GergenPoudret20010920 Nr. 1207 ZRG 119 (2002) 33

 

 

Poudret, Jean-François (unter Mitwirkung von Valazza Tricarico, Marie-Ange), Coutumes et coutumiers. Histoire comparative des droits des pays romands du XIIIe à la fin du XVIe siècle. Staempfli Editions, Bern 1998. Partie I Les sources et les artisans du droit, 503 S., Partie II Les personnes, 665 S.

 

Der Autor präsentiert zwei Bände, die sich – ausgehend vom Recht des Wallis – mit dem Recht der umliegenden „Romandie“ beschäftigen. Der Walliser Rechtsraum, gelegen zwischen Romania und Germania, d. h. an der Rechtsgrenze wie an der Sprachgrenze, erweckt deswegen Aufmerksamkeit, weil er gerade zu den anderen romanisch beeinflußten Rechtsordnungen der Umgegend viele Parallelen aufweist und die gegenwärtigen Kantonsgrenzen des Wallis weit überschritten hat.

Hieraus floß die Idee des Autors, anhand von Archivmaterial aus Genf, Neuchâtel, Freiburg und Sankt-Moritz ein Kompendium der mittelalterlichen Rechtsordnung des Wallis und der umliegenden „pays romands“ zu schreiben. Von insgesamt 30.000 Dokumenten konnte etwa ein Drittel verwertet werden. Der Leser findet darüber hinaus zahlreiche Angaben zu weiterführender Literatur (Partie I, S. XX-XXXVI). Ein Index zu Personen und Orten (Partie II, S. 595-643) sowie zu thematisch wichtigen Stichwörtern (S. 645-661) erleichtert das Zurechtfinden in den beiden Handbüchern.

Der erste Band umfaßt die Rechtsquellen und die Rechtsgestalter („les artisans du droit“), der zweite widmet sich dem Recht der Personen. Von besonderem Interesse ist im ersten Band, wie nach dem Erlaß des Grafen Amédée VI. vom 11. Januar 1373 im Berufungsverfahren der Zeugenbeweis über lokales Gewohnheitsrecht und Freiheiten im Kanton Wallis durchgeführt wurde (Partie I, S. 65-67). Als ein wichtiges Ergebnis hält Poudret fest, daß die Unterscheidung zwischen geistlicher und weltlicher Justiz in Lausanne weit ausgeprägter als in Sitten/Sion war. In Genf und Lausanne entledigten sich die Bischöfe ihrer rechtsprechenden Tätigkeit sehr früh und übertrugen sie auf den Offizial. Zu Anfang des 14. Jahrhunderts verzichtete der Lausanner Fürstbischof darauf, die weltliche Gerichtsbarkeit auszuüben, und übertrug sie auf den Vogt („bailli“); dies belegt die Umstrukturierung der curia episcopi in die curia secularis sehr eindrucksvoll. In Sitten hingegen sprach der Bischof weiter Recht, besonders in Ehesachen und weltlichen Angelegenheiten.

Es versteht sich von selbst, daß nicht alle Einzelheiten der beiden Bücher Gegenstand dieser Kurzbesprechung sein können. Festzuhalten ist gleichwohl, daß der Autor sein Ziel, ein Handbuch des Rechts der „pays romands“ zu schaffen, erreicht hat. Er hat auf diese Weise begonnen, eine wissenschaftliche Lücke in der Rechtsgeschichte der Schweizer Romanistik zu schließen. Allerdings ist offensichtlich noch viel zu tun. Denn für die Zukunft sind noch weitere Bände angekündigt: einer über Familien-, Ehe- und Erbrecht, ein weiterer über Sachen-, Schuld- und Zwangsvollstreckungsrecht (Partie I, S. IX). Auf das Erscheinen der nächsten Bände wartet die Rechtsgeschichte zweifelsohne mit Spannung.

 

Saarbrücken                                                                                                  Thomas Gergen