundlegung an. In diesem Teil untersucht er die wissenschafts-
und rechtstheoretischen Implikationen, die seinem Konzept zufolge einer
normativen Bestimmung des Verdachtsbegriffs vorauszugehen haben und ihm
zugrundegelegt werden müssen. Die Wirklichkeit der Verfahrenspraxis kommt - in
freilich reflektierter Form - durch eine Analyse jener Elemente in den Blick
und zur Sprache, welche die „Kriminologie des Verdachts“ thematisiert hat. Auf
den historischen und systematischen Grundlagen baut dann der dritte Teil auf,
in dem der Begriff dogmatisch entfaltet wird.
Sämtliche drei Teile der Studie sind derart aufeinander zugeschnitten und
miteinander verzahnt, daß sie für den Gedankengang und das Ergebnis unverzichtbar
erscheinen. So nehmen denn auch geschichtlicher Abriß und kriminologische
Rekonstruktion keineswegs bloß illustrierende Funktionen wahr, sondern liefern
vielmehr notwendige Versatzstücke, welche die Konzeption des Ganzen (mit)tragen
sollen. Grundelemente des Gedankengebäudes bilden die Rationalisierung des
(inquisitorischen) Verfahrens und die auf die Person (des Beschuldigten)
zielende Individualisierung in unmittelbarer Verbindung mit dem Aspekt der den
Verdacht „erkennenden Gewalt“ sowie ihrer Teilung. Diese hat sich namentlich
mit der Einführung der Staatsanwaltschaft vollzogen. Die skizzierten Elemente
stellen in ihrer Gesamtheit ein relationales Gebilde dar, das sich durch seine
dreigliedrige kommunikative Struktur auszeichnet.
Ausgehend vom Grundsatz der Unschuld des Individuums bildet der Verdacht
für Schulz eine Ausnahme von der Regel. Als solche bedarf er der
Begründung und Legitimation. Sie kann – nach seinem Konzept - nur darin liegen,
daß die Verdächtigung unter dem Anspruch steht, die jeweils richtige
Entscheidung zu sein. Das hat zur Folge, daß der Verdacht selbst einen
unbestimmten Rechtsbegriff verkörpert, der voll nachprüfbar ist. Damit setzt
sich Schulz erklärtermaßen zu jener vielfach anzutreffenden Auffassung
in Widerspruch, die dem Begriff einen Beurteilungsspielraum attestiert mit der
Konsequenz, daß er den Weg zu mehreren vertretbaren Möglichkeiten offenhält.
Rechtsdogmatische und rechtspraktische Bedeutung kommt dieser Sichtweise
insbesondere bei der „Kontrolle des Verdachts“ zu, die das abschließende Thema
der Studie darstellt.
Schon der historische Teil dient dem Aufweis jener drei konstituierenden
Elemente, deren allmähliche Herausbildung und wechselseitige Beziehung im
Prozeß der Modernisierung den Begriff des Verdachts prägen. Schulz
erblickt in fortschreitender Zentralisierung der Herrschaft den Vorgang der
Rationalisierung. Er setzt den Beginn dieses Vorgangs mit dem Hochmittelalter
an. Ausgangspunkt dieser Betrachtung bildet der mehrfach untersuchte
Ketzer-Prozeß gegen den Templer-Orden im 14. Jahrhundert. Im weiteren Verfolg
der geschichtlichen Entwicklung erörtert Schulz Ort und Funktion des
Verdachts im Inquisitionsprozeß und dessen Herkunft aus dem kirchlichen
Disziplinarverfahren. Schon früh wird deutlich, daß die Verdachtsdogmatik im
Zusammenhang mit den Verfahrensprinzipien und den Verrfahrensbeteiligten
gesehen werden muß. Die Folter - deren Bedeutung im Rahmen der inquisitorischen
Untersuchung besondere Aufmerksamkeit erfährt - wird keineswegs als notwendiges
Element dieses Verfahrens begriffen. Wie ein roter Faden zieht sich der
Wahrheitsbezug des Inquisitionsverfahrens durch die Darstellung. Vor seinem
Hintergrund gewinnt die aus der Kanonistik abgeleitete prozessuale
Unschuldsvermutung ihre spezifische, eigentliche Bedeutung für die
Verdachtsschöpfung. Damit einher geht nach der historischen Rekonstruktion der
Prozeß der Inividualisierung, die als Frucht theologischer Scholastik
charakterisiert wird.
