LanzinnerNoflatscher20001113 Nr. 10006 ZRG 119 (2002) 41
Noflatscher, Heinz, Räte und Herrscher. Politische Eliten an den Habsburgerhöfen der Österreichischen Länder 1480–1530 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Abteilung Universalgeschichte 161 = Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 14). Zabern, Mainz 1999. XI, 496 S., 4 Tafeln.
Daß er sich „nit welle lassen regiern, wie kaiser Maximilian beschehen seie”, so lautete der Vorsatz des 21-jährigen Kaisers Karl V. Ähnlich äußerten sich andere Herrscher seiner Zeit. Sie wollten nicht mehr im Schatten übermächtiger Ratgeber stehen, wie das vermeintlich, aber auch tatsächlich manche ihrer Vorgänger hingenommen hatten. Das Monopol eines „zweiten Mannes” auf das Regierungshandeln verschwand im Lauf des 16. Jahrhunderts. Das lag nicht zuletzt an den neu begründeten Zentralbehörden und Geheimen Ratskollegien, die in der Regel die Entscheidungen einem formellen Verfahren unterzogen. Im Zeitraum von 1480 bis 1530 war dies noch nicht der Fall. Die Machtchancen einzelner Berater waren höher, und zwar aufgrund der informellen Regierungspraktiken, aufgrund der nur informellen Mitsprache der Großen des Landes, ferner aufgrund der oftmals vernachlässigten Ausbildung der künftigen Regenten.
Noflatscher richtet die
Scheinwerfer ganz auf die Räte im engen Umkreis der österreichischen
Habsburger. Er verknüpft den in derartigen Untersuchungen üblichen
prosopographischen Ansatz mit politikgeschichtlichen und sozialgeschichtlichen
Fragestellungen. Um es gleich vorwegzunehmen: Das Verfahren bringt gute
Erträge. Wer wird der Funktionselite zugerechnet? Die Auflistung orientiert
sich an Ämtern (Kanzler, Schatzmeister, Hofmeister, Marschall) und den
offenkundig bestimmenden Persönlichkeiten, die 1480-1530 im Dienst der Kaiser
Friedrich III. und Maximilian I., ferner Erzherzog Ferdinands und Herzog
Sigismunds von Tirol standen. Das ergibt im ganzen einen Kreis von 108
Personen, darunter 65 an den Höfen selbst, 43 in den zentralen Herrschaftspositionen
im Land. Die „Entscheidungs-“, „Reputations-” und „Positionsmethode”, wie
Noflatscher seine Auswahlkriterien (S. 6) nennt, sind nicht trennscharf, aber
das ist für die Epoche um 1500 auch gar nicht anders zu erwarten.
Die 108 führenden Räte
der Habsburger werden einer umfassenden sozialstrukturellen Analyse unterzogen.
Deren Hauptkriterien sind Region (Herkunft, regionale Färbung der Politik,
Mobilität), sozialer Stand (Stratigraphie, sozialer Aufstieg), Familie
(Familiennetze, Vitaldaten, Heirat, Lebensphasen usw.) und Karriere
(Qualifikationen, Laufbahn, Altersstruktur usw.). Das sozialgeschichtliche
Interesse steht klar im Vordergrund, aber es kommen auch die politischen
Implikationen zur Sprache, die Wirkung von Persönlichkeit, regionaler oder
sozialer Herkunft auf die Politik. Unter Maximilian I. beherrschten noch die
Tiroler Räte aus dem niederen Adel das Feld. Deren enge personale Verflechtung
glich die ansonsten schwerfällige Kommunikation außerhalb des Hofes aus.
Reichskammergericht, Reichsregiment und Hofordnungen erweiterten dann den
Rekrutierungsraum für die kaiserlich-habsburgische Politik. Damit bahnte sich
im römisch-deutschen Reich und den Erblanden ein Integrationsprozeß an, jedoch
führten die spanischen Reiche und das Erbe der böhmisch-ungarischen Kronlande
zu neuen, schier unüberwindlichen Schwierigkeiten. In den Erblanden und am Hof
Ferdinands gewannen nun die Niederösterreicher statt der Tiroler die Oberhand,
zugleich der höhere Adel gegenüber dem niederen Adel und den Bürgerlichen. Die
Gründung des Geheimen Rats 1526 beendete in Wien die Phase des rein informellen
Regierens. Der Hof Karls V., an dem die Niederländer dominierten, wird nur
beiläufig behandelt.
Lassen sich die
Ergebnisse, was die politischen Implikationen betrifft, nur andeuten, so gilt
dies noch mehr für die Sozialgeschichte der Ratseliten. Dazu hat man nun eine
reiche Fundgrube, ob es um die ständische Gliederung, die Lebensformen, das
Selbstverständnis der Spitzenpolitiker um 1500, ihre Wohnsitze oder ihre
Familienverbindungen geht. Darin auch liegt der eigentliche Wert der Studie,
die noch am Sonderforschungsbereich Spätmittelalter und Reformation der
Universität Tübingen unter Volker Press begonnen wurde. Obschon ihr überwiegend
gedruckte Quellen und Literatur zugrunde liegen, fügt sie aus den verstreuten
Informationen doch ein faszinierendes Puzzle. Zu bedauern ist, daß die
Rätebiogramme, die offenbar der Darstellung zugrunde liegen, nicht im Buch
selbst publiziert sind. Dies erschwert die Überprüfung, zudem werden dem Leser
wünschenswerte Informationen vorenthalten, auch wenn sich einige Lebensläufe
über das Register erschließen lassen. Die lebendig geschriebene Darstellung ist
nicht frei von Redundanzen und vom Räsonnieren über Selbstverständlichkeiten.
Hier hätte sich noch Platz gewinnen lassen. Die Einwände schmälern aber
keineswegs das Urteil, daß eine große Forschungsarbeit vorliegt. Sie läßt uns
nicht nur die Politik besser verstehen, die üblicherweise nur den Regenten
selbst zugeschrieben wird, sondern liefert auch ein eindringendes Lebens- und
Sozialprofil der politischen Elite um 1500.
Passau Maximilian
Lanzinner