LacourErnst20001231 Nr. 10220 ZRG 119 (2002) 42
Ernst, Christoph, Den Wald entwickeln. Ein Politik-
und Konfliktfeld in Hunsrück und Eifel im 18. Jahrhundert (= Ancien Régime,
Aufklärung und Revolution 32). Oldenbourg, München 2000. X, 408 S.
Wie
ein roter Faden zieht sich durch diese Trierer Dissertation, was der Verfasser
im Untertitel ankündigt: die Entwicklung des Waldes als Politik- und
Konfliktfeld, d. h. zwischen Ökonomie, Gewohnheitsrechten und persönlichen
Interessen, zwischen ökologischen Notwendigkeiten und politischen
Entscheidungen. Damit wendet er sich gegen die traditionelle Forstgeschichte,
die sich zu einseitig auf die Holzproduktion konzentriert und vor allem mit den
Forstgesetzen nur einen Teil der einschlägigen Quellen berücksichtigt.
Christoph
Ernst ordnet sein Werk
der Waldentwicklungsforschung zu. Seine Stärke ist die sorgfältige theoretische
Vorbereitung. Nach der Hauptnutzung teilt er den Oberbegriff Wald in die
Gruppen Holzproduktionswald, Landwirtschaftswald und Jagdwald. Damit wird
deutlich, dass die Erzeugung von Brenn-, Kohl- und Bauholz nie die dominierende
oder gar einzige Form der Nutzung des Waldes durch den Menschen war. Vor allem
bemüht sich der Autor, wirklich alle relevanten Quellengattungen zu
berücksichtigen - neben der Forstgesetzgebung also die Rechnungen und
Prozessakten. So ermöglicht die breite Quellenbasis überhaupt erst, Theorie und
Praxis der Waldnutzung in den Blick zu bekommen. Untertanen erscheinen nicht
nur als Objekte obrigkeitlicher Forstpolitik oder Störenfriede einer
nachhaltigen Waldentwicklung, sondern als Partei mit berechtigten,
hergebrachten Rechten. Geografisch deckt die Untersuchung mit Kurtrier und der
Hinteren Grafschaft Sponheim die größten Teile von Eifel und Hunsrück ab und
greift noch ein Stück in den Westerwald aus.
In
der Forstgesetzgebung genoss der Jagdwald „einen ausgeprägten Vorzug“ (S. 85).
Die traditionelle herrschaftliche Wertschätzung für die Jagd drückte sich in
den äußerst hohen Strafmaßen aus, mit denen Verstöße bedroht wurden. Seit 1750
verschoben sich allmählich die Prioritäten durch den immensen Bedeutungszuwachs
der gewerblichen Holzproduktion. Die gründliche und arbeitsintensive Auswertung
der Rechnungen fördert nämlich ein wichtiges Ergebnis zu Tage: Für die
Obrigkeit stellte der Holzverkauf aus dem Kammerwald mit durchschnittlich rund
10% aller jährlichen Einnahmen wie die Zolleinnahmen eine der wichtigeren
Geldquellen dar. So erklärt sich natürlich das überragende Interesse der
Herrschenden an der Klafter- und Stammholzproduktion vor konkurrierenden
Nutzungen wie der Landwirtschaft. Die Analyse der in der zweiten Hälfte des 18.
Jh. geschlagenen Holzmengen und der daraus erzielten Erlöse zeigt, dass von
einer nachhaltigen Nutzung keine Rede sein konnte. Eher ging es um rücksichtslose
Ausbeutung, obwohl das Prinzip der Nachhaltigkeit bekannt war; geprägt wurde
der Begriff 1713 vom sächsischen Berghauptmann Carl von Carlowitz.
Interessant
ist die Analyse der Streitigkeiten zwischen Gemeinden und Obrigkeit. Die
Gemeinden klagten über einen Mangel an Fall- und Raffholz, das ihnen zur
Deckung ihrer Holznotdurft zustand, infolge der intensivierten
Schlagwirtschaft. Die Gerichte gaben den Klägern größtenteils Recht: „Brodt und
Holtz seiendt dem Bauersmann ohnentpehrlich vonnöthen“ (Urteil von 1774, S.
261). Auch die Obrigkeiten waren daran interessiert, die Untertanen zufrieden
zu stellen, denn der gemeindliche Widerstand verunsicherte den Kohlholzmarkt.
Seit den frühen 1770er Jahren bemühte man sich daher um eine prinzipielle Klärung
aller Notdurft-Rechte. Als Kompromiss wurde den Gemeinden anstelle ihres
„ungemessenen Kollektivrecht(s)“ an Fallholz „ein exakt quantifiziertes
Individualrecht“ auch an stehenden Bäumen zugewiesen (S. 316). Trotz ihrer
Einwände gegen die obrigkeitliche Schlagwirtschaft nutzten die Gemeinden aber
auch ihre eigenen Wälder zur gewerblichen Holzproduktion, um Schulden zu
tilgen oder Einnahmen zu steigern. Dennoch stand für sie die
landwirtschaftliche Nutzung im Zentrum des Interesses. Tendenziell verminderten
sie dabei - durch Nährstoffentzug und Abweiden - „Fläche und Qualität des
Holzproduktionswaldes“ (S. 343).
