GergenHaubrich20010914
Nr. 10499 ZRG 119 (2002) 81
Haubrich,
Walter, Spaniens schwieriger Weg in die Freiheit. Von der Diktatur
zur Demokratie, Edition Tranvía, Berlin Band 1 1973-1975, 1995, 275 S., Band 2
1975-1977, 1997, 346 S., Band 3 1977-1979, 2001, 319 S.
Wer kennt
sie nicht, die stets exzellent recherchierten Berichte und Reportagen Walter
Haubrichs in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung? Seit 1969 ist Haubrich
ununterbrochen Korrespondent der F.A.Z. in Madrid und berichtet gleichermaßen
aus Spanien, Portugal, dem Maghreb und Lateinamerika. Bereits 1976 trat er mit
seinem Buch „Francos Erben. Spaniens Weg in die Gegenwart“ vor ein breites
Publikum. Daß sich Verleger Walter Frey entschlossen hat, die wichtigsten
Veröffentlichungen aus den entscheidenden Jahren der transición, d. h. der komplizierten und konfliktreichen
Übergangsphase vom Franco-Regime zur Demokratie, in Buchform zusammenzustellen,
ist löblich. Denn es erleichtert das Auffinden der FAZ-Artikel und bietet eine
chronologisch lückenlose Aufbereitung der Quellen des politischen Geschehens in
dieser so spannenden Zeit aus erster Hand und kritischer Feder. So
charakterisiert Haubrich etwa am 16. Januar 1974 – nach dem Tod des
Ministerpräsidenten Carrero Blanco - die damalige momentane politische
Situation treffend wie folgt (Band 1, S. 26):
Von Wahlen und Regierungsbildung wie in demokratischen Ländern ist Spanien noch meilenweit entfernt. Statt der rund 25 Millionen volljährigen Spanier wählte nur einziger: Staatschef Franco. Die „Parteien“ bestehen meistens nur aus den Parteivorständen; eine Basis, Mitglieder gibt es nicht. „Politische Familien im Regime“ ist ein treffender Ausdruck für diese Interessengemeinschaften zur gegenseitigen Förderung und fast ohne ideologischen Hintergrund. Familienstreitigkeiten sind üblich. Sie werden unter den jetzt Regierenden sicher bald ausbrechen.
Unter der
Überschrift „Ein willensstarker Zauderer regierte Spanien – Leben und
Herrschaft Francisco Francos/Er hinterläßt ein befriedetes, doch kein
versöhntes Volk“ findet Haubrich in der FAZ vom 21. November 1975 die folgenden
Worte (Band 1, S. 271f.):
Philipp II.
[1556-1598] beherrschte Spanien länger als Francisco Franco [1936-1975]; doch
selbst der düstere Einsiedler im Escorial hatte weniger Machtbefugnisse als der
300 Jahre [sic] später im streng
bewachten Pardo-Palast residierende Caudillo. In der Epoche des habsburgischen
Philipp war Spanien die große Weltmacht, spanische Literatur und Kultur
erlebten ihre größte Blütezeit, den Höhepunkt des berühmten „goldenen
Zeitalters“ [Siglo de Oro]. Francisco
Franco herrschte in einem bescheidener gewordenen Spanien, das weltpolitisch
nur noch eine zweitklassige Rolle spielte [...] Das Wort „Franco“ löst bei
Spaniern aus mindestens zwei Generationen immer spontane, wenn auch
verschiedenartige Reaktionen aus. Franco: das bedeutet für viele einen
Alptraum, für manche Frustrationen, enttäuschte Hoffnung, ja Verrat; für andere
aber auch Sicherheit, Schutz, Ordnung und Frieden [...]
