LammelRohlack20010825 Nr. 10426 ZRG 119 (2002) 69

 

 

Rohlack, Momme, Kriegsgesellschaften (1914-1918). Arten, Rechtsformen und Funktionen in der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs (= Rechtshistorische Reihe 241). Lang, Frankfurt am Main 2001. 256 S.

 

Die Neu-Organisation der Wirtschaft im Ersten Weltkrieg stellte für Deutschland eine besondere Notwendigkeit dar. Denn nach den übereinstimmenden Feststellungen der einschlägigen Geschichtsbücher [1] war das Reich wirtschaftlich auf einen Krieg, zumal einen länger andauernden, nicht vorbereitet, weder hinsichtlich der Bevorratung kriegsnotwendiger Rohstoffe, noch hinsichtlich deren Bewirtschaftung und Verteilung; eine Problematik, die für ein extrem importabhängiges Land wie Deutschland kriegsentscheidend werden konnte. In den gleichen Werken werde auch das Mittel angedeutet, mit dem diesem Problem begegnet worden ist, nämlich der Gründung von sog. Kriegsgesellschaften. Auf der Basis dieses allgemeinen Wissens setzt die Untersuchung Rohlacks ein. Nach einer kurzen Einleitung über die militärische/wirtschaftliche/finanzielle Kriegsbereitschaft des Deutschen Reiches stellt er zunächst den Aufbau der staatlichen Kriegswirtschaftsverwaltung dar. Hierbei wird deutlich, dass auch rechtlich die für eine Bewirtschaftung erforderlichen Grundlagen bei Kriegsausbruch nicht vorhanden waren; sie mussten erst – versteckt in einem Artikelgesetz über die Wechsel- und Scheckfristen – im August 1914 geschaffen werden. Das gleiche galt für die Kriegsverwaltungsbehörden. Schließlich werden noch die unmittelbar auf die Wirtschaft wirkenden Maßnahmen vorgestellt: Beschlagnahme, die nur zur Verfügungsbeschränkung führte, die Enteignung und als Sicherung beider Maßnahmen die Höchstpreispolitik. Bei der Darstellung der einzelnen Arten von Kriegsgesellschaften geht der Verfasser von einem funktionalen Ansatz dergestalt aus, dass unter diesen Tatbestand nicht nur (handelsrechtliche) Gesellschaftstypen subsumiert werden, sondern alle Organisationsformen, deren sich die Kriegsverwaltung zur Durchsetzung der kriegswirtschaftlichen Aufgaben bediente. Bei der inhaltlichen Darstellung wählt er hingegen einen strukturalistischen Ansatz, der technisch-organisatorische Aufbau, die Entscheidungsstränge und die schleichende Kompetenzverlagerung auf die öffentliche Verwaltung werden in den Vordergrund gestellt. Dabei bleibt der sich darin zeigende Wandel zunächst in den volkswirtschaftlichen Auffassungen, dann aber auch bei der Einzelausgestaltung, insbesondere von Aktiengesellschaft und Gesellschaft mit beschränkter Haftung, etwas im Hintergrund. Insgesamt werden vier Arten von Kriegsgesellschaften vorgestellt, die Kriegs-Aktiengesellschaft, die Kriegs-GmbH, die Kriegs-Abrechnungsstelle und der Kriegsausschuss. Welche Form im einzelnen für die zu bewältigenden Aufgaben gewählt wurde, hing wesentlich von dem vorgefundenen Organisationsgrad des zu bewirtschaftenden Wirtschaftszweiges ab; man war – zunächst – also gewillt, die vorhandenen privatwirtschaftlichen Strukturen beizubehalten, solange sich diese als für die Bewirtschaftungsmaßnahmen als nützlich erweisen konnten.

