FeenstraLokin20010915 Nr. 10097 ZRG 119 (2002) 47
Lokin, J. H. A./Jansen, C. J. H./Brandsma, F., Het Rooms-Friese recht. De civiele
rechtspraktijk van het Hof van Friesland in de 17e en 18e eeuw.
Verloren/Rijksargyf, Hilversum/Leeuwarden 1999. 240 S.
Dieses Werk von Lokin, Jansen und Brandsma ist – zusammen mit einigen anderen Veröffentlichungen – anlässlich eines Jubiläums zustande gekommen, das man kurz als „500 jaar Hof van Friesland“ bezeichnet hat. Herzog Albrecht der Beherzte von Sachsen, der 1498 des Kaisers und heiligen Reichs wegen als Gubernator und Potestat von Friesland angenommen worden war, hat 1499, nach dem Modell des sächsischen Oberhofgerichts, in Friesland einen Rat gegründet. Sein Sohn Georg reformierte diesen Rat 1504 in einer neuen Gerichtsordnung, in Friesland „Saksische Ordonnantie“ genannt. Nachdem Karl von Habsburg, der spätere Kaiser Karl V., Friesland übernommen hatte, trat 1515 ein „Hof van Friesland“ nach burgundisch-habsburgischem Modell an die Stelle des sächsischen Rates. Dessen Aufgaben wurden 1588 auf die Rechtssprechung beschränkt. In dieser Gestalt fungierte der Hof van Friesland als oberstes Gericht der Provinz Friesland bis zur Einverleibung des Königsreichs Holland in das französische Kaiserreich im Jahre 1811. Die weitere Geschichte der Rechtsprechung in Friesland von der Befreiung der Niederlande (Ende 1813) bis zum Jahre 1999 ist zwar beim Jubiläum nicht ganz unbeachtet geblieben, doch können wir sie hier außer Betracht lassen: Einen wirklichen Nachfolger bekam der Hof van Friesland in dieser Periode nicht. Wir haben es also im vorliegenden Werk auch nur mit der – zivilrechtlichen – Praxis des „klassischen“ friesischen obersten Gerichts im 17. und 18. Jahrhundert zu tun.
Der Haupttitel „Het
Rooms-Friese recht“ („Das römisch-friesische Recht“)
ist ein Neologismus, entstanden als Gegenstück zur schon längst bestehenden
Bezeichnung „römisch-holländisches Recht“ für das in der Provinz Holland
geltende Recht, die auf den Titel eines Werkes Simon van Leeuwens
(„Het Rooms Hollands regt“)
zurückgeht. Die Anregung, sich unter diesem Titel mit unveröffentlichten
Entscheidungen des Hof van Friesland zu befassen, wurde den Verfassern vom
Archivar der Provinz Friesland, D. P. de Vries, gegeben, der sie auf das
reichlich vorhandene Material hinwies und auch das Thema vorschlug: Kann eine
Untersuchung dieses Materials die seit dem 17. Jahrhundert immer wieder
verkündete Aussage bestätigen, dass in der Provinz Friesland das römische Recht
strikter als in irgendeinem anderen Gebiet der christlichen Welt befolgt wurde?
Die Verfasser haben ihre Aufgabe in der
Weise in Angriff genommen, dass sie, nach einem einführenden Kapitel, in 13
weiteren Kapiteln einzelne Themen aus dem Privatrecht aufgrund von
Entscheidungen des Hof van Friesland untersucht haben; so werden z. B.
behandelt die patria potestas,
die Zession, Mobilia habent sequelam, die cautio Socini, die laesio enormis, sowie Buße und Schadensersatz im Deliktsrecht.
