KroeschellTrüpper20010919
Nr. 10366 ZRG 119 (2002) 32
Trüper,
Hans G., Ritter und Knappen zwischen Weser und Elbe. Die
Ministerialität des Erzstifts Bremen. Landschaftsverband der ehemaligen
Herzogtümer Bremen und Verden e. V., Stade 2000. XII, 1176 S. , 27 Abb., 23
Stammtafeln, 46 Wappentafeln.
Das hier
anzuzeigende Buch ist in mehrfacher Hinsicht ein Ausnahmefall. Ist es .schon
ungewöhnlich, daß eine mediävistische Dissertation einen Ordinarius für
Mikrobiologie zum Verfasser hat, so sprengt auch ihr Umfang von nahezu 1200
Seiten den Rahmen des Gewohnten. Auch inhaltlich geht die Arbeit über frühere
monographische Untersuchungen zum Thema weit hinaus - etwa über Otto Merkers
„Ritterschaft des Erzstifts Bremen im Spätmittelalter“ (1962) oder Arthur
Conrad Förstes „Ministerialen der Grafschaft Stade im Jahre 1219“ Das Buch
bietet nicht weniger als eine vollständige quellenmäßige Dokumentation
sämtlicher bremischen Ministerialen und ihrer Familien, ihrer Ämter, Burgen und
Besitzungen, ihrer Wappen und Siegel. Insgesamt kann man das Werk geradezu als
ein personen- und ämtergeschichtliches Handbuch zum mittelalterlichen Erzstift
Bremen charakterisieren.
Die
Darstellung gilt in ihrem ersten Teil (Die familia
des Königs und der Kirche) zunächst den Anfängen der Ministerialität im
Erzstift Hamburg-Bremen (S. 17ff.). Ein wichtiges Dokument ist hier der in
einer vormals bremischen, jetzt Brüsseler Handschrift überlieferte lateinische
Treueid der Ministerialen, den der Verfasser auf etwa 1050 datiert. Es folgt
ein Kapitel über .Freiheit und Unfreiheit (S. 37ff.), wobei der freiwillige
Eintritt Freier in die Ministerialität für eine ganze Anzahl von Familien
detailliert belegt wird. Für den unfreiwilligen „Eintritt“ steht namentlich der
Fall jener angelsächsischen Dame und ihrer Familie, die 1066 infolge eines
Schiffbruchs dem Strandrecht und damit der Unfreiheit verfielen. Ihre Enkel
Ulrich und Friedrich erregten nachmals mit ihren Versuchen, die Freiheit zu
erlangen, großes Aufsehen; vgl. für Ulrich den Bericht des Chronisten Albert
von Stade bei Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I (11. Aufl.
1999) S 178f. Der Übergang anderer (gräflicher und klösterlicher)
Dienstmannschaften an das Erzstift und Fälle des Ministerialentausches runden
das Bild ab.
Im zweiten
Teil (Funktionen der Ministerialität) wird zunächst das Dienstrecht der Bremer
Ministerialen dargestellt (S 137ff.); hierauf ist noch zurückzukommen. Daran
schließt sich ein umfangreiches Kapitel über die Verwaltungsaufgaben der
Ministerialen in den Hofämtern einerseits und in den städtischen und ländlichen
Vogteien andererseits (S. 175-471) an. Sämtliche Amtsinhaber werden hier
sorgfältig ermittelt und genealogisch eingeordnet. Die Darstellung der
militärischen Funktionen im Heeresaufgebot wie in den Burgmannschaften
schließet diesen Teil ab.
Thema des
dritten Teils ist die soziale Entwicklung der Bremer Ministerialität. Hier geht
es zunächst um die „stadtsässige Ministerialität“ (S. 507ff.), wie der
Verfasser sagt, um dem umstrittenen Ausdruck „bürgerliche Ministerialität“' zu
vermeiden. In der Sache läßt er freilich keinen Zweifel daran, daß die
Ministerialen namentlich in der Stadt Bremen und ihrem Rat eine führende Rolle
gespielt haben. Bei den landsässigen Ministerialen (S. 551ff.) ist zunächst von
ihrer Funktion beim Landesausbau, ihrem Landbesitz und ihren Burgen die Rede.
Anschaulich wird sodann die Bedeutung der ritterlichen Kultur für die
Entwicklung von der Ministerialität zum niederen Adel dargestellt (S. 584ff.).
Dabei fällt auch Licht auf das neuerdings so viel erörterte Phänomen des sog.
„Raubrittertums“ (S. 613ff.). Von besonderem Interesse ist der Abschnitt über
die Folgen der Pest von 1350 (S. 643ff.). Die breite Quellenbasis des Buches
erlaubt hier nämlich auch quantifizierende Aussagen. So wurde die Familie von
Bederkesa durch die Pest nahezu ausgelöscht; hatten in der 9. Generation noch
15 von 36 männlichen Namensträgern Nachkommen, so waren es in der folgenden
Generation nur noch zwei! In anderen großen Familien war es ähnlich; kleine
Familien erloschen sogar ganz. Bemerkenswert ist auch die zahlreiche
Abwanderung bremischer Ministerialen in den Osten (S. 650ff.) - zunächst nach
Holstein, Mecklenburg und Pommern, dann aber namentlich in das Baltikum. - Den
Abschluß bilden als besondere Erscheinungen die Dienstmannschaften der
bremischen Stifte und Klöster (S. 683ff.) sowie (sozialgeschichtlich besonders
interessant) als „kleine“ Ministerialen die Knappenfamilien in den Weser- und
Elbmarschen.