Als Beispiel für eine Kriegs-Aktiengesellschaft wird die Kriegs-Metallaktiengesellschaft im Detail erläutert, deren Organe und Geschäftsbetrieb und ihre Stellung innerhalb der Kriegswirtschaft. Dabei wird deutlich, wie eine wirtschaftsrechtlich „neutrale“ Organisationsform durch rechtlich durchaus zulässige Umgestaltungen besonderen staatlichen Zielen unterworfen werden kann: während die Bestellung von staatlichen Kommissaren noch an die vorliberalen Zustände bei Aktiengesellschaften erinnert, waren die Befugnisse zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung untypisch verteilt. Zwar war der Vorstand das Vertretungs- und Geschäftsführungsorgan, er unterlag aber dem Weisungsrecht des Aufsichtsrates; für die Aktionäre leiteten sich die Rechte und Pflichten nicht vorrangig aus der Innehabung von Aktien ab, sondern ihre maßgebliche Pflicht bestand in der Lieferung der benötigten Metalle. Da der Gesellschaft zunächst auch die (Rück-)Lieferung der Metalle zur kriegswirtschaftlichen Weiterverarbeitung oblag, wurden hierbei Großaktionäre bevorzugt. War die Struktur der Gesellschaft mit dem Weisungsrecht des Aufsichtsrates darauf ausgerichtet, die Gesellschaft insgesamt als Instrument zur Vermeidung staatlicher Lenkung der (Metall-)Wirtschaft zu sehen, stellte sich diese Bevorzugung als die Folge davon dar. Hier zeigte sich noch die anfängliche privatnützige liberale Wirtschaftsauffassung, die der bis zu Kriegsbeginn herrschenden Nationalökonomie entsprach: der Staat hatte die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens zu garantieren, sich aber ansonsten aus der Wirtschaft herauszuhalten[2]. Nur ganz vereinzelt – abgesehen von den marxistisch-kommunistischen Ideen – wurde vor dem Krieg einem gesteigerten Staatseinfluss auf die Wirtschaft das Wort geredet[3]. Eine Neuorientierung der Wirtschaftsauffassung – gerade auch im Hinblick auf die sich immer mehr vom Einfluss der Aktionäre verselbständigenden Aktiengesellschaften – propagierte später vor allem Rathenau, der sich für eine neue Produktionsordnung verwandte, gleichzeitig aber die Gegenkräfte mit den Schlagworten: freier Handel, freie Wirtschaft in dem Begriff „freies Geldverdienen“ zusammenfasste[4]. Im Krieg setzte sich diese „gemeinnützige“ Auffassung durch; die Kriegs-Metallaktiengesellschaft wurde schließlich hinsichtlich der ihr übertragenen Aufgaben so eingeschränkt, dass sie sich nur noch als unselbständige Hilfsorganisation der Heeresverwaltung erwies. Die gleiche Problematik der Zurückdrängung privatnützigen Denkens durch Aufgabenverlagerung auf die Kriegsverwaltung zeigte sich bei der Reichsgetreidestelle, Geschäftsstelle GmbH. Hier tauchte zusätzlich das Problem des Schleichhandels auf, also die Umgehung des Ablieferungszwanges zu staatlich festgesetzten Preisen; diese Umgehungsversuche machten eine Aufblähung des Verwaltungsapparates wegen der notwendigen Kontrollmaßnahmen erforderlich. Strukturell erinnert die Zweiteilung der Aufgaben zwischen einer Verwaltungsabteilung und der Geschäftsabteilung an die aus dem Verwaltungsrecht bekannte Zwei-Stufen-Theorie, wonach die Grundentscheidungen hoheitlicher Natur sind, deren Ausführung aber dem Privatrecht angehört. Letzteres wurde auf diesem Gebiet noch dadurch verdeutlicht, dass beim Getreideeinkauf wie auch bei dem Verkehr mit den Mühlen Allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde gelegt wurden, denen sich die potentiellen Partner unterwerfen mussten, wollten sie bei der Getreidebewirtschaftung geschäftlich beteiligt werden. Die beiden anderen noch dargestellten Kriegsgesellschaften, die Kautschuk-Abrechnungsstelle und der Kriegsausschuss der Deutschen Baumwollindustrie, waren auf die kaufmännische Abwicklung bzw. lediglich auf Beratung abgestellt, so dass „privatnützige“ Interessen nicht direkt zum Zuge kommen konnten. Hervorzuheben bleibt lediglich für den Kriegsausschuss die Beteiligung der Gewerkschaften, um eine möglichst gleichmäßige Beschäftigung der Arbeiter zu sichern, was aber letztlich an der mangelnden Infrastruktur der Betriebe scheiterte; der Krieg führte zu einer Konzentration und Spezialisierung der Baumwollbranche, weil nur noch Hochleistungsbetriebe den gesteigerten Anforderungen gewachsen waren.

Welchen Einfluss haben nun die Kriegsgesellschaften auf die weitere Entwicklung von Recht und Volkswirtschaft gehabt? Hinsichtlich der Volkswirtschaftslehre kam es zu einer kurzen Blüte einer sog. Kriegswirtschaftslehre, der aber nach dem Krieg sofort jede grundlegende Berechtigung abgesprochen wurde, die Wirtschaftsfreiheit wurde gegenüber dem Wirtschaftszwang hervorgehoben[5]. Zwar wurde zum Teil von einer Sozialisierung der Wirtschaft im Krieg gesprochen („Kriegssozialismus“)[6], dieser Form aber gerade im Hinblick auf die Kriegsgesellschaften keine richtungsweisende Bedeutung beigemessen[7]. Anders ist der Einfluss der Strukturen der Kriegsgesellschaften auf das Recht bzw. die tatsächliche Handhabung der Organisation der Kapitalgesellschaften zu bewerten. Mag dieser Einfluss auch nicht explizit zur Kenntnis genommen werden, unterschwellig ergibt sich doch eine strukturelle Verschiebung von den Kompetenzen der Hauptversammlung auf Vorstand und Aufsichtsrat, wobei letzterem immer mehr eine entscheidende (Leitungs-)Position zukommt[8], eine Problematik, die sich bis in jüngste Zeit fortsetzt.

Das Buch Rohlacks weist also über den zunächst eng erscheinenden Rahmen der Kriegsgesellschaften weit hinaus und lädt dazu ein, gesellschaftsrechtliche Strukturen neu zu überdenken.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Siegbert Lammel



[1] Nipperdey, Deutsche Geschichte, II (1992), S. 788; Craig, Deutsche Geschichte (1981), S. 309.

[2] S. z. B. Philippovich, Grundriss der Politischen Oekonomie, I, 7. Auflage (1908), S. 97.

[3] S. Ruhland, System der Politischen Ökonomie (1908/1909), S. 1168: Um die Gründung von Syndikaten auf der ganzen Linie des Erwerbslebens vorzubereiten, die bestehenden Syndikate fortlaufend zu kontrollieren und die harmonische Fortentwicklung aller Berufsstände zu überwachen, wird in Parallele zum Reichsgericht ein Reichsvolkswirtschaftsrat geschaffen.

[4] W. Rathenau, Schriften und Reden, hrsg. Hans Werner Richter (1964), S. 417.

[5] Briefs, Kriegswirtschaftslehre und Kriegswirtschaftspolitik, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften4 (1923), V, S. 984ff.

[6] Zitate bei Pesch, Lehrbuch der Nationalökonomie, I3/4 (1924), S. 403.

[7] Pesch (wie Fn. 6), IV1/2 (1922), S. 216/217.

[8] Passow, Die Aktiengesellschaft (1922), S. 387ff.