KöblerMährle20010906 Nr. 10311 ZRG 119 (2002) 44
Mährle, Wolfgang, Academia Norica. Wissenschaft und
Bildung an der Nürnberger Hohen Schule in Altdorf (1575-1623) (= Contubernium 54). Steiner, Stuttgart 2000. XV, 592 S., 8 Abb., 8 Diagr.
Die Arbeit ist eine von Anton Schindling betreute, im Wintersemester 1998/1999 von der geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen angenommene Dissertation. Sie lehnt sich methodisch an Anton Schindlings 1977 vorgelegte Untersuchung Humanistische Hochschule und Freie Reichsstadt, Gymnasium und Akademie in Straßburg 1538-1621 an. Dementsprechend versucht sie das spezifische Profil der untersuchten Hochschule durch eine Analyse des Lehrangebots in seiner ganzen Breite zu ermitteln und zugleich die spezifische Interdependenz von Institutionengeschichte und Wissenschaftsgeschichte offen zu legen. Mit Altdorf befasst sie sich, weil trotz vieler Einzeluntersuchungen vor allem zur Frühgeschichte der Hohen Schule der Forschungsstand alles andere als befriedigend ist und eine Arbeit, die das Altdorfer Gymnasium als Ganzes in den Blick nimmt, überhaupt fehlt, so dass eine Schließung einer bedeutsamen Lücke möglich erscheint.
Sie gründet sich auf ungedruckte und gedruckte
Quellen. Wichtigste ungedruckte Quellen sind die Verwaltungsakten der
Reichsstadt Nürnberg. Die wichtigsten gedruckten Quellen stellen die
Druckschriften der Professoren dar.
Gegliedert ist die Arbeit in eine die Nürnberger
Hochschule in Altdorf als humanistische Bildungsinstitution erfassende Einführung,
vier untersuchende Kapitel, eine Wissenschaft und Bildung an der Nürnberger
Hohen Schule in Altdorf 1575-1623 bewertende Zusammenfassung sowie ein
nachgestelltes Abkürzungsverzeichnis und ein daran angeschlossenes umfassendes
Quellen- und Literaturverzeichnis.
Das erste Sachkapitel behandelt verhältnismäßig
knapp die Reichsstadt Nürnberg im ausgehenden 16. und beginnenden 17.
Jahrhundert. Auf Handwerk und Handel ruhend ist die Wirtschaft durchaus
leistungsfähig. Das zugehörige Landgebiet ist mit rund 1200 Quadratkilometern
ziemlich bedeutend. Mit fast 50000 Einwohnern zählte die Stadt neben Köln und
Augsburg zu den größten des gesamten Reichs.
Im zweiten Sachkapitel widmet sich der Verfasser
der Entwicklung des Nürnberger Bildungswesens vom ausgehenden 15. bis zum 17.
Jahrhundert. Bemerkenswert erscheint auch ihm die Tatsache, dass bereits 1487
in Nürnberg 4000 Schüler vorhanden gewesen sein sollen, von denen ein Fünftel
Lateinschulen (Sankt Lorenz, Sankt Sebald, Heilig Geist, Sankt Egidien) besuchte. Nach dem Scheitern eines 1525 durch
Philipp Melanchthon eröffneten Gymnasiums in Sankt Egidien
wird die 1565 angeregte und 1571 beschlossene Hohe Schule in Altdorf zum
wichtigsten Nürnberger Bildungsprojekt.
Am 29. Juni 1575 wurde sie feierlich eröffnet. Im
Kollegiengebäude hielten Ratskonsulent und Rektor
feierliche Ansprachen. Der Vorlesungsbetrieb begann in den ersten Juliwochen.
Wenig später brach allerdings eine ansteckende Krankheit aus. Bald darauf starb
der erste Rektor. Die Zahl der immatrikulierten Schüler sank von 122 des Jahres
1576 auf 33 des Jahres 1577. Erst nach der Verleihung eines kaiserlichen
Teilprivilegs vom 26. 11. 1578 nahm sie
eine günstigere Entwicklung. Um 1600 wies sie fünf öffentliche Professoren der
Philosophie, vier Juristen, vier Theologen und zwei Mediziner aus. Die Zahl der
Immatrikulationen stieg bis 1620/1621 auf 222. Zu dieser Zeit glückte die vom
Verfasser mit größter Sorgfalt beschriebene Privilegierung der Hochschule zur
Universität.
Im dritten Sachkapitel untersucht der Verfasser
die Verwaltung und Verfassung der Hohen Schule in Altdorf. Dabei bietet er eine
Scholarchenliste und weist besonders auf das
anfängliche Fehlen einer ausreichenden Bibliothek hin.
Den Kern seiner Arbeit bildet das Lehrangebot,
dessen Rekonstruktion ihm trotz des fast vollständigen Verlusts der
Vorlesungsverzeichnisse gelingt. Zu diesem Zweck erarbeitet er zunächst die
bildungspolitischen und didaktischen Konzepte. Danach geht er zu den
inhaltlichen Schwerpunkten und zur methodisch-didaktischen Durchführung des
Unterrichts über. Dabei behandelt er nacheinander den Unterricht in den
Gymnasialklassen, die altsprachlichen und philosophischen Vorlesungen, die
Vorlesungen über Medizin, die juristischen Vorlesungen, in denen sich nach den
Anfängen des Ramismus die französische humanistische
Jurisprudenz durchsetzt und am Ende der Untersuchungsperiode auch das Interesse
an der Praxis erwacht, sowie die theologischen Vorlesungen.
Dabei ergibt sich, dass wissenschaftlich
bedeutende Leistungen vor allem in den Rechtswissenschaften und einigen
philosophischen Fächern erreicht wurden. Bedeutende Juristen waren vor allem Obertus Giphanius, Hugo Donellus, Scipio Gentilis und Conrad Rittershausen,
die dem mos Gallicus
verpflichtet waren. Mittelbar wirken sich hier die religiösen Wirren
Frankreichs zugunsten Altdorfs aus.
Als wesentliches Ergebnis hält der Verfasser
schließlich fest, dass das Lehrangebot wie dasjenige anderer Hochschulen
mehrere Merkmale aufweist, die trotz fortbestehender Kontinuitätslinien eine Unterscheidung
in eine frühere Phase und eine spätere Phase der humanistischen Wissenschaft
ermöglichen. Die Sinnhaftigkeit einer im übrigen von
Anton Schindling abgelehnten Epoche des
Späthumanismus will er damit aber noch nicht bejahen. Sie macht er von der
Wissenschafts- und Bildungsgeschichte des 17. Jahrhunderts abhängig, die er
nicht mehr zu seinem Thema zählt.
Wenn er sich damit auch einer unmittelbaren
Beantwortung seiner wichtigsten Eingangsfrage enthebt, hat er sich durch seine
sorgfältigen, umsichtigen und selbständigen Erörterungen aller einschlägigen
Einzelfragen um die Geschichte der Nürnberger Hohen Schule in Altdorf und auch
ihre Juristen sehr verdient gemacht.
Innsbruck Gerhard
Köbler