GergenDerjakobuskult20000927 Nr. 1257 ZRG 119 (2002) 32
Der Jakobuskult in „Kunst“ und „Literatur“ – Zeugnisse in Bild, Monument,
Schrift und Ton, hg. v. Herbers, Klaus/Plötz, Robert (= Jakobus-Studien
9). Tübingen, Narr 1998. XII, 303 S.
Die
vorliegende Sammlung von Aufsätzen ist bereits der neunte Band der
Jakobus-Studien, für die hauptsächlich Klaus Herbers verantwortlich
zeichnet. Während in Band 8 Auszüge aus dem Jakobusbuch des 12. Jahrhunderts
ins Deutsche übertragen und kommentiert wurden[1],
der Haupttextquelle des Mittelalters zu dieser Pilgerfahrt, umfaßt der hier
besprochene Aktenband Studien zur Kunst- und Literaturgeschichte aus
verschiedenen Ländern, von denen aus Pilger nach Santiago de Compostela zogen.
Nicht nur Erzählungen und Berichte der Pilger, sondern auch Vorstellungen und
Bilder förderten und fördern die Verbreitung dieses Kultes bis in die heutige
Zeit. Dabei betreten die Autoren wissenschaftliches Neuland, indem sie die
Rezeption dieser Wallfahrt in Bild-, Schrift- und Tonmedien untersuchen[2].
Nach diesen Kriterien ist auch das Buch gegliedert, ein Register der Ortsnamen
und der Personennamen (S. 285-303) erleichtert die Übersicht über das Werk.
Die Kirchen
San Salvador de Leyre, Santa María la Real de Sangüesa, Nuestra Señora de Eunate,
die Pfarrkirchen von Olcoz und San Miguel de Estella werden beispeilhaft
behandelt, um das Bildprogramm romanischer Portale und Portalfassaden in
Navarra zu beschreiben. Dort sind häufig solche Sünden verkörpert, denen die
Pilger auf ihrer Fahrt erlegen sein konnten, also Nachlässigkeit im Glauben und
bei der Feier der heiligen Messe sowie Völlerei und Geiz[3].
Die didaktische Bedeutung der Bilder verdeutlicht auch die Studie über
„Ikonographie des Apostels Jakobus im Kontext der Darstellungen des Credo Apostolorum“ (S. 15-50), in der Ryszard
Knapinski unterstreicht, wie wichtig es war, den Rang des Apostels Jakobus
im Apostelkollegium angemessen zu würdigen. Die Plocker Bronzetür von Nowgorod,
um 1150 in Magdeburg gegossen und unter lombardischem Einfluß stehend, ist ein
entscheidender Beweis für europaweite Kontakte in der bildenden Kunst der
Jakobusdarstellungen. In der deutschen Sprachinsel Zips in der heutigen
Slowakei bezeugt die Jakobuskirche in Leutschau die reichhaltige Ausstattung
mit Jakobusmotiven. Da Jakobus der Namenspatron des vermögenden Kaufmanns Jakob
Fugger war, konnte die Kirche vom enormen wirtschaftlichen Aufschwung im
Erzgebirge im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit profitieren; dies
zeigt Johanna von Herzogenberg in ihrem Bericht „Die Jakobuskirche in
Leutschau/Levoca, Zips/Spiš (Slowakei), eine gotische Schatzkammer“[4].
Die
Bedeutung und Ausformung sozialer Strukturen (wie das Spital- und
Bruderschaftswesen) im späten Mittelalter hebt die Studie von Christoph Kühn
über die Trierer Steipe hervor: „Heilige und Bürger- Die Skulpturenfassade der
Trierer Steipe“ (S. 51-66). Robert Plötz zeichnet in seinem Beitrag „Der
Jacobus der Reformation – Ein nachgereichter Beitrag zum Lutherjahr“ (S. 67-84)
eine besondere Form der Jakobusikonographie um 1500 nach, die den Apostel in
einer Luther-Bibel als angeblichen Verfasser der kanonischen Jakobus-Epistel
zeigt. Die Zuschreibung dieser Epistel zugunsten Santiagos des Älteren, die
normalerweise Santiago dem Gerechten, dem ersten Bischof von Jerusalem,
zusteht, wurde mehr oder weniger absichtlich unternommen. Dem „Bremer
Pilgerzeichen-Fund“ (S. 85-108) seit den Ausgrabungen an der Weser zwischen
1908 und 1947 widmet sich im Anschluß Jürgen Wittstock. 34 dieser
Objekte gehörten mit Sicherheit den Pilgern und insgesamt zu 16
unterschiedlichen Wallfahrtsorten[5],
die sich zumeist in Norddeutschland befanden. Besonders dem Adel kam es darauf
an, sich im Bild als Pilger darzustellen. In den Reiseberichten von Sebastian
Ilsung (1446), Sebald Rieter (1462), Leo von Rozmital (1465-1467), Nikolaus von
Popplau (1483) oder Hieronymus Münzer (1494-1495) wird das Bild des adligen
Pilgers, der sich auf diese Weise verewigen möchte, sehr deutlich[6].
