LaufsCarl20010808
Nr. 10199 ZRG 119 (2002) 35
Carl, Horst, Der
Schwäbische Bund 1488-1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom
Spätmittelalter zur Reformation (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde
24). DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen 2000. XII, 592 S.
„In summa
der bund zu Schwaben das ordentlich wesen teutscher nation gewest, welcher bund
auch von menniglich geforcht und in vil weg den landfrieden und recht beschutzt
und erhalten hat“. Dieses durchaus gültig gebliebene Urteil eines Nürnberger
Gutachters aus dem Jahr 1537 erkennt dem schwäbischen Landfriedensbund aufgrund
der kaiserlichen Gründungsinitiative und der Berufung auf den Reichslandfrieden
eine überregionale Dimension zu und stellt die südwestdeutsche Einigung einer
Vielzahl weltlicher und geistlicher Territorialherren und Städte durch die
Bezeichnung als das ordentliche Wesen in den Kontext der Verfassungsgeschichte
des Reiches. In der Tat hat der Schwäbische Bund als Landfriedensorganisation
nicht nur ein halbes Jahrhundert südwestdeutscher Geschichte geprägt und im
Schwäbischen Kreis nachgewirkt, sondern auch der Verdichtung von Reich und
Reichsverfassung im Zeitalter der Reichsreform Anstöße gegeben und Auftrieb
vermittelt. Bezeichnenderweise handelten Kaiser Maximilian, Eberhard im Bart
oder Berthold von Henneberg im Reich wie im Bund gleichermaßen als
Protagonisten des Verfassungswandels.
Der
Schwäbische Bund hat je und je das Interesse von Historikern auf sich gezogen.
In jüngster Zeit haben vornehmlich Ernst Bock und Heinz Angermeier ‑ im
Zusammenhang mit der Arbeit an der Edition der Deutschen Reichstagsakten ‑
Bahnbrechendes geleistet. Die auf Studien in zahlreichen Archiven gegründete
Tübinger geschichtswissenschaftliche Habilitationsschrift führt darüber hinaus.
Das mit Abbildungen, Farbtafeln, Karten und Graphiken reich ausgestattete Buch
kann als Musterbeispiel dieser leider bedrohten Literaturgattung gelten. Nach
dem frühen Tod des akademischen Lehrers Volker Press haben die Professoren
Sönke Lorenz und
Der Autor
untersucht zuerst die Rolle des Kaisers im Bund, im nächsten Kapitel sodann das
ständische Gefüge der Einigung, das Fürsten, Adel, Prälaten und Städte umschloss.
In der Folge erscheinen die Bundesgremien im Spannungsfeld von
genossenschaftlichen Verfahrensformen und ständischer Differenz. Dann stellt
der Verfasser das Personal der bündischen Leitungsgremien, auch die Kanzlei und
das Finanzwesen vor. Ein weiteres gewichtiges Kapitel beschreibt den Bund als
Friedens‑ und Rechtsgemeinschaft: den Frieden als Fundamentalnorm des
Bundes, die bündische Schiedsgerichtsbarkeit, die Bundesrichter, die
Landfriedenswahrung durch interne Konfliktregelung. Am Ende treten die Feinde
des Bundes vor das Auge des Lesers: das Fehdewesen, die Konfrontation mit dem
dynastischen Fürstenstaat, die schweizerische Eidgenossenschaft (die dem Bund
in der Endphase als Feindbild verloren ging), schließlich die „Placker“ und
„Heckenreiter“.
„Die
Erfolge des Bundes“, so der Epilog, „hatten die paradoxe Folge, daß ihm seine
Feinde schließlich in der Elfjährigen Einigung weitgehend abhanden kamen“.
Nicht nur durch die Dialektik erfolgreicher Landfriedenswahrung machte sich der
Bund endlich selbst weitgehend überflüssig, „auch die Transformation zu einem
Konfessionsbündnis als neuer politischer Möglichkeit, Freund‑Feind‑Gruppierungen
zu generieren, blieb ihm verwehrt“. Zuletzt verlor den Bund auch dem Reich
gegenüber an politischem Profil. Dem Heiligen Römischen Reich hingegen erwuchs
mit den Türken ein äußerer Feind, der wesentlich zum Zusammenhalt trotz der
Religionsspaltung beitrug.
