Stolleis, Michael, Konstitution und Intervention.
Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts im 19. Jahrhundert (= suhrkamp
taschenbuch wissenschaft 1526). Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001. 287 S.
Die in diesem Sammelband vereinigten neun Beiträge,
entstanden zwischen 1976 und 2000, samt einer Einleitung von Stolleis verbindet
eine Thematik, die der Untertitel ersichtlich macht. Sie folgen, so Stolleis,
„dem Grundgedanken, daß die Geschichte des öffentlichen Rechts sich nicht auf
eine Dichotomie zwischen politischer Tat und reinem Gedanken festlegen lassen
darf“ (9). Tatsächlich zeigt sich eine „Priorität des Gedankens, der lange vor
der Tat entsteht und reift“ (9) am Verfassungsgeschehen im Revolutionsjahr
1848, das gedanklich-individuell, und überdies organisatorisch in Lesevereinen,
darunter spezifisch juristischen, vorgedacht und vorbereitet worden war. Zwei
Beiträge widmen sich denn auch direkt diesem Revolutionsjahr:
„Verfassungsideale der Bürgerlichen Revolution“ und „1848 - ein Knotenpunkt der
europäischen Geschichte“. In gewisser Weise gehört hierher auch „Die bayerische
Gesetzgebung zur Herstellung eines frei verfügbaren Grundeigentums“, da eine
entsprechende Entwicklung 1848 zum Abschluß kam. Hier geht es aber auch um ein
rechtstheoretisches Problem, nämlich das In- und Miteinander von Privatrecht
und öffentlichem Recht sowohl in seiner Verflechtung hinsichtlich der
bäuerlichen Verhältnisse, aber auch im Einwirken von Verfassungsgedanken auf
privatrechtliche Institute wie etwa das geteilte Eigentum. Das Umfeld von 1848
berührt ferner „’Junges Deutschland’, jüdische Emanzipation und
Liberalstaatsrechtslehre in Deutschland“. Im Zentrum steht Biografisches: Edgar
Loening, Heinrich Laube und sein Stiefsohn Albert Hänel, kürzer abgehandelt
Levin Schücking, vor dem Hintergrund von insbesondere Zensur und Verlagswesen.
Im Sinne des von Stolleis in der Einleitung zur „Priorität des Gedankens“
Gesagten steht auch der folgende Beitrag im Zusammenhang mit 1848: „Die
Historische Schule und das öffentliche Recht“, die Stolleis nicht in einem
Gegensatz zueinander sehen will: „Von einer scharfen Trennung zwischen
historischem und dogmatischem Argument konnte im Staatsrecht keine Rede sein“,
nämlich im älteren „ius publicum
imperiale/territoriale“ (35). Eine „historisch/dogmatische“ Sicht habe dem
öffentlichen Recht mehr oder minder stets angehaftet, Eichhorn in diesem Sinne
im öffentlichen Recht nicht derart Neues wie Savigny im Privatrecht gebracht.
Zur Beobachtung, im Konstitutionalismus sei das „historische Argument ...
relativ gewichtlos“ gewesen (44), ist aufgrund der österreichischen
Verfassungsentwicklung nachzutragen, daß die Anhänger der historischen Schule
antikonstitutionell eine neuständisch beschränkte Monarchie konzipierten. In
ähnlicher Weise wie der eben skizzierte Beitrag zählt auch „Nationalität und
Internationalität: Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht des 19.
Jahrhunderts“ zu 1848 und seinem Umfeld: Nicht nur beweist die Genealogie der europäischen
konstitutionellen Verfassungen rechtsvergleichendes Arbeiten, durch
Verfassungsvergleichung im Deutschen Bund entstand das allgemeine deutsche
Staatsrecht als „die politische Hoffnung der Liberalen“ (186), die schließlich
1848 mitermöglichte.
Die übrigen Beiträge charakterisieren Entwicklungen in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „’Innere Reichsgründung’ durch
Rechtsvereinheitlichung 1866-1880“ bereitete 1870/71 vor bzw. führte das
Erreichte aus. Trotz der zahlreichen Vereinigungsbeispiele bleibt allerdings
der nicht unmaßgebliche Deutsche Zollverein unterbelichtet. Den neuen Charakter
deutscher Reichsstaatlichkeit behandeln die beiden weiteren Beiträge „Die
Sozialversicherung Bismarcks“ sowie „Die Entstehung des Interventionsstaates und
das öffentliche Recht“. - Eine gelungene Zusammenstellung wichtiger Beiträge!
Wien Wilhelm
Brauneder