CordesDerstralsunder20000929 Nr. 1128 ZRG 119 (2002) 31

 

 

Der Stralsunder Frieden von 1370. Prosopographische Studien, hg. v. Jörn, Niels/Werlich, Ralf–Gunnar/Wernicke, Horst (= Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte N. F. 46). Böhlau, Köln – Weimar – Wien 1998. XII, 405 S.

 

Die Auswahl und Art und Weise der Begehung von Jubiläen und historischen Gedenktagen wäre ihrerseits ein reizvolles historiographisches Thema. Im Bereich der Hansegeschichte gilt das für kein anderes Ereignis so sehr wie für den Stralsunder Frieden von 1370. Der Vertrag der Kölner Konföderation nach ihrem Sieg über den dänischen König Waldemar IV. Atterdag gilt gemeinhin als zäsurbildender Höhepunkt der hansischen Machtentfaltung (in seinem Eröffnungsbeitrag relativiert Horst Wernicke diese Sicht freilich etwas), und als solcher wurde er 1870, kurz nach dem erneuten Sieg über Dänemark, auch gefeiert. Auf diesem nationalistischem Fundament wurde 1870 auch der Hansische Geschichtsverein (HGV) gegründet – eine Hypothek, an der die renommierte Vereinigung lange abzutragen hatte. Hundert Jahre später, noch mitten im kalten Krieg, zerbrach mit dem Exodus der DDR-Hansehistoriker aus dem Hansischen Geschichtsverein scheinbar endgültig eines der letzten gesamtdeutschen Bänder. So war es 1995 sicher eine gute Idee, das ein wenig krumme 625. Jubiläum zum Anlaß einer erneuten wissenschaftlichen Beschäftigung zu nehmen – auch dieses Mal natürlich mit Konzessionen an den Zeitgeist, nämlich unter dem Vorzeichen der deutschen Wiedervereinigung, der europäischen Integration und eines die Hanseforschung übergreifenden modernen historiographischen Ansatz: der Prosopographie.

Für diesen Zweig der Personenforschung, der sich mehr für Gruppen als für Individuen interessiert und sich daher eher um ein „Korpus individueller Biographien“ (de Boer, S. 342) als um die Analyse einer einzelnen Vita bemüht, sind serielle Quellen wie Bürgerlisten, Steuerregister usw. gut geeignet und auch für den hansischen Bereich schon mit Erfolg ausgewertet worden. Vor allem das von Werner Paravicini geleitete Projekt, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Brügge anwesenden hansischen Kaufleute so vollständig wie möglich zu erfassen, verdient hier Erwähnung. Diese Methode hingegen auf die bisher stets ereignisgeschichtlich ausgewerteten Quellen um Krieg und Frieden mit Dänemark anzuwenden, ist ein überraschender und ambitionierter Versuch.

Die 19 in dem Sammelband vereinten Artikel sind in vier Gruppen eingeteilt („Ereignis und Ort des Geschehens“, „Akteure auf hansischer Seite“, „Akteure auf dänischer Seite“ und „Umfeld“), sollen aber für den Zweck dieser Rezension, die ihrem Erscheinungsort gemäß weniger an der Hansegeschichte als solcher als an den Fragen des wissenschaftlichen Zugriffs interessiert ist, anders eingeteilt werden. Die Beitragenden haben nämlich auf die methodische Herausforderung auf drei verschiedene Weisen reagiert. Manche haben den Ansatz ignoriert und sich in den gewohnten Bahnen der Politikgeschichte bewegt, andere haben sich unter dem Banner „Prosopographie“ auf die Sammlung und Verarbeitung der Informationen über einzelne Akteure beschränkt. Eine dritte Gruppe schließlich hat sich wirklich auf die methodische Vorgabe eingelassen und konnte dann entweder prosopographische Ergebnisse für politik- und ereignisgeschichtliche Überlegungen nutzbar machen oder zumindest reizvolle neue Quellengruppen für eine prosopographische Auswertung vorschlagen. Auf diese Beiträge sei ein genauerer Blick geworfen.

Heidelore Böcker ermittelt aus den Namen in den Supplikenregistern der Kurie, daß sich an Hand der Gesuche um Pfründe, welche der dänische König an den Papst richtete, eine politische Linie ablesen läßt: Der König bemühte sich vor Kriegsbeginn, Deutsche in seinen Umkreis zu ziehen, und danach, Verbündete unter den führenden Ratsgeschlechtern seiner Gegner zu gewinnen. Dick de Boer wertet Mirakelbeschreibungen aus den nördlichen Niederlanden, die er eingangs überraschenderweise, aber mit guten Gründen unter die prosopographischen Quellen subsumiert, für Fragen der Wirtschaft und der Seefahrt aus und kommt dabei zu überzeugenden (freilich weit vom Stralsunder Frieden wegführenden und daher an diesem Publikationsort möglicherweise untergehenden) Ergebnissen. Anders Bøgh und Thomas Riis bringen mit prosopographischen Methoden genauere Aspekte des gespannten Verhältnisses zwischen dem jütischen Adel und dem dänischen Königshaus an den Tag. Birgitta Fritz behandelt Quellen mit schwedischem Bezug aus den 1360er Jahren, für deren Auswertung sie als Herausgeberin ideal prädestiniert ist. Es handelt sich um den neuesten Band des Diplomatarium Suecanum und um die Abrechnungen des mecklenburgischen Ritters und Verwalters von Schloß Nyköping südlich von Stockholm, aus den Jahren 1365-1367, die tiefe Einblicke in die schwedische Verwaltungspraxis erlauben.

Von Interesse sind weiterhin die Kurzbiographien, die in den Anhängen einiger weiterer Beiträge über die verschiedenen Ratssendeboten und anderen Delegierten beim Stralsunder Frieden und in seinem Vorfeld zusammengestellt sind: die holländischen und seeländischen (Dieter Seifert, S. 28-33), die Kulmer und Thorner (Zenon Nowak, S. 76-79) und die livländischen Gesandten (Nils Jörn, S. 108-110) sowie schließlich, besonders ausführlich, die jütischen Aufrührer gegen Waldemar (Anders Bøgh, S. 132-149). Diese Kurzbiographien, die noch zu ergänzen wären, könnten in der Zusammenschau die Grundlage für eine umfassende prosopographische Studie bilden, welche dieser Band noch nicht leistet. Ein Personen- und Ortsregister bildet eine lockere Klammer um die Beiträge mit ihren alles in allem doch recht heterogenen Charakterzügen und Fragestellungen.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Albrecht Cordes