BuschmannDokumentation20010903 Nr. 10355 ZRG 119 (2002) 73
Dokumentation des NS-Strafrechts, hg. v. Ostendorf, Heribert. Nomos, Baden-Baden 2000. 363 S.
Die Dokumentation selbst beginnt in einem ersten Teil mit dem
Abdruck der verfassungsrechtlichen Gesetzgebung des Nationalsozialismus, die
insgesamt als Grundlage der eigentlichen Strafgesetzgebung anzusehen ist. Deren
Umfang reicht von Art. 48 WRV über das Gesetz zur
Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933, dem sog.
Ermächtigungsgesetz, der Nürnberger Rassengesetzgebung vom 15. September 1935,
dem Beschluß des Großdeutschen Reichstages vom 26.
April 1942 über die Bestätigung Hitlers als oberstem Gerichtsherrn bis zum Führererlaß über die besonderen Vollmachten des
Reichsministers der Justiz zur Errichtung einer nationalsozialistischen
Rechtspflege vom 20 August 1942.
In einem zweiten spezifisch straf- und strafprozeßrechtlichen
Teil der Dokumentation sind zunächst die wichtigsten strafrechtlichen Gesetze
und Verordnungen abgedruckt, die in der Zeit des Nationalsozialismus verkündet
wurden, von denen sich auch heute noch einige in Geltung befinden wie etwa die
Formulierung des Straftatbestandes des § 211 StGB, die aus dem Gesetz zur
Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 4. September 1941 herrührt und
keineswegs als spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut bezeichnet werden
kann. Der größte Teil der abgedruckten Gesetze und Verordnungen betrifft
freilich das nationalsozialistische Strafrecht im eigentlichen Sinne, dessen
Spannweite von der Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe auf die
Regierung der nationalen Erhebung, der sog. Heimtückeverordnung vom 21. März
1933 über die Verordnung gegen Volksschädlinge – Volksschädlingsverordnung –
vom 5. September 1939, die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen
und Juden in den eingegliederten Ostgebieten – Polenstrafrechtsverordnung – vom
4. Dezember 1941 bis zur Verordnung über das Strafrecht des Deutschen
Volkssturms vom 24. Februar 1945 reicht. Der strafprozessuale Teil der Dokumentation
beginnt mit der Verordnung über die Bildung von Sondergerichten vom 21. März
1933 und umfaßt neben den Änderungen des
Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeseßordnung,
mit denen u. a. der Volksgerichtshof errichtet wurde, auch den Führererlaß über die Vereinfachung der Rechtspflege vom 21.
März 1942 und die Verordnung über die Errichtung von Standgerichten vom 15.
Februar 1945 auch die für die Vertretung von Angeklagten vor dem
Volksgerichtshof so wichtigen Merkblätter für die Verteidiger in Verfahren von
Landesverratssachen.
Als Polizeistrafrecht betrachtet der Herausgeber alle jene
zumeist in Verordnungsform erlassenen Rechtsvorschriften, die sich an der
Grenze von materiellem Strafrecht, Strafprozeßrecht
und Polizeirecht bewegen. Dazu zählen für ihn vor allem die Verordnungen und Erlässe, die sich auf die Verhängung der sog. Schutzhaft
und die vorbeugende Verbrechtensbekämpfung durch die Polizei beziehen, aber
auch jene, die namentlich die polizeilichen Maßnahmen gegen jugendliche Straftäter
betreffen, die nur z. T. ordnungsmäßig veröffentlich wurden. Als einziges
Gesetz ist in diesem Abschnitt das Preußische Gesetz über die Geheime
Staatspolizei vom 10. Februar 1936 abgedruckt. Von den im Reichsgesetzblatt
publizierten einschlägigen Verordnungen finden sich neben den Maßnahmen gegen
die jüdische Bevölkerung auch die Verordnung über eine Sondergerichtsbarkeit in
Strafsachen für Angehörige der SS und von Polizeiverbänden bei besonderen
Einsätzen vom 17. Oktober 1939.
Bei der militärstrafrechtlichen und
strafverfahrensrechtlichen Gesetzgebung sind es vor allem die Verordnung über
das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz –
Kriegssonderstrafrechtsverordnung – vom 17. August 1938 sowie die Verordnung
über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz –
Kriegsstrafverfahrensordnung – ebenfalls vom 17. August 1938, veröffentlicht
erst im Jahre 1939, die der Herausgeber in seine Dokumentation aufgenommen hat.
