LacourMünch20010206
Nr. 10351 ZRG 119 (2002) 41
Münch,
Paul, Das Jahrhundert
des Zwiespalts. Deutsche Geschichte 1600-1700. Kohlhammer, Stuttgart 1999. 192
S.
Paul
Münch betrachtet das 17.
Jahrhundert, das „janusköpfig zwischen den Epochen“ Mittelalter und Moderne
steht, als eines „des Zwiespalts“ (S. 22). Ein „integrativer
kulturgeschichtlicher Zugriff“ soll dessen „Scharnierfunktion“ deutlich machen
(S. 167). Auch viele Zeitgenossen empfanden das von Kriegen geprägte
Jahrhundert als dunkel; 1698 bezeichnete Gregorius Andreas Schmidt es als
„Eißernes oder martialisches Saeculum“ (S. 24). Andererseits nahmen
tiefgreifende Veränderungen hier ihren Anfang und bereiteten die Moderne vor:
die Neuorientierung des Denkens und des Weltbildes vom geozentrischen zum
heliozentrischen; die „Wissenschaftliche Revolution“; der Siegeszug der
Empirie; die Entkonfessionalisierung. Hatte „der Kampf um die ungeteilte
‘Wahrheit’, die jede Seite exklusiv für sich beanspruchte,“ den Dreißigjährigen
Krieg noch in einer Weise verschärft, dass der Verfasser sich an die
Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien erinnert fühlt (S. 159), am Ende des
Jahrhunderts verflüchtigten sich die „fundamentalistischen Verhärtungen des
konfessionellen Zeitalters“ weitgehend (S. 124). Dennoch blieben die Projekte
zur Wiedervereinigung der getrennten Konfessionen ohne Ergebnis.
Unter
dem Eindruck der Krisen zerbrach vor allem „das Bollwerk gesicherter
Unveränderlichkeit“ (S. 164). Die Menschen wurden sich der Neuzeitlichkeit
ihrer Epoche bewusst und begannen sich vom Idealbild der Vergangenheit zu
lösen, obgleich das Leben in den meisten Bereichen noch vormodern geprägt
blieb. Die Vorstellung der Dreiteilung der Geschichte in Altertum, Mittelalter
und Neuzeit setzte sich rasch durch.
Relativ
ausführlich geht Münch auf die politische Organisation des Reiches und
damit auf „die eigentümliche staatliche Entwicklung Deutschlands“ ein. Den
Begriff „Absolutismus“ lehnt er zur Epochenbezeichnung als „imperialistisch“ ab
(S. 108), denn er übersieht die mittleren und unteren, lokalen Ebenen mit ihrer
Selbstregulierung und ihren komplexen Rückwirkungen auf die obere Ebene. Auch
wenn überall Bürokratien straffer organisiert wurden, „der ‘Staat vor Ort’
blieb noch lange Utopie.“ (S. 107) Guts- und Grundherrschaft blieben
unangetastet und weiterhin geschichtsmächtig.
Der
Verfasser verwahrt sich gegen „die beliebten pauschalen Vergleiche zwischen
einem ‘rückständigen’ Deutschland und einem ‘fortschrittlichen’ Westeuropa“ (S.
93). Die im Vergleich zu seinem absolutistischeren Nachbarn schwach ausgeprägte
Staatlichkeit des Reiches betrachtet man heute nicht mehr als Defizit, sondern
positiv als Grund dafür, dass sich regionale Unterschiede und kulturelle
Vielfalt bis in die heutige Bundesrepublik erhalten konnten. In günstigem Licht
erscheint zudem, dass das Alte Reich und seine Länder nach dem Westfälischen
Frieden keine Macht- und Expansionspolitik zu Lasten der Nachbarn betrieben.
Der Gedanke vom Gleichgewicht der Mächte in Europa nahm Gestalt an.
Auf
nur 158 Seiten Text gelingt es dem Autor, die wichtigsten Aspekte der deutschen
Geschichte, immer jedoch eingebettet in den europäischen Kontext, kompakt und
anschaulich darzulegen, ohne über wichtige Details und Kontroversen
hinwegzugehen. Wo nötig greift er zeitlich auch weiter aus. Der Band führt in
alle wichtigen Themenfelder ein, teilweise - wie im Kapitel über Religion und
Konfessionen - sehr intensiv und plastisch. Bevölkerungsentwicklung; das von
der „Kleinen Eiszeit“ geprägte Klima; Weltbild und Dreiständelehre, Guts- und
Grundherrschaft; gewerbliche und landwirtschaftliche Entwicklung - oder
vielmehr Verharren bei überkommener Dreifelderwirtschaft und in zünftischer
Organisation, die Ausbreitung von Lohnarbeiterverhältnissen im Verlagssystem
und später in Manufakturen; Kameralismus; Bildung, Wissenschaft, Kunst und die
sprachreformerischen Anstrengungen, Deutsch als Hochsprache zu etablieren,
sowie die Herausbildung ständeübergreifender Öffentlichkeiten durch Zeitungen
und Zeitschriften werden analysiert und beschrieben. Vielleicht hätte man sich
auch einen kurzen Abschnitt zur Rechtsgeschichte und Gerichtspraxis gewünscht.
Einerseits
sind es die traditionellen Gebiete, auf die sich der Autor konzentriert;
andererseits fließen Erkenntnisse aus Geschlechter- und Mentalitätsgeschichte
vielfach ein. Diesen wird aber kein eigenes Kapitel gewidmet. Im Vergleich zu
anderen Neuerscheinungen auf dem Markt der Lehrbücher oder Grundlagenwerke -
wie dem „Oldenbourg Geschichte Lehrbuch: Frühe Neuzeit“ - empfindet man dieses
Vorgehen als angemessener. Denn ein Einführungswerk kann ja unmöglich alle
Details oder Neuheiten der Forschung entsprechend würdigen. Wichtig ist doch,
dass der Leser, der eine Einführung erwartet, diese auch bekommt. Wenn man, wie
das im obengenannten Werk der Fall ist, wichtige Themenbereiche - z. B. die
politische Geschichte - entweder ausgelassen oder nur angedeutet findet, dafür
aber wenige „neue Impulse“ und „Untersuchungsschwerpunkte“ relativ unkritisch
bejubelt und ausführlich dargestellt, fragt man sich schon, was man mit einem
solchen „Lehrbuch“ anfangen soll. Hier hebt sich Münchs schmaler Band
angenehm ab.
Insgesamt
also ein Buch, das ohne Einschränkung zu empfehlen ist.
Anschau Eva
Lacour