GebhardtLinck20010916 Nr. 10338 ZRG 119 (2002) 76

 

 

Linck, Stephan, Der Ordnung verpflichtet. Deutsche Polizei 1933-1949. Der Fall Flensburg (= Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart). Schöningh, Paderborn 2000. 368 S.

 

Die vorliegende Veröffentlichung ist die leicht überarbeitete Fassung der 1998 am Historischen Seminar der Universität Kiel erarbeiteten Dissertation. Damit sollen die Kontinuitäten und Brüche der Polizeiorganisation von der NS-Machtergreifung im Jahre 1933 bis zur Errichtung der Bundesrepublik im Jahre 1949 verfolgt werden. Als Beispiel dient die norddeutsche Stadt Flensburg, die auf Grund ihrer Grenzlage zwar manche Sonderentwicklungen erlebte, trotzdem aber als nicht untypisch bezeichnet werden kann. Herausragend war die Situation in dieser Stadt im Mai 1945, als Flensburg kurz als „Reichshauptstadt“ fungierte und dabei auch zum Sammelpunkt der Eliten der NS-Polizei wurde. Als Quellengrundlage dienten insbesondere Akten der Flensburger Polizeiinspektion, die im Landesarchiv Schleswig-Holstein verwahrt werden. Daneben wurden aber auch einzelne Bestände des Bundesarchivs, des Public Record Office in London sowie der Ludwigsburger Zentralstelle ausgewertet.

Im Blickpunkt der Arbeit stehen insbesondere die organisatorischen Veränderungen, die allerdings nicht nur auf Flensburg beschränkt dargestellt werden. Berücksichtigt werden nämlich auch die Entwicklungen der Zentralebene des Staates und insbesondere die Verhältnisse im gesamten Land Schleswig-Holstein. Daneben erfolgt auch eine Erörterung der personellen Strukturen sowie der jeweils herrschenden Auffassung von Polizeiarbeit.

Zunächst wird sehr prägnant die allgemeine Transformation der Polizeiorganisation nach der Machtergreifung beschrieben, die vor allem durch Machteroberung des bis dahin sozialdemokratisch dominierten Sicherheitsapparates, sowie weiter durch Zentralisierung, Radikalisierung und Entrechtlichung gekennzeichnet war. In Flensburg gab es aber trotz der Umbrüche auf vielen Ebenen Kontinuitäten. So wurde der seit 1931 amtierende Polizeipräsident Fulda, der kein Parteigänger der NSDAP war, zwar im Amt belassen. Doch in der Folge musste er die anstehenden Reformen, wie insbesondere die Herauslösung der Polizeibereitschaft sowie den Machtausbau der Gestapo, mittragen. Auch bei der Kriminalpolizei kam es kaum zu Personalveränderungen, nicht zuletzt da es den Nationalsozialisten an qualifizierten Leuten mangelte. Erst 1937 wurde mit einem SS-Standartenführer ein linientreuer Behördenleiter eingesetzt, der vor allem die Einordnung der Flensburger Polizei in die Befehlshierarchie der SS voranzutreiben hatte.

Die Kriegsjahre waren vor allem geprägt durch die auswärtigen Einsätze, bei denen die Polizeieinheiten auch zur gewaltsamen Umsetzung der NS-Rassenpolitik herangezogen wurden. Es wird aber auch gezeigt, wie insbesondere die Gestapo- und Kripo-Stellen die Justiz umgingen und selbst zur strafverhängenden Behörde wurden. Bei der zunehmend wichtiger werdenden „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“, bei der vor allem Gewohnheitsverbrecher, Zigeuner und Homosexuelle ins Visier genommen wurden, wird auch deutlich auf die erhebliche Eigeninitiative der Polizei verwiesen. Die Behauptung, die Polizei habe nur Erlässe umgesetzt, ohne dass sie auf die Entstehung Einfluss nehmen konnte, lässt sich jedenfalls nicht uneingeschränkt aufrecht erhalten.

Als sich im Mai 1945 die Regierung Dönitz in Flensburg etablierte, bezogen auch Teile der SS-Führung sowie des Reichssicherheitshauptamtes in diesem Grenzgebiet zu Dänemark Quartier. Mit dabei war auch Heinrich Himmler, der seine letzte Stabsbesprechung im Flensburger Polizeipräsidium abhielt. Vielen Führungskräften gelang es dann unterzutauchen, was teilweise planmäßig von der Polizeidirektion Flensburg unterstützt wurde. Andere boten den einziehenden britischen Besatzern ihre Dienste an. Während die Sommermonate 1945 noch von Improvisation geprägt waren, wurde ab September 1945 eine grundlegende Neuorganisation der Polizei eingeleitet und auch die Entnazifizierung vorangetrieben. Diese angestrebte Säuberung ließ sich jedoch - ähnlich wie 1933 – insbesondere bei der Kriminalpolizei nur beschränkt umsetzen, da man sonst Gefahr lief, mangels qualifiziertem Personal die Arbeitsfähigkeit zu gefährden. An Hand vieler aufgezeigter Einzelbeispiele wird deutlich, dass hier durchgehende Karriereverläufe möglich waren.

Das dann folgende zähe Ringen um eine Neuorganisation des Polizeiapparates wird sehr detailliert beschrieben. Zunächst wurde eine Einheitspolizei nach britischem Vorbild etabliert und eine Landespolizeischule eingerichtet, an der neu aufgenommene Polizeibeamte im Schnellverfahren ausgebildet wurden. Auf die Sozialisation und den beruflichen Werdegang dieser neu eingestellten Polizisten wird sehr eingehend Bezug genommen. 1947 wurde die Polizeihoheit an das Land Schleswig-Holstein abgetreten, allerdings mit noch bestehenden Kontrollrechten der Militärregierung. Und erst nach sehr heftigen Auseinandersetzungen mit den Briten wurde schließlich im März 1949 ein neues Polizeigesetz erlassen, das eine dezentrale Struktur mit begrenzten politischen Einflussmöglichkeiten vorsah und damit dem britischen Konzept entsprach. Doch schon 1952 wurde diese Struktur verändert und die gesamte Polizei dem Innenministerium untergeordnet, womit man sich wieder am preußischen Polizeimodell der Weimarer Republik orientierte.

Die mit vielen illustrativen Quellenzitaten sowie Tabellen und Grafiken aufgelockerte Untersuchung bietet somit an Hand des exemplarischen Falles Flensburg einen umfassenden Einblick in die Struktur des staatlichen Polizeiapparates in der NS-Zeit sowie in der unmittelbaren Nachkriegsperiode. Dabei werden zwar auf der einen Seite viele grundlegende Brüche sichtbar; andererseits ziehen sich manche Traditionslinien quer durch diese Epoche der Polizeigeschichte.

 

Graz                                                                                                              Helmut Gebhardt