KunigNaturnutzung20001013 Nr. 10117 ZRG 119 (2002) 56

 

 

Naturnutzung und Naturschutz in der europäischen Rechts- und Verwaltungsgeschichte - Utilisation et Protection de la Nature dans l’histoire Européenne du Droit et de l’Administration – Nature Use and Nature Conservation in European Legal and Administrative History, hg. v. Heyen, Erk Volkmar (= Jahrbuch für europäische Verwaltungsgeschichte 11 [1999]). Nomos, Baden-Baden 1999. 366 S.

 

Die von Erk Volkmar Heyen mit der Unterstützung eines interessant besetzten und aktiven internationalen Beirats herausgegebenen Jahrbücher für Europäische Verwaltungsgeschichte haben sich in wenigen Jahren profiliert. Sie sind bemüht, wie es der Gesamtherausgeber und editorisch Verantwortliche auch für den vorliegenden Band im Editorial formuliert, „Verwaltungsgeschichte in ihrer ganzen Vielfalt zu zeigen, d. h. zugleich als Staats- und als Gesellschaftsgeschichte, als Wirtschafts- und als Kulturgeschichte, als Mentalitäts- und als Organisationsgeschichte ..., dazu interdisziplinär und europäisch vergleichend“ (S. XII). Es gibt hier also keine klaren Abscheidungen, sondern den Reiz der Vielfalt. Es geht durchweg um „Geschichte“, aber nicht in erster Linie um Rechtsgeschichte. Es wird viel mitgeteilt über die Geschichte des Rechts, über vergangene Rechtssetzungsakte, die Beweggründe für ihren Erlass, ihre Anwendungsgeschichte, deren eingetretene oder fehlende Auswirkungen – dies durchweg mit dem Blick auf die Frage, was daraus für die Bewältigung uns fortdauernd aufgegebener Problemstellungen folgen möge.

Eine solche Aufgabe ist auch der Naturschutz. Die Natur nennt der Herausgeber „ein kulturelles und somit zeitlich wie räumlich variables Konzept“ (S. VII). Ihm ist wichtig, den Naturschutz im Verhältnis zur „Naturnutzung“ zu sehen, womit nicht nur gemeint sein soll das Gegeneinander von beeinträchtigendem Zugriff auf natürliche Ressourcen (heute sprechen wir meist von den „natürlichen Lebensgrundlagen“) und den reaktiv herausgebildeten Schutzkonzeptionen; vielmehr dient ja der Schutz von Natur auch der fortdauernden Erhaltung von deren Nutzungsfähigkeit, wie es der international seit einer Dekade prägende Begriff von der Nachhaltigkeit gern andeuten möchte. Unabhängig von solchen Überlegungen: Das politische Anliegen des Schutzes der Natur, dessen Umsetzung sodann auch mit dem Steuerungsinstrument Recht erstrebt wurde, fand Nährboden immer dort, wo die Beeinträchtigung von Natur namentlich durch Landwirtschaft und sodann die Industrialisierung besonders handgreiflich wurde. Naturschutz entstand vor allem als „Gegengedanke“, verband sich dabei auch mit anderen Grundströmungen, etwa der Romantik (gegen die Aufklärung), dem Heimatgedanken (gegen „Internationalismus“), befrachtete sich in sofern in Deutschland zeitweise auch mit nationalsozialistischem Gedankengut, verknüpfte sich – gegen Kapitalisierung und Kommerzialisierung der Lebenswelt – aber auch mit kommunistischen oder anarchistischen Ansätzen. Hierzu enthält das Editorial des Herausgebers einige Andeutungen, die in manchen der Einzelbeiträge wiederscheinen. Doch soll es im Ganzen weniger um grundsätzliche Zuordnungen und Systematisierungen gehen. Die Herbeischaffung von Fakten und Einzelbeispielen und deren Analyse stehen ganz im Vordergrund. So wird auch der Begriff der Natur und des Naturschutzes nicht eindeutig von „Umwelt“ und „Umweltschutz“ abgesetzt, vielleicht entbehrlich auch angesichts der historischen Perspektive, denn Umweltschutz (und folglich „Umweltrecht“) sind spätere Begriffe, die wir heute als Oberbegriff für den Naturschutz in einem somit engeren Sinne verstehen. Der Schutz (durch Recht und Verwaltung) von – etwa – Gewässern, das Bemühen um die Reinhaltung der Luft und die Bekämpfung von Lärm, das Entsorgungswesen – alles dieses stellen wir heute separat neben den Schutz der belebten Natur, es ist aber dennoch immer wieder Gegenstand des vorliegenden Bandes. „Naturschutz in der europäischen Rechtsgeschichte“ (um partiell auf den Titel des Bandes zurück zu kommen, bleibt hier also weit ausgelegt. Und auch um „Rechtsgeschichte“ geht es dabei nicht eigentlich, jedenfalls nicht zentral, sondern in erster Linie um „Verwaltungsgeschichte“, deren Schilderung den Autoren allerdings immer wieder Anlass gibt, dem Leser einzelne Rechtsakte vorzustellen.

