CordesSchulerregestenSchulerdiespätmittelalterliche20010916 Nr. 10365/10253 ZRG 119 (2002) 33

 

 

Schuler, Peter-Johannes, Regesten zur Herrschaft der Grafen von Württemberg 1325-1378 (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte N. F. 8). Schöningh, Paderborn 1998. LVIII, 518 S.

Schuler, Peter-Johannes, Die spätmittelalterliche Vertragsurkunde, untersucht an den Urkunden der Grafen von Württemberg 1325-1392 (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte N. F. 14). Schöningh, Paderborn 2000. X, 408 S., 11 Taf.

 

Fast zwei Jahrzehnte nach Abschluss des Verfahrens legt Schuler seine zweibändige Bochumer Habilitationsschrift aus dem Gebiet der spätmittelalterlichen Geschichte im Druck vor. Sie besteht aus zwei Bänden, der 1508 Stücke umfassenden Regestensammlung (1998 erschienen, vom Autor als Band 2 bezeichnet) und deren Auswertung aus diplomatischer und rechtshistorischer Sicht („Band 1“, 2000). Dem Regestenband sind umfassende Personen-, Orts- und Sachregister, dem Auswertungsband weitere Register sowie 11 Tafeln mit 24 Abbildungen beigegeben.

Die Arbeit ist rechtshistorisch gesehen misslungen. Die Lektüre vermittelt das Bild eines Historikers, der sich in jahrelanger Fleißarbeit in seinen Quellenbergen von Tausenden württembergischer Urkunden des 14. Jahrhunderts vergraben und dabei einen Eindruck von deren zutiefst juristischen Inhalten gewonnen hat, dem dann aber die Kraft fehlte, seinen Quellenfundus mit hinreichendem Tiefgang zu analysieren und im wissenschaftlichen Diskurs zu verorten. Schuler hat sich auf zwei Gebieten an einer Auswertung versucht.

Zum einen hat er den Diplomatikern vorgeschlagen, eine neue Urkundengattung, nämlich die der spätmittelalterlichen Vertragsurkunde, in ihre Typenlehre aufzunehmen (Kap. 1-6, bis S. 147). Der Unterschied zum Privileg bestehe trotz großer äußerlicher Ähnlichkeit (S. 97f.) vor allem darin, dass Privilegien „Recht aus Gnade gewähren und nicht aufgrund einer zweiseitigen Vereinbarung“ (S. 31). Das ist eine Behauptung, die allenfalls bei reiner Fixierung auf den Privilegienwortlaut Bestand haben kann. Denn der Sache nach waren Privilegien wohl stets Ergebnisse von Verhandlungen, auch wenn man sie aus verschiedenen Gründen in die traditionelle äußere Form der herrschaftlichen Gewährung goss[1]. Doch über die Tragfähigkeit dieser neuen Kategorie „Vertragsurkunden“[2] mögen die Diplomatiker urteilen.

Zum anderen – und das interessiert in dieser Zeitschrift in erster Linie – hat Schuler sich um eine Analyse der juristischen Inhalte seiner Urkunden bemüht (Kap. 7, „Das Rechtsgeschäft“, S. 150-259, und Kap. 8, „Rechtsformeln“, unter die unverständlicherweise auch die Bürgschaft subsumiert wird, S. 240-341). Mehr als die Hälfte der Arbeit versucht sich also auf dem inhaltlich wie methodisch schwierigen Parcours des Deutschen Privatrechts – durchaus nicht im Einklang mit der Zielsetzung der Arbeit. Denn angeblich ging es um den Ausbau der Landesherrschaft mit Hilfe von Verträgen mit benachbarten Herrschaften als entscheidendem politischen Mittel zur Absicherung von Herrschaftsansprüchen (S. 1). Das ist sicher eine lohnenswerte Fragestellung, doch über die Analyse von Zinsvereinbarungen, Quittungen und Renunziationsformeln wird man für sie kaum etwas gewinnen. Dazu dienen allenfalls die Kapitel 7.4 und 7.5 („Öffnungsverträge“ und „Die politischen Verträge“ – doch sind Öffnungsverträge etwa keine politischen Verträge?), die wiederum nur mit einiger Gewalt unter die Kategorie „Rechtsgeschäft“ zu subsumieren sind. Doch statt diesem nicht eingefüllten Versprechen nachzutrauern, sei näher betrachtet, wie der Autor mit seinen selbstgewählten privatrechtlichen Problemen zurecht kommt. Die Antwort lautet schlicht: überhaupt nicht. Das entscheidende Manko liegt darin, dass Schuler über keine rechtliche Kategorien verfügt, an denen er den juristischen Gehalt seiner Quellen hätte bewerten können. Nicht, dass es einfach wäre, diese Kategorien zu entwickeln. Man kann entweder, wie die älteren Vertreter der Privatrechtsgeschichte es taten, die Institute des modernen Rechts oder einer angenommenen überzeitlichen Begrifflichkeit absolut setzen und „den“ Kaufvertrag, „das“ Pfandgeschäft usw. in seiner spezifischen Besonderheit des 14. Jahrhunderts zu beschreiben suchen. Dazu benötigt man freilich Kenntnisse im geltenden Recht, die immerhin in den einschlägigen Lehrbüchern des Deutschen Privatrechts bequem bereitstehen. Ohne solche Hilfe kann man die spezifischen Charakterzüge des spätmittelalterlichen Rechtsdenkens, seine Ähnlichkeiten zum und Abweichungen vom geltenden Recht, nicht erkennen. Oder aber man misst die Welt des 14. Jahrhunderts an ihren eigenen Kategorien, was dem Rezensenten der historisch ergiebigere Weg zu sein scheint. Dazu braucht man Kenntnisse über das juristische Umfeld der Zeit, und das bedeutet für das Württemberg des 14. Jahrhunderts bereits: Kenntnisse im spätmittelalterlichen ius commune, dem gelehrten Recht. Vor einer solchen Folie hätte man die Urkunden der  Grafen sicher mit Gewinn auswerten können. Doch durch vereinzelte Schwabenspiegelzitate (S. 253, 262 usw.) lässt sich diese Anforderung nicht erfüllen. Der juristische Maßstab, den Schuler an seine Urkunden anlegt, bleibt unklar.

