Poudret, Jean-François (unter Mitwirkung
von Valazza Tricarico, Marie-Ange), Coutumes et coutumiers.
Histoire comparative des droits des pays romands du XIIIe
à la fin du XVIe siècle. Staempfli
Editions, Bern 1998. Partie I Les sources et les artisans du droit, 503 S.,
Partie II Les personnes, 665 S.
Der Autor
präsentiert zwei Bände, die sich – ausgehend vom Recht des Wallis – mit dem
Recht der umliegenden „Romandie“ beschäftigen. Der
Walliser Rechtsraum, gelegen zwischen Romania und Germania,
d. h. an der Rechtsgrenze wie an der Sprachgrenze, erweckt deswegen
Aufmerksamkeit, weil er gerade zu den anderen romanisch beeinflußten
Rechtsordnungen der Umgegend viele Parallelen aufweist und die gegenwärtigen
Kantonsgrenzen des Wallis weit überschritten hat.
Hieraus floß die Idee des Autors, anhand von Archivmaterial aus
Genf, Neuchâtel, Freiburg und Sankt-Moritz ein
Kompendium der mittelalterlichen Rechtsordnung des Wallis und der umliegenden „pays romands“ zu schreiben. Von
insgesamt 30.000 Dokumenten konnte etwa ein Drittel verwertet werden. Der Leser
findet darüber hinaus zahlreiche Angaben zu weiterführender Literatur (Partie
I, S. XX-XXXVI). Ein Index zu Personen und Orten (Partie II, S. 595-643) sowie
zu thematisch wichtigen Stichwörtern (S. 645-661) erleichtert das Zurechtfinden
in den beiden Handbüchern.
Der erste
Band umfaßt die Rechtsquellen und die Rechtsgestalter
(„les artisans du droit“),
der zweite widmet sich dem Recht der Personen. Von besonderem Interesse ist im
ersten Band, wie nach dem Erlaß des Grafen Amédée VI. vom 11. Januar 1373 im Berufungsverfahren der
Zeugenbeweis über lokales Gewohnheitsrecht und Freiheiten im Kanton Wallis
durchgeführt wurde (Partie I, S. 65-67). Als ein wichtiges Ergebnis hält Poudret fest, daß die
Unterscheidung zwischen geistlicher und weltlicher Justiz in Lausanne weit
ausgeprägter als in Sitten/Sion war. In Genf und
Lausanne entledigten sich die Bischöfe ihrer rechtsprechenden Tätigkeit sehr
früh und übertrugen sie auf den Offizial. Zu Anfang
des 14. Jahrhunderts verzichtete der Lausanner Fürstbischof
darauf, die weltliche Gerichtsbarkeit auszuüben, und übertrug sie auf den Vogt
(„bailli“); dies belegt die Umstrukturierung der curia episcopi in
die curia secularis sehr
eindrucksvoll. In Sitten hingegen sprach der Bischof weiter Recht, besonders in
Ehesachen und weltlichen Angelegenheiten.
Es versteht
sich von selbst, daß nicht alle Einzelheiten der
beiden Bücher Gegenstand dieser Kurzbesprechung sein können. Festzuhalten ist
gleichwohl, daß der Autor sein Ziel, ein Handbuch des
Rechts der „pays romands“
zu schaffen, erreicht hat. Er hat auf diese Weise begonnen, eine
wissenschaftliche Lücke in der Rechtsgeschichte der Schweizer Romanistik zu
schließen. Allerdings ist offensichtlich noch viel zu tun. Denn für die Zukunft
sind noch weitere Bände angekündigt: einer über Familien-, Ehe- und Erbrecht,
ein weiterer über Sachen-, Schuld- und Zwangsvollstreckungsrecht (Partie I, S.
IX). Auf das Erscheinen der nächsten Bände wartet die Rechtsgeschichte
zweifelsohne mit Spannung.
Saarbrücken Thomas
Gergen