Schulz holt in der Darstellung und Analyse
einschlägiger Quellen weit aus - nicht zuletzt mit der Folge so mancher
Korrekturen der Strafrechtsgeschichtsschreibung, wie sie sich z. B. dem 19.
Jahrhundert verdankt. So zeichnet er eine Entwicklungslinie nach, die in der
Säkularisierung kanonistischer Ansätze im weltlichen Strafverfahren - und durch
es - gipfelt. Diese theologischen Ursprünge kennzeichnen für ihn auch die
kommunikative Struktur des Verfahrens, die schon historisch auf Teilung und
Kontrolle der im Prozeß tätigen und ausgeübten Gewalt ausgerichtet erscheint. Belege
für diesen Verlauf der Geschichte des Verdachts entnimmt Schulz den
Prozeßtypen, die sich in der Abfolge vom kanonischen Verfahren über das
gemeinrechtliche bis hin zur Gegenwart herausgebildet haben. Die vorläufig
letzte Stufe jener Differenzierung und Teilung der „erkennenden Gewalt“ ist mit
der Einführung der Staatsanwaltschaft erreicht worden. Schon in diesem
historischen Kontext wendet sich Schulz gegen die Gefahren einer vom
Individuum abgelösten - aber es letztlich in seiner Subjektrolle um so mehr
treffenden - Entgrenzung des Strafverfahrens durch dessen „Verpolizeilichung“
und „Vorfeldverlagerung“. Demgegenüber hält er den Rekurs auf die tradierte
Dogmatik des Verdachts - und seiner individualisierenden Rationalität - für
unerläßlich.
Der zweite Teil ist der wissenschafts- und rechtstheoretischen Grundlegung
des Verdachtsbegriffs gewidmet. Dieser soll – in jedem Sinne des Wortes - auf
den Begriff gebracht werden. Es geht Schulz dabei um nichts weniger als
den Nachweis, daß hier die einzig richtige Entscheidung zur Diskussion steht,
daß die Verdächtigung wahrheitsorientiert ist. Richtigkeit in diesem Sinne wird
freilich nicht ex post, sondern vielmehr ex ante begriffen, also aus der
Situation heraus oder von der Stufe her, auf der es den Verdacht zu
konkretisieren gilt. Dies bedeutet, daß auch und gerade die Form, in der die
Annäherung an die Wahrheit stattfindet, ihrerseits dem Anspruch gerecht wird.
Nur ein solches Verständnis des Verdachts vermag Verdachtsschöpfung zu
legitimieren und trägt zu ihrer Akzeptanz bei, „gewährleistet die
Intersubjektivität - und zumindest insoweit Solidarität“ (S. 263).
Den methodischen Weg zu diesem Ziel erblickt Schulz im abduktiven
Vorgehen, das vom Ergebnis her schlußfolgert. Anders als die Induktion, die vom
Fall ausgehend die Regel oder Norm sucht, zielt die Abduktion darauf ab, von
der Wirkung auf die Ursache zu schließen und auf dieser Grundlage eine
Hypothese zu bilden (S. 388). Es ist dies ein Schlußverfahren, das praktisch
auf ein Vorverständnis zurückgeht. Das paßt vor allem deshalb ausgezeichnet zum
Gegenstand der Untersuchung, weil der Kriminalist oder Detektiv nach diesem
Muster der Verdachtsschöpfung vorgeht.
Eine grundsätzliche Schwierigkeit liegt indessen darin, diesen Vorgang
einer Formalisierung zu unterziehen. Deshalb sieht sich Schulz hier -
einmal mehr - genötigt, ein komplexes und weitläufiges Gedankengebäude zu
errichten, das von der Erklärung und Begründung des Abduktionsverfahrens bis
hin zu seiner Rezeption durch die Rechtstheorie - und schließlich die
Verdachtsdogmatik - reicht. Er durchschreitet insoweit zentrale Felder der
Wissenschaftstheorie und Methodologie - namentlich in der Darstellung, Analyse
und Abgrenzung der verschiedenen Schlußverfahren (Induktion, Deduktion und
Analogie) -, um dann die Abduktion als das der Deduktion und Induktion
vorausgehende forschungslogisch zu rechtfertigen. Dabei arbeitet er namentlich
das Prozeßförmige des Vorgangs heraus, in dem die „Kriterien der
Hypothesenauswahl“ (S. 366ff.) eineunverzichtbare Rolle spielen. Es geht in
diesem Zusammenhang um die theoretische Ableitung der Verfahren zur Herstellung
von Plausibilität und zum Ausschluß von Alternativen. Letztlich sind es die
Anknüpfungstatsachen und die Schlußfolgerung, welche „die mögliche Tat“
konstituieren (S. 408).