Dieses harte Urteil sei an dem Beginn der spezifisch rechtshistorischen Ausführungen, den ersten Seiten des 7. Kapitels (nur S. 150-154) exemplifiziert. Die Kategorie „Geldschuld“ ist ohne Frage von großer Bedeutung für das einheimische mittelalterliche Schuldrecht, denn Wilhelm Ebels alte These, alle mittelalterliche Schuld sei Geldschuld gewesen, steht immer noch unbewiesen und unwiderlegt im Raum. Doch genau diese reizvolle Differenzierungsmöglichkeit gibt Schuler gleich in der ersten Fußnote (S. 150) schon wieder auf, wenn er sagt, Schuldner sei ihm nicht nur der Geld-, sondern jeder Leistungsschuldner. Vor der anschließenden Gleichsetzung von „Gläubiger“ und „Leistungsempfänger“ (dies ist übrigens keineswegs ein allgemeinerer Begriff als „Gläubiger“) hätte jeder Jurastudent, der im zweiten Semester etwas über Verträge zugunsten Dritter und mit Schutzwirkung für Dritte gehört hat, warnen können[3]. Der verdorbene Satzbau im ersten Satz auf S. 150 und zu Beginn des zweiten Absatzes auf S. 151 dokumentieren im übrigen zusammen mit den zahlreichen Zeichensetzungsfehlern auch die unzureichende Schlussredaktion des Textes. Als nächstes findet sich auf S. 151 (und noch mal auf S. 162 – also kein bloßer Lapsus) die Behauptung, für einen Schuldvertrag sei eine Zinsvereinbarung rechtsnotwendig gewesen. Sie mag in versteckten Formen (S. 155-157) häufig gewesen sein. Doch wenn sich unter der unangefochtenen theoretischen Herrschaft des kanonischen Wucherverbots (nicht: „Zinsverbot“!) ein Darlehensvertrag an das Gebot der Bergpredigt hielt, „nichts darüber hinaus“ zu erwarten, so verlor er deshalb sicher nicht seine rechtliche Wirksamkeit. Es folgt die unbelegte und verdächtig modern klingende Behauptung, ein urkundliches Schuldanerkenntnis sei lediglich ein Vertragsangebot gewesen, das zur Wirksamkeit der formlosen Annahme durch den Gläubiger bedurft habe (S. 152). Viel wahrscheinlicher ist, dass der Gläubiger auf die Ausstellung einer solchen Urkunde drängte und daher, wenn man es schon in der Terminologie der Rechtsgeschäftslehre ausdrücken will, das Angebot zum Vertragsschluss von ihm ausging. Weiter geht es mit der Behauptung, es habe im Mittelalter keinen geschriebenen oder ungeschriebenen Rechtssatz gegeben, der sich gegen eine Erbenhaftung gewandt hätte (S.152f.). Auch dem Rezensenten ist ein solcher Rechtssatz nicht gegenwärtig. Dennoch mahnt er zur Vorsicht, da ihm überhaupt nur sehr wenige ungeschriebene mittelalterliche Rechtssätze bekannt sind und er sogar aus theoretischen Gründen nicht sicher ist, ob es solche überhaupt gab. Doch Sarkasmus beiseite – ohne es zu merken ist Schuler hier in die kontroverse Diskussion über mittelalterliches Gewohnheitsrecht geraten. Es folgt die (von wem?) „sogenannte Stellvertreterklausel“ (S. 153), die angeblich jeden künftigen Besitzer der Schuldurkunde zur Einforderung der verbrieften Schuld berechtigte. Da nun aber beispielsweise die Erben nicht die Stellvertreter des Erblassers waren, spricht man besser wie im Wertpapierrecht von einer Inhaberklausel. Zu S. 154: Bei Zahlungsunfähigkeit haben die Schuldner ihr Eigen sicher nicht „den Schuldnern“ übertragen, sondern vermutlich den Gläubigern, und die Alternative „Schulden oder nicht geleistete Zahlungen“ ist eine Tautologie.