Der Autor
widerspricht der Interpretation des Rezensenten zwar nicht (Der Schwäbische
Kreis. Studien über Einigungswesen und Reichsverfassung im deutschen Südwesten
zu Beginn der Neuzeit, 1971), der Bund sei von Anbeginn „eine durchaus
ständische Organisation“ gewesen. Indessen stellt er wohlbegründet den hohen
Wert des Bundes für die habsburgische Reichspolitik heraus. „Die Stabilisierung
habsburgischen Einflusses auf das königsnahe Schwaben verhalf Maximilian zu
großen Erfolgen gegen die bayerischen und pfälzischen Wittelsbacher 1492 und
1504/1505, mit denen sich Habsburg endgültig gegen die Konkurrenz der zweiten königsfähigen
Dynastie im Reich durchsetzte“. Königliche Politik ließ sich auch mittels des
Schiedsrichteramtes durchsetzen, leichter als über hoheitliche Mandate, wobei
das Reichsoberhaupt höchster und rechter Herr blieb, doch mit ausdrücklicher
Einwilligung der Parteien waltete, die sich verpflichteten, dem Spruch zu
folgen. Nicht nur Maximilian benötigte den Bund, auch die Mitgliedstände
blieben auf das Königtum angewiesen, was sich bei den Bundesverlängerungen
zeigte. Der Verfassungswandel im Zuge der Reichsreformbewegung führte nicht nur
zu einer Neuordnung des Verhältnisses zwischen König und Ständen, sondern
wesentlich zu deren Einbindung in einen sich zur Pflichten‑ und
Lastengemeinschaft verdichtenden Reichsverband. Das Reich, so vermag der Autor
zu zeigen, „profitierte von einer Intensivierung der jeweiligen ständischen
Binnenstrukturen, die mit der Einordnung in das politische System des
Schwäbischen Bundes einhergingen“. Die Integration der Fürsten führte zur
Organisation in einer eigenen Bank, und im Zusammenhang mit diesem Vorgang
verfestigte sich zugleich die Fürstenkurie im Reichstag. Die Bundesgründung
führte auch bei den Reichstädten zu einer verstärkten binnenständischen
Kooperation. Ihre wirtschaftliche und kulturelle Blüte um 1500 spiegelt sich in
der gewichtigen Rolle, die sie im politischen System des Schwäbischen Bundes
spielten. Die ständischen Unterschiede reichten im Bund weniger tief denn im
Reich. Dennoch: „Zum Kernproblem des Bundes wurde es, die egalitären Strukturen
einer Schwureinung mit der extremen ständischen Spannweite der Bundesmitglieder
vom königlichen Territorialherren und Kurfürsten bis zum Niederadeligen zu
vereinbaren“ (S. 506).
Das freie
Mandat der auf die Einung verpflichteten Bundesräte, die Geheimhaltungspflicht
und die Geltung des Mehrheitsprinzips vermittelten dem befristeten
Zusammenschluss des Bundes mehr Schlagkraft als der zeitlich unbegrenzte
Reichstag, eine Form ständischer Repräsentation mit Sessionsstreitigkeiten, sie
jemals besitzen konnte. Der Zug institutioneller Lösungen zeigte sich
insbesondere bei der Errichtung eines ortsbeständigen, mit bestallten Richtern
besetzten Bundesgerichts 1496/1500. Wie die Bundeshauptleute, Bundesräte und
Bundesschreiber wurden Bundesrichter und Gerichtsschreiber durch Eid auf die
Einung verpflichtet - und gut besoldet. Obwohl im Gericht der ältere Typus der
Kleriker‑Juristen seinen Platz behauptete, konnte es als eines der
fortschrittlichsten der Zeit gelten, weil in ihm nach 1500 ausschließlich
rechtsgelehrte Richter und Beisitzer wirkten: eine juristische Elite, die sich
in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Zeichen der landesherrlichen
Universitäten ausbildete. Zehn der Bundesrichter waren Professoren, unter ihnen
die starke Tübinger Fraktion in den Anfangsjahren. Es bezeichnet das
intellektuelle Profil der Bundesrichter, daß eine ganze Reihe von ihnen zum
Kreis der Humanisten gehörte, unter ihnen Johannes Reuchlin.
Abschließend
und überzeugend beruft sich der Autor noch einmal auf Otto von Gierke, der die
Bundesordnung nicht als integralen, sondern „integrierenden Theil der
Reichsverfassung“ charakterisiert hat (Genossenschaftsrecht 1, 512). Die
Lehensstruktur des Reiches hätte ohne komplementäre genossenschaftliche Gefüge
nicht funktionieren können. Die mittelalterliche Idee des Friedens durch Einung
und Konsens behauptete sich auch in der Frühneuzeit und wirkte darüber hinaus
in der deutschen Verfassungsgeschichte fort.
Das
gedankenreiche und weitläufige Buch mit seinen vielen Aufschlüssen zur
politischen Geschichte, zur Verfassungs‑, Sozial‑ und
Rechtsgeschichte ist eine Leistung von hohem Rang, welche die historische
Forschung zu einem ergiebigen Gegenstand auf einen Höhepunkt und zugleich zum
jedenfalls vorläufigen Abschluß bringt.
Heidelberg Adolf Laufs