Die Macht
des Geistes. Festschrift für Hartmut Schiedermair, hg. v. Dörr,
Die Hartmut
Schiedermair gewidmete Festschrift zeichnet sich durch erfreuliche
Reichhaltigkeit aus. Wie die Herausgeber im Vorwort hervorheben, soll die
Festschrift nicht den Wissenschaftspolitiker Schiedermair, der u. a. seit 1981
Präsident des Deutschen Hochschulverbandes ist, ehren, sondern den
Wissenschaftler. Diese Konzentration ist ihr gut bekommen. Selbstverständlich
stehen nicht alle der unter dem anspruchsvollen Titel „Die Macht des Geistes“
zusammengefaßten 50 Beiträge auf einem gleichmäßig hohen Niveau. Zahlreiche
Abhandlungen bereichern jedoch die wissenschaftliche Erkenntnis in
herausragender Weise. Daß dabei neben dem Wissenschafts- und Hochschulrecht vor
allem das Völker- und das Europarecht im Vordergrund stehen, entspricht der
Reputation des Jubilars, der zu den einflußreichsten Völkerrechtlern
Deutschlands gehört.
Ein Merkmal
der Festschrift ist der häufige Bezug der Beiträge zu aktuellen Problemen.
Allein drei Aufsätze befassen sich mit dem Kosovo-Konflikt. Stephan Hobe
verwirft die offiziellen Rechtfertigungsversuche für die NATO-Intervention und
sieht in dieser die Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg. Eingehend legt Udo
Fink dar, daß auch das Völkergewohnheitsrecht nicht als Rechtsgrundlage für
die Militäraktionen geeignet war. Joachim Wolf schließlich zieht aus den
hilfslosen Reaktionen der EU-Organe auf die Konfliktereignisse den Schluß, daß
das Ziel einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik nicht mit
den Methoden erreichbar ist, mit denen man den Gemeinsamen Markt errichtet hat.
Nicht
minder brisant wie die Interventionsproblematik ist die des
Minderheitenschutzes. Georg Brunner untersucht sie am Zerfall der
kommunistischen Vielvölkerstaaten. Deren 22 Nachfolgestaaten begreifen sich
ganz überwiegend als Nationalstaaten. Tatsächlich umfassen sie aber große
ethnische Gruppen, die zu Einwohnern eines fremdnationalen Staates geworden
sind. Der Autor betont, daß die Nachfolgestaaten grundsätzlich bestrebt sind,
die „neuen Minderheiten“ in das neue Staatsvolk unter Verleihung des
Minderheitenstatuts zu integrieren. Die abweichende Haltung Estlands und
Lettlands erklärt sich aus ihrer völkerrechtswidrigen und folglich unwirksamen
Annexion durch die Sowjetunion. Da das völkerrechtliche Integrationsgebot für
diese Situation nicht gilt, nimmt Brunner beide Staaten vor der verbreiteten
westlichen Kritik an ihrer Staatsangehörigkeitsgesetzgebung in Schutz. Boris
Meissner behandelt das Selbstbestimmungsrecht der Völker in den
deutsch-sowjetischen Beziehungen, wobei er feststellt, daß Deutschland mit der
Wiederherstellung seiner staatlichen Einheit seine volle Souveränität erlangt
hat, während Bernhard Kempen darauf aufmerksam macht, daß die in der EU
vergemeinschafteten Rechtsgebiete aus der Souveränität herausgenommen sind. Den
Weg der Indianerstämme in den USA zu Formen der Selbstverwaltung zeichnet
Aktuelle
Beiträge unterliegen natürlich der Gefahr des Überholtwerdens durch den Gang
der Entwicklung. Dieses Schicksal trifft die Abhandlung Michael Brenners
über eine inzwischen aufgehobene Regelung im Gesetz über offene Vermögensfragen
und die Kritik, die Torsten Stein am Kreil- („Amazonen“-) Urteil des
Europäischen Gerichtshofs übt. Durch das Gesetz vom 19. 12. 2000 ist Art. 12a
GG geändert und den Frauen der freiwillige Wehrdienst mit der Waffe erlaubt
worden. Auch die Vorschläge von Matthias Schmidt-Preuß zur EU-
Regierungskonferenz sind überholt, da die Konferenz inzwischen in Nizza
stattgefunden hat. Daß die Entwicklung diese Beiträge „überrollt“ hat, besagt
allerdings nichts über die Berechtigung der darin geübten Kritik, wie überhaupt
kritische Bemerkungen der Festschrift ihre Würze geben.