Schulz kann sich bei der Entfaltung dieses
Konzepts auf eigene Vorarbeiten - namentlich auf rechtstheoretischem und
methodischem Gebiet - stützen. Das gilt vor allem für die Anknüpfung an die
Relationenlogik und die Schlußform der Abduktion, als deren Begründer der
amerikanische Philosoph Charles Sander Peirce (1839 - 1914) zu einem führenden
Vertreter des Pragmatismus geworden ist. Schulz zählt mit diesen
Untersuchungen, die mit einer Studie über den Standort des Rechts im Werk von
Peirce 1988 begonnen haben, etwa neben Klaus Lüderssen und Joachim
Lege zu einem der wenigen Rechtswissenschaftler, welche die pragmatische
Philosophie für das juristische Denken fruchtbar gemacht haben.
Den zweiten, systematischen Teil runden Darstellung und Analyse der
„Kriminologie des Verdachts“ ab. Auch das ist ein weites Feld, das vom
Labeling-Ansatz über die Disziplinierungsthese Foucaults, die sich
selbst als solche definierende „kritische Kriminologie“, systemtheoretische
Konzepte bis hin zur hermeneutischen Perspektive reicht. Hier kommt die Empirie
des Ermittlungsverfahrens - freilich vermittelt durch jene theoretischen
Ansätze - mit der Zielsetzung in den Blick, inwieweit ihr selbst die
Möglichkeit der entwickelten Konzeption entnommen werden kann. Deutlich wird
erneut, daß sich der Prozeß der Verdachtsschöpfung nicht in „rekonstruierender
Zuschreibung“ (S. 451) erschöpft, weil diese für sich allein die am Vorgang
beteiligten Subjekte (Opfer, Beschuldigter) ausblendet. Einschlägige Defizite
der Kriminologie verweisen denn auf die Notwendigkeit normativierender
Dogmatik.
Der dritte, dogmatische Teil dient der Konkretisierung der historisch und
systematisch entwickelten Konzeption. Hier knüpft Schulz an die früh
schon in der geschichtlichen Darstellung herausgearbeitete Unschuldsvermutung
an, die als konstitutives Verfahrensprinzip verstanden wird. Als
„Justizgrundrecht“ ist sie verfassungsrechtlich abgesichert. Es entspringt der
„Logik von Unschuld und Verdacht“ (S. 496), die eben das angedeutete Regel-Ausnahme-Verhältnis
zur Konsequenz hat. Bis zum Schuldspruch gilt der Verdächtige notwendigerweise
als unschuldig. Steht der Vorgang der Verdachtsschöpfung unter dem Anspruch der
Richtigkeit, gilt für die daran Beteiligten das Neutralitätsgebot, das gegebenenfalls
für Richter und Staatsanwalt - und in freilich deutlich abgeschwächtem Maße
auch für Verteidiger und Zeugen - Befangenheit begründen kann.
Mit der Untersuchung der zeitlichen Dimension gerät das vieldiskutierte
Problem der Verdachtsgrade ins Blickfeld. Verdachtsschöpfung wird
dementsprechend als institutionell formalisierter Vorgang untersucht. Indessen
lassen sich Verdachtsgrade erst bestimmen, wenn der Anfangsverdacht definiert
ist (S. 527). Dieser erfordert - einmal mehr - Individualisierung. Als Probiersteine
erweisen sich einschlägige Beispiele des Strafprozeßrechts und der
gegenwärtigen Praxis. Das sog. Vorfeld des Verdachts kann demnach ebensowenig
einen Anfangsverdacht begründen wie die rasterhaft betriebene Fahndung. Der in
der Verdächtigung liegende Eingriff in die Rechtsposition des Beschuldigten
unterliegt dem Gebot der Verhältnismäßigkeit; er darf nicht weiter reichen, als
für die Durchführung des Verfahrens jeweils erforderlich ist.
