CarlenEidgenössischegrenzfälle20010818 Nr. 10450 ZRG 119
(2002) 41
Eidgenössische <<Grenzfälle>>: Mühlhausen und
Genf – En marge de la Confédération: Mulhouse et Genève, hg. v. Kaiser,
Wolfgang/Sieber-Lehmann, Claudius/Windler, Christian. Schwabe, Basel 2001.
432 S. 3. Abb.
Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit waren Genf und
Mühlhausen mit der alten Eidgenossenschaft verbunden, was die Herausgeber als
Grenzfall und Sonderfall bezeichnen und worüber sie in ihrer zusammenfassenden
Einleitung sprechen. Drei französischsprachige Beiträge geben Überblicke zu
Genf und Mühlhausen. Catherine Santschi zeigt, dass seit dem
Spätmittelalter nicht nur die Eidgenossenschaft, sondern auch Frankreich und
Savoyen auf Genf einwirkten, wobei Genf diese drei Konkurrenten gegeneinander
ausspielte und versuchte, ein Gleichgewicht zu halten bis mit dem Ende des
Ancien Regime der Anschluss an Frankreich erfolgte. Mit Mühlhausen erwies sich
das 1515 mit den Eidgenossen eingegangene Bündnis als stabil, wie Raymond
Obelé ausführt, obwohl konfessionelle Gegensätze das Verhältnis zur
Innerschweiz trübten. Auch Mühlhausen lavierte zwischen drei Kräften, neben den
Eidgenossen und dem Reich mit Frankreich, in dessen Nationalstaat es
schließlich einmündete. Die Stellung Mühlhausens zu Habsburg und den
Eidgenossen von 1386 bis1515 erläutert speziell Benoit Jordan.
Ein zweiter Teil widmet sich alltäglichen Interaktionen im
Beziehungsgeflecht zwischen Mühlhausen und den eidgenössischen Orten. Nach Claudius
Sieber‑Lehmann begleiten „Schimpfen und Schirmen“ die Entstehung des
eidgenössischen Grenzfalls Mühlhausen im beginnenden 16. Jahrhundert. Im Rahmen
von Erbhändeln, vermischt mit ständischen Konflikten, testete man, wie
zuverlässig die jeweiligen Bündnispartner und die Machtverhältnisse am
Oberrhein waren. Wechselbeziehungen und Religionskonflikte im 16. und 17.
Jahrhundert verfolgt Wolfgang Kaiser im Beitrag „Der Oberrhein und sein
‚konfessioneller Grenzverkehr’“'. Die übergreifende Mächtekonstellation und das
Interesse der Nachbarn an einem neutralisierten „Puffer“ wirkten sich hier
stark aus.
Die zwei englischsprachigen Beiträge von William G. Naphy
und William Monter und die beiden französischsprachigen von Laurence
Bergon und Maria-Cristina Pitassi kreisen um Genf, das „protestantische
Rom“, seinen Mythos und seine politische Schwäche. Die Reformation war im 16.
Jahrhundert ein einschneidender Faktor, in dem sich seit 1555 Genf
außenpolitisch neu orientierte und auch Zufluchtsstätte für französische und
italienische Religionsflüchtlinge
wurde, was die Zusammensetzung der städtischen Bevölkerung bedeutend veränderte
und die wirtschaftliche Blüte beeinflusste. Das massive Vordringen Frankreichs
in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts schwächte die politische Lage Genfs.
Innerprotestantische Kontroversen minderten die Stellung Genfs als
protestantisches Rom, führten aber allmählich dazu, dass sich Genf erneuerte.
Ein weiterer Themenkreis berührt das republikanische
Selbstverständnis von Genf und Mühlhausen und dessen Wandel im 18.
Jahrhundert, wobei sich herausstellt, dass die republikanischen Herrschaftskonzepte
der beiden Grenzfälle auffallende Parallelen aufweisen. Thomas Maissen
stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob Genf und Zürich von 1584 bis 1792
eine Allianz von Republiken waren und Christian Windler befasst sich mit
reichsstädtischem Freiheitsbewusstsein, Republikanismus und eidgenossischem
Bündnis in Mühlhausen und stellt fest, dass die Stadt in der Zugehörigkeit zum
Corpus Helvetiorum ihre Souveränität absicherte. Die Reden des Stadtschreibers
Josue Hofer sind eine wertvolle Quelle für die Interpretation des
obrigkeitlichen Republikanismus.
Der letzte Themenkreis ist den wirtschaftlichen Beziehungen
und dem politischen Wandel gewidmet. Liliane Mottu-Weber zeigt, welche
Zusammenhänge zwischen der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der
beiden Städte Mühlhausen und Genf bestanden und wie sich die französische
Zollpolitik des ausgehenden 18. Jahrhunderts auswirkte. Der Entwicklung im 19.
Jahrhundert wendet sich Irène Herrmann zu, in dem das Genfer
Hoheitsgebiet die heutige Konzeption erhielt und die Eingliederung in den
schweizerischen Bundesstaat erfolgte.
Der Band mit seinen durchwegs guten Beiträgen bereichert
nicht nur die Geschichte der Städte Genf und Mühlhausen, sondern gliedert sich
auch in größere Zusammenhänge ein.
Brig Louis
Carlen