Ähnlich wie in der Grabeskirche zu Jerusalem, in der Geburtskirche zu
Bethlehem, im Katharinenkloster auf dem Sinai und selbst im Kloster des
Heiligen Antonius in der ägyptischen Wüste hinterließen die fahrenden Adligen
an den Stationen ihres Weges nach Santiago de Compostela Wappen, Namen und
andere Zeichen, welche zu ihrer Ehre gereichen und den Nachkommen eine
anschauliche Erinnerung an ihre Pilgerfahrt schaffen sollten. Bild und Text
waren hier bereits eng verwoben, und so steht der Beitrag „Santiago de
Compostela in deutschen Pilgerberichten des 15. Jahrhunderts“ (S. 129-140) von Volker
Honemann genau an der richtigen Stelle. Vier deutsche Pilgerreisende,
Sebastian Ilsung, Gabriel Tetzel, Hieronymus Münzer und Arnold von Harff,
berichten auffälligerweise dieselben Dinge. Keiner von ihnen charakterisiert
seinen Besuch der Kathedrale und des Apostelgrabes als geistliches Erlebnis.
Diese Stätten scheinen vielmehr nur Anhängsel des Besuchs und der eigentlichen
Fahrt zu sein. Bei Münzer und Harff wird evident, daß sie vor allen Dingen die
Amtskirche und den Klerus kritisieren.
Mit
Ausnahme von Harffs Erzählung werden die Berichte der Reisenden zusehends
reicher an Daten und Fakten. Beschränkt sich Ilsung noch auf das Nötigste,
berichtet Tetzel im Detail von der Jakobuslegende und nennt die heiligen
Stätten Santiagos. Münzer indes wollte einen Beitrag zur Landeskunde des
iberischen Nordwestens liefern. Honemann schlußfolgert, daß es den Lesern des
spätmittelalterlichen Reiseberichtes in erster Linie um literarischen Genuß
ging und qualifiziert dies zu Recht als „Ent-geistlichung“ bzw.
„Entspiritualisierung“, denn aus der Wallfahrt zum verehrungswürdigen
Apostelgrab wurde die Reise, die sich von der nicht-geistlich geprägten
Exkursion nur gering unterschied, nämlich eine adlige Kavalierstour zum
nüchtern beschriebenen, aber nur zweitrangigen Ort geistlicher Macht, ja zu
einem „Wirtschaftstandort“[7].
In der
mittelniederländischen Literatur wird die Pilgerfahrt zum Apostelgrab wenig
thematisiert[8]. Der Liber Sancti Jacobi erwähnt mehrmals die
Volksgruppe der Friesen, Friesland etc. Ob der Ausdruck „Herru Sanctiagu“ in
der Hymne „Dum pater familias“ auf das Niederländische hinweist, ist
sehr fraglich. Später finden sich Hinweise in Heiligenliteratur,
Historiographie, erzählender Literatur und Volksliedern. Danach zeichnet Gaële
de la Brosse die Beziehung des Apostelkultes mit der Ideenwelt Paul
Claudels nach: „Le Thème Jacquaire dans l’Univers Claudélien“ (S. 187-200).
Der Apostel wird dargestellt als Patron und Beschützer der Pilger, der am
richtigen Ort als Nothelfer erscheint. Neben diesem „homo viator“-Motiv
tritt auch dasjenige der Conquista
auf, das vielfach in der lateinamerikanischen Literatur anzutreffen ist.
Santiago als Heiliger zweier Welten wird als Spiegelbild seiner Vermittler, der
spanischen Eroberer, gesehen, da er eindeutig martialische Züge trägt. Er,
Symbolfigur eines repressiven, militanten Katholizismus, ist bei den Indios
nicht beliebt, da er zu ihrem Schlächter, zum „mata-indios“, wird. Im Amerika
der Conquista verboten die
Spanier zeitweilig den Taufnamen Santiago für Indios, um zu vermeiden, daß die
Macht des Apostels auf diese übergehen könnte. Diese Zwielichtigkeit spiegelt
sich auch in der zeitgenössischen Literatur wider. Die Mehrheit der modernen
Schriftsteller, wie Eduardo Galeano, Miguel Angel Asturias, Luis E.
Valcárcel oder Ernesto Cardenal benutzt seinen Namen als Symbol der
gewaltsamen Invasion, so daß sich der „mata-moros“ des iberischen Mittelalters
in den „mata-indios“ der Neuen Welt verwandelt[9].