Als Verdachtsgrade, die im Verhältnis zueinander abzugrenzen sind, stellen
für Schulz der einfache Verdacht, der qualifizierte Verdacht („Verdacht
aufgrund bestimmter Tatsachen“) und der dringende Tatverdacht dar - der etwa
nach § 112 StPO eineVoraussetzung für den Erlaß eines Haftbefehls bildet. Der
hinreichende Verdacht, der das Gericht nach § 2O3 StPO zur Eröffnung des
Hauptverfahrens verpflichtet, figuriert hier entgegen der üblichen Auffassung
nicht als besondere Verdachtsschwelle, die als Grundrechtseingriff gegenüber
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eigens zu rechtfertigen wäre. Kennzeichnet er
doch keinen Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens, sondern vielmehr dessen
Abschluß.
Weil Verdacht im zweiten Teil als unbestimmter Rechtsbegriff ohne
Beurteilungsspielraum ausgewiesen wurde, unterliegt er auch der -
uneingeschränkten - Nachprüfung. Im abschließenden Kapitel untersucht Schulz
dementsprechend die Formen und Möglichkeiten der Kontrolle. Er knüpft insoweit
an die gebräuchliche kriminologische Unterscheidung von formeller und
informeller Kontrolle an. Erstere wird in unmittelbarer Form durch
Rechtsbehelfe ausgeübt, mittelbar in Gestalt von Entschädigungsansprüchen,
Beweisverwertungsverboten und Strafnormen.
Modalitäten informeller Kontrolle stellen etwa aus der Perspektive des
Beschuldigten die Akteneinsicht, Gegenvorstellung und Dienstaufsichtsbeschwerde
dar, in institutioneller Sicht idealtypische Handlungsmuster der Polizeiarbeit.
Mit den einzelnen Untersuchungsschritten hat Schulz in seiner Studie
einen weiten, der Komplexität der Materie angemessenen Weg zurückgelegt, der
sich im Detail nicht nachzeichnen läßt. Der Reichtum der hier vorgestellten
Arbeit läßt sich daher ineiner Rezension schwerlich ausschöpfen. Das wird nicht
allein am Grundkonzept, sondern auch an zahlreichen Exkursen in die Geschichte,
Theologie, Philosophie, Wissenschafts- und Rechtstheorie deutlich, die indessen
nicht als Abschweifungen vom Gedankengang, sondern als dessen integrale
Bestandteile zu verstehen sind. Die Arbeit stellt eine außerordentliche, ja
kongeniale wissenschaftliche Leistung dar, die weit über den bisherigen Stand
der Verdachtsdogmatik hinausführt. Sie ist mit ihrer Verknüpfung von
historischer, systematischer und dogmatischer Perspektive, die auf einem
gemeinsamen, die einzelnen Elemente verbindenden Fundament aufruht, ohne
Beispiel.
Die Arbeit bildet aber auch einen kühnen Wurf. Das betrifft zum einen die
historische Deutung der Genese und Entwicklung des Verdachtsbegriffs, nicht
minder aber auch die Konzeption im ganzen. Deren bestechende Originalität steht
außer Frage. Die Ableitung der das Gedankengebäude tragenden Elemente und ihrer
Wechselbeziehung aus der theologischen Scholastik wird die rechtsgeschichtliche
Forschung gewiß noch weiter beschäftigen. Erst recht gilt das für die
Strafprozeßrechtswissenschaft, die allen Anlaß hat, sich mit der Studie
auseinanderzusetzen. Eine Prognose zu wagen, wo sie ansetzen wird, ob an dem
verschlungen erscheinenden, aber immer wieder entwirrten weitläufigen
Gedankengang oder an dessen Detailanalysen, wäre spekulativ. Wer ihm geduldig
gefolgt ist, dem wird auch die Anschaulichkeit einer Sprache bewußt geworden
sein, welche die Textgestalt - ungeachtet des Abstraktionsgrades
mancherPassagen - prägt. Den Verdacht selbst hat Schulz im Bild vom
kreisförmigen Platz, auf den alle Straßen zulaufen, festgehalten (z. B. S. 1,
269, 417, 665). Als solches bleibt es auch in der Erinnerung an sein
eindrucksvolles Werk haften.
Saarbrücken Heinz
Müller-Dietz