Aufschlussreich
ist die Entstehungsgeschichte des kurtrierischen Forstgesetzes von 1768, die
aufgrund der günstigen Quellenlage im Detail nachvollziehbar ist. Dies
ermöglicht Einblicke in das Kräfteverhältnis und die Machtverteilung zwischen
Kurfürst, Regierung, Hofkammer, Landständen, Ritterschaft und Forstamt. Im 18.
Jahrhundert debattierten alle Parteien in Kurtrier über die „Holznot“. Der Autor
hält jedoch - gestützt auf 1759 und 1766 in der Grafschaft Sponheim sowie 1787
in Kurtrier durchgeführte genaue Abschätzungen der Holzvorräte - eine generelle
Holznot damals nicht für allgemein gegeben. Der jährliche Ertrag an Klafterholz
drohte aber gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Kurtrier gegenüber den
vorangegangenen Dekaden um mehr als die Hälfte zu schrumpfen. Dennoch konnte
keine Rede davon sein, „daß die Wälder gänzlich zernichtet seiend“, wie das der
badische Kameralist Johann Jakob Reinhart 1765 in einer Reisebeschreibung
äußerte (S. 338). Nach Ansicht des Verfassers „verschleierte“ die
landesherrliche Administration mit der „Holznot-Rhetorik“ die Tatsache, dass
„die Hauptschuldigen Hofkammer und Forstamt hießen“ (S. 331). Denn „mit der
Warnung und Sorge vor einer Holznot flankierten“ die Behörden „ihr eigenes
drastisches Entwaldungs- und Versilberungsprogramm der Ressource Holz.“ Auch
die Schäden, die das Wild und aufwändige Jagden am Wald verursachten, wurden
von den Verantwortlichen verdeckt.
Gegen
Ende des Buches bündelt der Verfasser prägnant und kompakt den Ertrag seiner
Studie zu sieben Thesen. Als Bilanz lässt sich festhalten, dass die
Waldentwicklung stärker von den Interessen als vom Eigentum am Wald bestimmt
wurde. Die Interessenlagen lassen sich nicht auf einen krassen Gegensatz
zwischen Obrigkeit und Untertanen reduzieren. Vielfach waren sie auch ähnlich.
Lediglich für die „Hauptkonfliktlinie (...) Holzproduktionswald versus
Landwirtschaftswald“ galt dieser Gegensatz der Primärinteressen (S. 345). Die
kurzfristige Dominanz ökonomischer Motive trug sowohl bei den Landesherren als
auch den Gemeinden zu übermäßiger Beanspruchung der natürlichen Ressourcen bei.
Zuletzt
aber ein Kritikpunkt: Lange Zahlenreihen zu Holzmengen und Holzpreisen hat
Christoph Ernst ermittelt. Er präsentiert sie in Gestalt übersichtlicher
Grafiken mit schönen Trendgeraden (S. 106f.). Warum nur - fragt man sich - hat
er nicht wenigstens im Anhang die Rohdaten hinzugefügt? Dann könnte man im Fall
von Zweifeln wenigstens selbst nachrechnen. Denn das Rechnen ist nicht gerade
des Autors Stärke. Die Frage ist z. B., ob lineare Trends die Preisentwicklung
überhaupt korrekt beschreiben. Das wäre mittels einer Residualanalyse noch zu
prüfen. Auch wenn die Regressionsfunktion mit einer Geraden richtig
spezifiziert ist, muss aber der Anstieg, also der Regressionskoeffizient b, auf
Signifikanz geprüft werden, bevor man beurteilen kann, ob die Preise
tatsächlich signifikante Steigerungen erfuhren. Anscheinend glaubt der Autor selbst
nicht an lineare Trends, denn sonst würde er bei der Interpretation nicht von
„Zwischentief“ und „phasenweise(r) Preisstabilität“ sprechen (S. 108). Da hätte
man den Trend vielleicht besser mit Hilfe gleitender Durchschnitte berechnet.
Ob es stimmt, dass die „nominelle Teuerung des Kohlholzes zwischen 1759-1792
(...) in der Eifel, ausgehend von dem ohnehin höheren Preisniveau, spürbar
stärker als im Hunsrück“ war (S. 109), kann so nicht nachvollzogen werden.
Interessant ist aber, dass ab 1750 die Landesherren den Eisenwerken - neben den
Holzgroßhändlern die wichtigsten Nachfrager - die Privilegien bei der
Holzversorgung entzogen, der Kohlholzpreis somit davor aus Gründen der
Gewerbeförderung künstlich niedrig gehalten worden war.
Trotz
der Schwächen im quantitativen Bereich liegt hier ein ertragreiches Buch vor.
Anschau Eva
Lacour