MayenburgFahrmeir20010912 Nr. 10264 ZRG 119 (2002) 56

 

 

Fahrmeir, Andreas, Citizens and Aliens. Foreigners and the Law in Britain and the German States 1789-1870 (= Monographs in German History 5). Berghahn, New York 2000. 258 S.

 

Seit der französischen Revolution kam es in Europa zu einer radikalen Umpolung der Beziehung des Bürgers zur Obrigkeit: war diese zuvor allenfalls mittelbar über personale Bindungen vermittelt, so beanspruchte nun europaweit der Staat unmittelbar die Loyalität seiner Staatsangehörigen und gewährte dafür im Gegenzug jeweils unterschiedlich weit reichende staatsbürgerliche Rechte. Als entscheidendes juristisches Instrument entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Die Studie von Andreas Fahrmeir bietet nun einen wissenschaftlich sauber erarbeiteten und dennoch spannend zu lesenden Einblick in die rechtlichen und praktischen Probleme, die sich aus dieser Entwicklung für die auf diese Weise durch die Rechtsordnung „erfundene“ Gruppe der „Ausländer“ ergab. Inspiriert von den geschichtswissenschaftlichen Debatten zur Nationenbildung und zur Migrationsgeschichte, untersucht Fahrmeir die gesetzlichen und rechtspraktischen Zusammenhänge des Staatsangehörigkeitsrechts, des Einbürgerungs-, des Paß- und des Aufenthaltsrechts, sowie die Behandlung von Ausländern in weiteren Bereichen der Rechtsordnungen Großbritanniens und ausgewählter deutscher Staaten für den Zeitraum zwischen 1789 und 1870.

Im ersten Kapitel geht der Autor der grundsätzlichen Frage nach, wie in den Staaten des Deutschen Bundes und in Großbritannien Staatsangehörigkeit juristisch definiert wurde. Für die deutschen Staaten zieht er die verbreitete These in Zweifel, daß hier, motiviert von gesamtdeutschem Patriotismus, von jeher das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) tragendes Prinzip des Staatsangehörigenrechts gewesen sei. Auch in den ehemaligen Rheinbundstaaten fehlten nämlich staatsangehörigkeitsrechtliche Zäsuren, deutsche Juristen der Zeit hätten ein ius sanguinis nicht erwähnt und schließlich sei die Nationalbewegung in Deutschland gar nicht an der Macht beteiligt gewesen. Ob diese relativ knapp vorgetragene These trägt, mag, zumindest für die zweite Jahrhunderthälfte, bezweifelt werden. Hier hatte nämlich das von Fahrmeir nicht eingehend untersuchte, allein auf die Abstammung abstellende, preußische Staatsangehörigkeitsgesetz von 1842 für die weitere Entwicklung in Deutschland eine gewichtige Vorbildfunktion (vgl. z. B. Wolfgang Wippermann, Das „ius sanguinis“ und die Minderheiten im Deutschen Kaiserreich, in: Hans Hennig Hahn/Peter Kunze (Hg.): Nationale Minderheiten und staatliche Minderheitenpolitik in Deutschland im 19. Jahrhundert. Berlin 1999, 133ff. m. w. N.). Überzeugend zeigt der Autor jedoch, wie die Staaten des Deutschen Bundes mit Hilfe völkerrechtlicher Verträge das vor allem im Abschiebungsrecht relevant werdende Problem lösten, daß nach damaligem Recht die jeweilige Staatsangehörigkeit regelmäßig durch Emigration endete. Wenn bei der Frage, wer für einen Aufgegriffenen zuständig sein sollte, das Abstammungsprinzip nicht weiterhalf, sollte der Geburtsort oder der Auffindungsort der Person entscheidend sein. In diesen Verträgen, die nach Fahrmeir ein Prinzip der „implicit naturalisation“ (S. 26) regelten, nicht in den innerstaatlichen Vorschriften, sieht er „the essence of German citizenship law“ (S.28).