Zum Beispiel
hat das Gutachten Dietrich Murswieks zum Haacke-Projekt im Lichthof Nord
des Reichstagsgebäudes, das mit der Leuchtschrift „Der Bevölkerung“ die
überkommene Widmung „Dem deutschen Volke“ relativieren soll, trotz seiner
stichhaltigen Argumente den Bundestag nicht davon abgehalten, dem umstrittenen
Kunstobjekt seine Zustimmung zu geben. Gleichwohl behalten die Ausführungen
Murswieks zum Selbstverständnis und zur Selbstdarstellung des Bundestages ihren
Wert. Der ebenso scharfsinnige wie wortgewaltige Josef Isensee
analysiert das Verhalten der Parlamentarier in eigener Sache an konkreten
Sachverhalten (Diäten, Verhaltensregeln für Abgeordnete, Parteienfinanzierung,
Untersuchungsausschüsse, Wahlprüfung). Sein Ergebnis läuft auf „Behutsamkeit“
in der Ausübung eigener Kompetenzen hinaus. Von solchem „Selbstversuch im
Rechtsgehorsam“ erhofft er, daß die Personen, die die Gesetze machen, sie auch
befolgen, was dazu führen könne, daß die Gesetze „realitätsnah, praktikabel und
für alle Beteiligten zumutbar“ ausfielen.
Es sind
freilich nicht nur die Abgeordneten, denen es schwer fällt, sich an
Rechtsgrundsätze zu halten. Wie Hans Heinrich Rupp an Prozeßgrundrechten
wie dem des „Gesetzlichen Richters“ und des „Rechtlichen Gehörs“ zeigt, ahndet
das Bundesverfassungsgericht zwar mit Schärfe Verstöße der Fachgerichte,
kümmert sich aber selbst oftmals nicht um die Maßstäbe, mit denen es die ihm unterworfenen
Gerichte mißt.
Leider ist
es nicht möglich, in dieser Rezension alle Beiträge zu würdigen, die
Hervorhebung verdienten. Hingewiesen sei jedenfalls auf die Arbeit Eckhart
Kleins über das Grundgesetz als gesamtstaatliche Verfassung. Mit den
Nahtstellen zwischen Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und
Landesverfassungsgerichtsbarkeit befaßt sich Klaus Stern. Dieser
Problemkreis gewinnt außerordentlich an Bedeutung, seitdem das
Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 96, 345f den Landesverfassungsgerichten das
Recht zugestanden hat, die Anwendung bundesrechtlichen Verfahrensrechts durch
die Landesgerichte darauf zu prüfen, ob diese die mit dem Grundgesetz
inhaltsgleichen Grundrechte der Landesverfassungen eingehalten haben. Wohltuend
realistisch wendet sich Detlef Merten gegen „weltumspannende
Grundrechtsgefühligkeit“, indem er die räumlichen Grenzen der grundgesetzlichen
Grundrechtsbestimmungen aufzeigt. Schließlich sei noch der von Hans Joachim
Faller stammende erste Aufsatz der gehaltvollen Festschrift erwähnt. Der
ehemalige Bundesverfassungsrichter nimmt sich darin des Rückgriffs auf das
Naturrecht an, mit dem nach 1945 die Neubesinnung des deutschen Rechtsdenkens
begonnen hat. Die Renaissance des Naturrechts wich nach kaum zehn Jahren der
Wiederkehr des Rechtspositivismus. Daß damit indessen das letzte Wort nicht
gesprochen war, zeigte sich, als es nach der Wiedervereinigung wiederum um die
Ahndung schwerster Menschenrechtsverbrechen eines totalitären Regimes ging. Die
Idee des Naturrechts ist offensichtlich weit lebenskräftiger als seine
Verächter meinen - auch das ein Zeugnis für die „Macht des Geistes“, der die
Festschrift gewidmet ist.
Goslar Rudolf
Wassermann