Franco ist oft als der unspanischste aller Spanier bezeichnet worden [...] Während die meisten Spanier auch in der Politik die Dinge gern überstürzen, allzu häufig den Ereignissen vorauseilend, war Franco immer ein Zauderer. Er zögerte lange bei politischen Entscheidungen, ging dann aber nicht mehr von ihnen ab. Er hatte nur ganz wenige Freunde und Vertraute, liebte die einsamen Entschlüsse [...] Die Strukturen seines politischen Denkens waren recht einfach: einige wenige Ideen und Prinzipien, die er im Laufe seines langen Lebens nur leicht abgewandelt immer beibehielt.
Auch die
Einschätzung der Rolle Francos auf internationalem Parkett gelingt Haubrich,
wenn er fortfährt (Band 1, S. 273):
Hitler, der Franco weniger als Mussolini im Bürgerkrieg unterstützt hatte, gelang es nicht, Spanien in den Krieg zu ziehen. Franco schickte lediglich eine Freiwilligendivision an die Ostfront. In dem Maße, wie sich das Kriegsglück zuungunsten der Achsenmächte wandelte, nahm Franco Kontakt zu den Alliierten auf [...]. Propagandistisch kam Franco vor allem in den Vereinigten Staaten zugute, daß er sich standhaft geweigert hatte, Hitlers Judenvernichtung mitzumachen. Tausende von Sepharditen (Juden spanischen Ursprungs) in Südosteuropa rettete die spanische Regierung vor dem Tod, indem sie ihnen die spanische Staatsbürgerschaft verlieh, sie dadurch für Hitler unangreifbar machte und vor den deutschen Vernichtungslagern bewahrte. Die Vereinigten Staaten schlossen neben dem Vatikan als erste wieder einen internationalen Vertrag – das Stützpunktabkommen 1953 – mit Franco-Spanien ab...
Die Berichte, Reportagen und Analysen Haubrichs geben Zeugnis von einem Zeitabschnitt, der zwar bereits Geschichte ist, jedoch noch immer Spaniens gegenwärtige Politik und Gesellschaft unmittelbar prägt. Der zuletzt erschienene dritte Band umfaßt den Zeitraum von den demokratischen Parlamentswahlen vom Juni 1977 (die ersten seit dem Beginn der Franco-Herrschaft im Jahre 1936) bis zum März 1979, in dem erneute Parlamentswahlen stattfanden, welche von ETA-Terrorwellen überschattet worden waren.
Es ist
evident, daß eine zeitnahe Berichterstattung nicht immer mit dem oft nötigen
Abstand zum Geschehen erfolgen kann, um eine ausgereifte historische Wertung zu
bieten. In Spanien fing man erst in den letzten Jahren an, die Franco-Ära und
die transición historisch zu
bearbeiten. Doch ist dies nicht das primäre Ziel der vorliegenden Sammlung, der
es vornehmlich um die Präsentation des Geschehenen mit dem wertenden Bezug zur
damaligen Tagespolitik geht. Haubrich, ein Zeitzeuge der Ereignisse, hat auf
diese Weise sowohl eine fundierte Dokumentation als auch ein ansprechendes
Lesebuch zur spanischen jüngeren Zeitgeschichte vorgelegt.
Wir können
also Jorge Semprún nur beipflichten, der sich folgendermaßen über Haubrichs
Werk äußerte: „Jede künftige Geschichte der ,transición’,
ihrer Konsolidierung und späteren Krisen, wird Haubrichs Artikel, Reportagen,
Interviews und Kommentare als erstklassige Quelle aus erster Hand
berücksichtigen müssen.“ (Band 1, Vorwort, S. 7)
Auf Band 4,
der die Zeitspanne von April 1979 bis Februar 1981 umfassen wird, dürfen sich
Spanieninteressierte schon jetzt freuen. Es bleibt zu hoffen, daß Verlag und
Autor die Reihe auch für die gesamten 80er- und 90er Jahre fortsetzen werden.
Wünschenswert wäre dann jedoch ein abschließender Personen-, Orts- und
Sachthemenindex, um dem Leser und Benutzer der Berichte die gezielte Suche
anhand von einschlägigen Begriffen zu erleichtern.
Saarbrücken Thomas
Gergen