BärSchuster20010507 Nr. 10315 ZRG 119 (2002) 62
Schuster, Walter, Deutschnational, Nationalsozialistisch, Entnazifiziert. Franz Langoth, Eine NS-Laufbahn, Archiv der Stadt Linz, Linz 1999. 460 S.
Der auf
drei Adjektive komprimierte Titel von Schusters biografischer Studie
steht für die Lebensgeschichte vieler Repräsentanten des Nationalsozialismus.
Franz Langoth, Leiter der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV),
Oberbürgermeister der ‚Führerstadt Linz‘, SS-Brigadeführer, Richter am
NS-Volksgerichtshof und überzeugter Rassist und Antisemit, tritt aus der Menge
der NS-Akteure hervor, da noch im Jahr 1973 nach ihm die Langothstraße in Linz
benannt wurde. Diese Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus wurde vom
Stadtsenat im Jahr 1986 vor allem wegen Langoths Rolle als ehrenamtlicher
Richter am Volksgerichtshof revidiert. Allein ein derart nonchalanter Umgang
mit der NS-Vergangenheit legitimiert –so es einer solchen Legitimation
überhaupt bedarf- die von Schuster vorgelegte zeitgeschichtliche Untersuchung.
Der Band kritisiert explizit die „‘Vergangenheitsbewältigung‘, die allzu lange
die Opferrolle Österreichs und der Österreicher zwischen 1938 und 1945
festschrieb, während die vom NS-Regime tatsächlich Verfolgten auf wenig
Verständnis stießen. Das Verweigern der Auseinandersetzung mit der
NS-Vergangenheit ermöglichte es, daß Teile des nationalsozialistischen
Gedankengutes noch weitertradiert wurden.“ (S. 12)
Die
Biografie ist in sechs Kapitel untergliedert, in denen der Lebensweg Langoths
als deutschnationaler Politiker von 1909-1933 (S. 17-69), seine Hinwendung zum
Nationalsozialismus von 1933-1938 (S. 71-105), seine Karriere im
‚Grossdeutschen Reich‘ von 1938-1945 (S.107-214), seine Entnazifizierung von
1945-1950 (S. 215-244), seine weiteren politischen Aktivitäten bis zu seinem
Tod im Jahr 1953 (S. 245-257) und schließlich der ‚Mythos Langoth‘ in der Zeit
von 1953 bis 1986 (S. 259-303) dargestellt werden.
Die Haltung
des Landtagsabgeordneten Langoth in den 20er Jahren zur Kriegsschuldfrage (S.
31f.), zur Demokratie (S. 32, 42) und zu Verfassungsfragen (S. 42f., 48)
entsprach in vollem Umfang seinem deutschnationalen Politikverständnis. Nach
dem vorläufigen Ende seiner politischen Tätigkeit im Jahr 1934 vollzog Langoth
die Hinwendung zum Nationalsozialismus. Bei dem von ihm anschließend
aufgebauten sog. ‚Hilfswerk Langoth‘ handelte es sich um eine im wesentlichen
aus dem Deutschen Reich gespeiste Unterstützungskasse für die Mitglieder der
zwischen 1934 und 1938 in Österreich verbotenen NSDAP und zugleich um einen
Teil des ‚evolutionären Konzeptes‘ des NS-Regimes, das auf einen ‚friedlichen
Systemwechsel‘ in Österreich abzielte. Das gleichnamige Kapitel (S. 89-105)
ermöglicht einen guten Einblick in die Strukturen der in Österreich illegalen
NSDAP, der Bedeutung Langoths für dieselbe, aber auch für die Naivität der
österreichischen Behörden hinsichtlich der aus der Legalisierung des Hilfswerks
erwachsenden Gefahr.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem ‚Anschluß‘ Österreichs hatte Langoth in den Jahren 1938 und 1939 als Leiter für den Aufbau der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und des Winterhilfswerks (WHW) in Österreich zu sorgen (S. 116-120). Anschließend wurde er Gauwalter der NSV und des WHW in Oberdonau, Gauamtsleiter des Gauamtes für Volkswohlfahrt in der Gauleitung Oberdonau (S. 120), Leiter der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und Leiter des Reichsbundes Deutscher Schwestern (S. 130). Die Hintergründe für diese faktische Degradierung liegen im Dunkeln. Seine Tätigkeit in den aufgezählten Ämtern fand wegen seines verbindlichen Charakters „Anerkennung in allen Bevölkerungsgruppen, selbst in Kreisen, die dem Nationalsozialismus von vornherein nicht nahegestanden waren. Daß Langoth selbst sich mit der nationalsozialistischen Ideologie der Volkswohlfahrt zu 100 Prozent identifizierte, machte ihn zum besten Werbeträger eben dieser Idee und damit zum wertvollen Bestandteil der nationalsozialistischen Propaganda.“ (S. 131)
