KöblerVogtherr20010911 Nr. 10352 ZRG 119
(2002) 35
Vogtherr, Thomas, Die Reichsabteien der
Benediktiner und das Königtum im hohen Mittelalter 900-1125 (=
Mittelalter-Forschungen 5). Thorbecke, Stuttgart
2000. 361 S.
Die Arbeit ist die von Hans Eberhard Mayer
betreute, im Wintersemester 1990/1991 von der Philosophischen Fakultät der
Universität Kiel angenommene Habilitationsschrift des Verfassers. Rasche
Berufung auf den Lehrstuhl für historische Hilfswissenschaften in Leipzig
verhinderte eine frühere Veröffentlichung. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass
das gelungene Werk nunmehr in sehr ansprechender Ausstattung vorliegt.
Ziel der Arbeit ist ein Beitrag zur
Strukturentwicklung der Kirche des deutschen Reichs am Übergang zwischen
Frühmittelalter und Hochmittelalter. Bevorzugter Gegenstand der Forschung war
in diesem Zusammenhang bisher das Bistum. Ihm will der Verfasser die
Reichsabtei zur Seite stellen.
In Anknüpfung an Untersuchungen Julius und Fickers und Theodor Mayers fragt er nach einer überzeugenden Schilderung der Etwicklung des Forschungsstandes als erstes nach der Bezeichnung der dem Reich unmittelbaren Abteien (Reichsklöster). Danach wendet er sich der Inbesitznahme von Abteien durch das Reich und der Abgabe von Klöstern durch das Reich an Dritte zu. Dann prüft er einerseits die Beeinflussung der Abtswahlen durch die Herrscher und die Ausstattung der Klöster mit Reichsrechten und Reichsgütern und andererseits die Leistungen der Reichsabteien für das Reich (Beteiligung an Reichskriegen, Teilnahme an Hoftagen, Beherbergung des Königs, Stellung von Bischöfen, Gebetsdienst).
Räumlich ist die Begrenzung durch das Reich
vorgegeben. Zeitlich bilden das Ende der ostfränkischen Karolinger im Jahre 911
einerseits und die Confoederatio cum principibus ecclesiasticis
von 1220 andererseits den einleuchtenden Rahmen. Sachlich werden darin
insgesamt 114, aber gleichzeitig bestehend niemals mehr als 78 Reichsabteien
unterschiedlichen Gewichts erstmals in ihrer Gesamtheit untersucht (zwischen 31
und 48 schwankende Reichsabteien Altötting, Amorbach, Benediktbeuern, Burtscheid, Corvey, Disentis, Ebersberg, Ebersheimmünster, Echternach,
Einsiedeln, Ellwangen, Fulda, Gengenbach, Haslach, Helmarshausen,
Hersfeld, Hornbach, Kempten, Klingenmünster, Kornelimünster,
Limburg, Lorsch, Luders, Magdeburg Sankt Moritz, Marmoutier,
Memleben, Metten, Mönchsdeggingen, Moosburg, Mosbach,
Münchsmünster, Münster im Gregoriental, Münsterschwarzach, Murbach, Neustadt am Main, Niederaltaich, Nienburg, Ottobeuren, Pfäfers,
Pöhlde, Polling, Prüm, Reichenau, Rheinau,
Sankt Gallen, Saint Ghislain, Sankt Lambrecht, Schuttern, Schwarzach in der Ortenau, Seeon,
Seligenstadt, Selz, Stablo-Malmedy,
Stein am Rhein, Tegernsee, Trier Sankt Maximin,
Weißenburg im Elsaß, Weltenburg, Werden Wessobrunn,
zwischen 25 und 41 schwankende weibliche Reichsabteien und Reichsstifte Aldeneyck, Alsleben, Andenne, Andlau, Bergen bei
Eichstätt, Buchau, Drübeck, Elten,
Enger, Erstein, Eschwege, Essen, Fischbeck, Fosses, Frauenchiemsee,
Gandersheim, Gernrode, Göss, Herbitzheim,
Herford, Herzebrock, Hilwartshausen,
Hohenburg, Kaufungen, Kemnade, Kitzingen, Kühbach, Liesborn, Lindau, Masmünster, Meschede, Metelen, Metz Sankt Peter, Neuburg an
der Donau, Neuenheerse, Nivelles,
Nordhausen, Oeren, Passau Niedernburg,
Polling, Quedlinburg, Regensburg Obermünster, Regensburg Niedermünster, Remiremont, Ringelheim, Säckingen, Schildesche, Staffelsee,
Straßburg Sankt Stephan, Vilich, Vitzenburg
an der Unstrut, Vreden, Waldkirch, Zürich).
In sorgfältiger Analyse möglichst vieler Quellennachrichten
ermittelt der Verfasser, dass durch Verbindung von Immunität, Königsschutz und
Wahlrecht bis zum Aussterben der ostfränkischen Karolinger eine in sich
verhältnismäßig einheitlich strukturierte, an die Nachfolger fallende
Reichskirche mit knapp 50 Mönchsklöstern und knapp 25 Frauenklöstern entstanden
war. Während sie unter Konrad I. kaum eine bedeutende Rolle spielten, versuchte
Heinrich I. eine deutliche Stärkung der Reichweite königlicher Herrschaft. Otto
I. bemühte sich von Anfang an darum, die Bedrohung seines Machtanspruchs durch
Privilegierung, Vergabung, Besuch sowie Erhebung von
Reichsmönchen zu Bischöfen und daraus folgende Bindung (sowie auch freilich
quantitativ kaum fassbare Leistungsverpflichtung) der Reichsklöster
auszugleichen. Die aus der Zeit Ottos II. überlieferte Aufgebotsliste belastet
die Reichsklöster mit etwa einem Achtel des Italienheers (die Bistümer mit
einem Fünftel und die weltlichen Großen mit zwei Dritteln). Den zahlreichen
Münzprivilegien stehen entsprechende Prägungen vielfach nicht gegenüber. Die
Tatsache der Übertragung neuer Klostergründungen an Bischöfe statt wie vordem
an den König könnte ihre Ursache in den steigenden Reichslasten haben. Heinrich
II. versucht die Reichsklöster als Integrationsmittel des Reichs zu verwenden.
Seit Heinrich III. geraten sie in den Schatten der Reichspolitik. Bischofsorte
und wenig später neue staufische Pfalzen laufen ihnen
den Rang ab. 1122 ist der Stand der geistlichen reichsfürsten
weitgehend abgeschlossen. In der Folgezeit gehen die Reichsabteien, ziemlich
klar sichtbar ab etwa 1200, fast ausnahmslos den Weg von der Reichspolitik in
die Territorialisierung der eigenen Herrschaft, so dass ihre Geschichte
Landesgeschichte wird. Die Confoederatio
cum principibus ecclasticis
von 1220 schreibt den in den vorangehenden hundert Jahren entstandenen Zustand
nur noch fest, ohne neues recht zu schaffen.
Sehr hilfreich sind die übersichtlichen Anhänge
über die Reichsabteien, weiblichen Reichsabteien und Itineraraufenthalte
sowie der Index der Ortsnamen und Personenamen.
In überzeugender Anknüpfung an die bisherige
Forschung und unter Verwendung weiterführender Methoden ist dem Verfasser eine
klar und flüssig geschriebene Untersuchung zu einem Fragenkreis der
mittelalterlichen Geschichte des deutschen Reichs gelungen, deren zahlreiche
neue, differenzierende und doch zugleich zusammenfassende Ergebnisse über den
Tag hinaus Bestand haben werden.
Innsbruck Gerhard
Köbler