Heinz Klüppelholz befaßt sich in diesem Zusammenhang noch mit der
thematischen Rezeption des Pilgerweges in den Werken des kubanischen Dichters Alejo
Carpentier, der mehrere historische Ebenen und geographische Bezüge
eindrucksvoll verschmilzt und die Strafwunder und Volksfrömmigkeit des
Mittelalters in die Gegenwart projiziert[10].
Zudem geht Erik
Soder von Güldenstubbe auf die Suche nach „Jakobus in der fränkischen
Literatur“ (S. 239-258). Vicente Almazán weist in „Sankt Jakob in den
skandinavischen Volksliedern“ (S. 259-270) nach, daß skandinavische Volkslieder
des 18. Jahrhunderts bis heute einen speziellen Bezug zum Jakobuskult besitzen
sowie etliche Traditionen der frühen lateinischen Apostelakten aufgreifen.
Zum
Abschluß seien die neuen Thesen genannt, die aus den besprochenen
Forschungsergebnissen resultieren. Diese bestätigen die bislang bekannte
Annahme, daß sich der Jakobuskult in Europa während des Mittelalters besonders
intensiv im 12. und dann im 15. Jahrhundert verbreitet hat. Die im Hinblick auf
Lateinamerika so wichtige Konzeption des Heiligen als Maurentöter bzw.
Indioschlächter wurde ebenso herausgearbeitet wie die häufige Gleichsetzung mit
dem jüngeren Jakobus sowie die Verdeutlichung der Rolle des Jakobus als Apostel
und seine herausragende Stellung innerhalb der Zwölf. Die Bekanntmachung des
Kultes in Europa konnte nur durch Zeichen geschehen, d. h. Pilgermotive,
Reiseliteratur und ein reiches ikonographisches Programm. Dabei hätte indes der
Reliquienkult m. E. noch miteinbezogen werden können[11].
Für den Rechtshistoriker wäre von Interesse, wie die bildliche Darstellung der
im Liber Sancti Jacobi so häufig
auftretenden „Strafwunder“ erfolgte und welche Wirkung diese im alltäglichen
Leben zeitigten.
Die
Aufsätze geben sicherlich Anlaß, über den Einfluß der Bild- und Textbotschaften
nachzudenken, und liefern wichtige Resultate zur Jakobusforschung. Sie lassen
aber noch offen, wie etwa Bilder auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene gewirkt
haben oder gar ihre Motive gesteuert haben bzw. dies heute noch tun; hier
besteht weiterer Klärungsbedarf.
Saarbrücken Thomas
Gergen
[1] Vgl. unsere Besprechung des „Libellus Sancti Jacobi: Auszüge aus dem Jakobsbuch des 12. Jahrhunderts“, hg. v. Klaus Herbers, Tübingen, 1997, in Lusorama 39 (Juni 1999), S. 116-118.
[2] Klaus Herbers/Robert Plötz, Von Pilgerkirchen und epischer Dichtung zu Zeugnissen in Schrift, Bild und weiteren Monumenten: Eine Einführung, S. VII-XII.
[3] Thomas Igor C. Becker, ,Building Boards’. Bemerkungen zur Bildprogrammatik einiger romanischer Portale und Portalfassaden in Navarra, S. 3-14.
[4] S. 271-284.
[5] Vgl. die grundlegende Arbeit von Kurt Köster, Mittelalterliche Pilgerzeichen, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen, Lenz Kriss-Rettenbeck (Hrsg.), München, 1984 (Begleitband zur Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum in München vom 28.6.-7.10.1984 mit gleichem Titel), S. 203-223.
[6] Aufsatz von Detlef Kraack, Monumentale Zeugnisse der spätmittelalterlichen Adelsreise auf den Wegen nach Santiago de Compostela, S. 109-126.
[7] Klaus Herbers, Der Jakobuskult des 12. Jahrhunderts und der „Liber Sancti Jacobi“: Studien über das Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Wiesbaden: Steiner, 1984 (Historische Forschungen, Bd. 7), S. 181-192.
[8] Jan van Herwaarden, Der Apostel Jakobus in der mittelniederländischen Literatur, S. 141-186.
[9] Annegret Langenhorst, Santiago, Heiliger zweier Welten. Eine literarische Spurensuche in Euopa und Hispanoamerika (S. 225-238).
[10] Die Stellung des ‚Camino de Santiago‘ in Alejo Carpentiers Novellenzyklus Guerra del tiempo, S. 201-224.
[11] Norbert Ohler, Pilgerleben im Mittelalter – Zwischen Andacht und Abenteuer, Freiburg im Breisgau, 1994, S. 45-50.