Bei der Wahl dieser Themen haben sie sich von deren Bedeutung für das jetzt in
den Niederlanden geltende Privatrecht leiten lassen. Jedes Kapitel ist als eine
selbständige Einheit geplant worden, die sich auch getrennt von den anderen
Kapiteln lesen lässt. Es werden überall nicht nur Auszüge aus den
Entscheidungen oder den Prozessakten wiedergegeben und analysiert, sondern es
wird auch das angeführte (justinianische) römische
Recht erörtert und es werden Verweise auf das heutige niederländische Recht
wenn irgendwie möglich hinzugefügt. Hierfür konnten die Verfasser oft an einige
gedruckte Werke friesischer Juristen des 17. und 18. Jahrhunderts anknüpfen und
zwar einerseits an die Lehrbücher von Ulrik Huber (Heedensdaegse rechtsgeleertheyt
soo elders als in Frieslandt gebruikelijk, 1686
und öfters[1];
Praelectiones juris civilis
secundum Institutiones et Digesta, 1690 und öfters, auch verschiedene Editionen
in Deutschland), andererseits an die Entscheidungssammlungen von Johannes van
den Sande (a Sande)[2], Gajus Nauta, Johannes Beucker und Zacharias Huber. Diese Autoren sind übrigens
von den Verfassern meistens auch für das Auffinden relevanter Akten für eines
ihrer Themen benutzt worden.
Es kann in dieser Anzeige für einen
hauptsächlich nicht-niederländischsprachigen Leserkreis nicht über jedes
Kapitel referiert werden. Ich wähle deshalb nur zwei Beispiele:
Zuerst Mobilia habent sequelam (Kapitel
VI, S. 87-104), ein klassisches Thema, das in der Literatur meistens in der
negativen Form (Mobilia non habent sequelam) behandelt wird, wobei dann diese negative
Formulierung als „germanisches Recht“ dem römischen Recht gegenübergestellt
wird. Die Verfasser haben zum Ausgangspunkt eine Entscheidung aus dem Jahre
1718 gewählt, in welcher ein ausbedungenes Hypothekenrecht auf ein Pferd im
Streit steht. Dieser Entscheidung gemäss galt Mobilia non habent sequelam
nicht in Friesland; der Hof van Friesland wehrte sich gegen die Praxis in der
Provinz Holland, wo man seit dem Ende des 16. Jahrhunderts die französische
Maxime „Meubles n’ont pas de suite par hypothèque” rezipiert hatte[3].
Es werden in diesem Zusammenhang von den Verfassern verschiedene andere
Entscheidungen des Hofs van Friesland erörtert; dabei verweisen sie auch auf
die Praxis außerhalb der Niederlande und Frankreichs, namentlich auf Äußerungen
Benedikt Carpzovs (für Sachsen) und Antonius Fabers
(für Savoyen). Als friesischer Jurist der sich vor allem mit der Entscheidung
des Jahres 1718 beschäftigt hat, wird Zacharias Huber (1669-1732), Sohn Ulrik Hubers) angeführt; dieser ist dabei auch auf wichtige
Nebenprobleme, wie Eigentumsübergang beim Kauf (Inst. 2,1,41) und clausula constituti [possessorii],
eingegangen.
Als zweites Beispiel möchte ich auf
Kapitel XII (S. 173-191) über Buße und Schadensersatz im Deliktsrecht
hinweisen. Es werden darin hauptsächlich zwei Eigentümlichkeiten der friesischen
Praxis im 17. und 18. Jahrhundert erörtert, welche beide zu betrachten sind als
ein Festhalten an dem römischen Recht bei der Rezeption (und Umänderung) der actiones ex delicto,
die anderswo – besonders in der Provinz Holland – zu größeren Abweichungen von
den römischen Grundsätzen geführt hatte: Vererblichkeit dieser Aktionen und
Zuerkennung von Schmerzensgeld. Beide wurden in Entscheidungen des Hof van
Friesland – und in den Kommentaren der friesischen Juristen[4]
– abgelehnt. Zwischen der Behandlung dieser zwei Themen findet man (S. 181-187)
einen längeren Exkurs über zwei Prozesse wegen Beleidigung, an denen Johannes
van den Sande und Ulrik Huber beteiligt waren.