Unmittelbar nach dem ‚Anschluß‘ Österreichs wurde Langoth im März 1938 von Heinrich Himmler in die SS im Rang eines SS-Oberführers aufgenommen und mit dem Ehrendegen des Reichsführers SS ausgezeichnet. (S. 133) Mit seiner Bestellung zum Oberbürgermeister der Stadt Linz Ende 1943 war die Beförderung zum SS-Brigadeführer und die Verleihung des SS-Totenkopfrings als höchster SS-Auszeichnung verbunden. (S. 134f.) Seine persönliche Haltung zur SS kam zum Ausdruck, als er am 4. Mai 1945 im Rathaus bekanntgab, die Repräsentanten der amerikanischen Armee in SS-Uniform empfangen zu wollen, was ihm aber seine Stadträte auszureden wußten. (S. 135)
Der im April 1938 ‚gewählte‘ Reichstagsabgeordnete Langoth hat in den acht Sitzungen des ‚Großdeutschen Reichstages‘ zwischen 30. Januar 1939 und 26. April 1942, wie Schuster ausführt, „nicht nur bereitwilligst Hitlers Kriegspolitik akklamiert, sondern auch dazu beigetragen, nationalsozialistische Willkür und Terror für die Öffentlichkeit im In- und Ausland zu rechtfertigen.“ (S. 140)
Auf Vorschlag seines langjährigen Bekannten Ernst Kaltenbrunner wurde Langoth am 1. 2. 1939 zum ehrenamtlichen Mitglied des Volksgerichtshofes ernannt, wo er zwischen 1941 und 1944 an zumindest 51 Prozessen in Nürnberg, Wien, München und Linz mit insgesamt 125 Angeklagten (106 Männer und 19 Frauen) mitgewirkt hat. (S. 146f.) Diese Verfahren endeten für 41 Angeklagte mit der regelmäßig unmittelbar vollstreckten Todesstrafe und lediglich für sieben Angeklagte mit einem Freispruch. Die anderen Angeklagten erhielten ganz überwiegend Haftstrafen von beträchtlicher Dauer. Das Verfahren vor dem Volksgerichtshof hatte – wie aus anderen Untersuchungen bereits hinlänglich bekannt ist - lediglich gerichtsähnliche Züge. „Die Hauptverhandlung war in der Regel nur für einen Tag anberaumt und wurde in der Praxis innerhalb weniger Stunden abgewickelt. Angesichts dieser Tatsache ist es wenig verwunderlich, daß die Richter bei der Hauptverhandlung bedingungslos dem ihnen vom Oberreichsanwalt vorgelegten Belastungsmaterial folgten. ... Die Berufs- und Laienrichter hatten – vor allem nach den Vorstellungen Freislers - den Anweisungen des Vorsitzenden des Senates Folge zu leisten. Ihnen sollte bloß eine beratende, aber nicht wirklich entscheidende Rolle zukommen.“ (S. 147) Es ist angesichts der fehlenden Beratungsprotokolle des Richtersenates, dem Langoth angehörte, nicht klärbar, ob dieses Prozedere auch für eben diesen Senat zutreffend war. Die Verantwortung des einzelnen Richters für die genannten Todesurteile wird durch die beschränkten Einflußmöglichkeiten der Beisitzer kaum gemindert, hätte Langoth doch das Richteramt selbst ablehnen können. (S. 172) Allerdings ist ein Fall dokumentiert, in dem es Langoth gelang, mit Hilfe eines anderen Beisitzers einen Freispruch gegen die Ansicht des Senatspräsidenten und den Berufsrichter durchzusetzen. (S. 168) Zudem engagierte sich Langoth in zumindest zwei Fällen für ihm bekannte Personen und rettete sie vor einem drohenden Verfahren vor dem Volksgerichtshof. (S. 171)
Auch das Oberbürgermeisteramt der Stadt Linz umfaßte keine bloße zivile Verwaltungsaufgabe, sondern beinhaltete durch die Hoheit über Zwangsarbeiter und die Trägerschaft eigener städtischer Lager erhebliches Unrechtspotential, das vor allem in der Strafpraxis gegen Fremdarbeiter und Kriegsgefangene ausgeschöpft wurde. (S. 201f.) „Franz Langoth sorgte als Oberbürgermeister für die Umsetzung der nationalsozialistischen Unterdrückungspolitik gegen die eigene Bevölkerung im Bereich der Stadt Linz“ .(S. 206) Als Beispiel nennt Schuster, daß er bis zum Einmarsch der amerikanischen Armee Härte gegen ‚Volksschädlinge‘ forderte und in öffentlichen Verlautbarungen den Endsieg in Aussicht stellte (S. 208).
