Dasler, Clemens,
Forst- und Wildbann im frühen deutschen Reich. Die königlichen Privilegien für
die Reichskirche vom 9. bis zum 12. Jahrhundert (= Dissertationen zur
mittelalterlichen Geschichte 10). Böhlau, Köln 2001.
XI, 310 S.
Der Rechtshistoriker nimmt die überarbeitete historische Göttinger Dissertation von 1996 mit erwartungsvollem Interesse zur Hand, da sie im Titel und Untertitel mit „Forst“, „Wildbann“, „Privilegien“ und „Reichskirche“ Begriffe aufnimmt, die sämtlich juristisch geprägt sind, jedoch im Mittelalter noch keineswegs über einen präzisen Inhalt verfügen. Bis heute müht sich die Forschung um Klarstellungen mit unterschiedlichem Erfolg. Die Bemühungen des Verfassers vermögen nur wenig zu befriedigen.
Das Untersuchungsziel besteht darin, die „praktische
Bedeutung“ (S. 1) und „Wirkungsgeschichte der Forste und Wildbänne“
(sic!) darzustellen, die von den „ostfränkisch-frühdeutschen Herrschern“ des 9.
bis 12. Jahrhunderts verliehen wurden (S.
257). In knappen Fallstudien werden 87 einzelne Forstgebiete in alphabetischer
Reihenfolge daraufhin untersucht, welcher Art diese Verleihungen gewesen sind.
Das Untersuchungsgebiet erstreckt sich bis in das heutige Frankreich (Cambrai, Metz), die heutige Schweiz, Südtirol, Slovenien und das heutige Belgien; Reichsitalien bleibt
ausgespart. Behandelt werden die Verleihungen an geistliche Empfänger und
solche Forstgebiete, die eine namentliche Bezeichnung tragen und für die eine
Grenzbeschreibung gegeben ist.
Der Verfasser möchte vor allem (S. 257) die „gängigen Vorstellungen über die Eigenschaften des Wildbanns“ korrigieren (inhaltlicher Umfang des Wildbanns; Herrschaftsbegründung durch Wildbann), indem er diesen „mit den Quellen konfrontiert“ (S. 1). Daran, dies in angemessener kritischer Interpretation zu tun, hindert ihn oft das Fehlen der rechtlichen Bewertungsmaßstäbe. Daraus resultiert wiederum eine Fülle von konjunktivischen Aussagen, die allesamt Mutmaßungen, Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten der Interpretation umschreiben.
Forst und Wildbann werden vom Verfasser zutreffend
unterschieden. Mit der Einforstung wird der Wald zum Forst erklärt und erhält
damit einen rechtlichen Status, der bei der Forstverleihung die Zustimmung
ursprünglich Berechtigter zur Nutzungseinschränkung verlangt. Die in die
Urkunden aufgenommene Konsensformel gilt dem Verfasser jedoch als „beliebige
Floskel“ (S. 9), außer wenn Namen genannt werden. Die Konsensformel kann aber
generell nicht „als beliebige Floskel abgetan werden“, da
Grundstücksübertragungen wegen der möglichen Rechte Dritter nur mit deren
Zustimmung streitfrei übertragen werden können. Darin liegt der juristische
Zweck und Kern der Konsensformel, die der Verfasser auch bei der privilegialen Wildbannverleihung ausdrücklich erwähnt (S.
120 Anm 469). Diese Wildbannverleihungen bezeichnet
der Verfasser unreflektiert als „Privilegien“, ohne diesen für die
mittelalterliche Rechtsordnung eminent konstitutiven Begriff näher zu erläutern
und seine rechtlichen Elemente anhand der Privilegienlehre für die Analyse der
jeweiligen Bannverleihungen nutzbar zu machen. In Abgrenzung zum Forst
qualifiziert der Verfasser den Wildbann korrekt als Nutzungsrecht im Sinne der
ausschließlichen Jagdberechtigung mit der Folge, daß das Forstgebiet einer
allgemeinen Nutzung entzogen wird und das Jagdrecht nur noch dem
Wildbannberechtigten zusteht. Der Verfasser weiß hier „Vorbehaltsklauseln“,
„Jagdverbot für Unbefugte“ und „allgemeines Nutzungsverbot“ nicht als
essentielle Elemente des Privilegs zu bewerten, so daß er in ihnen keinen
„tieferen Sinn“ zu erkennen vermag (S. 15, 257). Die Diplomatik hat jedoch
hinreichend deutlich gemacht, daß die „dispositio“
im Zusammenhang mit der „sanctio“ die
Übertragung einer Berechtigung (z. B. des Jagdrechts) mit dem Verbot jeglicher
Störung des Berechtigten bei der Ausübung seines Rechts und jeder
Zuwiderhandlung verknüpft ist. Dazu gehört auch das Verbot, „infestationis calumniam
ingerere“ (S. 17), die der Verfasser als
„Selbstverständlichkeit“ und „überflüssige Wiederholungen ohne eigenen echten
Gehalt“ ansieht. Vorsicht ist jedoch geboten, Urkundenformeln und „allgemeine
Klauseln“ dieser Art nicht „wörtlich“ zu verstehen (S. 18, 19). Das gilt
natürlich auch für den Inhalt der Wildbanne (ungewöhnlich, daß der Verfasser
stets die Pluralbildung „Bänne“ gebraucht), die in
der Regel das Jagdrecht beinhalten, aber auch im konkreten Einzelfall – was der
Verfasser weitgehend ablehnen möchte – ein „quodlibet
ius exercere“ (S. 18)
unterschiedlichen Inhalts umfassen konnten (Holz, Rodung usw.).
