HeilGigl20010117 Nr.
10103 ZRG 119 (2002) 46
Gigl,
Caroline, Die Zentralbehörden Kurfürst Karl Theodors in München
1778-1799 (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 121). Kommission
für bayerische
Landesgeschichte/Beck, München 1999. XL, 552 S.
Die bayerische Landesgeschichtsschreibung hat
den Kurfürsten Karl Theodor als blasses Licht zwischen den herausragenden
Persönlichkeiten des dritten und vierten Max Joseph lange Zeit vernachlässigt,
die negative Beurteilung seiner Regierung besteht bis heute fort. Eine gewisse
Revision bewirkten allenfalls die Arbeiten Hans Ralls. Die vorliegende
Dissertation Caroline Gigls entstand denn auch im Rahmen der von Rall
angeregten und betriebenen Forschungen zur bayerischen Behördengeschichte.
Das Buch ist im besten Sinne das Werk einer
Archivarin. Zwar werden keine sozialhistorischen und politischen
Fragestellungen bedient, die im Rahmen des Themas auch nahegelegen hätten -
etwa zur Schlüsselstellung des Adels in der Staatsverwaltung, der Mitwirkung
der Landstände oder der Bedeutung der Geheimen Konferenz als oberster
Regierungsinstanz für die große Politik. Der einleitende Überblick über die
Regierung Karl Theodors bleibt bei den Ergebnissen Ralls stehen. Dafür
behandelt die auf vollständig ausgeschöpfter archivalischer Grundlage fußende
Arbeit - Frau Gigl saß während ihres Referendarkurses an der Archivschule
München an der Quelle - in zuverlässiger Weise wirklich alle
behördengeschichtlichen Aspekte im Zusammenhang mit den von Kurfürst Karl
Theodor 1778 eingeleiteten Reformen. Ebenfalls hervorzuheben ist die
prosopographische Leistung. Gigl stellt dem Leser in Kurzbiographien oder
biographischen Notizen alle wichtigen Persönlichkeiten der kurpfalzbayerischen
Beamtenschaft bzw. des politischen Lebens in dieser Zeit vor. Kapitel II
etwa enthält eine Liste der 276 kurbayerischen Wirklichen und Titulierten
Geheimen Räte. Ohne daß explizit auf das Wirken Einzelner eingegangen wird,
bestätigt sich ganz nebenbei die überragende Rolle eines Wiguläus Kreittmayr,
wenn Gigl den Rückgang von ordentlichen Sitzungen der Geheimen Konferenz nach
seinem Tod im Oktober 1790 konstatiert oder betont, daß es zwei Verordnungen
für diese Konferenz gab: die eine 1778, die andere eben 1790.
Schon damit ist die vorliegende Arbeit unverzichtbare
Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit der Regierung Kurfürst Karl
Theodors. Gigl bietet darüberhinaus noch wertvolle konkrete Hilfen für die
Beschäftigung mit den einschlägigen archivalischen Quellen. So stellt sie die
in ihrer historischen Bedeutung zentralen Protokolle der Geheimen Konferenz mit
den für deren Benutzung notwendigen Informationen vor (212-217), ebenso die der
Oberen Landesregierung (285-287). Auch findet sich eine Zusammenstellung über
die Vermerke auf Akten aus der Geheimen Kanzlei (250f.). Man glaubt, den
Unwillen der Archivarin Gigl über den Geheimen Registrator Wilhelm Wodizka zu
spüren, „der sich rühmte, die Akten aus Sicherheitsgründen wahllos
zusammengebunden zu haben“ (244).