In Großbritannien führte andererseits die strikte Anwendung des ius soli zu Friktionen: so mußte die Erbfolge im Ausland geborener Kinder britischer Eltern in deren Grundbesitz durch Sonderregelungen bewältigt werden. Einbürgerungen wurden in Großbritannien nur unter großen Schwierigkeiten und finanziellen Opfern möglich und führten darüber hinaus anfangs nicht zu einer Gleichstellung mit den im Lande geborenen Briten. Auch hier entwickelte sich erst allmählich aus einem Grundsatz mit Ausnahmeregelungen ein kohärentes Staatsangehörigkeitsrecht.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich näher mit dem Einbürgerungsrecht. In Deutschland mußten Ausländer, und das schloß Bürger anderer Staaten des deutschen Bundes ein, nicht nur Staatsbürger, sondern durch eigenen Antrag zunächst Gemeindebürger werden. Fahrmeir zeigt anschaulich, welche finanziellen und bürokratischen Hürden man, insbesondere in den freien Städten, beim Zutritt zu einer Gemeinde überwinden mußte. Andererseits führte die Einbürgerung in Deutschland, anders als in Großbritannien, stets zur absoluten Gleichstellung mit den übrigen Staatsangehörigen.

Großbritannien kannte zwei Wege zur Einbürgerung, nämlich durch einen private act des Parlaments („naturalisation“) oder durch einen Patentbrief („denization“), die sich in ihrer Wirkung nur geringfügig unterschieden. Seit 1700 waren die Möglichkeiten zum Erwerb der Staatsangehörigkeit allerdings stark begrenzt, und erst 1870 kam es dann mit dem Naturalisation Act zu einer annähernden Gleichstellung der Naturalisierten mit den übrigen Briten. Insgesamt scheint Deutschland weit großzügiger eingebürgert zu haben als Großbritannien.

Besonders spannend liest sich das dritte Kapitel, das sich mit der Frage des Paßwesens beschäftigt. Der Typus des im Frankreich der Revolution erstmalig 1791 eingeführten, rigiden Paßregimes verbreitete sich rasch über ganz Europa. In Deutschland baute man es auch nach Kriegsende 1815 weiter aus, allerdings nicht nur zur Kontrolle politischer Agitatoren, sondern zunehmend auch als Waffe gegen den bedrohlich erscheinenden Pauperismus. Fahrmeir konstatiert sogar eine deutliche Furcht der deutschen Staaten vor Mobilität schlechthin, kontrastiert diese vermeintlich mobilitätshindernde Rechtslage in Deutschland aber überzeugend mit den Möglichkeiten ihrer Durchsetzung. Aufgrund einer beeindruckenden Quellenanalyse kommt er zu dem Schluß, daß das Paßsystem in der Praxis zwar nicht völlig wirkungslos war, daß seine Effizienz aufgrund der technischen und personellen Situation der Zeit, sowie durch Meinungsverschiedenheiten der beteiligten Behörden aber stark eingeschränkt war. Ab der Mitte des Jahrhunderts wurden die Grenzkontrollen europaweit gelockert, von einer vollständigen Freizügigkeit will Fahrmeir aber angesichts der fortdauernden Pflicht, sich ausweisen zu können, nicht sprechen.

Auch Großbritannien führte 1793 mit dem Alien Act ein System strenges Paß- und Kontrollsystem ein, das aber bald wieder eingeschränkt und 1826 durch eine reine Registrierungspflicht ersetzt wurde. Ansonsten herrschte fortan das Prinzip der freien Immigration. Allerdings zeigt Fahrmeir auch, daß diese liberale Haltung in nicht geringem Maße dadurch ermöglicht wurde, daß die Strenge des kontinentalen Paßsystems die Wanderungsströme effektiv von Großbritannien fernhielt.

Das letzte Kapitel behandelt das Aufenthaltsrecht und die Stellung der Ausländer in der sonstigen Rechtsordnung.

Anders als in Großbritannien hatten Ausländer in Deutschland besondere Schwierigkeiten, eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten; deren Erteilung war stark vom Beruf und den Schwankungen des Arbeitskräftebedarfs abhängig. Die Niederlassungsfreiheit, wo sie bestand, war auf Staatsbürger begrenzt. Ausländer erhielten auch keinen Anspruch auf Armenunterstützung, obwohl sie höhere Steuern zahlten als die Einheimischen. Besonders einschneidend wirkte sich die in Deutschland besonders verbreitete Praxis der Abschiebung aus, die häufig mit harter polizeilicher Hand durchgeführt wurde.

