Müller-DietzMeier20010209 Nr. 1259 ZRG 119 (2002) 50
Meier, Rolf, Dialog zwischen Jurisprudenz und Literatur. Richterliche Unabhängigkeit und Rechtsabbildung in E. T. A. Hoffmanns „Das Fräulein von Scuderi“. Nomos, Baden-Baden 1994. 138 S.
Seit einiger Zeit hat das Werk des preußischen Kammergerichtsrats und Dichterjuristen E. T. A. Hoffmann auch zunehmende rechtswissenschaftliche Beachtung gefunden. Gegenstand der Mainzer Dissertation ist die Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“, die als erste deutsche Kriminalnovelle gilt und auch und gerade in juristischer Perspektive recht unterschiedlich interpretiert worden ist. Die Geschichte der Protagonistin, der es dank kluger eigener Recherchen gelingt, den angesehenen Goldschmied Cardillac, der bei einem seiner nächtlichen Mordgänge selbst erstochen wird, als Massenmörder zu entlarven und dadurch die Unschuld des Verlobten der Tochter zu beweisen, lädt in der Tat zu verschiedenen Deutungen ein. Zumal sich das von Ludwig XIV. eingesetzte Sondergericht in seiner fanatischen und blutrünstigen Haltung deutlich von der Einstellung und Verhaltensweise des Fräuleins von Scuderi abhebt. Dementsprechend hat man in der Novelle etwa die Darstellung von Problemen der Beweisführung im Strafverfahren, der Laiengerichtsbarkeit oder von Recht und Gerechtigkeit schlechthin erblicken zu können geglaubt.
Rolf Meier stellt in seiner Studie im einzelnen das historische Umfeld, die Entstehungsgeschichte, den Inhalt und die Rezeptionsgeschichte der Novelle dar. Auf dieser Grundlage sucht er dann den Geschehensablauf am preußischen Straf- und Strafprozessrecht, das zu Lebzeiten des Dichters, also zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt, zu messen. Zu einem solchen Vergleich sieht er sich durch die juristisch exakte Rekonstruktion der Vorgänge, die Hoffmann in seiner Novelle vorgenommen hat, herausgefordert, obwohl deren Geschichte ja im Frankreich Ludwigs XIV. spielt.
Zwar gelingt es ihm durchaus, gewisse allgemeine Parallelen zwischen der Darstellung des Strafverfahrens in der Erzählung und dem preußischen Recht des frühen 19. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Doch stehen dem auf der anderen Seite auch deutliche Unterschiede gegenüber, die jenen Vergleich als eher problematisch erscheinen lassen. So kannte das damalige preußische Recht z. B. keineswegs mehr die Folter; auch war ihm die Strafe des Verbrennens fremd. Natürlich liegt bei einem Schriftsteller, der sich auch in seinem Richterberuf als unabhängiger Kopf erwiesen hat, der Gedanke nicht fern, diese Novelle gleichfalls als eine mehr oder minder verschlüsselte Justizkritik zu lesen. Indessen lässt schon die Art der Darstellung Zweifel an der Berechtigung einer solchen Sicht aufkommen. Wohl kaum zufällig muss sich das Fräulein von Scuderi nach dem Gespräch mit dem Gerichtspräsidenten selber sagen, daß alles gegen den inhaftierten, aber letztlich unschuldigen Tatverdächtigen spricht: „kein Richter in der Welt hätte anders gehandelt“. Eher schon verweist die Erzählung auf die stringente Logik einer Beweisführung, die sich durch noch so überzeugend scheinende Indizien nicht beirren lässt. Doch hat Meier immerhin mit seinem Vergleich zweier „richterlicher“ Tätigkeiten, der amtlichen des Präsidenten der Chambre Ardente und der „inoffiziellen“ des Fräuleins von Scuderi, das Spektrum möglicher Deutungen um eine anregende Variante bereichert.
Saarbrücken Heinz Müller-Dietz