Abgedruckt sind neben der Neufassung des Militärstrafgesetzbuches vom 10.
Oktober 1940 auch der berüchtigte Kommissarsbefehl vom 6. Juni 1941 und der
sog. „Nacht- und Nebel- Erlaß“ vom 7. Dezember 1941,
der Gerichtsbarkeitserlaß vom 30. Juli 1944 sowie der
Führerbefehl über die Bildung eines Fliegenden Standgerichts vom 9. März 1945 –
sämtlich Zeugnisse eines drakonischen Kriegsstrafrechtes.
Der letzte Teil der Dokumentation ist dem Jugendstrafrecht
gewidmet und enthält neben der eigentlichen Jugendstrafgesetzgebung auch
Verfahrensrecht und Polizeirecht, das insgesamt nur in Verordnungen und
Allgemeinen Verfügungen verlautbart wurde. Unter den abgedruckten Texten
befindet sich etwa die Verordnung zum Schutz gegen jugendliche Schwerverbrecher
vom 4. Oktober 1939, die Verordnung zur Ergänzung des Jugendstrafrechts
(Jugendarrestverordnung) vom 4. Oktober 1940, die Verordnung über die
Vereinfachung und Vereinheitlichung des Jugendstrafrechts
(Jugendstrafrechtsverordnung) vom 6. November 1943 und schließlich die
Allgemeine Verfügung des Reichsministers der Justiz vom 16. Dezember 1943 über
die Einrichtung einer gerichtlichen Erziehungskartei vom 16. November 1943.
Das Strafrecht ist, wie man weiß, in besonderem Maße ein
Spiegel der politischen, sozialen und geistigen Verhältnisse der Zeit, in der
es entstanden ist und angewendet wird. Dies gilt in besonderem Maße für die
Zeit des Nationalsozialismus, wie durch die vorliegende Dokumentation
sinnfällig vor Augen geführt wird. Freilich wird man sich hüten müssen,
sämtliche in dieser Zeit erlassenen Vorschriften pauschal als Ausdruck
spezifisch nationalsozialistischen Rechtsdenkens zu bezeichnen. Nicht wenige
von ihnen waren das Ergebnis einer strafrechtlichen Diskussion, deren Wurzeln
bis weit in die Zeit vor der nationalsozialistischen Machtübernahme
zurückreichten und die nach dem Ende des Nationalsozialismus, wie oben bereits
angedeutet, fast unverändert weitergalten und zum Teil noch immer gelten. Der
nationalsozialistische Gesetzgeber hat sich dieser Ergebnisse bemächtigt und
sie in seine Gesetzgebung eingebaut, in der sie neben den spezifisch
nationalsozialistischen Bestimmungen als Bestandteile einer einheitlichen
Gesetzgebung erscheinen. Wer sich mit der Strafgesetzgebung der
nationalsozialistischen Zeit wirklich auseinandersetzen will, wird daher nicht
umhin können, statt ausgewählter Gesetzesstellen die einschlägigen Gesetze,
Verordnungen und sonstigen Maßnahmen in ihrem vollen Wortlaut zu studieren,
wenn er sich ein unvorgenommenes und zutreffendes Bild von der
Strafrechtsentwicklung in dieser Zeit machen will. Dies ermöglicht zu haben,
gehört zu den besonderen Verdiensten, die sich der Herausgeber mit der
Veröffentlichung dieser Dokumentation des nationalsozialistischen Strafrechts
erworben hat.
Salzburg Arno Buschmann
1 Einzige Ausnahme bildet das Buch des Rezensenten, Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933-1945, Band 2, Dokumentation einer Entwicklung, Wien New York 2000; dort findet sich nicht nur eine Dokumentation der Entwicklung der Strafgesetzgebung, sondern auch der übrigen Gesetzgebung der nationalsozialistischen Zeit in vollem Wortlaut, allerdings unter dem Gesichtspunkt der spezifischen Einwirkung der nationalsozialistischen Weltanschauung auf die Gesetzgebung zusammengestellt.