In Großbritannien waren dagegen nur wenige Berufe für Ausländer verschlossen und zudem nutzten die Beamten ihre prinzipiell ähnlich weitreichenden Ermessenspielräume hier weit weniger als in Deutschland zur systematischen Diskriminierung zwischen Inländern und Ausländern. Auch Ausländer hatten grundsätzlich Anspruch auf Armenunterstützung, steuerliche Benachteiligungen fehlten ebenfalls. Lediglich zivilrechtlich waren Ausländer in Großbritannien insofern schlechter gestellt, als ihnen der Erwerb britischen Landes versagt blieb. Abschiebungen waren nicht üblich. Insgesamt richteten sich die wenigen restriktiven Vorschriften in Großbritannien überraschenderweise gerade gegen die wohlhabenderen Ausländer, wohingegen diese Gruppen in Deutschland weit leichter eingebürgert wurden.

Als Ergebnis seiner Analysen weist Fahrmeir die These Brubakers (Rogers Brubaker, Citizenship and Nationhood in France and Germany, Cambridge/Mass. 1992, S. 51f.) zurück, in Deutschland habe man in Ermangelung territorialer Einheit auf ethnische Konzepte der Staatsangehörigkeit zurückgegriffen, die letztendlich bis in die Ideologie des Dritten Reichs fortgewirkt hätten. Fahrmeir erkennt dagegen in der Handhabung des Staatsangehörigkeitsrechts durch die deutschen Staaten eine anfangs durchaus erfolgreiche Strategie einzelstaatlicher Nationenbildung, die erst 1870 scheiterte. Großbritannien habe dagegen nahezu vollständig darauf verzichten können, Aspekte der Staatsbürgerschaft als Werkzeug zur nationalen Einigung zu verwenden. Fragen der Kultur, der Sprache oder der Assimilierung hätten bis 1905 nirgends eine Rolle bei der Zu- oder Aberkennung der Staatsangehörigkeit gespielt.

Das Buch Fahrmeirs, eine an der Universität Cambridge abgeschlossene Dissertation, die den Endpunkt einer achtjährigen Forschungsarbeit mit beachtlicher Quellenausbeute bildet, ist methodisch doppelt anspruchsvoll: die Schwierigkeiten des historischen Vergleichs bewältigt der Autor in mustergültiger Weise. Durch eine überzeugende Gliederung, die die Zusammenhänge ohne störende Unterbrechungen des Erzählflusses aneinanderreiht, werden die deutsch-britischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich. Schwieriger erscheint dagegen der Grenzgang zwischen allgemeiner Geschichte und Rechtsgeschichte, den sowohl die Wahl des Themas als auch der Quellen impliziert. Obwohl das bedauerlicherweise von ursprünglich über 100 auf sechs Seiten kondensierte Literaturverzeichnis das wichtigste rechtshistorische Schrifttum aufführt (es fehlt allerdings der einflußreiche Aufsatz von Hermann Rehm, Der Erwerb von Staats- und Gemeindeangehörigkeit in geschichtlicher Entwickelung nach römischem und deutschem Staatsrecht, in: Annalen des Deutschen Reiches 1892, S. 137ff.), bleiben dogmen- und ideengeschichtliche Aspekte ebenso ausgeblendet wie die zeitgenössische staatsrechtliche Diskussion. Seltene terminologische Unschärfen, wie die Verwendung des Begriffs „civil law“ für Großbritannien als Äquivalent für „Zivilrecht“ (S. 179), treten allerdings gegenüber den großen Vorzügen des Buches in den Hintergrund, die vor allem in der anschaulichen und dennoch wissenschaftlich sauberen Darstellung der rechtspraktischen Seite liegen. Das Buch bietet daher auch für den Rechtshistoriker einen beachtenswerten Ausgangspunkt für weitere Studien.

 

Bonn                                                                                                  David von Mayenburg