Die solide
Materialbasis des Werkes wird in den abschließenden „Beilagen“ sichtbar (S.
719-1176). Auf die Bischofsliste von Bremen-Hamburg folgt zunächst eine
Zeittafel zur Geschichte der bremischen Ministerialität. Wichtig ist der
anschließende Ministerialenkatalog (S. 714-875), der für die Zeit bis zum Beginn
der Stedingerkriege 1233 nicht weniger als 574 Ministerialen sorgfältig
dokumentiert. Es folgen (wegen der „stadtgesessenen“ Ministerialen)
„Ratslinien“ von Bremen wie von Stade, Wildeshausen und Buxtehude, jeweils bis
zum Jahre 1400. Endlich ist der Wappenkatalog zu nennen, der auf 76 Textseiten
und 16 Tafeln (900-1022) insgesamt 549 Wappen beschreibt und darstellt. Den
Abschluß bilden die sorgfältigen Quellen- und Literaturverzeichnisse sowie ein
umfangreiches Register (S. 1085-1176), das den Inhalt vorzüglich erschließt.
Für die
Rechtsgeschichte sind vor allem drei Ergebnisse des Werkes von Bedeutung. Als
erstes ist hier die schon erwähnte Darstellung des Bremer Dienstrechts (S.
137ff.) zu nennen. Hier mag zunächst die Ansicht des Verfassers überraschen,
daß in der Frage des Rechtsstandes der Ministerialen die prägnante Darstellung
von Schröder/Künßberg 1919 (und 1932) im Grunde noch immer zutreffend
sei; die moderne Forschung habe sie „bis heute in keinem wesentlichen Punkt
erschüttern können“ (S. 147). Die wörtlich zitierten Kernsätze dieser
Darstellung dienen dem Verfasser daher als Grundgerüst seiner eigenen
Ausführungen - eine schöne Anerkennung der quellenmäßigen Solidität eines
unserer „klassischen“ Lehrbücher! Da es an einer mittelalterlichen Aufzeichnung
des bremischen Dienstrechts fehlt, muß der Verfasser alle Einzelheiten (die
Dienstpflichten bis hin zu Heerfolge und Romfahrt, die Lehen, Dienstlehen und
sonstigen Versorgungsleistungen; den Gerichtsstand und die Eigentumsfähigkeit;
die Vererbung von Heergewäte und Gerade; Heiratsbeschränkungen und
Rechtsstellung der Kinder) aus urkundlichen Zeugnissen erschließen. Das so
gewonnene anschauliche Bild (vgl. etwa das Freilassungsformular S. 172 Anm.
179) wird durch Vergleiche mit den bekannten Dienstrechtstexten abgesichert;
Freilich fehlen hier, wenn ich recht sehe, die Dienstrechte von Hildesheim und
Magdeburg. Alles in allem für die Rechtsgeschichte der Ministerialität ein
wesentlicher Gewinn!
Wichtig ist
zweitens die Stellungnahme des Verfassers zum Thema der „bürgerlichen
Ministerialität“ (S. 507ff.). Den für süddeutsche Städte von Knut Schulz,
Hermann Nehlsen, Helga Mosbacher und anderen aufgestellten Thesen hatte
einst, gestützt auf Hildesheimer und Braunschweiger Quellen, Josef
Fleckenstein nachdrücklich widersprochen. Mochte man sich hier schon
fragen, ob seine Quellen nicht gerade das belegten, was Fleckenstein
bestritt, so hat der Verfasser nunmehr für Bremen und die anderen Städte des
Erzstifts den überzeugenden Nachweis einer „stadtsässigen Ministerialität“
geliefert. Dies ist auch für unser Gesamtbild von der Ministerialität
bedeutsam.
Drittens
endlich sei auf die Ausführungen des Verfassers zum „Raubrittertum“ verwiesen
(S. 613ff`.). Auch er bedauert zwar den unkritischen Gebrauch dieses erst im
frühen 19. Jahrhundert geprägten Begriffs. Dennoch mag er der durch die
Forschungen von Ulrich Andermann und Kurt Andermann begründeten
Tendenz nicht folgen, den Realitätsgehalt dieses Ausdrucks zu bestreiten und
das Phänomen ganz im Fehdewesen aufgehen zu lassen. Die räuberischen
Aktivitäten von Rittern werden vielmehr mit anschaulichen Beispielen belegt:;
dabei ist: der Hinweis auf das Bremer „Nequambuch“ von Interesse, dessen
Edition in Arbeit ist (vgl. S. 615) und das mit dem durch seine Bilder
berühmten Soester Gegenstück nicht nur den Namen gemeinsam hat. Wenn die Rede
vom „Raubrittertum“, wie man gesagt hat, Ausdruck des Unverständnisses der
mittelalterlichen Staatlichkeit ist, so scheinen die Bremer Ratsherren des 14.
Jahrhunderts dieses Unverständnis entschieden geteilt zu haben.
Insgesamt
stellt das Werk eine bedeutende Leistung dar. Über seinen unmittelbar
landesgeschichtlichen Ertrag hinaus hat es auf der rechtsgeschichtlichen
Landkarte Niedersachsens einen großen weißen Flecken ausgefüllt und einen
wichtigen weiterführenden Beitrag zur Ministerialenforschung geleistet.
Au bei
Freiburg im Breisgau Karl
Kroeschell