Der Band enthält insgesamt zwölf seinem Leitthema gewidmete Abhandlungen, dazu einen (Literatur- bzw. Forschungs-)Bericht über die öffentliche Verwaltung in Spanien als Gegenstand historischer Betrachtung. Gegenstand der Untersuchungen sind, was die Länder anlangt, Deutschland und Österreich, skandinavische Staaten, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Belgien und die Niederlande, Nord-, Mittel- und (lateinisches) Südeuropa also. Bei den Materien des Natur- oder Umweltschutzes geht es vor allem um Wälder und Gewässer, um Artenschutz, auch Küstenschutz, vielfältig aber auch über diese Bereiche hinausgreifend um konzeptionelle Ansätze, die ihr Augenmerk auf die Erhaltung lebender Ressourcen insgesamt richteten. Das ergibt sich schließlich auch aus den hier gesetzten zeitlichen Schwerpunkten: Beginnend mit dem 16. Jahrhundert widmen sich die meisten Abhandlungen im Schwerpunkt dem 19. in seinem Übergang zum 20. Jahrhundert, erreichen teilweise aber auch dessen zweite Hälfte.

Der längste Beitrag des Bandes befasst sich mit den Anfängen des Naturschutzgedankens in Deutschland und unternimmt hierbei einen Vergleich mit der Naturschutzbewegung in den Vereinigten Staaten. Einzelne Protagonisten werden ideengeschichtlich zugeordnet, wobei herauskommt, dass deutscher Anthropozentrik des Naturschutzes (wie sie in unserem heutigen Naturschutzrecht immer noch mächtig weiter wirkt) amerikanische Ideale von „Wilderness“ gegenüber stehen, was sicher, alle Ideologien beiseite gelassen, auch in geographischen Ausgangsbefunden Ursachen findet. Wenn es in diesem (besonders reich dokumentierten) Beitrag auf S. 55 im Blick auf nationalsozialistische Verstrickungen deutscher Naturschützer vor 1945 heißt, diese Geschichte dürfe „nicht ohne weiteres“ zum Anlass genommen werden, das berechtigte Anliegen des Naturschutzes in Misskredit zu bringen, so möchten wir angesichts solcher Korrektheit schon sagen dürfen: Über die „Berechtigung“ dieses Anliegens, dessen annähernde Verwirklichung für die Erhaltung dem Menschen verträglicher Lebensverhältnisse grundlegend ist, möchte man nicht deshalb streiten müssen, weil einst auch totalitärer Unverstand sich dieses Anliegen partiell zu eigen gemacht hat. Das erweist übrigens nicht zuletzt die Fallstudie von Heyen im vorliegenden Band über einen pommerschen Eiferer der Vogelschutzbewegung, der ungeachtet seiner Vorstellungen über das gesellschaftlich Wünschenswerte im übrigen in den 20er Jahren erstaunenswerte Pionierleistungen vollbracht hat. – Einen zusammengehörigen Block des Buches bilden dann Untersuchungen über waldschützende Gesetzgebung und sie umsetzendes Management in Österreich, Skandinavien und Italien, schwerpunktmäßig für 17./19. Jahrhundert, denen zwei Abhandlungen über Gewässerschutz im Vereinigten Königreich für das 19./20. Jahrhundert folgen. Bei weiteren Studien stehen, wie schon für den genannten Vogelschützer, die Arbeit einzelner „Bewegungen und Gruppierungen“ und ihre Auswirkungen auf staatliche Naturschutzadministrationen im Vordergrund, interessante Einblicke in das Zusammenspiel gesellschaftlicher und staatlicher Akteure bei der Bewältigung der Naturschutzaufgabe in ihrem Gegeneinander und Miteinander ermöglichend. In anderer Weise trägt ein Essay über die Rolle des Präfekten als Vertreter der Zentralregierung in den französischen Departements zur Erhellung traditioneller nationaler, nun sich in größerem europäischen Kontext wiederfindender Verwaltungskultur bei; hier geht es wiederum eher um „Umweltschutz“ weiteren Sinnes als um spezifischen Naturschutz.

Wie bei einer derartigen, auf die Förderung gesamteuropäischen Dialogs zielenden Buchveranstaltung angemessen und heute üblich geworden, bedient sich der Band im Wechsel der europäischen Verkehrssprachen, wobei hier die englische Sprache dominiert. Das sehr sorgfältig edierte Werk bietet ein hoch willkommenes Mosaik. Nur wenige der Mitwirkenden sind Rechtswissenschaftler, viele sind Historiker, etliche stehen in ihren wissenschaftlichen Biographien für das Bemühen um Transdisziplinarität oder Interdisziplinarität. Ungeachtet aller theoretischen Schwierigkeiten solchen Bemühens: Auch der an der Entwicklung und Fortführung von Umweltschutz durch Recht interessierte Jurist, ist er, wie geboten, an der Umweltrechtsgeschichte interessiert, findet in der vorliegenden Ausgabe des Jahrbuchs für Europäische Verwaltungsgeschichte wertvolles Material und bedenkenswerte Einschätzungen aus europäischen Ländern.

 

Berlin                                                                                                             Philip Kunig