Besonders der Prozess Hubers gegen seinen Kollegen Jacobus Perizonius
und weitere Streitigkeiten zwischen der Familie Huber und Perizonius
werden ausführlich beschrieben[5].
Alle Kapitel dieses Werkes bieten eine
besonders angenehme Lektüre. Sie sind für ein breites juristisches Publikum
geschrieben und könnten auch im Unterricht gute Dienste leisten. Die
Einführungen zu den Entscheidungen sind sehr klar (vielleicht an einigen
Stellen etwas zu ausführlich). Obwohl die Entscheidungen und Prozessakten alle
niederländisch gehalten sind, werden selbstverständlich auch viele lateinische
Texte zitiert; vor allem Texte aus dem Corpus juris civilis,
daneben aber lateinische Kommentare der friesischen Juristen. Zu ihnen werden
immer niederländische Übersetzungen gegeben, die im allgemeinen wenig zu
wünschen übrig lassen. Die Register bieten wertvolle Eingänge zum Text (sowohl via Rechtsquellen als auch via
Stichworte). Man darf den Verfassern zu ihrer Leistung recht herzlich
gratulieren
Leiden Robert
Feenstra
[1] Für den nicht-niederländischen Leser sei darauf
hingewiesen, dass es eine vollständige englische Übersetzung gibt: The
jurisprudence of my time (Heedensdaagse rechtsgeleertheyt) by Ulric Huber
(1636-1694), translated from the fifth edition by Percival Gane, Durban 1939.
[2] Die Verfasser benutzen grundsätzlich die
niederländische Fassung, Vijff boecken der gewysder saecken voor den Hove van
Vriesland (erste Edition 1638-1639, weitere 1652 (von den Verf. zitiert) und
1670). Der nicht-niederländische Leser kann natürlich auch die ursprüngliche
lateinische Fassung, Decisiones Frisicae, sive Rerum in suprema Frisionum
curia judicatarum libri V, benutzen. Die von den Verfassern nicht erwähnte
erste Ausgabe – ohne “Decisiones Frisicae” im Titel – datiert vom Jahre 1635;
weitere Editionen in den Niederlanden 1639, 1647, 1656, 1664, 1680, 1683 (in
den Opera Sandes), 1686 und 1698. Es gibt auch Ausgaben in Köln, mit Zusätzen
von Joachim Burgers, unter dem Titel Theatrum practicantium, hoc est
Decisiones aureae sive Rerum in suprema Frisiorum curia judicatarum libri V
(erste Ausgabe 1663, Nachdrucke 1684 und 1696, sowie als Teil der Opera 1698).
Unter diesem Titel auch in den Opera, Ed. Antwerpen 1674, Brüssel 1697
und 1721.
[3] Zu den in diesem Zusammenhang von den
Verfassern zitierten Grotius-Stellen (S. 93) vgl. noch meinen Aufsatz
Vindikation von Mobilien und Lösungsrecht in den nördlichen Niederlanden, in:
Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 63 (1995) 355ff. (Rezensionsmiszelle zu
Werken von W. Hinz und A. Völkl), besonders S. 363f. und 372 (mit weiterem
Verweis auf einen französischen Aufsatz von A. G. Pos, der neben dessen von den
Verfassern zitierten Buch Hypotheek op roerend goed (1970) Beachtung verdient).
[4] Besonders von Ulrik Huber: die niederländische
Übersetzung zweier Stellen aus dessen Praelectiones
juris civilis scheint mir nicht ganz richtig zu sein (S. 175 Anm. 10 und S.
188 bei Anm. 61; an letzterer Stelle lese man übrigens „ad D.9,3“ statt ad
D.9,2“).
[5] Dieser Prozess wird sogar kurz erwähnt von J.
B. Mencken, De charlataneria eruditorum, Leipzig 1715. Die Verfasser (S.
187 Anm. 55) erwecken zu Unrecht den Eindruck, als ob diese Schrift – von welcher 1739 auch eine
niederländische Übersetzung veröffentlicht wurde – ganz diesem Streit gewidmet
war; es handelt sich nur um einige Zeilen.