FiedlerBaruch20010616 Nr. 10444 ZRG 119 (2002) 70

 

 

Baruch, Marc Olivier, Das Vichy-Regime. Frankreich 1940-1944 (= Universalbibliothek 17021). Reclam, Stuttgart 1999. 224 S.

 

Die staatliche Konstellation im Westen Europas nach dem Waffenstillstand vom Juli 1940 war lange Zeit unübersichtlich und wird in der Gegenwart überdeckt durch das Schlagwort von der deutsch-französischen Freundschaft, ohne daß die näheren Konturen dieses Phänomens noch bekannt wären. Das gilt vor allem für die historische Ausgangsposition.

Diese ist gekennzeichnet durch die Schaffung eines Satellitenstaates, der als „Etat français“ unter Marschall Pétain in die Geschichte eingehen sollte. Diesem sog. Vichy-Regime ist der gesamte Band gewidmet, der so das „andere“ Frankreich darstellte, dessen Lebenselement die „Kollaboration“ wurde, obwohl Marschall Pétain mehr die Wahrung der Souveränität im Mittelpunkt sah und „Intelligenz“ und „Arbeit“ in den Vordergrund schob. Der Autor bietet mit eingeschobenen Zitaten aus schwer zugänglichen Quellen ein stets lebhaftes Bild seines Themas (z. B. S. 36ff.).

Auf diese Weise gelingt es ihm, die „innere Struktur“ des neuen Staates herauszuarbeiten (vor allem S. 111ff.), bevor im letzten Kapitel recht deutliche Worte über „Vichy und den Geist von Vichy“ fallen (S. 193ff.). Zu den Besonderheiten zählen sicher die Vorwürfe in Bezug auf die Unterstützung der Judenverfolgung und die dadurch übernommene Verantwortung. Nicht unterschätzt werden sollte die Brisanz des Themas noch im gegenwärtigen Frankreich. Baruchs nicht geringster Verdienst liegt darin, daß er die Literatur bis in die Gegenwart verfolgt und sich nicht einseitig auf juristisches Terrain begibt. Folglich bleibt der Stimmungsumschwung im Jahre 1942 nicht auf die Erörterung von Legalität und Legitimität beschränkt. Die vorab gedruckte Zeittafel erweist sich als außerordentlich nützlich (S. 15ff.), auch wenn die Konzentration auf das Vichy-Regime wenig Raum für die sich ständig verändernde Rolle der France Libre unter De Gaulle läßt. Es wäre reizvoll gewesen, die Behandlung der France Libre durch die verbündeten Westmächte näher zu beobachten und auch dem Umstand Rechnung zu tragen, daß ein großer Teil Frankreichs militärisch unmittelbar besetzt war. Insofern behandelt Baruch nur einen Teil des historischen Puzzles, dies aber mit großem Erfolg. Ein Buch, das breite Beachtung verdient, gerade im Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft.

 

Saarbrücken                                                                                                  Wilfried Fiedler