Im Kapitel „Forste und Herrschaft“ wendet sich der Verfasser
gegen die Ansicht, daß Forstverleihungen auch als Mittel zur Herrschaftsbildung
anzusehen seien, und tut dies mit der Begründung, daß „entsprechende Hinweise
in den Verleihungsurkunden fehlen“ (S. 30). Nur für die Bannwaldforste bejaht
der Verfasser eine herrschaftsbildende Wirkung, denn mit diesen „erhielt der
Empfänger schließlich schlicht und einfach ein weiteres Stück Land“ (S. 30f.).
Das ist nun doch eine zu einfache Begründung, denn „Herrschaft“ ist nicht nur
als ein einheitliches historisches Phänomen institutionalisierter Macht (Max
Weber) zu sehen, sondern konstituiert sich über Raumbildung, Grenzziehung und
die mit Grund und Boden verbundenen konkreten Einzelrechte, unter denen die
Bannrechte Herrschaftssplitter bilden, die sich zu einer umfassenden Summe
„Herrschaft“ bündeln können. Für den Verfasser ist die „einzige Herrschaft die
Kontrolle der Jagd“ (S. 33). Auch die Gerichtsbarkeit ist jedoch ein wichtiges
Element der Herrschaft, die an Grund und Boden haftet und vom Verfasser nur
kurz erwähnt (S. 35, 261), aber im Zusammenhang mit Forst- und
Wildbannverleihung als herrschaftsbildendes Element nicht gewürdigt wird.
Interessant ist die Frage, weshalb Wildbanne überwiegend an
die „Reichskirche“ erteilt wurden (S. 260f.). Im Titel seiner Dissertation
hatte der Verfasser noch von den „geistlichen Empfängern“ gesprochen, welche
Formulierung vorzuziehen ist, da die Reichskirche ein höchst komplexes Gebilde
war und keine in sich geschlossene reichsrechtliche Verfassung besaß, wenn sie
auch auf Reichsrecht beruhte. Der Verfasser sieht den Grund für die
Privilegierung der geistlichen Empfänger in adeligen Lebensgewohnheiten, im
„politischen Wert“ und in wirtschaftlichen Interesse. Daß der König durch eine
gezielte Bann- und Forstverleihung eine Privilegienpolitik betrieb, um die
Geistlichkeit an sich zu binden, wird vom Verfasser nicht behandelt. Auffällig
ist, daß ab 1080 keine Wildbannverleihungen und Konfirmationen mehr auftauchen.
Der Verfasser sieht einen Grund dafür im Sinken der königlichen Autorität: „Das
Königtum gerät in schweres Wetter“ (S. 263). Sprachliche Fehlleistungen wie
diese sind leider recht häufig (S. 257: „ ... an Unzufriedenheit konnte dem König
nicht gelegen sein“; S. 260: „ ... Überlassung von Jagdwild ... öffnet ein
Fenster in die ottonisch-salische Zeit“; S. 262:
„Auch dieser Befund kratzt an der Vorstellung von der herrschaftsbildenden
Kraft der Privilegien ...“), die auch hier auf ein Betreuungsdefizit schließen
lassen. Oft mißt der Verfasser die Privilegien zu sehr nach modernem
Rechtsverständnis an der Langzeitwirkung des Gesetzes und bewertet demgemäß das
Privileg negativ als ein „kurzlebiges Behelfsmittel“, das doch gerade die
Bedeutung der Forst- und Wildbannprivilegien als fungible individuelle
Rechtsgestaltungsmittel mit Drittwirkung unterstreicht. Dahinter kann sich sehr
wohl auch eine „herrschaftsstrategische“ (S. 263) Zielrichtung verbergen, die die Ausbildung von Siedlungsgebieten, Grenzziehungen und
Grundherrschaft bis zur Landeshoheit sowie von Verwaltungs- und
Gerichtsbezirken entscheidend zu befördern vermag. Dafür gibt der Verfasser
selber in seinen Fallstudien (S. 37ff.) zu den
topographisch aufgeschlüsselten Forst- und Wildbanngebieten zahlreiche in
diesem Sinne interpretierbare Beispiele.
Frankfurt am Main Heinz
Mohnhaupt