Die sich unter anderem in den erst 1792 aufgegebenen
Tauschplänen manifestierende Landfremdheit des neuen bayerischen Kurfürsten und
seiner nach München mitgebrachten Räte und die Notwendigkeit, ein historisch
zufälliges Konglomerat von reformbedürftigen Territorien regieren und verwalten
zu müssen, bilden den Ausgangspunkt der in acht Kapitel gegliederten
Untersuchung. Schon beim anfänglichen Blick (Kap. I) auf die
Regierungsstrukturen in den außerbayerischen Territorien Karl Theodors -
Kurpfalz, Jülich Berg, das Marquisat Bergen op Zoom, Pfalz-Neuburg und
Pfalz-Sulzbach - zeigt sich, daß die Verknüpfung zum Gesamtstaat nicht das Ziel
sein konnte. Die beträchtlichen Unterschiede zwischen der relativ
hochindustrialisierten Kurpfalz und dem mehr agrarischen Kurbayern bewirkten,
daß abgesehen von der Person des Kurfürsten und neben den Militärbehörden
überhaupt nur eine übergreifende Institution bestehen konnte: die
kurpfalzbayerische Geheime Konferenz (Kap. III), während alle übrigen
Regierungs- und Verwaltungseinrichtungen getrennt blieben. Sogar die
wirtschaftliche und juristische Vereinigung Bayerns mit den benachbarten
Pfalz-Neuburg und Pfalz-Sulzbach gelang nur bedingt. 1790/91 wurden die
Regierungsgeschäfte für diese beiden Fürstentümer nach Amberg übertragen, 1795
die Regierung für Pfalz-Neuburg wiederhergestellt. Die Geheime Konferenz stand
dem Kurfürsten als höchstes Regierungsorgan zur Seite - der alte kurbayerische
Geheime Rat (Kap. II) dagegen war unter Karl Theodor kein selbständig
arbeitendes Regierungsgremium mehr, sondern bezeichnete nur noch einen
Ehrentitel für in Regierungsbehörden oder im diplomatischen Dienst eingesetzte
Persönlichkeiten. Gigl erläutert sorgfältig Aufbau, personelle Zusammensetzung,
Geschäftsordnung, Arbeitsweise, Zuständigkeit und die institutionellen
Untergliederungen und Ausgliederungen sowie zugeordneten Einrichtungen
(Referendariate, Departement der Auswärtigen Staatsgeschäfte, die provisorische
Landesoberdirektion während der kurzzeitigen Abwesenheit Karl Theodors im
Ersten Koalitionskrieg, Geheime Finanzkonferenz und Geheime Kanzlei) der
Geheimen Konferenz auf der Grundlage der Reformmaßnahmen Karl Theodors. Die
Anmerkungen enthalten wertvolle biographische Materialsammlungen zu führenden
Mitgliedern der Geheimen Konferenz.
Nach diesem Schema werden die übrigen in München
ansässigen Behörden geradezu durchdekliniert: die für Kurbayern sowie
Neuburg/Sulzbach zuständige Obere Landesregierung, die neben dem Polizeiwesen
wesentliche Aufgaben der obersten kurbayerischen Justiz- und Finanzbehörden
übernahm (Kap. IV): der nur noch mit originären Finanzaufgaben befaßten
Hofkammer (Kap. VI) und des als reiner Justizstelle fungierenden Hofrats,
während das sogenannte Revisorium trotz Kritik an seiner Effektivität weiter
als letztrichterliche Instanz in Bayern fungierte (Kap. V). Der Geistliche
Rat und das Bücherzensurkollegium bildeten die obersten Kultusbehörden (Kap.
VII). Der kurpfalzbayerische Gesamtstaat überbrückte die getrennten
Behördenorganisationen lediglich beim Militärwesen, mit dem Geheimen Kriegsbüro
(dessen Akten verloren sind), der 1788 geschaffenen Geheimen Kriegskonferenz
und dem Hofkriegsrat (Kap. VIII).
Trotz der zeitlichen Beschränkung der Reformen
auf die Regierungszeit Karl Theodors gelangt Gigl zu einem positiven Urteil.
Die fortschreitende Rationalisierung und Arbeitsteilung der Ministerien brachte
einen modernen Zug in die Staatsverwaltung und verfolgte insgesamt das gleiche
Ziel wie deren nach 1799 von Max IV. Joseph und Montgelas durchgeführte
Neuorganisation. Betonte die Forschung bislang die Uneinheitlichkeit und innere
Widersprüchlichkeit der Reformmaßnahmen, so würdigt Gigl abschließend den
gemessen an den folgenden Umwälzungen fehlenden Rigorismus der Reformen Karl
Theodors. Das Buch wird durch zwei Anhänge (Protokoll einer Kommissionssitzung zur
Neuordnung der Verwaltung, Hofkammerbericht vom 18. 4. 1780) und ein
Personenregister abgeschlossen.
Wie viele behördengeschichtlichen Abhandlungen
ist auch die Dissertation von Caroline Gigl kein Lesebuch, sondern vor allem
ein äußerst zuverlässiges und informatives Handbuch zu den bayerischen Behörden
unter der Regierung Karl Theodors, somit ein unentbehrliches Hilfsmittel für
jeden Landeshistoriker, der diese Zeit zum Forschungsgegenstand hat.
Regensburg Dietmar
Heil