In der Zeit als Häftling der amerikanischen Besatzungsmacht bis 1947 zeigte sich Langoth als uneinsichtig hinsichtlich der Verbrechen des Nationalsozialismus. „Keine Reue, kein Eingeständnis von Fehlern, samt dem unverminderten Selbstbewußtsein, stets richtig gehandelt zu haben ... Während sich einige ehemalige Funktionäre ... ehrlich bemühten, die nationalsozialistische Herrschaft kritisch zu betrachten, war Langoth nicht bereit, Gleiches zu tun.“ (S. 224)
Trotz eindeutig auf Franz Langoth anwendbarer Tatbestände im Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945 und im Kriegsverbrechergesetz vom 26. Juni 1945 wurde er – nach zahlreichen Interventionen des SPÖ-Bürgermeisters von Linz - von der österreichischen Justiz nicht verurteilt und schließlich am 14. Dezember 1950 vom österreichischen Bundespräsidenten Dr. Karl Renner amnestiert. (S. 237) In seinen im Jahr 1951 veröffentlichten Memoiren vermittelt Langoth ein vollständig nationalsozialistisch geprägtes Geschichtsbild, dessen Leitmotiv es war, das angeblich positive Gedankengut des Nationalsozialismus und die vermeintlichen gutgemeinten Bestrebungen seiner Protagonisten darzustellen. (S. 253) Obwohl sich Langoth in seinen Memoiren als unbelehrbarer und unverbesserlicher Nationalsozialist präsentierte, lebte er nach seinem Tod im Jahr 1953 in der Erinnerung einer breiten Öffentlichkeit als ‚positiver‘ Repräsentant des Nationalsozialismus, als ‚guter Nazi‘, fort. (S. 259)
Schuster resümiert, daß sowohl die (mangelnde) Entnazifizieruung als auch das (positive) Nachleben Langoths keinesfalls als ein spezifisches Linzer Phänomen, sondern als Beispiel für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in Österreich schlechthin anzusehen sei. (S. 289)
Schusters moralische Empörung über den unverbesserlichen Nazi Langoth und seine Behandlung durch die Nachwelt ist angesichts der geschilderten Umstände ohne weiteres nachvollziehbar. Die Stärke der akribisch recherchierten Biografie besteht in der präzisen Quellenforschung, die die einzelnen Lebensstationen Langoths detailliert nachzeichnet. Zahlreiche Fotografien der Akteure und Schauplätze ermöglichen eine plastische Rekonstruktion der geschilderten Vorgänge. Indem die Anmerkungen komplett in den Anhang verbannt wurden, wird der schnelle Zugriff auf diese allerdings sehr erschwert.
Einen zweiten Schwerpunkt bildet die nicht minder genaue Erfassung des „Mythos Langoth“ in der Zeit nach 1945, dessen persönlicher Ruf durch seine politische Verstrickung mit dem Terrorregime in der Öffentlichkeit kaum gelitten hatte. Die Ursachen dafür lagen in erster Linie in einer allzu beschönigenden Darstellung der Lebensdaten durch politische Amtsträger, in den Medien, aber auch in wissenschaftlichen Publikationen. Schuster glückt mit dieser Untersuchung nicht allein eine Biografie im herkömmlichen Sinne, sondern der Leser erfährt zudem viel über Entnazifizierung und Vergangenheitsbewältigung in Österreich. Die hier vorgelegte Studie ist ein gewichtiges Indiz dafür, daß die in der Untersuchung geschilderten Verdrängungsmechanismen in Österreich zumindest im wissenschaftlichen Umgang als überwunden gelten können.
Berlin Fred G. Bär