BenöhrSimon20000929 Nr. 707 ZRG 119 (2001) 49
Simon, Sema, Die Tagelöhner und ihr Recht im 18. Jahrhundert (= Berliner Juristische Universitätsschriften, Zivilrecht 2). Berlin-Verlag/Nomos, Berlin/Baden-Baden 1995. 391 S.
Wieder wird aus der Schule Rainer Schröders, noch aus seiner Lehrätigkeit in Bayreuth, eine Dissertation vorgelegt, die eine weitere Lücke der Arbeitsrechtsgeschichte füllt und wiederum die noch heute links und rechts grassierenden romantischen, von Richard Wagner und Friedrich Engels gepinselten Bilder aus der deutschen Vergangenheit korrigiert. Von den „vielen vorindustriellen Arbeitsverhältnissen“ wird diesmal die rechtlich freie, unzünftige „Tagelöhner-Arbeiterschaft“ untersucht. Dazu hat Sema Simon eine Masse von Rechtsvorschriften aus den Jahren seit 1530 (Reichspolizeiordnung), vor allem partikulare Bestimmungen und Literatur aus dem 17. und 18. Jahrhundert (Verzeichnis S. 281-319) unter umfangreicher Heranziehung der Sekundärliteratur (320 - 391) ausgewertet.
Die Untersuchung gliedert sich in zehn Kapitel: Im ersten Kapitel, betreffend „Forschungsstand, Probleme und Prämissen“, werden u. a. die Tagelöhner zum Gesinde abgegrenzt und die verschiedenen Arten in Land und Stadt aufgefächert (17 - 58). Bei der Beschreibung des „Arbeitsmarktes“ im zweiten Kapitel gibt sich Sema Simon nicht mit der offensichtlichen Wahrscheinlichkeit von Tagelöhnern zufrieden, sondern weist an Hand verschiedener Quellen und Statistiken ihre Anzahl nach (59-84). Als sofortige Folge des „dreißigjährigen Kriegs“ werden zwar generell eine Erhöhung der Arbeitsmöglichkeiten und der Löhne sowie ein Fallen der Ernährungskosten, aber auch das Schwinden dieser Vorteile für die Arbeiterschaft gegen Ende des 17. Jahrhunderts konstatiert (85-112), denn die „Löhne der Tagelöhner lagen vielfach zwischen ,Hungerlohn’ und dürftigem Einkommen“.
Nach Klärung dieser tatsächlichen und sozialen Verhältnisse gruppiert Sema Simon die zahlreichen, rechtlich geregelten Fragen unter diversen Überschriften: „Recht der Tagelohnarbeit“, vor allem nach den insoweit weitgehend übereinstimmenden Polizeiordnungen (113-160), „Arbeitsverhältnisse im Kontext merkantilistischer Politik“, mit der weitgehenden Negierung von Vertragsfreiheit im modernen Sinne (161-204), und „Maßnahmen des Staates zur Sicherung günstiger Arbeitskräfte“ (205-214). Der seit jeher behauptete „soziale Gehalt einzelner Rechtsnormen“ beschränkte sich im Wesentlichen auf „Arbeitszeitregelungen“ (215-225), mit der „Absicherung in Armut, im Alter, bei Erwerbsunfähigkeit und Erwerbslosigkeit“ war es nicht weit her (226-248), und hinter „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ setzt Sema Simon zu recht ein Fragezeichen[1]. „Arbeiterorganisationen“ des Gesindes und der freien Tagelöhner „gab es nicht“ (247-255). In ihrem letzten Kapitel liefert Sema Simon einen Querschnitt durch „die Gesetzgebung“ (257-275). Ihrer sorgfältigen „Einleitung“ korrespondieren die resümierenden „Schlussbemerkungen“ (275-277).
Es handelt sich um eine wohlreflektierende Arbeit aus den Quellen, die Beachtung verdient, damit man nicht wieder schreiben darf: „die Arbeitsverhältnisse von Tagelöhnern werden in keinem rechtsgeschichtlichen Lehrbuch erwähnt“ (37).
Berlin Hans-Peter Benöhr
[1] S. auch: Benöhr, Arbeitssuche und Arbeitszwang in der Neuzeit, in: Werner Ogris/ Walter H. Rechberger (Hrsg.), Gedächtnisschrift Herbert Hofmeister, Wien 1996, S. 43-71.