Ist dies eine Liste juristischer Spitzfindigkeiten? Immerhin handelt es sich um ein rundes Dutzend davon auf fünf durch die Stellung am Kapitelanfang exponierten Seiten! Vor allem aber ist die Enttäuschung groß, weil hier mit großem Arbeitsaufwand ein ergiebiger Quellenbestand erschlossen wurde und zudem mit Fragen konfrontiert wird, die zu den Kernproblemen der spätmittelalterlichen Privatrechts- und auch Verfassungsgeschichte gehören. Oft wäre fachkundiger Rat leicht zu erhalten gewesen. Doch die rechtshistorische Literatur wird völlig ungenügend ausgewertet. Von Zitaten der bis dato nicht bekannten Autoren „Distelkamp“ und „Kroeschel“ (passim!) einmal abgesehen – eine Arbeit über den Ausbau der Landesherrschaft anzugehen, ohne dass der Name Dietmar Willoweit im Literaturverzeichnis auftaucht, ist ein Kunstfehler. Nicht einmal der Grundriss „Deutsches Privatrecht“ von Mitteis/Lieberich wurde benutzt, von Hübners Deutschem Privatrecht nicht die aktuelle Auflage usw. Diese letzteren Versäumnisse lassen sich auch nicht mit der überlangen Zeit bis zur Drucklegung, die dem Werk im übrigen sicher nicht gut bekommen ist, erklären. Die Quintessenz dieser Kritik ist (abgesehen von der Mahnung, fertige Manuskripte zügig zum Druck zu befördern) nun nicht, bestimmte Bereiche der mittelalterlichen Rechtsgeschichte exklusiv den Forschern mit juristischer Vorbildung vorbehalten zu wollen. Dafür reicht die Arbeitskraft der verbliebenen juristischen Mediävisten längst nicht mehr aus. Jedoch handelt ein Historiker, der glaubt, ohne jegliche eigene oder fremde juristische Kompetenz die rechtlichen Eigenschaften mittelalterlicher Vertragsurkunden sezieren zu können, ungefähr so verantwortungsvoll wie ein medizinischer Laie, der sich an einer Blinddarmoperation versucht.

Trotz aller Kritik sind die beiden Bände in eingeschränktem Maße benutzbar. Das ist vor allem den umfangreichen Registern in den beiden Bänden zu verdanken. Mit ihrer Hilfe werden nicht nur die Vertreter der württembergischen Landesgeschichte, sondern letztlich auch die Adepten der Privatrechtsgeschichte zu interessanten Urkundenbelegen kommen (etwa über die Stichworte „Bürgschaft“, „Eid“, „Pfand“, „Schaden“ usw.). Auf Schulers Aussagen zur Sache verlässt man sich dabei aber besser nicht.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Albrecht Cordes



[1] Hermann Krause, Art. Privileg, mittelalterlich, in: HRG 3 (1984), Sp. 1999-2005; von Schuler, Bd. 2, S. 29 zustimmend zitiert. Doch zwei Seiten später hat Schulers eigene Definition diese Erkenntnis aus den Augen verloren. Offensichtlich wurde Krauses Artikel nachträglich und nur punktuell eingearbeitet. Es zeigt sich (nicht nur hier), dass die Schrift für die Drucklegung nur noch sehr kursorisch überarbeitet wurde. Die neuere Privilegienforschung, die vor allem mit dem Namen Heinz Mohnhaupt verbunden ist, entgeht dem Autor.

[2] In einer Tabelle (S. 149) fasst Schuler die Charakterzüge seiner neuen Kategorie sowie deren drei Unterkategorien Königsurkunde / nichtkönigliche Urkunde Typ I (ausführliches Formular) / nichtkönigliche Urkunde Typ II (einfaches Formular) zusammen.

[3] Dies ist wohlgemerkt keine Behauptung, es habe in Schulers Regesten solche Verträge gegeben, sondern eine Warnung, juristische Begriffe mit festgelegter Bedeutung ohne Not umzudefinieren und damit Missverständnissen Tür und Tor zu öffnen.